Ist Umweltschutz immer gerecht? Eine Einführung in die Kritik des ökologischen Imperialismus

Klimawandel, Artensterben, Entstehung von Müllinseln in den Weltmeeren und die Versauerung von Böden…diese und andere ökologische Probleme sind Teil der weltweiten Umweltkrise, von der wir alle betroffen sind. Ihre Bekämpfung stellt eine besondere Herausforderung dar, denn Umweltprobleme halten sich nicht an staatliche Grenzen. Außerdem werden sie oft an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt verursacht, wirken sich dann aber erst später und an anderen Orten aus. Anders gesagt, lange bevor eine Umweltkatastrophe für uns erkennbar ist, können ihre Ursachen auf einem anderen Kontinent stattgefunden haben (Weidner 2015).

Eine Zusammenarbeit zwischen Staaten zur Bewältigung der Umweltkrise ist daher unabdingbar. Allerdings wird die internationale Umweltpolitik durch ungleiche Machtverhältnisse zwischen den Ländern des globalen Südens und den Ländern des globalen Nordens erschwert. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass zwar alle Länder oder Menschen der Welt von der Umweltkrise betroffen sind – aber nicht im gleichen Maße. Tendenziell haben Länder des globalen Nordens einen privilegierten Zugang zu natürlichen Ressourcen und können sich besser vor Naturkatastrophen schützen als Länder des globalen Südens, z.B. durch finanzielle oder technische Mittel (Keucheyan 2014). Wie ist diese Ungleichheit entstanden? Ein Teil der Antwort kann in der Kolonialgeschichte gefunden werden. Dort kam es zur gewaltvollen Verbreitung bestimmter Ideen zum „richtigen“ Umgang mit der Umwelt und zu einer Ausbeutung der Natur, und das wirkt sich auch heute noch aus: zum Beispiel in der internationalen Umweltpolitik, wo Staaten des globalen Südens oft übergangen oder bevormundet werden, was zu Konflikten und zu einer Erschwerung der Zusammenarbeit führt. Internationale Zusammenarbeit muss aber gelingen, um die weltweite Umweltkrise zu lösen! Wir müssen uns daher fragen: Wie kann ein gleichberechtigterer Umgang mit der Natur erreicht werden, durch den die Zusammenarbeit in der Umweltpolitik fairer wird? Dieser Frage widmen wir uns im zweiten Teil des Artikels.

Ein Blick in die Vergangenheit: der Einfluss der Kolonialzeit auf den heutigen Umgang mit der Natur

1492 ist das Jahr, in dem mit Christoph Kolumbus der erste Westeuropäer den amerikanischen Kontinent sah (lange, nachdem er von den amerikanischen Ureinwohner*innen besiedelt und viel später auch von Skandinaviern betreten wurde). Dieses Datum gilt heute als Beginn des europäischen Imperialismus, sprich: der (oft gewaltsamen) Vergrößerung des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Einflussbereichs durch England, Spanien, Frankreich, Portugal, die Niederlande sowie später auch durch Deutschland und Italien auf z. B. den amerikanischen Kontinent, Teile Indiens, Australiens und Ozeaniens und auf den afrikanischen Kontinent. Die Auswirkungen der Kolonialherrschaft waren weitreichend, folgenschwer und prägen noch jetzt unsere Welt. Die bis heute wichtige industrielle Revolution im 18. und 19. Jahrhundert wäre z.B. ohne Rohstoffe aus den ehemaligen Kolonien nicht möglich gewesen.

Die Kolonialherrschaft war für die Kolonien geprägt von Leid, gewaltsamer Unterdrückung sowie von wirtschaftlicher, politischer und kultureller Fremdbestimmung. Zu den Folgen zählen unter anderem die Zerstörung einheimischer Kulturen in vielen ehemaligen Kolonien und eine oft noch anhaltende wirtschaftliche Abhängigkeit. Hier zeigt sich: Die Entstehung eines ungleichen Machtverhältnisses zwischen dem globalen Norden und Süden begann bereits im 16. Jahrhundert (Kerner 2012).

Ein bestimmter Aspekt der Kolonialgeschichte, der mit Blick auf die heutige internationale Umweltpolitik entscheidend ist, taucht in Geschichtsbüchern meistens noch nicht auf: Durch sie wurde die Natur in den Kolonialstaaten ausgebeutet und verändert, außerdem wurden westliche Ideen zu einem vermeintlich „richtigen“ Umgang mit der Natur verbreitet – es gab einen sogenannten „ökologischen Imperialismus“.

Worin zeigt sich dieser „ökologische Imperialismus“? Die Kolonialmächte nutzten und beeinflussten z.B. über den Export europäischer Nutztiere und -pflanzen sowie bestimmter Arten der Landwirtschaft die Natur in den damaligen Kolonien zu ihrem Vorteil: Um möglichst schnell möglichst viele Rohstoffe zu fördern und Lebensmittel anzubauen, entwickelten und verbreiteten sie eine Form der spezialisierten Landwirtschaft. Wir kennen sie noch heute als den Prototyp moderner Monokulturen (McMichael 2007).

Auch die Verbreitung von Krankheiten als biologischer Faktor zählt zum „ökologischen Imperialismus“, denn sie trug zur Ausweitung der Kolonialherrschaft bei: Auf dem alten Kontinent lebten die Europäer*innen mit domestizierten Tieren auf engstem Raum zusammen und entwickelten Abwehrkräfte gegen tierische Krankheiterreger, über die die einheimische Bevölkerung in anderen Teilen der Welt (noch) nicht verfügte. Als durch die Kolonialherrschaft diese Krankheitserreger eingeschleppt wurden, waren die Einheimischen ihnen daher schutzlos ausgeliefert und fielen ihnen teilweise zu Tausenden zum Opfer (Diamond 2000).

Der europäische Einfluss auf den Umgang mit der Natur im Zuge des „ökologischen Imperialismus“ geht noch weiter: Um auch für folgende Generationen die Ressourcen in den Kolonien zu erhalten, entwickelten die Kolonialherren Umweltschutzmaßnahmen. Zum Beispiel beruht das weitverbreitete Prinzip der nachhaltigen Entwicklung u.a. auf den Erfahrungen, die die Franzosen in den Wäldern ihrer Kolonie Indochina machten. Die Siedler begriffen, dass sie die Wälder nur so weit abholzen dürften, dass sich diese wieder erholen würden. Im Zuge der Kolonialherrschaft angeeignetes Holz aus Indochina wurde so als nachhaltiger Rohstoff für die französische Industrie genutzt (Thomas 2009).

Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Ausweitung der europäischen Kolonialmächte auch mit ihrer Fähigkeit, die natürliche Umwelt in den Kolonien (oft gewaltsam) zu verändern. Die Einführung von europäischen Anbaumethoden und Umweltschutzmaßnahmen zeigt dabei ebenfalls, dass die europäischen Verwalter, Soldaten, Missionare oder Siedler das Wissen der Einheimischen über die Umwelt und den richtigen Umgang mit ihr nicht anerkannten oder ignorierten.

Die Kolonialzeit liegt inzwischen weit zurück. Daher ist für uns vielleicht schwer vorstellbar, dass diese vergangenen Prozesse den heutigen Umgang mit der Natur weiterhin beeinflussen. Dennoch können wir beobachten, dass die ehemaligen Kolonialmächte noch heute in den internationalen Verhandlungen (über)großen Einfluss ausüben, indem sie bspw. auf den Umweltgipfeln der Vereinten Nationen ihre Ansichten gegenüber den Ländern des Globalen Südens durchsetzen. Genau das lässt sich unter anderem durch die Kolonialgeschichte und den „ökologischen Imperialismus“ erklären: Noch heute werden einheimisches Wissen über und Ideen zum „richtigen“ Umgang mit der Natur oft nicht anerkannt und noch heute werden oft vorrangig die Maßnahmen zu Schutz und Ausbeutung der Umwelt genutzt, die von den Kolonialmächten entwickelt wurden. So werden ungleiche Verhältnisse zwischen Ländern des Globalen Südens und des Globalen Nordens stabilisiert, die dazu führen, dass gerade der von Umweltproblemen meist schlimmer betroffene Globale Süden in internationalen Verhandlungen wenig Einfluss nehmen kann.

Keine Kooperation ist auch keine Lösung

Der Blick auf die Geschichte des Verhältnisses zwischen Globalem Süden und Globalem Norden, zwischen ehemaligen Kolonien und ehemaligen Kolonialmächten, hilft uns zu verstehen, warum es in der internationalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Umweltproblemen heute oft zu Auseinandersetzungen kommt. Staaten müssen zwar zusammenarbeiten, um Umweltprobleme zu lösen, aber aktuell werden die Länder und Menschen des globalen Südens oft übergangen und bevormundet, während vor allem die westlichen Vorstellungen des Umweltschutzes durchgesetzt werden. Es stellt sich also die Frage: Wie kann eine gute und gleichberechtigte internationale Zusammenarbeit gelingen?

Antworten auf diese Frage könnten auf vielen Ebenen gesucht werden und manchmal finden sich bereits gute Ansätze zu solch einer harmonischen Zusammenarbeit. Auf lokaler Ebene wurden an einigen Stellen bereits Lösungsansätze erarbeitet, um Bevormundung in der Zusammenarbeit zwischen Globalem Süden und Norden zu vermeiden und Ungleichheiten zu bekämpfen. Das lässt sich anschaulich am Beispiel der Zusammenarbeit der französischen Organisation SOL mit ihrem indischen Partner Navanya im Projekt „Seeds of Hope“ zeigen. In diesem Projekt fördern die Organisationen indische Kleinbauern und -bäuerinnen genauso wie den Erhalt traditioneller Kulturpflanzen. Sie pflegen einen vorsichtigen und betont respektvollen Umgang miteinander und mit den Projektteilnehmer*innen. Zum Beispiel achten sie darauf, dass nur Projekte realisiert werden, die von der lokalen Bevölkerung eingefordert werden und an die lokalen Bedürfnisse angepasst sind. Dabei spielt vor allem Navdanya als lokaler Partner eine wichtige Rolle. Außerdem werden besonders Bevölkerungsgruppen angesprochen, denen am meisten durch Ungleichheiten geschadet wird, z.B. Frauen ohne eigenes Einkommen. Navdanya und SOL legen darüber hinaus einen besonderen Wert auf das Wissen der ländlichen Bäuer*innen. Diese werden als Experten und Expertinnen gesehen, deren Wissen der Grundstein für ein erfolgreiches Projekt ist, und darum aktiv in dessen Umsetzung eingebunden. Ein solches Vorgehen macht es möglich, die biologische Vielfalt im Norden Indiens zu schützen und dabei Ungleichheiten zu bekämpfen.

Diese Maßnahmen sind nur ein Beispiel dafür, wie eine gleichberechtigte und gute Zusammenarbeit zwischen Globalem Norden und Süden im Kleinen gelingen kann. Wenn wir es schaffen, mehr solcher Maßnahmen zu entwickeln und sie auszubauen, könnte der Kampf gegen die globale Umweltkrise in Zukunft ein wenig gerechter ausfallen.

Zur Autorin: Rosanna Frütsche studiert an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster und an Sciences Po Lille den deutsch-französischen Studiengang „Internationale und Europäische Governance“. Sie hat sich im Rahmen ihrer Bachelorarbeit mit lokalen Handlungsstrategien von Umwelt-NGOs zur Bekämpfung des ökologischen Imperialismus auseinandergesetzt.

 

Zum Weiterlesen:

McMichael, Philip (2007): Feeding the World. Agriculture, Development and Ecology. In: Socialist Register 43, S. 170–194.

Adams, William (2009): Green Development. Environment and sustainability in a developing world. Aufl. Oxon: Routledge.

Foster, John; Clark, Brett (2004): Ecological Imperialism: The Curse of Capitalism. In: Socialist Register: The New Imperial Challenge 40, S. 186–201.

Quellen:

Adams, William (2009): Green Development. Environment and sustainability in a developing world. 3. Aufl. Oxon: Routledge.

Diamond, Jared (2000): De l’inégalité parmi les sociétés. Essai sur l’homme et l’environnement dans l’histoire. Paris: Gallimard [Deutsche Fassung: (2006) Arm und Reich. 7. Auflage.  Frankfurt am Main: Fischer.]

Crosby, Alfred (2009): Ecological imperialism. The biological expansion of Europe 900-1900. 2. Aufl. Cambridge: Cambridge University Press.

Kerner, Ina (2012): Postkoloniale Theorien zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag.

Keucheyan, Razmig (2014): La nature est un champ de bataille. Essai d’écologie politique. Paris : Zones.

McMichael, Philip (2007): Feeding the World. Agriculture, Development and Ecology. In: Socialist Register 43, S. 170–194.

Thomas, Frédéric (2009): Protection des forêts et environnementalisme colonial. Indochine, 1860-1945. In: Revue d’histoire moderne et contemporaine 56-4 (4), S. 104.

Weidner, Helmut (2015): Umwelt. In: Bundeszentrale für politische Bildung:  Informationen zur politischen Bildung (325), S. 30–37.