Aus den Augen, aus dem Sinn? Wie unser Elektroschrott exportiert wird und am anderen Ende der Welt alles vergiftet

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten: Ein kalter Schauer läuft einem über den verschwitzten Rücken, wenn man Agbogbloshie sieht. Es scheint, als könne man all das Gift, all das Leid aus hunderten von Metern Entfernung sehen. Agbogbloshie ist eine Elektroschrottdeponie in Ghana und gilt als einer der zehn verseuchtesten Orte der ganzen Welt. Agbogbloshie – das ist ein komplett verdrecktes, graues, stehendes Gewässer, das an einen chemischen Tümpel erinnert, das sind bunt lodernde Flammen mit tiefschwarzem Rauch, das sind verdreckte Menschen in zerrissener Kleidung, das sind Kinder, die barfuß im Dreck schuften. Agbogbloshie –  das ist Trostlosigkeit, Ungerechtigkeit, Wut und Trauer. 

Agbogbloshie

Zwei umfangreiche Arbeiten von Greenpeace, die sog. „Contamination Study“ und der Report „Poisoning the Poor“   ermöglichen uns einen genaueren Einblick in die Lebensumstände in Agbogbloshie: Etwa eine halbe Million Ghanaer und Ghanaerinnen leben von der Arbeit dort. Der früher gewöhnliche Stadtteil von Accra ist nun eine der größten Elektroschrottdeponien weltweit. Unter den Arbeitenden sind viele Kinder, die Jüngsten sind 5 Jahre alt. Sie versuchen Metalle aus dem Schrott zu gewinnen, vor allem Aluminium und Kupfer. Sie nehmen die alten Geräte auseinander und verbrennen die Einzelteile, vor allem die Kabel, um die Plastikhüllen zum Schmelzen zu bringen und die Rohstoffe frei zu legen. Dabei besteht hohe Verletzungsgefahr. Werkzeuge oder Schutzmaßnahmen sind keine vorhanden. Der hochgiftige Rauch wird von den Arbeitenden eingeatmet und gelangt in die Atmosphäre. Die überbleibenden Plastikrückstände werden liegengelassen oder in den anliegenden Fluss geworfen. Die erlangten Rohstoffe werden von den Arbeitenden weiterverkauft. So finanzieren sie Tag für Tag ihr Leben.

Es geht um unsere Monitore, Computer und Handys!

Agbogbloshie ist der Abfalleimer für die Elektronik der ganzen Welt und vor allem für den Elektromüll Europas, denn fast der gesamte Schrott Agbogbloshies wurde nach Ghana importiert (Greenpeace).  Somit sind es unsere alten Monitore, Computer, Radios, Fernseher und Handys, um die es hier geht. Sie werden als „Second Hand“-Ware nach Ghana verschifft, denn gefährlichen Elektroschrott zu exportieren wäre mit dem EU-Recht nicht vereinbar. Tatsächlich funktionieren nur vereinzelte Geräte, doch in Agbogbloshie wird alles ausgeschlachtet, um Rohstoffe wie das bereits erwähnte Aluminium oder Kupfer zu gewinnen.

Gefahren für Mensch und Umwelt

Für die rund 500.000 Menschen (zur Veranschaulichung: die westfälische Stadt Münster hat 300.000 Einwohner*innen) hat die Arbeit auf der Deponie verheerende Folgen. Vor allem das Einatmen des Rauchs ist extrem gesundheitsschädigend und insbesondere krebserregend. Ganz Agbogbloshie ist ein komplett versuchter Ort, allein der Aufenthalt dort ist für den menschlichen Körper bereits gefährdend.

Extreme Folgen für die Umwelt kommen hinzu. Der gesamte Boden Agbogbloshies ist kontaminiert, wie die „Contamination Study“ von Greenpeace (2008)  umfassend belegt. All das Gift aus dem Boden gerät in den angrenzenden Fluss, und vor allem während der Regenzeit schwemmt Starkregen die Giftstoffe über den Fluss direkt ins Meer.

Veränderung ist notwendig – aber wie?

Es gibt inzwischen Hilfsprojekte, die die Umstände in Agbogbloshie aktiv verändern möchten. Nur eines von vielen Beispielen dafür ist das Projekt „Ressource Recovery – Made in NRW“ :  Hier wird versucht, Verbesserungen für die Menschen und die Umwelt zu erreichen. – Es soll hier als Beispiel dafür dienen, mit welchen verschiedenen Arten von Maßnahmen den Menschen in Agbogbloshie geholfen werden kann.  „Ressource Recovery“ hat eine Krankenstation auf der Deponie und ein Labor aufgebaut. Dadurch soll die medizinische Versorgung der Arbeitenden sichergestellt und die Möglichkeit über die Mülldeponie zu forschen, geschaffen werden.

Über einen Tandemaustausch von 22 ghanaischen und kenianischen Recyclingplanern und -planerinnen soll außerdem das Recycling ausgebaut werden. Die Teilnehmenden waren in NRW zu Gast und haben mit deutschen Fachkräften über Recyclingmöglichkeiten geredet, sich ausgetauscht und neues erlernt. „Ressource Recovery“ hofft, dass durch den Austausch in Zukunft das Recycling auf der Deponie professionalisiert wird.

Dies ist nur ein Projekt unter vielen, denn inzwischen wächst die Aufmerksamkeit für die Elektroschrottdeponie Agbogbloshie. Dafür ist es auch höchste Zeit – denn die Gesundheit der Menschen und die Umwelt können nicht warten! Um die Umstände in Agbogbloshie zu verbessern, muss es verschiedene Veränderungen auf Ebene der Politik, der Verbraucher und Verbraucherinnen und auch der Unternehmen geben. Greenpeace fordert Elektroproduzenten z.B. dazu auf, freiwillig dafür zu sorgen, dass ihre Produkte keine gefährlichen Inhaltsstoffe mehr enthalten. Das Parlament von Ghana hat bereits ein Gesetz verabschiedet, dass für ein zukunftsfähiges und umweltfreundliches Management von Müll und Recycling sorgen soll. Dieses Gesetz erwähnt deutlich auch die Notwendigkeit der Kontrolle von Müll wie Monitoren, Computern und Fernsehgeräten, die unter dem falschen Label „Second Hand“-Ware eingeführt werden.  Mit Blick auf die Verbraucher*innen ist eine Hinterfragung unseres Umgangs mit Elektrogeräten wichtig und im Zusammenhang damit auch Aufklärung. Tatsächlich gibt es in unseren Medien inzwischen immer mehr Berichte über die desaströsen Umstände auf der Elektroschrottdeponie, zum Beispiel in der ZEIT, im Deutschlandfunk Kultur oder im ganz aktuellen Dokumentarfilm „Welcome to Sodom“. Dein Smartphone ist schon hier“ von Christian Krönes und Florian Weigensamer, dem ein großes Publikum zu wünschen ist.

Zur Autorin: Hanna Helene Hülsmeyer studiert an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster Politik und Recht. Sie hat sich im Rahmen des Kurses „Nachhaltigkeit – Eine Einführung“ von ZIN-Mitarbeiterin Carolin Bohn mit der Frage beschäftigt, inwiefern das Hilfsprojekt „Resource Recovery  –  Made in NRW“ einen Beitrag zur Nachhaltigen Entwicklung leistet.

Zum Weiterlesen:

Mehr Informationen zum Film „Welcome to Sodom“ findet ihr unter anderem in diesem Beitrag des ARD-Magazins „Titel Thesen Temperamente“ oder in einer Filmkritik der Süddeutschen.

 

Nachweis Titelbild: Pixabay (weitere Informationen hier: https://pixabay.com/de/service/terms/)

 

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