Wahlkampf mit dem Klima: Wie die Polemik um eine Benzinpreiserhöhung die öffentliche Diskussion über eine Nachhaltigkeitstransformation erschwert

Sophie Dolinga und Doris Fuchs

Der Vorschlag der Grünen Kanzlerinkandidatin, Annalena Baerbock, den Benzinpreis nach der Wahl um 16 Cent anzuheben, löste in den letzten Wochen eine heftige Debatte aus. Scharfe Kritik kam etwa von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD). Zwar ist eine kritische öffentliche Auseinandersetzung darüber, wie wir einen gesellschaftlichen Wandel Richtung Nachhaltigkeit erreichen wollen ein unabdingbarer Bestandteil einer Nachhaltigkeitstransformation. Eine verkürzte und unsachliche Debatte um Klimaschutzmaßnahmen, die für den Wahlkampf instrumentalisiert wird, schadet allerdings dieser öffentlichen Diskussion und gefährdet das Vertrauen der BürgerInnen in die (Klima-)Politik. Entsprechend fordern auch fünf große Umweltverbände öffentlich ein Ende des Wahlkampfes auf Kosten des Klimas und stattdessen „einen Parteienwettstreit um die besten Maßnahmen für den Klimaschutz. Und Ehrlichkeit gegenüber den Wählerinnen und Wählern auch in Bezug auf die Kosten unterlassenen Handelns.“ (Brandbrief der Umweltverbandsspitzen)

Grundsätzlich gibt es bei der Benzinpreisdebatte zwei zentrale Fragen zu beantworten:

  1. Wie sollte der Benzinpreis gestaltet werden? D.h. um wieviel sollte der Preis wann erhöht werden und welche Ausgleichs- und Begleitmaßnahmen gehen damit einher?
  2. Stellt die Erhöhung des Benzinpreises überhaupt ein angemessenes und effektives Instrument dar?

Steigende Benzinpreise – wann und wie?

Wie überspitzt die Empörung über die Forderung der Grünen nach einer Benzinpreiserhöhung ist, wird darin deutlich, dass die Preiserhöhung bereits im aktuellen Klimapaket der Bundesregierung vorgesehen ist. Es geht also nicht um die Frage, ob der Preis für Brennstoffe steigen wird, sondern lediglich, wann und wie.

Die Umsetzung von konkreten Klimaschutzmaßnahmen ist auch längst überfällig. Die Maßnahmen in Deutschland reichen bei Weitem noch nicht aus, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen und die Erderwärmung auf unter 2°C zu begrenzen. Das betonte nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht, als es eine Nachbesserung der Klimaziele anordnete. Dass nur noch wenig Zeit zum Handeln bleibt, zeigen beispielweise die aktuellen Forschungsergebnisse der MOSAiC-Expedition: Durch das Verschwinden des arktischen Meereises im Sommer besteht die Gefahr, dass wir bereits einen klimatischen Kipppunkt erreichen, der weitreichende, irreversible und unabsehbare Konsequenzen für unsere gesamten Ökosysteme haben kann.

Die massive und schnelle Senkung der Treibhausgasemissionen in Deutschland ist somit zentral, um enorme soziale, ökologische und ökonomische Verluste zu vermeiden oder zumindest abzumildern. Als ein zentrales Instrument zur Emissionssenkung hat die Bundesregierung eine CO2-Bepreisung eingeführt, die Anfang des Jahres in Kraft getreten ist und eine sukzessive Preiserhöhung von Brenn- und Kraftstoffen vorsieht. Über Preisgestaltung und Marktmechanismen sollen somit finanzielle Anreize geschaffen werden, weniger Treibhausgase auszustoßen. Aktuell beläuft sich der CO2-Preis auf 25€/Tonne. Zum Vergleich: ExpertInnen hatten einen Einstiegspreis von 50€/Tonne empfohlen, um die gewünschte regulierende Wirkung zu erzielen. Auch das Umweltbundesamt, immerhin die zentrale Institution zur umweltpolitischen Beratung der deutschen Politik, hat gerade wieder darauf hingewiesen, dass der Preis deutlich höher liegen müsste. Ein Anstieg des Benzinpreises in den nächsten Jahren ist somit für die Effektivität des CO2-Preises notwendig und zudem bereits in der deutschen Klimapolitik vorgesehen.  

Natürlich müssen auch die sozialen Auswirkungen dieser Maßnahme mitgedacht werden. Ohne entsprechende Ausgleichsmechanismen verschärfen reine Preisregulierungsmaßnahmen soziale Ungleichheiten. Mobilität läuft dann Gefahr, zu einem Luxusgut zu werden. Denn die Erhöhung der Preise für Brenn- und Kraftstoffe trifft vor allem Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen und Menschen, die auf Autos besonders angewiesen sind, etwa im ländlichen Raum. Doch die Vorwürfe, dass eine klimapolitisch notwendige Maßnahme nicht umgesetzt werden kann, weil sie die ärmeren Teile der Gesellschaft zu sehr belastet, sind Scheinargumente. Maßnahmen können und müssen so gestaltet und begleitet werden, dass sich Kosten und Nutzen sozial gerecht verteilen. Ökologische und soziale Aspekte gesellschaftlicher Nachhaltigkeit sind immer zusammenzudenken!

Die Politikentwürfe sehen solche Ausgleichsmechanismen auch vor, jedoch scheitert es oftmals an ihrer Durchsetzung und zwar insbesondere aufgrund von Interventionen derer, die die Preiserhöhung angeblich aus sozialen Gründen ablehnen. Die KritikerInnen der Benzinpreissteigerung aus den Regierungsparteien oder aber der FDP unterstützen eben keine sozial gerechte Ausgestaltung der CO2-Bepreisung, und man muss sich fragen, wer denn da eigentlich geschützt werden soll.

Ist der Preis überhaupt der richtige Hebel?

Generell dreht die CO2-Bepreisung lediglich an einer kleinen Stellschraube, die allein die großen Herausforderungen der Klimakrise nicht bewältigen wird (siehe auch den Blogartikel „Der wahre Preis des Wandels“). Anstatt grundlegende Probleme anzugehen, wie den steigenden Ressourcenverbrauch und die sich verschärfende soziale Ungleichheit, liegt der Fokus auf der Einpreisung von Emissionen und ihrer Steuerung über Marktmechanismen. Auf diese Weise wird die inhärente Wachstumslogik und Profitorientierung unseres Wirtschaftssystems, welches Ursache und Treiber der massiven ökologischen Krisen (Klimakrise, Biodiversitätskrise etc.) ist, nicht angegangen. Ohne eine Bepreisung wird Emissionen in der aktuellen Wirtschaftsweise ein impliziter Preis von 0 Euro zugewiesen, und diese Situation zu beenden ist sinnvoll und notwendig. Aber Reduzierungen über eine Preislenkung werden nicht ausreichen, wenn unser Ziel ist, heutigen und zukünftigen Generationen die Chance auf ein gutes Leben zu sichern.

Was wir benötigen, ist ein klimafreundliches und zukunftsfähiges Mobilitätskonzept. Das bedeutet, dass wir bei der Debatte um die Benzinpreise andere Instrumente, die zu einer umfassenden und langfristigen Senkung der Emissionen im Verkehrssektor beitragen können, nicht aus den Augen verlieren dürfen. So muss eine Erhöhung des Benzinpreises unter anderem mit der Förderung bezahlbarer auto-freier Mobilität einhergehen. Der massive Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Schaffung sicherer Fahrradwege, günstige Tarife für öffentliche Verkehrsmittel, autofreie Bereiche oder Fahrradkauf-Prämien sind exemplarische Maßnahmen, die Mobilität ohne Auto für alle erleichtern. Auch lassen sich Mobilitätsbedarfe generell reduzieren, etwa durch die Berücksichtigung der Notwendigkeit von wohnortsnahen Einkaufsmöglichkeiten und anderen Bedarfen (zum Beispiel der medizinischen Versorgung) oder die Umstellung betrieblicher Praktiken. Durch ein ganzheitliches Umdenken in der Mobilitätsfrage und langfristige Investitionen in notwendige Infrastrukturen würden nicht nur die Treibhausgasemissionen deutlich sinken, sondern gleichzeitig die Lebensqualität, vor allem in Ballungsgebieten, steigen. Dies könnte eine Mobilitätswende bedeuten, die neben einem günstigen und flexiblen öffentlichen Nahverkehr auch mehr Sicherheit für FußgängerInnen und Fahrradfahrende, mehr Zeit, weniger Lärm, sauberer Luft und mehr Platz zum Leben bietet. Und um wirklich sozial gerechte Nachhaltigkeitspolitik zu betreiben, können wir natürlich auch daran arbeiten, dass niemand mehr in armen und/oder prekären Verhältnissen leben muss. Hier kommen wir dann zur Höhe des Mindestlohns, der Sicherheit von Arbeitsverhältnissen oder der Frage der Steuer- und Sozialpolitik im Allgemeinen.

Ernsthafter Diskurs um Nachhaltigkeit anstelle von Polemik

Öffentliche Auseinandersetzungen um die Frage, wie unsere Gesellschaften zukunftsfähig werden können, sind wichtiger Teil einer Nachhaltigkeitstransformation. Dazu gehören auch kritische Auseinandersetzungen mit dem Instrument der CO2-Bepreisung. Wichtig dabei ist, dass diese Debatte nicht im Wahlkampf instrumentalisiert und polemisch aufgeheizt wird. Anstatt sich auf vage Zielvorstellungen zu berufen, müssen die Konsequenzen unterlassenen Handelns und unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen ernst genommen werden – und diese sind gewaltig. Zudem sollten PolitikerInnen, auch im Wahlkampf, sich nicht darauf ausruhen können, ein energisches „so nicht!“ zu proklamieren, ohne Antworten auf die Frage „wie dann?“ zu liefern. Und wenn sie Alternativen anführen, müssen sie auch die Details liefern, wie (viel) diese zum Erreichen der klimapolitischen Ziele beitragen und wer die Kosten dafür trägt. Die Dringlichkeit der Klimakrise macht deutlich: Der Status Quo ist keine Alternative.

Um gesetzte Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen, werden neben der Erhöhung des Benzinpreises auch umfangreiche Neuerungen, wie ein neues Mobilitätsverhalten, unvermeidlich sein. Wir können unsere Gesellschaften nicht nachhaltiger gestalten, indem wir alles so lassen, wie es ist. Dieser Wandel wird einerseits einschränkend wirken, andererseits aber auch neue Freiheiten erst ermöglichen. In der Debatte um Verbote wird oftmals vergessen, dass wir bereits unter gegebenen Verhältnissen unter Einschränkungen leiden. Momentan liegen diese bei denen, die kein Auto fahren möchten oder deren Gesundheit und Lebensqualität durch den Autoverkehr beeinträchtigt wird.

Angesichts der sich fortlaufend verschärfenden ökologischen Krisen benötigen wir dringend eine ehrliche und ernsthafte Diskussion über eine gesellschaftliche Transformation Richtung Nachhaltigkeit. Die Polemik um die Erhöhung der Benzinpreise, in der versucht wird, soziale und ökologische Aspekte gegeneinander auszuspielen, verzerrt die Debatte und setzt das Interesse und den Glauben der BürgerInnen an die deutsche Klimapolitik aufs Spiel. Nachhaltigkeit und Klimaschutz sollten entscheidende Themen des Wahlkampfes sein, eine überspitze und emotionalisierte Debatte wird diesen zentralen Zukunftsfragen allerdings nicht gerecht.

Weitere Informationen:

Brandbrief der Umweltverbandsspitzen: Stoppen Sie unredlichen Wahlkampf auf Kosten des Klimas, Interview im Deutschlandfunk mit Umweltbundesamt-Präsident Dirk Messner: „Messner: Ohne höheren CO2-Preis wird Klimaschutz noch teurer“ vom 13.06.2021 (Deutschlandfunk)

Video: Autofreie Städte – Ein Experiment. SWR Odysso. (auf Youtube)

Über die Autorinnen:

Sophie Dolinga, B.A., studiert im Master Politikwissenschaft an der Universität Münster und arbeitet als Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung.

Doris Fuchs, Ph.D., ist Professorin für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung sowie Sprecherin des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Münster.

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