Mit Blick auf Glasgow: Klimaaktivismus, Konsumkorridore und Forderung an die Politik

Lilli Möller

Klimaaktivist*innen und Bürger*innen rufen im Kontext der diesjährigen UN-Klimakonferenz, die vom 31.10.-12.11. in Glasgow stattfindet, die führenden Politiker*innen dazu auf, ohne Zeit zu verlieren, entschlossen gegen die Klimakrise vorzugehen. Eine Möglichkeit, innerhalb der planetaren Grenzen ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, bieten die Konsumkorridore. Das Wissen und die Konzepte sind da; Zeit, zu handeln!

Die Konferenz in Glasgow und die Sache mit der Zeit

Nicht nur Klimaaktivist*innen und Wissenschaftler*innen aus aller Welt schauen dieser Tage mit großen Erwartungen und Sorgen nach Glasgow. Dort begann am 31.10. die 26. UN Klimakonferenz. Ganz passend, wenn man bedenkt, dass an diesem Tag in Deutschland die Uhren umgestellt wurden. Warum halte ich das für eine passende Analogie? Zum einen ist die Komponente „Zeit“ entscheidend im Kampf gegen die Klimakrise, denn: sie läuft uns davon. Die Staatengemeinschaft – und damit vor allen Dingen die Staaten des globalen Nordens – haben mit hoher Wahrscheinlichkeit nur noch wenige Jahre Zeit, um die Erderwärmung auf die in Paris vereinbarte Grenze von 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Andernfalls wären die Folgen verheerend. Unwetter, Hitze- und Dürreperioden, der Verlust der biologischen Vielfalt, Gletscherschmelze, all das und noch mehr ist bereits Realität, und wäre erst der Anfang.

Act now!

Zum anderen passt der Tag der Zeitumstellung als Termin für den Beginn der COP deshalb recht gut, da genau das für eine erfolgreiche Klimakatastrophenbekämpfung dingend von Nöten ist: Eine Umstellung, eine Veränderung, ein Wandel. Jedoch befürchten viele, dass es die führenden Politiker*innen auch auf dieser Klimakonferenz nicht schaffen, sich auf ausreichenden und gerechten Klimaschutz zu einigen, geschweige denn, sich den nötigen Maßnahmen zu verpflichten. Die Klimaaktivistinnen Greta Thunberg aus Schweden, Dominika Lasota aus Polen, Vanessa Nakate aus Uganda und Mitzi Tan von den Philippinen appellieren deshalb mit Nachdruck in einem offenen Brief an die führenden Politiker*innen: “There is still time to avoid the worst consequences if we are prepared to change. It will take determined, visionary leadership. And it will take immense courage – but know that when you rise, billions will be right behind you.” (Auf Deutsch: „Es ist noch Zeit, die schlimmsten Folgen zu vermeiden, wenn wir bereit sind, uns zu ändern. Es wird entschlossene, visionäre Führung erfordern. Und es wird immensen Mut erfordern – aber seien Sie gewiss, dass, wenn Sie sich erheben, Milliarden hinter Ihnen stehen werden.“) Bis jetzt haben bereits über 1,5 Millionen Menschen den Brief unterschrieben, und es werden immer mehr. Die darin enthaltenden Forderungen sind eindeutig: Es braucht sofort drastische Emissionsregulationen, das Beenden der Investitionen in und der Subvention von fossilen Brennstoffen, klare Transparenz und den Einbezug aller Zahlen bei der Berechnung der Gesamtemissionen, die Auszahlung der versprochenen 100 Mrd. Dollar für die am stärksten gefährdeten Länder, mit zusätzlichen Mitteln für Klimakatastrophen und – last but not least – eine gerechte Klimapolitik, die Arbeitnehmer*innen und die Schwächsten der Gesellschaft schützt, um alle Formen von Ungleichheit abzubauen. Wenn auch ihr den offenen Brief unterschreiben möchtet, könnt ihr das über diesen Link tun.

Mit Konsumkorridoren zu 1.5° C kompatiblen Lebensstilen

Neben Klimaaktivist*innen und Bürger*innen auf der ganzen Welt drängt auch die Wissenschaft seit langem auf maßgebliche Veränderungen in der weltweiten Klimapolitik. 62 führende Wissenschaftler*innen aus 21 Ländern haben die zehn neuesten Erkenntnisse der Klimawissenschaften des Jahres 2021 in einem 56-Seiten starken Bericht zusammengefasst, am 4. November in Glasgow vorgestellt und der Exekutivsekretärin des UNFCCC, Patricia Espinosa, übergeben.

Eine zentrale Aussage ist dabei folgende: „Supporting household behavior changes is a crucial but often overlooked opportunity for climate action.“ (Auf Deutsch: Die Unterstützung von Verhaltensänderungen im Haushalt ist eine wichtige, aber oft übersehene Gelegenheit für Klimaschutzmaßnahmen.) Der Lebensstil insbesondere der wohlhabenden Bevölkerung muss sich verändern, da ansonsten das Wirtschaftswachstum durch Konsum alle angebotsseitigen Dekarbonisierungserfolge (z. B. den Einsatz von Solarenergie) gefährdet. Wichtige Voraussetzung ist dabei aber, dass diese Verhaltensänderungen durch Veränderungen im öffentlichen und unternehmerischen Sektor ermöglicht und unterstützt werden, um erfolgreich zu sein. Eine Orientierung für das Verbrauchsniveau akzeptabler individueller Kohlenstoffemissionen können die sog. Konsumkorridore bieten. Den fleißigen Leser*innen dieses Blogs wird das Konzept der Konsumkorridore bereits etwas sagen. Für alle anderen hier eine kleine Erläuterung: Konsumkorridore sind der Raum zwischen einem Minimum an Konsum, das es einem jeden Menschen, der jetzt und in Zukunft lebt, ermöglicht, ein gutes Leben zu führen, und einem Maximum an Konsum, das verhindert, dass eine Gruppe so übermäßig viel konsumiert, das anderen ein gutes Leben versagt bleibt (Fuchs et al., 2021, S.4). Um also allen ein gutes Leben zu ermöglichen, müssen Lebensstile entlang der bestehenden gesellschaftlichen und planetaren Grenzen ausgerichtet werden. Voraussetzung dafür ist wiederum ein gesellschaftlicher Dialog zu den Bedingungen eines guten Lebens und der diesbezüglichen gesellschaftlichen Verantwortung. (Im Blog-Artikel „Über das gute Leben innerhalb nachhaltiger Grenzen“ könnt ihr noch mehr und ausführlicher zum Thema Konsumkorridore lesen.)

Die Wissenschaftler*innen fordern von den Entscheidungsträger*innen, auf globaler Ebene durch demokratische Prozesse gerechte Konsumkorridore festzulegen und die Last der Veränderungen auf der Nachfrageseite den Verbrauchereliten mit hohen Emissionen aufzubürden. Auf regionaler und nationaler Ebene sollen die Regierungen konkrete Maßnahmen zur Einhaltung der 1,5°C-Grenze umsetzen. Wichtig sind die Schaffung der für einen 1,5°C-kompatiblen Lebensstil erforderlichen Infrastruktur und strukturelle Veränderungen insbesondere in den Bereichen Ernährung, Verkehr und Wohnen.

Insgesamt braucht es laut dem Bericht Emissionsreduktionen, wie es sie noch nie gab. Es wäre schön, wenn wir dafür, wie durch die Zeitumstellung, eine Stunde zusätzlich hätten. Dem ist aber leider nicht so. Zeit, zu handeln!

Literaturverweis:

Doris Fuchs, Marlyne Sahakian, Tobias Gumbert, Antonietta Di Giulio, Michael Maniates, Sylvia Lorek & Antonia Graf. (2021). Consumption Corridors: Living Well within Sustainable Limits. London: Routledge. Abrufbar unter: https://www.taylorfrancis.com/books/oa-mono/10.4324/9780367748746/consumption-corridors-doris-fuchs-marlyne-sahakian-tobias-gumbert-antonietta-di-giulio-michael-maniates-sylvia-lorek-antonia-graf

Über die Autorin:

Lilli Möller, B.A., studiert im Master Humangeographie und arbeitet als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Münster.

Beitragsbild:

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