Klimaschutz in der Entwicklungszusammenarbeit Ursachenbekämpfung statt Gewissenserleichterung

In Marokko finanziert die deutsche Regierung Solaranlagen für mehr Klimaschutz. In Deutschland jedoch soll dieses Jahr trotz des hart verhandelten Ausstiegs aus der Kohleverstromung noch ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz gehen. Wie passt das zusammen?

Zahlreiche Industriestaaten finanzieren im Zeichen der sogenannten Entwicklungszusammenarbeit Klimaschutzmaßnahmen weltweit. Doch solange diese Länder, die historischen Hauptverursacher des menschengemachten Klimawandels, keine weitreichenden Veränderungen auf nationaler Ebene einleiten, bleiben die Milliarden an Steuergeldern, die in Entwicklungsprojekte im Ausland fließen, reine Symptombekämpfung. Als eine bequeme Gewissenserleichterung des Globalen Nordens laufen diese Klimaschutzinitiativen Gefahr tausende Kilometer entfernt von den eigentlichen Treibern des Klimawandels – nämlich uns und unserer Lebensweise – die strukturellen Ursachen des Problems zu verschleiern.

Historische Verantwortung in der Klimapolitik 

Der globale Klimawandel stellt die Menschheit als Ganzes vor eine zentrale Herausforderung, die wie kaum ein anderes Beispiel die Vernetzung unserer modernen Welt zeigt. Emissionen, Dürren und der Anstieg des Meeresspiegels kennen keine Grenzen. Die Ursachen und Auswirkungen der menschengemachten klimatischen Veränderungen erstrecken sich über den gesamten Globus. Dabei darf die gravierende Ungleichverteilung der treibenden Kräfte des Klimawandels und denen, die von den Konsequenzen am härtesten betroffen sind, nicht übersehen werden. Unter dem Begriff der Klimagerechtigkeit wird dies im globalen Klimadiskurs thematisiert. Welche Rolle dadurch welchen Staaten zuteilwird, soll das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung (‚common but differentiated responsibilities‘) greifbar machen: Einerseits wird die Verantwortlichkeit aller Staaten festgestellt, die Herausforderungen der menschengemachten Klimaveränderungen anzugehen. Andererseits wird die Unterschiedlichkeit diese Verantwortung aufgrund der deutlich höheren Emissionen früh industrialisierter Staaten hervorgehoben. Auch angesichts dieser Rolle Deutschlands als eine Industrienation mit erheblichen historischen sowie aktuellen Emissionen, machte die deutsche Regierung Klimaschutz zu einem Hauptanliegen ihrer Entwicklungszusammenarbeit. Bis zum Jahr 2020 sollen jährlich 4 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln zur Finanzierung von Klimaschutzprojekten im Ausland mobilisiert werden  (im Jahr 2017: 3,65 Mrd. €).

Aufbau von Autonomie und Resilienz statt Verfestigung von Abhängigkeiten

Der Bau von Wasserkraftanlagen zur klimaschonenden Energiegewinnung in Uganda oder die Aufforstung von Mangrovenwäldern für den Küstenschutz in Costa Rica sind klassische Maßnahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Diese können zwar einerseits durchaus Treibhausgasemissionen reduzieren und zur Anpassung an Auswirkungen des Klimawandels beitragen. Andererseits laufen solche internationalen Klimaschutzinitiativen aber Gefahr, Länder des Globalen Südens in Abhängigkeit vom Globalen Norden zu halten. Entwicklungspolitische Projekte wie diese sind stets auch vor dem Hintergrund des kolonialen Erbes vieler früh industrialisierter Staaten zu betrachten.  Oftmals begleitet von einer Rhetorik der Hilfeleistung werden wirtschaftliche Abhängigkeiten und klar asymmetrische Beziehungen zwischen Nord und Süd fortgeführt und gefestigt, die seit der Kolonialzeit vorherrschen. So sichert sich etwa die EU den Zugang zu Rohstoffen in Ländern des Globalen Südens nicht mehr als formelle Kolonialmacht, sondern durch Freihandelsabkommen und das oft auf Kosten von Menschenrechten, der Umwelt und der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort. Der Begriff der kolonialen Kontinuitäten hebt diese andauernden ungleichen Kräfteverhältnisse hervor. Er beschreibt, dass mit der juristischen Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien keineswegs alle Vermächtnisse der Kolonialzeit verschwunden sind, sondern weiterhin die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Realitäten prägen.

So ist auch der internationale Klimaschutz von kolonialen Kontinuitäten und Machtungleichgewichten gezeichnet. Etwa auf politischer Ebene, wenn die Industriestaaten die Agenda der internationalen Klimakonferenzen dominieren. Oder auf wirtschaftlicher Ebene, wenn deutsche Konzerne von staatlich geförderten Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit profitieren, z.B. um Saatgut zu vertreiben. Aber auch auf sozialer Ebene, wenn lokale Lebensweisen, beispielsweise indigener Gruppen, bei der Implementierung von internationalen Klimaschutzmaßnahmen missachtet werden, wie es in Bezug auf das REDD+ Programm der Vereinten Nationen von NGOs kritisiert wird.

Wohlstandswende statt Auslagerung von Klimaschutzmaßnahmen

Neben der Verfestigung von Abhängigkeiten zum Vorteil des Globalen Nordens besteht weiterhin das Risiko, dass internationale Klimaschutzinitiativen zur Kompensation von effektiver Klimapolitik in den Industrieländern selbst instrumentalisiert werden. Das eingangs erläuterte Beispiel zeigt auf, wie Klimaschutzprojekte durch die Regierung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit andernorts unterstützt werden, auf dem eigenen Gebiet aber vor Maßnahmen, wie einem schnellen Ausstieg aus der Kohleverstromung, zurückgeschreckt wird. Durch diese Auslagerung von Klimaschutz wird vorgegeben zur Bekämpfung des Klimawandels beizutragen, ohne aber die notwendigen Veränderungen in den westlichen Industrienationen selbst anzugehen. Handlungsbedarf wird im Globalen Süden gesehen obwohl die Ursachen, etwa unsere „imperiale Lebensweise“ (Brand und Wissen 2017; siehe auch dazugehöriger Artikel) und die Gleichsetzung von Wohlstand mit Konsummaximierung, bereits in unseren Köpfen und vor unserer Haustür beginnt. Angesichts der für eine adäquate Bearbeitung des Klimawandels erforderlichen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Umwälzungen ist eine Externalisierung von Klimaschutzmaßnahmen fatal. Indem wir in Deutschland weit über unsere Verhältnisse leben und nationaler Klimaschutz punktuell und oberflächlich bleibt, tragen wir zur Verschärfung der Ursachen der Klimaveränderungen bei. Allen voran die westlichen Industriestaaten müssen angesichts ihrer Emissionsbilanzen, aber auch aufgrund ihrer einflussreichen Rolle auf der internationalen Ebene, ihr Wohlstands- und Entwicklungsmodell hinterfragen (siehe Artikel Wohlstand und Wachstum).

Effektive Klimapolitik ist immer auch Ursachenbekämpfung

Dabei reicht es nicht aus, ab und zu auf den Rindfleischburger oder den spontanen Lastminute-Flug nach Barcelona zu verzichten. Einerseits ist solch eine Wohlstandswende, die uns dazu bringt unseren Konsum und dessen Ausmaß zu überdenken (siehe Artikel Suffizienz), wichtig für effektiven Klimaschutz in den westlichen Industrienationen. Andererseits sind aber weitreichende strukturelle Veränderungen und der dazugehörige politische Mut unverzichtbar. Unser politisches System ist träge, sodass gezielte umfassende und langfristige Neuerungen zur Seltenheit im Handlungsrepertoire von Entscheidungsträger*innen gehören. Dass oberflächliche Maßnahmen und fehlende Ursachenbekämpfung allerdings keineswegs eine funktionierende Alternative darstellen, sondern lediglich zur Verstärkung von Problemen führt, wird aktuell auf verheerende Weise durch die Lage von geflüchteten Menschen an den EU-Außengrenzen deutlich. Es darf nicht übersehen werden, dass der menschengemachte Klimawandel sowie wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten Teil von Fluchtursachen sind, die von der EU mitverantwortet werden.

Wie der Wille zu umfassendem und langfristigem Handeln in Form von konsequentem Klimaschutz an die Politik herangetragen werden kann, zeigt die Klimabewegung. In den westlichen Industrienationen sind es beispielsweise die Fridays for Future-Proteste (siehe Artikel Fridays for Future) oder Aktionen des zivilen Ungehorsams von Extinction Rebellion und Ende Gelände, die Forderungen nach strukturellen Veränderungen stellen und Entscheidungsträger*innen in die Pflicht nehmen zu handeln.

Letztendlich soll die Einsicht, dass konsequente Klimapolitik mit einer Umstrukturierung westlicher Wohlstandsgesellschaften einhergehen muss, keine Beschränkung der Industrienationen auf nationale Klimaschutzmaßnahmen bedeuten. Die Bereitstellung von finanziellen Mitteln und Technologietransfer, etwa im Bereich der erneuerbaren Energien, kann im Licht einer historischen Verantwortung als sinnvoll und sogar notwendig betrachtet werden. Entscheidend ist jedoch, dass diese Unterstützung keine Abhängigkeiten aufbaut oder verstärkt, sondern unter konsequenter Einbindung der jeweiligen Bevölkerung vor Ort zu mehr Autonomie und Resilienz beiträgt. Nur so kann dem Klimawandel als eine der zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angemessen begegnet werden.

 

Zum Weiterlesen :

Imeh Ituen und Rebecca Abena Kennedy-Asante (2019). 500 Jahre Umweltrassismus. Kommentar in der taz vom 18.11.2019. Abrufbar unter : https://taz.de/Kolonialismus-und-Klimakrise/!5638661/ [06.03.2020].

Ulrich Brand und Markus Wissen (2017). Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München : oekom. 

 

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