Frankreich und der Biomüll – braucht es Alchimisten, um aus Müll eine Ressource zu machen?

Seitdem Frankreich als erstes Land weltweit die Lebensmittelverschwendung offiziell unter Strafe gestellt hat, gilt es als Vorreiter im Bereich der Vermeidung von Biomüll. Laut dem 2016 erlassenen Gesetz müssen alle Supermärkte mit mindestens 400 Quadratmetern Ladenfläche alle unverkauften, aber noch essbaren Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen weitergeben, damit diese sie an Bedürftige weiterverteilen können. In der Vermeidung von Biomüll sind die Franzosen somit wirklich so manch anderen europäischen Staaten voraus. Aber was passiert eigentlich in Frankreich mit dem Biomüll, der sich nicht vermeiden lässt? Dieser stellt laut der staatlichen Agentur für Umwelt- und Energiemanagement schließlich immer noch 46,4 Millionen Tonnen pro Jahr dar (vgl. ADEME, 2016).

Bioabfälle – Müll, der nicht in die Tonne gehört

Unter Bioabfällen werden alle Abfälle tierischer oder pflanzlicher Herkunft verstanden, die durch Mikroorganismen, bodenlebende Lebewesen oder Enzyme abgebaut werden können (vgl. BioAbfV). In Deutschland müssen diese seit 2015 in allen Städten und Gemeinden getrennt erfasst werden. Seitdem hat jeder Haushalt und jedes Restaurant, welcher bzw. welches den Abfall nicht selbst kompostiert, eine eigene Biotonne, die von der Müllabfuhr ein bis zwei Mal pro Woche abgeholt wird. In Frankreich funktioniert das System anders: Obwohl auch dort die Müllsammlung von den Gemeinden festgelegt und betrieben wird, hat sich in den meisten Kommunen ein Zwei-Mülltonnen-System durchgesetzt – eine für recyclebare und eine für nicht-recyclebare Materialien. Der Inhalt der Tonne des nicht-recyclebaren Mülls besteht zu einem Drittel aus Biomüll, der über die Kompostierung oder die Produktion von Biogas wiederverwertet werden könnte (vgl. Daten des fr. Umweltministeriums). Da allerdings nur bei 6% der französischen Bevölkerung der Biomüll getrennt gesammelt wird (vgl. ADEME, 2019), bleiben diese Möglichkeiten meist ungenutzt. In der Behandlung des nicht-recyclebaren Mülls wird keine Unterscheidung zwischen Bio- und Restmüll gemacht, sodass die Bioabfälle zu 32% verbrannt und zu 27% auf Müllhalden abgelagert werden (vgl. ADEME, 2017). Durch diese mangelnde Verwertung von Bioabfällen gehen wertvolle Rohstoffe verloren, die man über eine gesonderte Verwertung wieder in den Stoffkreislauf hätte rückführen können. Außerdem werden durch die Verbrennung und die Vergärung Treibhausgase produziert, die den Klimawandel weiter vorantreiben.

Die Alchimisten: für lokale Wiederverwertung statt Verbrennung 

Um dem entgegenzutreten hat sich in Paris und Toulouse eine BürgerInneninitiative namens Les Alchimistes gegründet. Ihre Vorstellung von nachhaltigem Müllmanagement beinhaltet vor allem eines: lokale Wiederverwertung. Als ich Mathieu, einen der Gründer der Initiative in Toulouse, getroffen habe, erzählt er mir „Wir wollen nicht nur die Wertstoffe, die sich im Biomüll befinden, wiederverwerten, sondern auch die Art des Mülltransportes überdenken. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, dass wir den Müll erst kilometerweit in riesigen Müllwagen abtransportieren lassen, um ihn danach zu verbrennen. Dabei gehen so viele Wertstoffe verloren, die wir für eine gesündere Landwirtschaft nutzen könnten.“ Um die Städte von den lauten Müllwagen zu befreien, setzen die Alchimisten auf sanfte Mobilität: Täglich fahren sie mit ihrem Fahrrad und dem daran festgemachten Anhänger zu verschiedenen Restaurants, Supermärkten und Hotels, um deren biologisch abbaubaren Müll so klimaschonend wie möglich abzuholen.

Während der Biomüll normalerweise zwischen 60 und 80 Kilometer weit transportiert würde, wird dank der Alchimisten der Transportweg um das 20-fache gekürzt. Ihre elektro-magnetische Kompostieranlage liegt innenstadtnah und produziert in kürzester Zeit qualitativ hochwertigen Kompost, der in der Landwirtschaft anstelle von chemisch angereicherten Düngemitteln verwendet werden kann. Da sie bisher noch keine Erlaubnis bekommen haben, ihren Kompost kommerziell zu vertreiben, verteilen sie ihr Endprodukt an urbane Gemeinschaftsgärten inner- und außerhalb von Toulouse.

Und der Staat?

Zwei Gesetze sollen das Müllmanagement-System in Frankreich verbessern und Initiativen wie die der Alchimisten unterstützen. Mit dem Gesetz Grenelle II, das 2010 erlassen wurde, wurde allen Gastronomiebetrieben eine Obergrenze an Biomüll vorgeschrieben. Produziert ein Restaurant oder eine Kantine mehr als zehn Tonnen Biomüll im Jahr, was etwa 180 Mahlzeiten am Tag entspricht, ist diese(s) verpflichtet seinen oder ihren Biomüll getrennt zu erfassen und wiederverwerten zu lassen (vgl. ADEME, 2013). Das können sie entweder vor Ort tun, indem sie selbst einen Kompost anlegen, oder indem sie einen Dienstleister wie die Alchimisten mit der Valorisierung beauftragen. Da dieses Gesetz sich allerdings nur auf die professionellen Küchen und Gewerbe bezieht, wurde in das 2015 veröffentlichte Gesetz des grünen Wachstums das Ziel integriert, bis 2023 eine separate Mülltrennung für Biomüll in allen Haushalten einzuführen.

Obwohl Mathieu von den Alchimisten die gute Intention hinter diesen Gesetzen anerkennt, ist er pessimistisch, was deren Umsetzung angeht: „Am Anfang habe ich noch daran geglaubt, dass es etwas verändern wird, aber jetzt nicht mehr. Wir haben eine Obergrenze eingeführt, aber es gibt keine Kontrollen um zu untersuchen, ob die Gewerbe sich daran halten und deshalb bringen auch die Sanktionen nichts. Abgesehen von den ganz Großen, die da mehr aufpassen müssen, haben wir weiterhin nur Kunden, die aus einem ökologischen Bewusstsein auf uns zurückgreifen.“

Nachhaltiges Müllmanagement funktioniert nicht ohne Reduktion des Mülls

Während unseres Gesprächs betont Mathieu mehrere Male, dass die Revalorisation zwar wichtig und gut ist, aber ohne eine Verringerung der totalen Müllproduktion nicht ausreicht. Deshalb integrieren die Alchimisten auch Ansätze zur Sensibilisierung für Müllreduktion in ihre Dienstleistungen. So ist die Preiszusammensetzung ihrer Kunden abhängig von der Menge an Müll, die diese produzieren, und der Qualität der Mülltrennung. Um einen positiven Anreiz in diesem Sinne zu setzen, variiert der Preis für den angebotenen Service zwischen 70€ und 150€.

Gleichzeitig haben sie eine Online-Plattform aufgebaut, auf dem die Kunden direkt ihre Statistiken einsehen können. Dabei wird ihnen transparent vor Augen geführt, wie viel Biomüll sie produzieren und wie viele Fehler in der Mülltrennung in der jeweiligen Woche begangen wurden. Mathieu erzählt mir, dass über den Einblick in diese Statistiken bereits mehrere Restaurants ihre Vorbereitungs- und Küchenarbeit angepasst haben, da ihnen aufgefallen ist, dass an bestimmten Tagen systematisch zu viele Mahlzeiten vorbereitet werden. Um noch einen Schritt weiter zu gehen, wollen die Alchimisten in den nächsten Monaten zusätzlich ein Waagen-System in Restaurants mit ‚all-inclusive‘ Buffets einführen. Gerade im Buffet-Kontext sind Kunden häufig von der Vielfalt an Angeboten und dem Willen, voll auf ihre Kosten zu kommen, so sehr überwältigt, dass sie häufig ihre Kapazitäten überschätzen. Um für die Müllvermeidung zu sensibilisieren, soll daher am Essensrestemüll eine Waage positioniert werden, die den Kunden direkt anzeigt, wie viel Gramm Essbares sie gerade weggeworfen haben.

BürgerInneninitiativen sind nicht genug!

Künftig wollen die Alchimisten ihre Aktivitäten so erweitern, dass sie bis nächstes Jahr zwei Tonnen Biomüll am Tag einsammeln. Das macht im Jahr bereits ganze 600 Tonnen Müll, die über kurze Versorgungsketten revalorisiert würden. Diese Erweiterung ist umso wichtiger, denn allein in Toulouse werden täglich 2000 Tonnen organischen Mülls produziert. Es bräuchte also hundert Kompostiermaschinen wie die der Alchimisten, um den Biomüll einer Metropole zu revalorisieren.

Was die Alchimisten nicht einsammeln können, wird erstmal weiterhin auf Müllhalden abgelagert oder mit Energiegewinnung verbrannt. Für Mathieu steht eines fest: angesichts der Biomüllsituation darf die Politik nicht auf die BürgerInnen oder soziale Initiativen wie die seine warten, sondern muss endlich handeln!

 

Literatur:

ADEME (2013): Les obligations des gros producteurs de biodéchets. Ministère de l’Écologie, du Développement durable et de l’Énergie. Verfügbar über: https://www.ademe.fr/sites/default/files/assets/documents/51_DGPR_gros_producteurs_biodechets_29-10-2013_DEF_Light.pdf [Zuletzt geprüft am: 07.01.2020]

ADEME (2017): Déchets Chiffres-clés. Édition 2016. Verfügbar über: https://www.ademe.fr/sites/default/files/assets/documents/dechets-chiffres-cles-2017-010269.pdf [Zuletzt geprüft am: 07.01.2020]

ADEME (2017): Quel avenir pour le traitement des ordures ménagères résiduelles ? Verfügbar über: https://www.ademe.fr/avenir-traitement-ordures-menageres-residuelles [Zuletzt geprüft am: 07.01.2020]

ADEME (2019): Tri à la source et collecte séparée des biodéchets. Synthèse thématique. Verfügbar über: https://www.ademe.fr/sites/default/files/assets/documents/tri-collecte-biodechets-synthese_010698.pdf [Zuletzt geprüft am: 07.01.2020]

Loi n° 2016-138 du 11 février 2016 relative à la lutte contre le gaspillage alimentaire. 

Ministère de la Transition Écologique et Solidaire (2017): Biodéchets. Verfügbar über: https://www.ecologique-solidaire.gouv.fr/biodechets [Zuletzt geprüft am: 07.01.2020]

Zu der Autorin: Lil Rimsa studiert an der WWU Münster und an Sciences Po Lille den deutsch-französischen Master „Internationale und Europäische Governance“ mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung. Im Rahmen ihres Praktikums bei 3PA, ein Bildungs- und Ausbildungszentrum für Nachhaltige Entwicklung in der Nähe von Toulouse, hat sie sich mit lokalen Initiativen in den Bereichen Kreislaufwirtschaft und sozialen Innovationen auseinandergesetzt.