Die Rolle von Religionen in der europäischen Klimapolitik

Adline Conring

Um den Klimawandel bekämpfen zu können, braucht es einen Wandel unserer Gesellschaft. Sowohl auf individueller als auch auf struktureller Ebene müssen sich Dinge wesentlich verändern. Das dies schwierig sein kann, wisst Ihr sicher alle aus eigener Erfahrung. Verzichte ich jetzt wirklich auf den Flug nach Italien oder auf die leckeren – nicht veganen – Tapas vom Spanier nebenan? Die Motivation für tatsächliche Verhaltensänderungen kann dabei durch ganz verschiedene Dinge oder Personen hervorgerufen werden. Kann ein Antrieb zum Umdenken möglicherweise auch der Glaube sein?

Viele Religionen treten schon länger für Klimagerechtigkeit ein und versuchen aktiv, den Klimawandel zu bekämpfen. Aber bringt das überhaupt etwas? Haben religiöse Akteure ein spezifisches Potenzial, das sie in den Diskurs um die Klimafrage einbringen und somit echte Verhaltensänderungen hervorrufen können?

Hannah Klinkenborg und Doris Fuchs haben sich gefragt, inwieweit glaubensbasierte Akteure auf der europäischen Ebene religiöse Werte und Normen in den politischen Diskurs zur Klimapolitik einbringen. Hierfür haben sie einen Dialog auf Initiative des Europäischen Parlaments vom Januar 2020 mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht. Unter dem Titel „The European Green Deal: Preserving our Common Home” kamen Personen christlicher, muslimischer, jüdischer, buddhistischer und humanistischer Organisationen, sowie wissenschaftliche und politische Abgeordnete des Europäischen Parlaments zusammen, um gemeinsam über Klimafragen zu diskutieren. Der Dialog kam auf der Basis des Art. 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zustande. Dieser verlangt von den EU-Institutionen, einen offenen und regelmäßigen Austausch mit Kirchen und religiösen Gemeinschaften aufrecht zu erhalten.

Bewahrung der Schöpfung, Solidarität, Hoffnung

Die glaubensbasierten Akteure in dem Dialog waren sich alle einig, dass es ein Umdenken benötige, um den menschengemachten Klimawandel aufhalten zu können. Auf individueller und auch auf struktureller Ebene brauche es radikale Verhaltensänderungen. Strukturell müsse es politische Handlungen geben, um so einen Paradigmenwechsel hervorrufen zu können. Auf individueller Ebene brauche es dagegen zunächst einen Einstellungswandel, um das eigene Verhalten zu ändern.

In dem Dialog wurde deutlich, dass religiöse Werte Motivation für eine persönliche Verhaltensänderung geben können. Aus christlicher und muslimischer Sicht spricht Gott den Auftrag aus, dass die Menschen seine Erde bewahren sollen. Die Natur ist Gottes Werk und hat einen Eigenwert, den es zu schützen gilt. Neben der Schöpfungsbewahrung ist auch das religiöse Motiv der Hoffnung wichtig. In der Bibel wird vermittelt, dass man auch in schwierigen Situationen auf Gott vertrauen kann und die Hoffnung nicht aufgeben sollte. Im Vertrauen auf Gott kann so auch die Rettung der Erde gelingen.

Neben diesen eher positiven Werten gibt es auch negative Emotionen, die Antrieb für einen Lebenswandel geben können. Dies kann beispielsweise die Angst vor dem Jüngsten Gericht am Ende des Lebens sein, bei dem man von Gott nach den guten und schlechten Taten des eigenen Lebens bewertet wird.

Aus christlichen und muslimischen Werten ergibt sich folglich eine Verantwortung gegenüber der Natur als Schöpfung Gottes. Doch die religiösen Akteure in dem Dialog bezogen in ihre Erläuterungen auch sehr deutlich die Verantwortung gegenüber anderen Menschen mit ein. Aus den religiösen Werten der Gerechtigkeit und Solidarität ergebe sich ebenso die Pflicht, im Kampf gegen den Klimawandel soziale Faktoren in politischen Entscheidungen mitzudenken. Religiöse Akteure können also definitiv etwas zum Klimadiskurs auf der Ebene der EU beitragen – indem sie religiöse Werte mit dem Klimawandel verknüpfen, was zum Umdenken und Handeln motiviert.

Zusammenarbeit mit und zwischen religiösen Akteuren

Untersucht wurde auch, inwieweit Potenzial für eine Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen und nicht-religiösen Akteure besteht, oder ob die unterschiedlichen Weltsichten eher zu Problemen führen.

Denn häufig, wenn von dem Zusammentreffen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen die Rede ist, geht es um Konflikte (wie zum Beispiel beim Nahost-Konflikt oder Debatten um eine christliche Leitkultur in einer pluralen deutschen Gesellschaft). Darum scheint es erstaunlich, dass die verschiedenen Sprecher*innen in dem Dialog stets auf Gemeinsamkeiten abgestellt haben. Sie sprachen zwar offen über Unterschiede in Herangehensweisen an die Klimaproblematik (die Europäische Humanistische Föderation und die liberale „Renew Europe“ Fraktion zeigten beispielsweise die größten ideologischen Unterschiede zu den religiösen Gruppierungen), und versuchten dennoch, stets die gemeinsame Problemwahrnehmung herauszustellen. Schon der Name des Dialogs kann dahingehend verstanden werden: „Preserving our Common Home“ – die gemeinsame Heimat aller bewahren.

Die Sprecher*innen in dem Dialog waren sich einig, dass für eine erfolgreiche Strategie gegen den Klimawandel alle Akteure zusammenarbeiten müssten – also die verschiedenen Religionen miteinander, aber auch die nicht-religiösen Akteure mit den Religionen.

Spannend ist auch die Erkenntnis, dass das Potenzial religiöser Normen im Klimadiskurs, gerade nicht nur von religiösen Akteuren gesehen wird, sondern dass auch politische und wissenschaftliche Vertreter*innen dem religiösen Engagement und Werten einen positiven Einfluss auf den Klimadiskurs zugesprochen haben. So sagte zum Beispiel der Vizepräsident der Europäischen Kommission: „Your work and advocay have allowed the promotion of a comprehensive holistic approach to ecology. You have in the past and you will be continuing in the future to ensure that the spiritual, ethical, the social dimension of ecology are better understood and taken into account when talking about the environment.” (Übersetzung: „Ihre Arbeit und Ihr Einsatz haben die Förderung eines umfassenden, ganzheitlichen Ansatzes in der Ökologie ermöglicht. Sie haben sich in der Vergangenheit und werden sich auch in Zukunft dafür einsetzen, dass die spirituelle, ethische und soziale Dimension der Ökologie besser verstanden und berücksichtigt werden, wenn über die Umwelt gesprochen wird.“)

Mit religiösen Werten könnten so auch Menschen erreicht werden, die sonst möglicherweise nicht überzeugt werden könnten, ihren Lebensstil zu ändern. Dieser Zusammenhang wurde auch in der Vergangenheit schon wissenschaftlich untersucht. So schreiben beispielsweise Morrison et al. (2015), dass Religionen durch das Einfügen von Werten in den Klimadiskurs, ihre Mitglieder zu einem Umdenken bewegen können.

Konfliktpotenzial?

Trotzdem wurden beim Dialog auch potenzielle Konfliktlinien aufgezeigt. So hat eine Person aus dem Publikum angemerkt, dass einige traditionelle religiöse Werte dem Handeln gegen die Klimakatastrophe wohl eher im Weg stehen würden. Als Beispiele nannte sie konservative Einstellungen zur Familienplanung und Verhütung. Diese würden der Rettung des Klimas im Zusammenhang mit einer ansteigenden Weltbevölkerung wohl eher entgegenstehen. [Anmerkung der Redaktion s.u.] Ein anderer Zuschauer sagte, dass es in der Bibel heiße, dass der Mensch über die anderen Lebewesen herrsche, und dass dies nicht besonders gut mit der Rettung der Erde zusammenpasse.

Diese beiden Beispiele verdeutlichen, dass religiöse Werte sowohl von Religion zu Religion als auch von nicht glaubensbasierten Akteuren unterschiedlich verstanden werden können. Das birgt das Potenzial für Normkonflikte.

Daneben zeigte sich bei einigen Akteuren im Dialog auch eine Unkenntnis gegenüber nicht-christlichen Werten. Während christliche klimapolitische Motive bei den Teilnehmer*innen bekannt schienen, wurde etwa das muslimische Motiv eines Öko-Jihads verwundert aufgenommen. In diesem Zusammenhang war nämlich nicht bekannt, dass das Wort Jihad auch mit einer positiven Konnotation verwendet werden kann. (Wenn ihr noch mehr zum Thema Islam und Umweltethik lesen möchtet, empfehle ich euch diesen Beitrag: http://nach-haltig-gedacht.de/2021/11/16/zu-den-herausforderungen-islamischer-umweltethik/)

Fazit

Insgesamt hat die Untersuchung des Dialogs ergeben: Glaubensbasierte Akteure sind im Diskurs um die europäische Klimapolitik eingebunden. Sie bringen spezifische glaubensbasierte Werte ein, die bestimmte Bevölkerungsschichten zum Handeln motivieren können, aber auch generelle klimapolitische Ziele mit tiefverwurzelten Werten anreichen und somit Bedeutung geben können. Und obwohl auch potenzielle normative Konfliktlinien zwischen den verschiedenen Akteuren bestehen – die religiösen Vertreter*innen sind sich ihrer Verantwortung bewusst und versuchen alle an einem gemeinsamen Strang zu ziehen, um zusammen die Erde zu bewahren.

Über diesen Beitrag:

Der Blogbeitrag basiert auf einem Artikel von Hannah Klinkenborg und Doris Fuchs im Journal for Religion, Society and Politics. Der Artikel ist in voller Länge hier verfügbar: https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs41682-021-00082-0

Über die Autorin:

Adline Conring arbeitet als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und nachhaltige Entwicklung am Institut für Politikwissenschaften der Universität Münster.

Quellen:

Morrison, Mark, Roderick Duncan, and Kevin Parton. 2015. Religion does matter for climate change attitudes and behavior. PLoS one https://doi.org/10.1371/journal.pone.0134868.

Beitragsbild:

erstellt mit canva.com

[Anmerkung der Redaktion: Bevölkerungswachstum wird an dieser Stelle als Grund für die Klimakrise und deshalb Geburtenkontrolle als mögliche Lösung gesehen. Diese Argumentation ist jedoch strittig und in vielerlei Hinsicht problematisch! Mehr dazu z.B. in diesem Artikel des Deutschlandfunks.]