Herausforderungen auf dem Weg in eine nachhaltige Bioökonomie – Erste Erkenntnisse aus dem Projekt BIOCIVIS

Lilli Möller, Victoria Hasenkamp und Wiebke Walleck

Die fossilen Rohstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen, ist das Ziel der Bioökonomie. Trotzdem ist Bioökonomie nicht automatisch ein nachhaltiges Konzept. Nicht zuletzt braucht es für eine nachhaltige Bioökonomie die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an  entsprechenden Entscheidungen. Denn diese werden bisher häufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit von Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Expert*innen gefällt. Obwohl vielfach gefordert, werden Partizipationsformate zur Bioökonomie aktuell nur selten durchgeführt. Die Forscher*innen im Projekt BIOCIVIS haben vor diesem Hintergrund in den vergangenen drei Jahren untersucht, wie zivilgesellschaftliche Beteiligung für eine nachhaltige Bioökonomie aussehen und gestaltet werden kann. Dafür wurden im Frühjahr und Sommer 2021 und 2022 insgesamt drei verschiedene Dialogveranstaltungen, die sog. Biodialoge, organisiert und durchgeführt. Auf Basis der Erkenntnisse aus den Biodialogen sollen zum Abschluss des Projekts Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis zur Gestaltung von Partizipationsformaten (in der Bioökonomie) erarbeitet werden. Dieser Blogbeitrag stellt die Herausforderungen vor, die bisher im Laufe des Projekts aufgetreten sind und die Lehren, die aus den Ergebnissen gezogen werden können.

Wann ist Bioökonomie nachhaltig?

Zum Thema Bioökonomie und der dazugehörigen Biotechnologie sind auf diesem Blog bereits einige Artikel mit unterschiedlichen Schwerpunkten erschienen: Ob die Herstellung von Insulin, Abwasserreinigung mithilfe von Mikroorganismen, Reifen aus Löwenzahn-Kautschuk oder die Energiegewinnung aus Biomasse z.B. in Biogasanlagen – all diese bioökonomischen Prozesse und Produkte (und noch viele mehr) werden durch innovative, biotechnologische Verfahren ermöglicht. Und immer wieder wird festgestellt: Bioökonomie kann nachhaltig sein bzw. Nachhaltigkeit fördern, ist es bzw. tut es aber nicht von vornherein. Denn um von einer nachhaltigen Bioökonomie sprechen zu können, müssen viele Voraussetzungen auf ökonomischer, ökologischer und sozialer Ebene erfüllt sein. Dazu gehören etwa Ressourcenschonung, geringe Treibhausgas-Emissionen und die Garantie fairer Arbeitsbedingungen, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Auch wenn es noch allzu oft vergessen wird: Eine zentrale Komponente von Nachhaltigkeit ist Gerechtigkeit. Und damit einhergehend die Frage: Wer entscheidet über das, was umgesetzt werden soll? Wen betrifft eine Maßnahme inwiefern, und wie werden kurzfristige und langfristige Kosten verteilt? Deshalb ist die Beteiligung der Zivilgesellschaft an Entscheidungen für eine nachhaltige Bioökonomie von großer Relevanz. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Schnittstelle der Themenbereiche des Forschungsprojekts BIOCIVIS: Es geht um die Verknüpfung von Bioökonomie auf der einen und bürgerschaftlicher Partizipation und damit der Stärkung der demokratischen Teilhabe auf der anderen Seite. Und wenn man es genau nimmt, ergeben sich schon aus diesem Anspruch fast alle der Herausforderungen, auf die die Forscher*innen gestoßen sind.

Herausforderung 1: Komplexität verständlich, aber umfassend vermitteln

Ein Ziel der Biodialoge war es, dass alle Teilnehmenden (egal mit welchem Hintergrund und mit wie viel Vorwissen) am Ende eine begründete Meinung zu Fragen der Nachhaltigkeit in der Bioökonomie entwickeln können. Deshalb galt es, zu überlegen: Wie können wir die komplexen und vielschichtigen Themen Bioökonomie, (mikrobielle) Biotechnologie und Nachhaltigkeit allen Teilnehmenden in begrenzter Zeit möglichst gut verständlich, neutral (d.h. ohne eine Meinung bereits vorzugeben) und gleichzeitig umfassend vermitteln?

Es zeigte sich, dass insbesondere die Kombination verschiedener Methoden zur Wissensvermittlung einen wichtigen Beitrag dazu leistete. So wechselten sich Input-Vorträge von verschiedenen Interessensvertreter*innen aus Theorie und Praxis mit anschließenden Fragerunden und Gesprächen, Diskussionen im Plenum oder in Kleingruppen oder sog. Fish-Bowls ab. Darüber hinaus rundeten Live-Experimente, Geschichten mit Alltagsbezügen oder Zukunftsszenarien, spielerische Elemente, informative Videos und eine Ausstellung mit bioökonomischen Alltagsprodukten, der Gallery Walk, das Informationsangebot ab.

Positives Feedback erhielten darüber hinaus das Rahmenprogramm der Dialoge, wie etwa Führungen durch den Botanischen Garten bzw. durch den Klostergarten des Kapuzinerklosters, sowie die visuelle Sicherung der Diskussionsergebnisse für die Teilnehmer*innen in Form von Graphic Recordings. Doch mit Informationen und dem Rahmenprogramm war es für die Teilnehmenden nicht getan: Anhand verschiedener Fragestellungen erarbeiteten sie Chancen und Risiken der Bioökonomie und Biotechnologie sowie Bedingungen an eine nachhaltige Bioökonomie. So formulierten die Teilnehmenden des dritten Biodialogs gemeinsam Kriterien für eine nachhaltige Bioökonomie.

Dennoch erwies sich der relativ kurze Zeitraum mit viel, teils komplexem, Input als herausfordernd für die Bürger*innen. Es stellt(e) sich die Frage: Können da wirklich immer alle mitgenommen werden?

Herausforderung 2: Rekrutierung der Teilnehmer*innen – großer Aufwand, gutes Ergebnis?

Eine bekannte Herausforderung von Beteiligungsveranstaltungen wie den Biodialogen ist es, eine möglichst repräsentative Gruppe an Bürger*innen als Teilnehmer*innen zu gewinnen. In Verbindung mit einem inhaltlich herausfordernden Thema, wie der Bioökonomie, ist sie nochmal größer.

Für beide Biodialoge in 2021 wurden die Teilnehmenden eigenständig über eine „Werbe-Kampagne“ durch das Projektteam rekrutiert: So wurde über Plakate, Flyer und mit der Unterstützung von sog. Gatekeepern in Münster, dem Münsterland, Hamm und Recklinghausen auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht und interessiere Bürger*innen konnten sich für die Teilnahme bewerben. Um vielen der bekannten, sog. Beteiligungshürden schon im Vorfeld entgegenzusteuern, wurde ein breites Angebot an Anreizen für das Engagement bei den Biodialogen ermöglicht: Fahrtkostenerstattung, Bereitstellung und Organisation von Unterkunft, Verpflegung und Kinderbetreuung und das Zahlen einer Aufwandsentschädigung. Trotz dieser Maßnahmen und des großen personellen Aufwandes bei der Rekrutierung bewarben sich nicht so viele Bürger*innen für die Teilnahme an den Biodialogen wie erhofft. Und auch trotz gezielter Nachrekrutierungen konnte aus den Bewerbungen keine wirklich gemischte Gruppe an Teilnehmenden im Hinblick auf die Kriterien Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss, Arbeitsbereich, Migrationshintergrund, Wahlverhalten, Einkommen, Familienstand und Religionszugehörigkeit ausgewählt werden. Besonders das Bildungsniveau und die Altersverteilung unterschieden sich wenig und bildeten keinen Querschnitt der Bevölkerung ab.

Aufgrund dieser Erfahrungen wurden die Bürger*innen für den 3. Dialog von einem externen Institut unter Rückgriff auf die Melderegister der drei Städte (Münster, Hamm und Recklinghausen) ausgewählt, wodurch eine höhere Repräsentativität der Teilnehmenden erreicht werden sollte. Die Umsetzung dieses Rekrutierungsansatzes war allerdings sehr kostspielig, weshalb er trotz Verbesserungen im Hinblick auf die Diversität der Teilnehmer*innen, bspw. bezüglich Bildungsabschlüssen und Altersdurchschnitt, hinter den Erwartungen des Projektteams zurückblieb.

Erste gewonnene Erkenntnisse

Was kann und muss also noch verbessert werden im Kontext nachhaltiger Bioökonomie und bürgerschaftlicher Partizipation? Welche Ideen gibt es hierfür? Um die Erkenntnisse des Projekts mit Wissenschaft, Politik und Praxis zu teilen, entwickelt das BIOCIVIS-Projektteam Empfehlungen für die konkrete Gestaltung von Partizipationsformaten in der Bioökonomie. Dabei sind auch die Ideen der Teilnehmer*innen ein wichtiger Baustein. Deutlich wurde hierbei besonders der Wunsch, dass die erarbeiteten Ergebnisse auch einen Einfluss auf politische Entscheidungen haben und  sich das persönliche Engagement auszahlen solle. Diese Punkte nannten die Teilnehmenden auch als wichtigen Anreiz, an partizipativen Dialogformaten teilzunehmen. Jedoch ist die Integration der von Bürger*innen erarbeiteten Ergebnisse in demokratische Prozesse eine besondere Herausforderung, da sie nur schwer planbar ist. Organisator*innen solcher Beteiligungsformate können daher kaum garantieren, dass Ergebnisse im politischen Alltag beherzigt und umgesetzt werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich mit Blick auf die Projektziele bereits folgende Punkte festhalten:

Die erfolgreiche Diskussion von Bioökonomie und Nachhaltigkeit in Partizipationsformaten ist finanziell und organisatorisch herausfordernd und für Organisator*innen mit viel Aufwand in der Vorbereitung und der Durchführung verbunden. Die Zusammenstellung einer durchmischten Gruppe von Teilnehmer*innen erfordert bspw. eine aufwändige Rekrutierungsstrategie, die sehr personal- und kostenintensiv ist, so dass hier auch Kosten und Nutzen gegeneinander abgewogen werden müssen. Ein wichtiger Faktor war das Vermitteln von Wissen zu den Themen Bioökonomie und -technologie. Dieses sollte interessant und informativ aufgearbeitet sein, ohne jedoch die Teilnehmenden zu überfordern. Um dies zu erfüllen und gleichzeitig diverse Perspektiven aufzuzeigen, aber auch um  Wissenshierarchien zwischen den Bürger*innen und Expert*innen abzubauen, hat sich die Nutzung unterschiedlichster Ansätze und Methoden bewährt. Bürger*innen haben die Themen Nachhaltigkeit und Bioökonomie häufig bereits automatisch zusammengedacht, bewerteten sie jedoch sehr differenziert und reflektiert, was sich z.B. an den selbst erarbeiteten Kriterien für eine „gute“ nachhaltige Bioökonomie zeigt.

Diese Herausforderungen, denen BIOCIVIS im Laufe des Projekts begegnet ist, lassen sich auf viele Beteiligungsformate übertragen. Daher ist eine weiterführende Diskussion zur praktischen Umsetzung einer qualitativ guten Beteiligung insbesondere für komplexe Nachhaltigkeitsthemen, wie der Bioökonomie, nötig. Die endgültigen Ergebnisse des Forschungsprojekts BIOCIVIS und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen werden auf einer Tagung des Projekts am 17. Januar 2023 im Franz-Hitze-Haus vorgestellt und diskutiert.

Hintergrund:

Dieser Blogbeitrag ist der fünfte in einer Reihe von Artikeln, die im Rahmen des Projektes BIOCIVIS verfasst wurden (s. 1. Beitrag2. Beitrag3. Beitrag, 4. Beitrag).

Das Projekt wird unter der Leitung von Prof’in Doris Fuchs (Politikwissenschaft) und Prof. Bodo Philipp (Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie) an der Universität Münster durchgeführt. Es kreist um die Frage, wie Beteiligung zu Bioökonomie-Themen so gestaltet werden kann, dass ein gleichberechtigter Dialog zwischen Bürger*innen und anderen Akteur*innen gelingt. Das Projekt BIOCIVIS wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 031B0780 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Artikels liegt bei den Autorinnen.

Über die Autorinnen:

Alle drei Autorinnen sind Teil des BIOCIVIS-Projekt-Teams.

Lilli Möller, B.A., studiert im Master Humangeographie und arbeitet als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und nachhaltige Entwicklung des Instituts für Politikwissenschaft und am Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN) der Universität Münster.

Victoria Hasenkamp, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und nachhaltige Entwicklung am Institut für Politikwissenschaft und am ZIN.

Wiebke Walleck, M.Sc, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Mikrobielle Biotechnologie und Ökologie am Institut für Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie der Universität Münster.

Beitragsbild:

©BIOCIVIS, Universität Münster