Eine stille Revolution gegen Verschwendung benötigt jeweils nur einen Nadelstich

Es scheint, als wäre das Wort „Müll“ in aller Munde. Zumeist wird der Kampf gegen unsere Wegwerfgesellschaft mit Plastiktüten, Flaschen und Strohhalmen in Verbindung gebracht, die Straßen, Wasserwege, Flüsse und den Ozean verunreinigen. Womöglich ist Euch dies nicht bekannt, aber die Modeindustrie verursacht ganze Berge unliebsamer und weggeworfener Kleidung, die zu Mülldeponien werden.

Stellt Euch vor, Ihr habt ein Loch in Eurer Lieblingsjeans. Werft Ihr sie weg und kauft Euch eine neue Hose oder versucht Ihr sie zu reparieren? Vielleicht bittet ihr auch jemand anderen darum sie für Euch zu reparieren?

Unsere Wegwerfkultur trägt zur Bekleidungsverschwendung bei

Zieht vielleicht einmal in Betracht, dass zwischen 2000 und 2010 die Anzahl der im Vereinigten Königreich erworbenen Kleidungsstücke um ein Drittel gestiegen ist (Fletcher 2016). Der gestiegene Konsum ging einher mit einer zunehmenden Aussonderung von Produkten. Mit billiger werdenden Industrieprodukten, haben die Menschen nicht nur begonnen, mehr zu kaufen, sondern auch ihre Sachen kürzer zu behalten (Schor 2011). Schätzungen zufolge landen im Vereinigten Königreich jedes Jahr im Durchschnitt 30 kg Kleidung und Textilien auf dem Müll (Gwilt 2014). In den USA machen Textilien etwa 4,7% der jährlichen Siedlungsabfälle oder 35 kg des Abfallaufkommens pro Kopf aus (Schor 2011).

Kleidung verursacht nicht nur Abfall. Die globalisierte Kette der Modeindustrie trägt auch zur Anhäufung von Treibhausgasemissionen bei. Es wird geschätzt, dass die globale Textilindustrie 1,2 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr produziert. Dies sind mehr Emissionen als durch internationale Flüge und die Seeschifffahrt gemeinsam verursacht werden (Editor, 2018). Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Umweltverschmutzung durch die Modebranche verursacht wird und, dass jeder, der Kleidung trägt, im gewissem Maße an diesem Problem beteiligt ist.

Talkin’ ‘bout a revolution sounds like a whisper [1]

Wir müssen neue Wege suchen, den Abfall zu minimieren, der durch die Produktion und den Kauf von Kleidung entsteht. Eine von der Modewelt inspirierte soziale Bewegung repräsentiert eine Möglichkeit die dringend benötigten Veränderungen herbeizuführen.

Was kommt uns jedoch zuerst in den Sinn, wenn wir über soziale Bewegungen nachdenken? Unsere Facebook-Feeds sind gefüllt mit Bildern von Frauen mit rosa Pussy-Hats, die gegen die Trump-Präsidentschaft mobilisieren und die Empörung der Frauen symbolisieren. Wir wurden mit #metoo-Geschichten von Frauen überschwemmt, die ihre Missbrauchserfahrungen teilten. Am Internationalen Frauentag im März 2018 gingen argentinische Frauen auf die Straße und protestierten gegen systemischen Sexismus und geschlechtsspezifische Gewalt.

Vielleicht habt ihr aber noch nichts von der stillen Revolution gehört, die in Gemeindezentren und in Wohnzimmern stattfindet? Im Gegensatz zu den leidenschaftlichen Stimmen der Frauen, die auf der Straße protestieren, sind die einzigen Geräusche, die man in einem „Repair Café“ hört, die des Bastelns und der Gespräche.

Repair Cafés sind ein Erscheinungsbild der jüngsten Wiederbelebung von Reparatur-Praktiken von Online- und Offline-Handwerksgemeinschaften (Gwilt 2014; Holroyd 2017; König 2013; Middleton 2014, Souza 2016). Repair Cafés sind eine globale Bewegung, die aus einer von Martine Postma organisierten Veranstaltung in den Niederlanden heraus entstand. Bei den Veranstaltungen bringen Freiwillige ihre eigenen Werkzeuge in einen gemeinschaftlichen Raum und alle Bürgerinnen und Bürger können dann ihre Gegenstände zum Reparieren in die „Klinik“ bringen. In die Repair Cafés kommen die unterschiedlichsten Bastler*innen, von Näher*innen über Elektriker*innen bis hin zu Fahrradmechaniker*innen, und üben ihr Können aus. Während jede Form von Reparatur ein wichtiger Teil auf dem Weg zur Nachhaltigkeit ist, hat die Näharbeit einige interessante Eigenschaften: Sie wird selten außerhalb des Hauses gesehen, sie wird immer noch sehr mit der Arbeit von Frauen in Verbindung gebracht und hat in der wissenschaftlichen Literatur nur wenig Beachtung gefunden.

Die freiwilligen Näher*innen in Repair Cafés sind meistens Frauen, die alles reparieren, angefangen von kaputten Rucksackgurten und hängengebliebenen Reißverschlüssen über säumende Röcke bis hin zu flickenden Jeans. Die Veranstaltungen der Repair Cafés, die von einer der Autorinnen dieses Artikels in Portland, Oregon, beobachtet werden, finden ungefähr einmal im Monat statt und sind vollständig ehrenamtlich organisiert und der Eintritt ist frei. Sie finden in verschiedenen Gemeindezentren der Stadt statt – zum Beispiel in Kirchengemeinden, Seniorenzentren oder Bibliotheken. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen verweilen in der Regel in der Nähe der Bastler*innen, um dabei zuzusehen, wie ihre Gegenstände repariert werden. In den Gesprächen geht es häufig um den persönlichen Wert des Gegenstands und warum er es wert ist repariert zu werden.

Kleidung zu flicken erfordert Konzentration, Geduld, ein wenig Geschick, aber vor allem das Treffen vieler Entscheidungen. Jede*r trägt Kleidung auf unterschiedliche Weise ab, so dass keine zwei Reparaturen einander gleichen. Bei manchen nutzt sich bereits der Sitz der Lieblingsjeans ab, bevor die Hose an den Knien dünner geworden ist. Bei anderen ist es genau umgekehrt. Das zerfetzte Knie einer Arbeitshose zu flicken, erfordert einen anderen Ansatz, als einen Riss in einem Cocktailkleid aus Seide auszubessern. Jeder Träger und jede Trägerin wird unterschiedliche Vorlieben hinsichtlich der Ästhetik und der Funktion der Kleidung haben. Die Person, die die Kleidung flickt, muss also die jeweilige Abnutzung, das Aussehen, den Nutzen des Textils sowie die für die Reparatur verfügbaren Materialien berücksichtigen.

Repair Cafés – mehr als nur ein paar Werkstätten

Das Repair Café besitzt alle Kennzeichen einer sozialen Bewegung. Menschen fühlen sich von sozialen Bewegungen angezogen, weil sie sich besonders für ein Thema interessieren und sie möchten sich Organisationen anschließen, um sich mit Gleichgesinnten zu verbinden (Van Laer 2017; Kleres und Wettergren 2017; Luhtakallio und Tavory 2018). Die Freiwilligen und die Teilnehmer*innen in den Repair Cafés handeln nach einer „Voluntary Simplicity“, getrieben von dem Wunsch, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, indem weniger Kleidung weggeworfen und der Verbrauch reduziert wird. „Voluntary Simplicity“ ist ein Lebensstil, der bewusst den verschwenderischen und ressourcenintensiven Konsum reduzieren will und gleichzeitig nicht-materialistische Quellen der Befriedigung und der Sinnstiftung sucht (Alexander 2015; Schor 2011).

Sich im Rahmen von Organisationen mit anderen zu verbinden, ermöglicht es, sich über ein Problem auszutauschen (Tindall und Robinson 2017). Mit dem Repair Café stärken Frauen das Bewusstsein der Besucher*innen, die ihre geschätzten Gegenstände zur Reparatur bringen, über „Voluntary Simplicity“.

Die Repair-Bewegung minimiert Umweltschäden in mehrfacher Hinsicht. Reparieren von Waren, anstatt ihrer Entsorgung oder Ersetzung, reduziert den Abfall. Gleichzeitig wird die Energiemenge verringert, die für die Herstellung neuer Produkte benötigt wird. Schließlich kann das Zurückhängen eines geflickten Kleidungsstückes in den Kleiderschrank dabei helfen den Drang zu verringern neue Kleidung zu kaufen

Repair Cafés können auch dazu beitragen, eine weitere Ausbeutung von Frauen im globalen Süden zu verhindern. In der globalisierten Produktionskette von Kleidung wird eine weitgehend weibliche Belegschaft beschäftigt, die häufig ausgebeutet wird. Der ausbeuterische Charakter der Bekleidungsproduktion im globalen Süden wurde am Beispiel des Einsturzes der Rana Plaza-Fabrik im Jahr 2013 deutlich, bei dem mehr als 1.000 Textilarbeiter*innen – die meisten davon Frauen – getötet wurden (Fletcher 2016). Kleidung zu reparieren ist eine leise Art und Weise, sich mit anderen Frauen in der globalen Produktionskette zu solidarisieren.

From little things, big things grow [2]

Menschen fühlen sich nicht nur von sozialen Bewegungen angezogen, weil sie sich mit einem Thema identifizieren, sondern auch, weil sie Veränderungen bewirken wollen (Van Laer 2017; Tindall und Robinson 2017). In einer Studie wurde gezeigt, dass ehrenamtliche Bastler*innen in Repair Cafés ihre Aktionen mit Umweltschutz und Nachhaltigkeit in Verbindung setzen. Sie betrachteten das Reparieren als einen Eingriff in umfassendere soziale Prozesse (Rosner und Turner 2015).

Soziale Bewegungen sind jedoch am effektivsten, wenn sie groß genug werden, um Veränderungen auf nationaler und globaler Ebene herbeizuführen (Gaventa 2006). Seit der Gründung der internationalen Repair Café Organisation im Jahr 2009 haben sich über 1.400 lokale Repair Cafés bei der Dachorganisation registriert (hier geht es zum deutschsprachigen Repair Café-Internetauftritt). Die Bewegung ist über Internet- und Facebook-Seiten verbunden, die das Bewusstsein für eine alternative Kultur des „Kaufe-Nichts“ und „Repariere-Alles“ schärfen, die unsere Angewohnheit in Frage stellt, Dinge wegzuwerfen, sobald sie kaputt sind. Neben Repair Cafés haben sich sogenannte Bike-Kitchens bzw. Fahrrad-Selbsthilfeservices in Schweden, Los Angeles und an weiteren Orten etabliert (Bradley, 2016). Die Repair-Bewegung ist eine stille Revolution von Menschen, die bereit sind, unsere Art, über Kleidung und die Modeindustrie zu denken, ein wenig zu verändern.

Wir sind der Meinung, dass Repair Cafés weitläufiger und besser vernetzt werden müssen, um die verschwenderische und zerstörerische Art der globalen Produktion und den Konsum von Kleidung herauszufordern. Regierungen können Repair-Zentren durch Steuererleichterungen unterstützen und so zu der Reduktion von Emissionen beitragen, die mit dem Konsum von im In- und Ausland produzierten Waren verbunden sind. Solche Schritte könnten mehr Frauen (und mehr Menschen im Allgemeinen) dazu ermutigen, ihre eigene, ähnliche Revolution zu beginnen und in die Fußstapfen von Martine Postma und den freiwilligen Näher*innen in Repair Cafés auf der ganzen Welt zu treten.

 

Zu den Autorinnen:

Sarah Guldenbrein betreibt Activist Research und ist Masterstudentin an der Portland State Universität in Portland, Oregon, USA, mit einer Passion für die Erforschung von Konsummustern und Simplicity. Die meiste Zeit ihres Lebens flickte und nähte sie.

Anne Maree Kreller betreibt Activist Research und unterstützt seit nunmehr 20 Jahren eine Wohnbaugenossenschaft in Sydney, Australien. Jüngst veröffentlichte sie einen Artikel über Conservation Hunting für das Izilwane Biodiversity Magazine und zuletzt für das Routledge Handbook of Climate Justice. Sie ist derzeit Scientia PhD Scholar an der University of New South Wales, Sydney, und erforscht die Rolle sozialer Bewegungen im Bereich der Anpassung an den Meeresspiegelanstieg