Dekarbonisierung – Warum der wahre Wandel ausbleibt

Fahrradfahren, Licht ausschalten, Bioprodukte kaufen – all das sind Umstellungen, die uns leicht von der Hand gehen. Doch um den Klimawandel wahrlich in den Griff zu bekommen, bedarf es rabiatere Maßnahmen, die an den Grundfesten unserer gesellschaftlichen Strukturen rütteln. Immer wieder gibt es vermeintliche Vorstöße der Politik in Richtung nachhaltiges Wirtschaften – zumeist unter dem Aufhänger des grünen Wachstums oder der Kreislaufwirtschaft. Darüber hinaus rücken auf internationaler Ebene Klimakonferenzen das Thema regelmäßig auf die politische Agenda und nicht zuletzt verabschieden die Europäische Union (EU) und andere große Institutionen reihenweise politische Maßnahmen im Zeichen der Nachhaltigkeit. Das macht ihre Politik vielleicht ein Stück weit “grüner”, doch eine spürbare Veränderung vermag niemand anzustoßen. Um wirksam gegen den Klimawandel vorzugehen, müssten all diesen politischen Maßnahmen ein gemeinsamer Nenner zugrunde liegen: eine entschlossene Dekarbonisierung.

Was ist eigentlich Dekarbonisierung? – Zwischen Zielsetzung und Prozess

Dekarbonisierung bezeichnet in erster Linie, die Notwendigkeit den Kohlenstoffausstoß, und dabei besonders das CO2, unserer Energiewirtschaft zu reduzieren. Oftmals wird der Begriff auch als Synonym für die Zielsetzung des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf oder unter 2°C zu halten, verwendet. Dekarbonisierung kann aber auch für mehr stehen als nur für eine Gradzahl, nämlich für einen gesamtgesellschaftlichen Prozess, der auf nationaler und internationaler Ebene gesteuert werden muss. Trotz Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen oder dem Kreislaufwirtschaftspaket der EU mangelt es an der Koordination der verschiedenen Regelungen, weswegen es zu keinem in sich stimmigen Projekt der Dekarbonisierung kommt. Daher reicht es nicht aus, dass Dekarbonisierung als Ziel erkannt wurde, auch der Weg dorthin muss ambitioniert verfolgt werden.

Dekarbonisierung „von oben“ ist exklusiv und nicht abgestimmt

Wenn es nach der Weltbank ginge, so müssten sich Industrie- und Schwellenländer bis 2050 entkarbonisieren, hauptsächlich durch technologische Erneuerungen, sodass die Emissionsbilanz der großen Wirtschaftsmächte künftig negativ ausfällt, sprich, unsere Emissionen an Treibhausgasen rückläufig werden. Allen anderen Ländern würde noch Zeit gegeben, um ihre Strukturen an das Null-Emissionen-Ziel im Energiesektor anzupassen. Außerdem fordert die Weltbank, dass die Industrie, der Transportsektor und die Endverbraucher*innen vor allem die Nutzung fossiler Energieträger, z.B. Kohle, zurückfahren. Als dritte Säule gilt es, sowohl die Effizienz unseres Abfallmanagements zu steigern, als auch den Transport- und Bausektor sowie die Landwirtschaft zu reformieren. Nicht zuletzt sollen alle Länder ihre Landschaftspflege anpassen, um für bessere CO2- Senken, z.B. durch Bäume und aufnahmefähigere Böden, zu sorgen. Doch die Dekarbonisierung „von oben“ – also durch große Institutionen wie die Weltbank – hat sich bislang nicht als erfolgreich erwiesen. Maßnahmen, wie zuvor genannt, sind ein Tropfen auf dem heißen Stein, wenn sie nicht abgestimmt sind und ungeachtet vom jeweiligen Kontext durchgeführt werden. Dass „wir“ dem Klimawandel entgegenwirken müssen, verkennt die Tatsache, dass sich hinter dem Vorhaben keine einheitliche Masse Gleichgesinnter verbirgt, sondern ein komplexes Gefüge an Identitäten, Interessen, Orten, Menschen und Vorstellungen. Während das Leben innerhalb der Grenzen, die die Erde uns stellt, Vieles ermöglichen würde, verschließt es ebenso viele Türen. Vor allem sozial gesehen führt der Ansatz häufig dazu, dass Personengruppen, die häufig diskriminiert oder benachteiligt werden, bei solch einem gesellschaftlichen Projekt an den Rand gedrängt werden und Fragen der Gerechtigkeit ungeachtet bleiben.

Klimawandel als Chance?

Die Idee der Dekarbonisierung ist in ihrer jetzigen Form insofern, problematisch, als dass sie sich mit dem fortschreitenden Ressourcenverbrauch vereinbaren lässt. Die Erderwärmung einzudämmen wird dabei zu einem positiven Nebeneffekt und rückt an den Rande der Agenda. Es wird getan, was nötig ist, aber eben nicht mehr. Dieses „mehr“, welches eben nicht mit einem Weiterlaufen des aktuellen Wirtschaftssystems vereinbar ist, braucht es aber um den nötigen Wandel herbeizuführen. Dekarbonisierung ist der neue Spielball der internationalen Wirtschaft. So bezeichnet der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen (VN), Ban Ki Moon, den Klimawandel sowohl als Chance wie auch als Gefahr. Klimawandel als Chance für Wachstum, Innovation und Wohlstand zu instrumentalisieren ist jedoch fatal und riskiert das tatsächliche Ausmaß der Bedrohung, die uns bevorsteht, zu schmälern bzw. zu verkennen.

Von Entkopplung als Lösungsstrategie und Grünem Wirtschaften als Selbstzweck

Als Lösung allen Übels wird häufig die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcennutzung angeführt. Der Entkopplungsgedanke schließt jedoch nicht die Externalisierung von ökologischen Konsequenzen mit ein. Damit ist beispielsweise die Verlagerung der Probleme (Müll, Luftverschmutzung, Waldrodung) an einen anderen Ort gemeint, häufig in den Globalen Süden. Dadurch verkennt das Entkopplungsargument die Relevanz von globalen Stoffströmen, Transportketten und allgemein die Verwobenheit unseres Wirtschaftssystems in Zeiten der Globalisierung. Eine hundertprozentige Entkopplung ohne Einbußen anderenorts ist daher nicht möglich. In der Konsequenz existiert Nachhaltiges Wirtschaften unabhängig von der Frage, ob es tatsächlich einen positiven Effekt auf den Klimawandel hat. Der Grund, aus dem Dekarbonisierung einmal auf die politische Agenda geschrieben wurde, verschwimmt insofern hinter Phrasen von grünem Wachstum und der grünen Wirtschaft. Die ursprüngliche Lösung für unsere Umweltprobleme droht zum Selbstzweck zu werden, unabhängig davon, ob nachhaltiges Wirtschaften einen positiven Beitrag zu den Zielen leistet oder nicht.

Dekarbonisierung braucht ein neues Gewand

Der Begriff der Dekarboniserung steht folglich vor einer großen Herausforderung. Womöglich müssen wir ihn nicht ersetzen, sondern in seiner Bedeutung stärken. Dahinter sollten Fragen stehen, die über den jetzigen Kosten-Nutzen Fokus hinausgehen und einen echten sozialen und wirtschaftlichen Wandel anstoßen. Zudem muss an einem Strang gezogen werden anstatt isolierte vereinzelte Lösungsansätze zu verfolgen, die keiner gesamtgesellschaftlichen Dekarbonisierungsstrategie folgen. Außerdem darf Dekarbonisierung nicht auf dem Rücken der Schwächsten stattfinden und weiter auf Kosten der Umwelt gehen. Dies kann jedoch nur erfolgen, wenn die bislang technokratischen Lösungsansätze ersetzt werden sowie auch von „unten“ gedacht und gefragt wird:  wer kann was, wie und wo leisten?