„Reset Stories“: Können Erfahrungen aus der Pandemie zur sozial-ökologischen Transformation beitragen?

Nachdem die Lehren aus dem ersten Lockdown 2020 gezogen worden waren, begann die Rapid Transition Alliance Anfang 2021 mit Unterstützung von ClimateWorks, die sich während der Pandemie abzeichnenden Verhaltenstrends und systemischen Veränderungen zu untersuchen. Anhand zahlreicher Erfahrungsberichte analysierten die Forscher*innen, wie sich neue Verhaltensweisen als positiv für eine zukünftige kohlenstoffarme Welt erweisen könnten. Zwei der großen Veränderungen, die die Rapid Transition Alliance feststellte, waren ein gesteigertes Bewusstsein für unseren eigenen übermäßigen Konsum in den wohlhabenderen Teilen der Welt sowie eine enorme Verringerung dessen, was zu „unnötigen Reisen“ wurde – einschließlich Pendeln, Urlaub und Geschäftsreisen. Die kurzen Geschichten, die die Rapid Transition Alliance auf ihrer Website in der sog. „Reset-Series“ zusammengestellt hat, betrachten einige der (Verhaltens-) Veränderungen aus diesen beiden Bereichen, die unter Umständen dabei helfen könnten, den raschen Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft zu schaffen. Dieser Blogartikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse.

Unsere Konsumgesellschaft im Wandel

Während des Lockdowns waren die Menschen gezwungen, sich in ihre eigenen vier Wänden zurückzuziehen und soziale Kontakte weitestgehend zu meiden. Viele Menschen arbeiteten zum ersten Mal von zu Hause aus oder waren beurlaubt. Durch diese Einschränkungen sowie Zeiteinsparungen durchs Homeoffice hatten einige Menschen jedoch auch die Gelegenheit, neuen Hobbies nachzugehen. Der Lockdown löste beispielsweise eine regelrechte Renaissance des Reparierens, Nähens und Selbermachens aus. Neben der Aneignung von neuen Fähigkeiten schlossen sich Menschen teilweise auch in Gemeinschaften zusammen, was das emotionale Wohlbefinden der Menschen während der Pandemie verbessern und den sozialen Zusammenhalt stärken konnte. Beispielsweise haben sich in der brandenburgischen Stadt Jüterbog Geflüchtete zusammengetan, um Gesichtsmasken für ältere Bewohner des örtlichen Altenheims zu nähen. Einige dieser Geflüchteten hatten in ihren Heimatländern Nähwerkstätten betrieben und brachten ihre Fähigkeiten und Erfahrungen ein, um ihren neuen Gemeinschaften in einer Zeit der Not zu helfen. Tatsächlich gibt es zahlreiche neurologische Untersuchungen, die zeigen, dass der praktische Einsatz unserer Hände, sei es beim Reparieren von Altem oder beim Schaffen von Neuem, die psychische Gesundheit fördern kann. Upcycling ist somit nicht nur gut für die Umwelt, sondern kann auch positive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit der Menschen haben.

Darüber hinaus änderte sich während der Pandemie die Einstellung vieler zu Kleidung, Mode und Einkaufen in einer Weise, die für unser Wohlergehen und eine nachhaltigere Zukunft eine gute Nachricht sein könnte: Viele Menschen begannen, ihre Einkäufe zu reduzieren, indem sie Kleidung tauschten, High-Fashion für besondere Anlässe mieteten, anstatt sie zu kaufen, alte Lieblingsstücke wiederverwendeten oder unerwünschte Artikel über Secondhand-Plattformen weiterverkauften. In der Tat ist die Modebranche einer der größten und umweltschädlichsten Wirtschaftszweige der Welt und müsste – einem Bericht aus dem Jahr 2020 zufolge – ihre jährlichen Emissionen bis 2030 auf etwa die Hälfte des derzeitigen Wertes reduzieren, um die relative Sicherheit des international vereinbarten 1,5-Grad-Klimapfades zu erreichen (Mehr zu diesem Thema in diesem Blogbeitrag). Ein großer Teil davon könnte durch Verbesserungen der Energieeffizienz und den Übergang zu erneuerbaren Energien erreicht werden, aber etwa 21 % könnten direkt durch die Art von Änderungen im Verbraucher*innenverhalten erreicht werden, die sich während der Pandemie gezeigt haben.

Das Ende von Geschäftsreisen?

Die Corona-Pandemie hat zudem zahlreiche Potenziale für den Wandel zu mehr nachhaltiger Mobilität aufgezeigt. Als die Pandemie ausbrach und die Bevölkerung angehalten wurde, möglichst von zu Hause aus zu arbeiten, wurden Geschäftsreisen plötzlich überflüssig bzw. waren nicht erlaubt. Der kometenhafte Aufstieg von Zoom und Microsoft Teams machte die Vernetzung, Zusammenarbeit und das Arbeiten mit Menschen auf der ganzen Welt für Millionen von Menschen zu einer zugänglichen Realität. Diese virtuellen Plattformen wurden von einigen Unternehmen bereits seit einigen Jahren genutzt, aber für die Mehrheit der Menschen galten persönliche Treffen immer noch als die respektvollere und angemessenere Art der Kommunikation. Plötzlich war das Angebot eines Online-Meetings nicht nur akzeptabel, sondern eine Erleichterung, da nicht nur Zeit und finanzielle Ressourcen, sondern auch Energie eingespart werden konnte. Einige der größten Unternehmen der Welt – Google, Amazon und HSBC – berichteten jeweils über Kosteneinsparungen durch weniger Geschäftsreisen in der Größenordnung von 1 Milliarde Dollar. Die Erzielung derartiger Kosteneinsparungen bei minimaler Beeinträchtigung der täglichen Abläufe ist ein guter Grund, eine Rückkehr zu einem vor der Pandemie liegenden Niveau der Geschäftsreisen in Erwägung zu ziehen. 

Hinzu kommt ein wachsendes Umweltbewusstsein der Unternehmen, das insbesondere durch die Notwendigkeit, bei der Einstellung neuer Mitarbeitenden wettbewerbsfähig zu sein, angetrieben wird – denn vor allem bei der Anwerbung junger Talente ist die Umweltbilanz wichtig. Für viele transnationale Unternehmen ist der Verzicht auf Geschäftsflüge die schnellste und wirkungsvollste Möglichkeit, den CO2-Ausstoß ihres Unternehmens zu verringern. Etwa 90 % der Emissionen von Geschäftsreisen stammen aus dem Flugverkehr, und Business Class Reisen sind bis zu dreimal emissionsintensiver als die Economy Class. Nicht zuletzt hat der Rückgang von Geschäftsreisen oftmals auch einen positiven Einfluss auf die eigene Work-Life-Balance geführt: So wurde in einer Studie ein eindeutiger Zusammenhang zwischen internationalen Geschäftsreisen und schlechter psychischer Gesundheit festgestellt: 45 % der Befragten gaben an, dass sie sich auf Geschäftsreisen gestresster fühlten, und 31 % sagten, dass sie sich emotional erschöpft fühlten. Ähnliches gilt auch fürs tägliche Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz. Auch hier kann eine Homeoffice-Möglichkeit Stressreduzierung bedeuten.

Die weltweite Pandemie könnte somit das Ende des Geschäftsreiseverkehrs eingeläutet haben. Es ist zwar noch zu früh, um das mit Sicherheit sagen zu können, aber die ersten Zahlen deuten darauf hin, dass wir 2019 den Höhepunkt der Geschäftsreisen erlebt haben könnten. Eine Umfrage unter 45 Großunternehmen in den USA, Asien und Europa bestätigt diese Behauptung: Bis zu 84 % der Unternehmen planen, nach dem Abklingen der Pandemie weniger für Reisen auszugeben und Reisebudgets zwischen 20 und 40 % zu kürzen.

Das Revival des Fahrrads

Das klimafreundliche Fahrrad, das von vielen Stadtplaner*innen immer noch übersehen wird, erlebte während des Lockdowns ein Revival. Obwohl es nur wenige Hinweise darauf gab, dass die Virusübertragung in öffentlichen Verkehrsmitteln höher war, suchten Bürger*innen in aller Welt nach alternativen Fortbewegungsmöglichkeiten. In New York beispielsweise sanken die Fahrgäst*innenzahlen in Bussen und Bahnen um 74 %.

Das Fahrrad erwies sich als eines der zugänglichsten und zuverlässigsten Verkehrsmittel während des Lockdowns: Daten aus über 100 europäischen Städten zeigten, dass die Radfahrer*innenzahlen im Durchschnitt zwischen 11 % und 48 % stiegen, was u.a. dank der besseren Luftqualität und mehr Bewegung im Alltag einen gesundheitlichen Nutzen von 1 Mrd. bis 7 Mrd. USD mit sich brachte. Regierungen und Unternehmen unterstützten diesen Trend (z.B. durch den Ausbau von Angeboten für Leih- und Lastenfahrräder) und nutzten den vorübergehenden Rückgang des motorisierten Straßenverkehrs als Gelegenheit, das Straßenbild zugunsten des Fahrrads umzugestalten. Ein Beispiel dafür sind vielerorts spontan entstandene Pop-Up Radwege. Bis Juli 2020 wurden in europäischen Städten fast 2.600 km neue Radverkehrsinfrastruktur angekündigt und etwa 1.500 km davon umgesetzt. Die Regierungen und Stadtverwaltungen erkannten zudem schnell, dass die Förderung von Fahrrädern eine Möglichkeit wäre, die Luftverschmutzung zu verringern, die weltweit für etwa 4,2 Millionen Todesfälle pro Jahr verantwortlich ist. Die französische Regierung stellte beispielsweise 20 Millionen Euro bereit, damit alle Bürger*innen Anspruch auf Fahrradreparaturen in Höhe von bis zu 50 Euro haben und verwandelte Parkplätze in Fahrradunterstände.

Letztlich bietet das Fahrrad als Verkehrsmittel Vorteile für die Gesundheit, die Verringerung der Umweltverschmutzung und das Wohlbefinden, denn es ermöglicht den Menschen, ihre Umgebung direkter zu genießen und sich besser mit der Natur und ihrer Gemeinschaft verbunden zu fühlen (Mehr zum Thema in diesem Blogbeitrag).

Fazit: Arbeiten. Einkaufen. Essen. Schlafen. Wiederholen. – ?

In den Konsumgesellschaften scheint es manchmal so, als gäbe es nicht viel mehr im Leben als Geldverdienen und Geldausgeben. In den Tagen vor der Pandemie wollte das kapitalistische Wirtschaftssystem, dass sich die Menschen wie egoistische, wettbewerbsorientierte Individuen verhalten. Doch in der Pandemie haben Millionen von Menschen Opfer gebracht, um anderen zu helfen und die öffentliche Sicherheit und Gesundheit in den Vordergrund zu stellen. Außerdem überdachten Millionen von Menschen, die in den Konsumzyklus „Arbeiten und Ausgeben“ eingebunden waren, was ihnen wirklich wichtig ist. 

Die in diesem Beitrag vorgestellten Beispiele im Bereich Überkonsum und Mobilität zeigen, dass die Corona-Pandemie für Nachhaltigkeit und die sozial-ökologische Transformation auch Potenziale mit sich bringen konnte. Inwieweit diese Verhaltensänderungen tatsächlich nachhaltig und von Dauer sind, bleibt jedoch abzuwarten.

Quellen:

Dieser Blogbeitrag basiert im Einzelnen auf den Inhalten der folgenden Reset-Stories, auf die unter diesem Link zugegriffen werden kann: https://www.rapidtransition.org/resources/the-reset-series/

  • Cars – The end of the love affair
  • Repair & Maintenance
  • The death of business travel
  • Getting on your bike
  • Loving making clothes last
  • Commuting (not) to a healthier and happier future
  • The starring new role of urban micro-mobility

Leseempfehlungen:

Weitere Blogbeiträge im Kontext Pandemie und Nachhaltigkeit

Fuchs, D. (2020): Was bleibt?

Sonnberger, M., Leger, M. & Stockmann, N. (2020): Corona verändert unseren Alltag – aber wie nachhaltig?

Prokopf, C. (2020): Das Unbekannte vs. die Menschheit: Was uns die Corona-Krise (vielleicht) lehren wird

Redaktion:

Sabrina Vahldiek, B.A. & Lilli Möller, B.A.

Beitragsbild:

Website der Rapid Transition Alliance