Es gilt, umzudenken: Über das Nachhaltigkeitspotential von Palmöl

Joachim Jose

Um von einer vom Mehrwert getriebenen Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen, auf Kreisläufen beruhenden Bioökonomie zu kommen, braucht es u.a. die Bereitschaft zum Perspektivwechsel, zur Aufgabe gewohnter (und liebgewonnener) Abläufe und zur kritischen Reflektion von Tabus. Und das von allen Beteiligten. Die größten Erfolgsaussichten zur Erreichung dieses Ziels liegen zum jetzigen Zeitpunkt (d.h. also ganz zu Beginn des Transformationsprozesses) im Verzicht, dem Einsparen von Energie oder Verpackung, im bewussten Umgang und reduzierten Verbrauch von Ressourcen allgemein, vor allem auch von Nahrungsmitteln und Wasser. In den notwendigen nächsten Schritten müssen jedoch neue Ressourcen zugänglich gemacht werden, die vielleicht schon immer vorhanden waren, aber bisher als sogenannter „Abfall“ nicht als solche erkannt oder genutzt wurden. Dies lässt sich beispielhaft an der Palmölproduktion verdeutlichen. Palmöl und der dazugehörige Produktionsprozess haben aus mehreren Gründen zurecht ein schlechtes Image. Gleichzeitig wohnt jedoch beidem ein erhebliches Potential inne, im Rahmen einer biobasierten Kreislaufwirtschaft sowohl zu einem nachhaltigen Produkt als auch zu einem nachhaltigen Prozess zu werden.  

Palmöl – als Rohstoff bedeutend, als Regenwaldkiller fatal

Palmöl steht zurecht in der Kritik. Die Vernichtung riesiger Flächen an Regenwald, vor allem in Indonesien und Malaysia, zugunsten von Plantagen mit Ölpalmen-Monokulturen bedeutet die Zerstörung der lokalen Biodiversität und hat irreversible Konsequenzen für die planetaren Ökosysteme. Steht man in Malaysia (Sabah, Borneo) auf einer solchen Plantage, liegt der Blick in jeder Richtung bis zum Horizont auf einförmigen Reihen von Palmen. Auf den Plantagen werden die Fruchtbüschel mit den orangefarbenen, Taubeneier-großen Palmfrüchten (s. Bild rechts oben) mit Sattelschleppern in die zentral gelegene Mühle gebracht. Dort werden die Früchte durch kurzes Aufkochen aus den Fruchtständen herausgelöst, und aus dem Fruchtfleisch und den Kernen werden durch Vermahlung Öle in unterschiedlicher Qualität gewonnen. Der größte Vorteil im Anbau der Ölpalme liegt darin, dass der Ertrag an Öl pro Hektar um 4 bis 8 mal größer ist als bei vergleichbaren Ölen aus Soja, Sonnenblumen oder der Kokospalme, die ähnlich eingesetzt werden können. Außerdem lässt sich Palmöl gut verarbeiten, enthält wertvolle Inhaltsstoffe für viele unterschiedliche Produkte und eröffnet so die Möglichkeit, Wertstoffe im Rahmen einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu erzeugen. Die technisch verwertbaren Inhaltsstoffe des Palmöls, die Erdöl-basierte Produkte wie z.B. Tenside ersetzen können, erlauben darüber hinaus einen zunehmenden Verzicht auf fossile Quellen.

Chancen für einen Perspektivwechsel: Mittels Kreislaufwirtschaft weg vom schlechten Image

Um diese Vorteile und Potentiale des Palmöls weiterhin nutzen zu können, aber dennoch Nachhaltigkeit zu gewährleisten, gibt es verschiedene Initiativen zur Etablierung und Zertifizierung von Nachhaltigkeitskriterien beim Anbau von Ölpalmen. Sie sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht hinreichend.  Derzeit gilt Dieselkraftstoffen zugesetztes Palmöl in der EU nicht mehr als nachhaltig und der entsprechende Einsatz soll bis 2030 schrittweise auf null zurückgehen.  Es ist tatsächlich fraglich, ob Palmöl – unabhängig von der Nachhaltigkeitsbewertung als Rohstoff – zur Nutzung in Verbrennungsmotoren auf Dauer nicht auf jeden Fall zu schade ist.

Mehr Nachhaltigkeit kann im Sinne der Kreislaufwirtschaft über die Nutzung des Abfalls, der bei der Palmölproduktion entsteht, erreicht werden: ein Abfallprodukt, das auf der Palmölmühle in riesigen Mengen anfällt, ist beispielsweise das Wasser, mit dem die Früchte aus den Fruchtständen gelöst wurden. Dieses wird in Teiche geleitet, um dort zu verdunsten, wobei die Fermentation durch Bakterien unter Luftausschluss im Wasser zu großen Mengen des Treibhausgases Methan führt. Erste Ölmühlenbetreibende haben damit begonnen, das Gas in Zeltkonstruktionen aufzufangen und damit in Biogasanlagen Strom zu produzieren. Dieser wird zur Versorgung der Mühle eingesetzt, die von einer regulären, infrastrukturellen Stromversorgung viel zu weit entfernt ist: Die Mühlen liegen inmitten der riesigen Plantagen. Es dauert oft mehrere Stunden, bis man von der Ölmühle durch die Plantage zu einer Straße mit Stromversorgung gefahren ist. Bislang wird der Strom auf den Palmölmühlen mit Dieselgeneratoren erzeugt. Sinnvoll und nachhaltiger ist es, den Strom mit Biogas aus dem anfallenden Abwasser in Biogasanlagen herzustellen. Die Regierung in Malaysia verlangt, dass alle neu eingerichteten Ölmühlen mit einer entsprechenden Biogasanlage ausgestattet sind und die bestehenden Mühlen nachgerüstet werden. Bislang ist es das Ziel, den momentan Anteil von 35 % Ölmühlen mit Biogasanlagen sukzessive auf 100 % zu steigern, um das geschätzte Potential von 500 MW zu nutzen.

Das zweite Abfallprodukt, das in großen Mengen anfällt, sind die leeren Fruchtstände, aus denen die Palmfrüchte herausgelöst wurden. Wir sprechen hier von etwa 20 Tonnen pro Tag in einer durchschnittlich großen Palmölplantage, weltweit von etwa 60 Millionen Tonnen pro Jahr. Da in Malaysia das Verbrennen der Fruchtstände aus nachvollziehbaren Umweltschutzgründen nicht mehr erlaubt ist, wird nach anderen Möglichkeiten der stofflichen Nutzung gesucht. Ein erheblicher Anteil wird kompostiert und als Dünger wieder auf den Plantagen ausgebracht. Dies deckt jedoch nur einen Teil der anfallenden Fruchtstände ab. Die Haldenlagerung ist keine dauerhafte Lösung, da zum Schutz des Regenwaldes keine weiteren Flächen mehr gerodet werden dürfen. Ein möglicher Lösungsansatz ist, die in den Fruchtständen in Form von Biopolymeren vorhandenen Wertstoffe (v.a. Cellulose, Hemicellulose und Lignin) herauszulösen und im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft wieder der Wertschöpfungskette zuzuführen. Einem Zusammenschluss von deutschen und malaysischen Arbeitsgruppen sowie einer Palmölmühle aus Sabah (Borneo) ist es gelungen, unter Verwendung von speziellen Bakterien, die Enzyme an der Oberfläche tragen, die Cellulose aus den Fruchtständen zu Glukose umzusetzen. Diese kann dann entweder der Biogasgewinnung zugeführt werden, zu anderen Biotreibstoffen, z.B. Bioethanol, umgewandelt werden oder zu anderen Wertstoffen weiter fermentiert werden. Der Vorteil ist, dass der Prozess vor Ort, also auf der Palmölmühle, durchgeführt werden kann. Wasserdampf zur Vorbehandlung der Fruchtstände und mit Nährstoff angereichertes Wasser sind aus der Ölproduktion vorhanden, es gibt eine Infrastruktur mit analytischem Labor, die angepasst werden kann. Damit entfallen Transportkosten in beide Richtungen.

Zusammengefasst:

Palmöl an sich ist ein pflanzliches Produkt, das mit Blick auf seinen hohen Wertstoffgehalt und seine vielfältige Anwendbarkeit als Modellbeispiel für die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten einer biobasierten nachhaltigen Kreislaufwirtschaft mit ihren Potentialen dienen könnte. Die Vernichtung des Regenwaldes und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf Biodiversität und die lokalen und globalen Ökosysteme sind nicht wieder rückgängig zu machen. Das daraus resultierende negative Image haftet. Mit der Durchsetzung von nachhaltigen Anbaumethoden durch Zertifizierung und dem Verbot des Flächenaufwuchses sind wichtige erste Schritte dagegen getan.

Die Verwertung von Abfallstoffen aus der Palmölproduktion zur Gewinnung von Bioenergie und nachhaltigen Rohstoffen könnte darüber hinaus sowohl die ökonomische, aber vor allem auch die ökologische Bilanz von Palmöl verbessern. Damit es dazu kommt, braucht es allerdings einen Perspektivwechsel der Beteiligten, der Palmölmühlenbetreiber*innen, der Konsument*innen, der Importländer wie der EU, der Exportländer wie Malaysia, aber auch der Öffentlichkeit.

Hier hätten wir dann ein gutes Beispiel dafür, dass es lohnen kann, wenn etwas festgefahren ist oder nicht mehr geändert werden kann, den Standpunkt dazu zu ändern, um einen Schritt voranzukommen. Palmöl bietet die Chance über Kreislaufwirtschaft wertvolle Stoffe, die in vielen Bereichen gebraucht werden, nachhaltig zu produzieren. Auf dem Weg zur Etablierung einer funktionellen Kreislaufwirtschaft, für die weitere Investitionen zur Forschung und Entwicklung innovativer Technologien und Prozesse notwendig sind, scheint nicht der Verzicht oder der Boykott von Palmöl, sondern der gezielte Verbrauch von zertifiziertem Palmöl die beste Übergangslösung zu sein.      

Über den Autor:

Prof. Dr. Joachim Jose, Lehrstuhl für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der Universität Münster, hat sich in mehreren BMBF geförderten Projekten mit der enzymatischen Umwandlung pflanzlicher Biomasse in Basischemikalien beschäftigt und arbeitet an einer Biotechnologie-basierten nachhaltigen Chemie, mit Methoden, die auch zur Wirkstoffentwicklung und Wirkstofftestung eingesetzt werden können.

Mehr zum Thema Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft auf dem Blog:

Forschungsprojekt BIOCIVIS:

  • http://nach-haltig-gedacht.de/2020/05/13/mit-t-shirts-aus-kaffeesatz-zur-nachhaltigen-wirtschaft/
  • http://nach-haltig-gedacht.de/2020/07/21/mikroskopisch-klein-und-faszinierend-facettenreich-was-mikroorganismen-mit-einer-nachhaltigeren-zukunft-zu-tun-haben/
  • http://nach-haltig-gedacht.de/2020/11/24/auf-dem-weg-zur-bio-oekonomie-von-der-biologie-lernen/
  • http://nach-haltig-gedacht.de/2021/05/18/mit-biooekonomie-in-eine-nachhaltige-zukunft-erklaerungen-moeglichkeiten-und-herausforderungen/

Projekt „Nachhaltige Reifen aus Löwenzahn“:

Nachhaltige Reifen aus Löwenzahn

SABio Projekt:

Bioökonomie und Nachhaltigkeit in Südamerika: erste Einblicke aus dem SABio Projekt

Beitragsbild:

Bildbeschreibung: (von links oben nach rechts unten):

  • Blick über eine Palmölplantage in Malaysia (Sabah, Borneo)
  • Ein mit Palmölfruchtständen beladener LKW erreicht die Mühle und wird gewogen
  • Abgeladene Palmölfruchtstände vor der Weiterverarbeitung
  • Schnitt durch eine Palmölfrucht mit Kern
  • Sprühanlagen zur „Verdunstung“ von flüssigem Palmölabfall
  • Planen zum Sammeln des Biogases über einem Flüssigabfallteichen
  • Biogasanlage auf einer Palmölmühle in Malaysia (Sabah, Borneo)
  • Deponierung der leeren Fruchtstände

Bildrechte:

Die Rechte an den einzelnen Bildern der Collage und der gesamten Collage liegen beim Autor dieses Beitrages.

Redaktion:

Lilli Möller, B.A. und Sabrina Vahldiek, B.A.