A K T I V I S M U S 2.0

Mit solchen und ähnlichen Aufrufen werben AktivistInnen-Gruppen heutzutage auch im Bereich der Nachhaltigkeitstransformation für eine online stattfindende Bottom-Up-Partizipation der Massen. Es entstehen Facebook-Seiten mit ökologischen Lebenstipps, es werden Online-Petitionen gegen Kohleabbau unterschrieben und angesichts akuter Klimakatastrophen können auf schnellem Wege durch SMS Spenden gesammelt werden. Teil einer sozialen Bewegung zu sein, war nie einfacher, als in Zeiten der Digitalisierung. Das Internet ermöglicht es uns, innerhalb von Sekunden Nachrichten zu teilen und damit Menschen auf der ganzen Welt zu erreichen. Dennoch bleibt die Frage im Raum stehen:

Wie sinnvoll ist eine Online-Partizipation und kann sie uns überhaupt zu einer sozial-ökologischen Transformation verhelfen?

Zunächst einmal ein Plädoyer für die Vorteile von digitalen Medien im Klimaaktivismus. Der Klimawandel verändert die Lebensrealitäten aller Menschen auf der Welt. Somit kann argumentiert werden, dass Online-Aktivismus eine effiziente Möglichkeit ist, um die größtmögliche Masse an Menschen, unabhängig ihrer geografischen Situiertheit, zu erreichen. Ein Positivbeispiel, in dem das Internet zu einer schnellen Verbreitung von Informationen und Sammlung von Geld geführt hat, ist der Online-Aktivismus nach dem Erdbeben in Haiti 2010. Hierbei kamen innerhalb von zwei Tagen durch Online-Spendenaufrufe des Internationalen Roten Kreuzes mehr als sieben Millionen Dollar zusammen (Lee und Hsieh, 2013). Menschen, die sich sonst vielleicht nicht engagieren würden, bekommen durch digitale Medien einen einfachen Zugang zur Partizipation. Zudem können positive Erfahrungen mit politischem Engagement und der Wirksamkeit von Partizipation dazu führen, dass sich jemand danach nicht nur online, sondern auch offline am Klimaaktivismus beteiligt. Anders als Aufrufe zu plastikfreiem oder grünem Konsum, birgt Online-Aktivismus das Potenzial, Menschen nicht primär als KonsumentInnen, sondern als BürgerInnen anzusprechen und sie somit auf die politische Ebene des Engagements gegen die aktuelle Klimakrise aufmerksam zu machen. Außerdem kann eine Polarisierung der Internet-Communities hinsichtlich Klimathemen Handlungsdruck auf die Politik erzeugen. So vermögen es Massenphänomene, wie zum Beispiel ein eingängiges Hashtag, eine große mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Gleichzeitig gibt es zahlreiche Kritikpunkte am digitalen Klimaaktivismus. KritikerInnen wie Evgeny Morozov (2009) argumentieren, dass Online-Aktivismus eher den Zweck erfüllt, Individuen ein besseres Gefühl über ihr eigenes Engagement und ihre Selbstwirksamkeit zu geben, anstatt mit Zeit und Mühe wirklich langfristig für eine Transformation einzustehen. Solche Formen der Partizipation werden abwertend ‚Feel-Good‘-Aktivismus genannt. Ein Youtube-Video einer Klimaorganisation zu teilen, kann so kaum als tiefgreifend wirkungsvolles Engagement bezeichnet werden. Das Gefühl zu haben, sich beispielsweise durch ein Profilbild bei Facebook mit einem Logo von Fridays for Future bereits politisch engagiert zu haben, könnte eine umfassendere Auseinandersetzung mit der Thematik verhindern oder zu übertrieben eingeschätzter Selbstwirksamkeit führen. Im Zuge dessen, muss untersucht werden, ob Online-Aktivismus nur ein Zusatz, oder gar ein Ersatz für weiteres Engagement außerhalb der digitalen Sphäre darstellt. Mediale Aufmerksamkeit wirkt (anders als im oben geschilderten Extrem einer erfolgreichen Polarisierung) nicht per se besonders lange nach und ein häufig geteilter Instagram-Post von KlimaaktivistInnen ist nach kurzer Zeit schon wieder vergessen. Da die Klimakrise aber so umfassend in allen Bereichen Veränderung fordert, bedarf es dauerhafte und weitreichende Veränderung und genau hierfür könnten digitale Medien mit quantitativer statt qualitativer Orientierung an ihre Limits stoßen.

Ganz nach dem Motto ‚Klimawandel ist Systemwandel‘ ist jedoch der stärkste Kritikpunkt, dass Online-Klimaaktivismus nicht die Wurzel des Klimaproblems angehen kann. Vielmehr vermag er eher dazu beizutragen, dass die Verantwortung zum Handeln gegen den Klimawandel unverhältnismäßig stark auf das Individuum abgewälzt wird. Zum einen muss eine Techno-Optimismus Argumentation, welche innovative Technologie nahezu ausschließlich als Lösung für den Klimawandel sieht, vermieden werden. Zum anderen geht mit der Individualisierung der Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel – welche Bottom-Up-Praktiken meist stark mit sich führen – häufig der Gedanke einher, dass man zum Beispiel einfach ‚grüner‘ konsumieren müsste, für Organisationen spenden sollten, die Plastik aus dem Meer fischen, oder das eigene soziale Umfeld durch das Teilen eines Facebook-Posts auf vegane Lebensstile aufmerksam machen sollte. Die Abwälzung der Verantwortung auf den oder die Einzelne/n kann damit aber tieferliegende politische und wirtschaftliche Machtverhältnisse sowie nicht-nachhaltig angelegte Strukturen verschleiern. Wirksamer Klimaaktivismus muss dadurch immer auch die Strukturen, in denen wir uns bewegen, in Frage stellen und dort, wo sie nicht-nachhaltige Zwänge (wie etwa gesellschaftliche Vorstellungen eines guten Lebens, welche einseitig von konventionellen wachstumssteigernden Ideen beeinflusst werden) hervorrufen, tiefgreifende Veränderung fordern.

Alles in allem bedarf es im Kampf gegen den Klimawandel einer Vielzahl an Strategien, um Veränderung zu bewirken. Durch die Hybridisierung unserer Lebensrealität aus Online- und Offline-Elementen, müssen auch im Aktivismus digitale Strategien entwickelt werden. So kann Online-Klimaaktivismus dazu beitragen, Menschen auf der ganzen Welt miteinander hinsichtlich einer bestimmten Thematik zu verbinden, sie zu mobilisieren, kurzzeitig mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ein diverses Publikum anzusprechen und (nach sorgsamem Umgang mit Quellen) durch Informationsverbreitung eine Vielzahl an Menschen über wichtige Aspekte in Kenntnis zu setzen. Dennoch sollte Online-Aktivismus immer an Offline-Partizipation gekoppelt sein und somit auch geographisch verortet werden können. Somit sollte er  nur ein Teilaspekt sein, um langfristig Einfluss auf Klimapolitik und Nachhaltigkeitstransformation auszuüben und sich einzubringen. Denn eine tiefgreifende Veränderung ist das ‚Liken‘ eines Posts nicht und die sich rasant verschlechternde Lage des Klimas benötigt ein Engagement, das weit darüber hinausgeht.

Literatur:

Lee, Y.-H., & Hsieh, G. (2013). „Does slacktivism hurt activism?: The effects of moral balancing and consistency in online activism.“ Gehalten auf der Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems.

Morozov, E. (2009). The Brave New World of Slacktivism. Foreign Policy, Available online: https://foreignpolicy.com/2009/05/19/the-brave-new-world-of-slacktivism/ (accessed 17th Aug 2020).

Meadows,D. H., Randers, J., and Meadows, D. L. (2004). “Limits to Growth: The 30-Year Update”.White River Junction, VT: Chelsea Green Publishing.

Zu der Autorin: Alicia Battenfeld studiert Sozialwissenschaften und Englisch an der WWU Münster. Sie hat sich im Rahmen ihres Studiums in unterschiedlichen Fachgebieten, wie der Soziologie, Wirtschaft und Politik, mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt.