Keine Chance für das Klima? Deutschlands Vertagung der Klimaziele

Als letzte Woche CDU/CSU und SPD sondierten, drang auf einmal nach draußen, dass man sich auf eine Aufgabe der Klimaziele für 2020 geeinigt habe. Bürgerinnen und Bürger, die ab und zu mal über die Zukunft der Menschheit auf dieser Erde nachdenken, konnten darauf zwei Reaktionen haben. Zum einen konnten sie geschockt sein und denken: „Das geht doch nicht!“ Immerhin wird durch zunehmende Wetterkatastrophen, den fortschreitenden Verlust an Biodiversität, das Schrumpfen der Pole, die zunehmende Übersäuerung der Meere und die drohende Nahrungsmittelknappheit immer deutlicher, welche Bedrohung der Klimawandel für das Leben von uns und unseren Kindern und Kindeskindern auf diesem Planeten darstellt. Entsprechende Erklärungen von zehntausenden von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern lassen keinen anderen Schluss zu (Hier geht es zur Warnung von tausenden von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor den Folgen der Umweltzerstörung oder zu den Kernbotschaften des letzten Berichts des ebenfalls wissenschaftlich basierten Weltklimarats IPCC).  Die andere mögliche Reaktion ging in die Richtung: „War ja klar“ oder „Wurde ja auch mal Zeit“. Denn wer sich die Daten anschaute, dem war seit langem klar, dass Deutschland seine international kommunizierten Ziele natürlich nicht erreichen würde. Dazu waren die ergriffenen Maßnahmen viel zu schwach und lückenhaft. (Auch der Weltklimarat hat übrigens Berichten zufolge in einem internen Papier die globalen Klimaziele aus dem Pariser Abkommen für unerreichbar erklärt.

Jetzt findet sich nichts mehr von einer Aufgabe der Klimaziele in den aus den Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU und SPD resultierenden Vereinbarungen. Jetzt steht da: „Wir bekennen uns zu den Klimazielen 2020, 2030 und 2050. Die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 wollen wir so schnell wie möglich schließen“. Man muss allerdings sehr optimistisch sein, um auf der Basis dieser Formulierungen ernsthafte politische Aktivitäten zu erwarten, und das nicht als Verklausulierung der Aufgabeabsicht zu lesen. Denn eines muss klar sein: Die von Deutschland, der Europäischen Union oder auch international im Rahmen des Pariser Klimavertrags gesetzten Klimaziele sind nicht kostenlos zu erreichen. Ernsthafte Anstrengungen zur Reduzierung von Klimagasen beinhalten Kosten für die Konsumentinnen und Konsumenten, für die Wirtschaft und damit natürlich auch für die Politik.

Versuche von wirtschaftlichen Akteuren eine ernsthafte Klimapolitik zu verhindern, sind weiträumig dokumentiert. Insbesondere die in der deutschen Politik so einflussreichen Automobilkonzerne, aber auch Energiekonzerne und Bauernverbände lobbyieren kontinuierlich in Berlin und Brüssel für schwächere Ziele. Die Anfälligkeit deutscher Politikerinnen und Politiker für diese Einflussnahme wird u.a. auch dadurch deutlich, dass Günther Oettinger als deutsches Mitglied der Europäischen Kommission den zweifelhaften Sieg in Brüssel für die meisten Lobbyistentermine 2017 errungen hat (Becker und Müller 2017). Darüber hinaus haben transnationale Konzerne es sehr erfolgreich geschafft, über Medienkampagnen seit Jahrzehnten die Deutlichkeit der wissenschaftlichen Befunde und den weiträumigen wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel zu verschleiern.

Aber auch wir Konsumentinnen und Konsumenten sind keine verlässlichen Unterstützer einer ernsthaften Klimapolitik. Zwar zeigen Umfragen immer wieder, dass große Teile der Bevölkerung Umweltpolitik wichtig finden und auch überzeugt sind, beim eigenen Konsumverhalten umwelt- und sozialpolitische Aspekte mitzubedenken. In der Summe spielen derlei Kauf-und Nutzungsentscheidungen dann aber eher eine untergeordnete Rolle oder bewirken wenig, wie wissenschaftliche Studien anmerken. Auch Vorstöße zu Tempolimits, Benzinpreisen von 5DM pro Liter oder auch Veggiedays in Wahlprogrammen der Grünen haben nicht zu großen Stimmzuwächsen für die Partei geführt, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Schließlich stehen auch immer noch weit verbreitete wirtschaftliche Grundannahmen einer effektiven Klimapolitik im Weg. So lange wirtschaftliches Wachstum als oberste Priorität gilt (und das obwohl wir wissen, dass Unternehmensprofite seit langem keine Garanten für den Erhalt von Arbeitsplätzen sind) und (materieller) Konsum als wichtigster Antrieb für Wachstum, solange muss Klimapolitik scheitern. Wachstum und Klimapolitik wären höchstens vereinbar, wenn Unternehmen und Privathaushalte ohne Energie aus Kohle, Gas und Erdöl auskommen würden – wenn wir den Landwirtschaftssektor wie auch andere Umweltproblematiken jetzt einmal ausblenden – was mit den derzeitigen politischen Szenarien nicht einmal mittelfristig erreicht wird. Aufgrund der gerade angesprochenen politischen Prioritätensetzung kommt es dann zum Beispiel dazu, dass es eine Verschrottungsprämie für Autos gibt, die nicht danach fragt, durch was für ein Modell das alte denn ersetzt wird. Hat jemand mal nachgeforscht, wie viele SUVs durch diese Prämie auf Deutschlands Straßen gekommen sind?

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass es für eine ernsthafte Realisierung der in den Sondierungsverhandlungen beschlossenen „ Maßnahmen, um die Lücke zur Erreichung des 40 %-Reduktionsziels bis 2020 so weit wie möglich zu reduzieren“ entsprechend weitsichtige und mutige Politikerinnen und Politiker bräuchte. Habt Ihr den Eindruck, dass viele solcher Charaktere bei den Sondierungsgesprächen am Tisch saßen? Oder gibt es vielleicht doch Wählerinnen und Wähler, die Handeln statt Rhetorik wollen und in Berlin entsprechend Druck machen? Es ist ja immer noch nicht klar, ob es überhaupt zu einer Regierungsbildung kommt. Aber für den Fall, dass den Sondierungsgesprächen Verhandlungen zu einer Neuauflage der schwarz-roten Koalition folgen, wäre hier noch mal die Chance unsere gewählten Vertreterinnen und Vertreter darauf aufmerksam zu machen, dass sie auch für die langfristige Möglichkeit eines guten Lebens auf diesem Planeten (mit)verantwortlich sind.

 

Für alle, die sich einbringen wollen:

Beauftragter für Klimaschutz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Andreas Jung (andreas.jung@bundestag.de)

Umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: Dr. Matthias Miersch (matthias.miersch@bundestag.de)

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (angela.merkel@bundestag.de)

Büro des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer (landesleitung@csu-bayern.de)

SPD-Vorsitzender Martin Schulz (martin.schulz@bundestag.de)

Petition an Angela Merkel und Martin Schulz: „Die Kohle abschalten – nicht den Klimaschutz!“ von campact:

https://www.campact.de/kohleaus/appell/teilnehmen/

Petition an Angela Merkel und Martin Schulz: Klimaziel einhalten! Auf change.org

https://www.change.org/p/angela-merkel-cdu-merkel-schulz-das-klima-verhandelt-nicht-klimaziel-einhalten-kohleausstieg-einleiten-9415e14a-4390-475f-805c-8dbf0a12df9d

Online-Mitmach-Aktionen des BUND  z.B. auch für eine Ende der Massentierhaltung: https://www.bund.net/mitmachen/mitmachseite/

 

Die Ergebnisse der Sondierungen von CDU/CSU und SPD

https://www.tagesschau.de/inland/ergebnis-sondierungen-101.pdf

 

Aus den Medien

Becker, Markus und Peter Müller. 2017. „Bei Oettinger gehen die Wirtschaftslobbyisten ein und aus.“Online verfügbar: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/eu-kommission-empfaengt-regelmaessig-lobbyisten-aus-wirtschaft-a-1144911.html

Eiden, Hanna und Christian Endt. 2017. „So verflochten sind Autoindustrie und Politik.“ Online verfügbar: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lobbyismus-so-verflochten-sind-autoindustrie-und-politik-1.3611241

Kreutzfeldt, Malte. 2017. „Kohle bleibt Lobbykönig. Die alte Energiewirtschaft verfügt weiterhin über den besten Zugang zur Bundesregierung.“ Online verfügbar: http://www.taz.de/!5403516/

Neslen, A. 2016. „EU dropped climate policies after BP threat of oil industry ‚exodus‘. “ The Guardian. Online verfügbar: https://www.theguardian.com/environment/2016/apr/20/eu-dropped-climate-policies-after-bp-threat-oil-industry-exodus

 

Aus der Wissenschaft

Becker, Benjamin, und Caspar Richter. 2015. „Klimaschutz in Deutschland: Realität oder Rhetorik?“ momentum quarterly. Zeitschrift für sozialen Fortschritt 4 (1): 3-22. Online verfügbar: https://www.momentum-quarterly.org/ojs2/index.php/momentum/article/view/1752/1416

Bülow, Marcus. 2010. “Die Lobby-Republik.” Schriftenreihe Denkanstöße, Institut Solidarische Moderne 4 (2010): 3-29.

Fuchs, Doris, und Berenike Feldhoff. 2016. „Passing the Scepter, not the Buck. Long Arms in EU Climate Politics.” Journal of Sustainable Development 9(6):  58-74. doi: 10.5539/jsd.v9n6p58.

Grunwald, Armin. 2010. „Wider die Privatisierung der Nachhaltigkeit. Warum politisch korrekter Konsum die Umwelt nicht retten kann.“ GAIA 19 (3): 178-182. Online verfügbar: http://www.itas.kit.edu/pub/v/2010/grun10c.pdf