Ein Earthship in Ungarn: Inspirationen für ein Leben innerhalb planetarer Grenzen 

Der nachfolgende Artikel ist im Original auf Englisch unter dem Titel „1.5° Lifestyles inspiration: A household, where all the problems of the world get to be dealt with“ auf dem Blog des EU-Forschungsprojekts 1.5 Lifestyles erschienen. Er wurde von der ZIN-Blog-Redaktion übersetzt und an einzelnen Stellen dem ZIN-Blogformat angepasst. 

Die Forscher*innen im EU-Projekt arbeiten mit verschiedenen Interessensvertreter*innen zusammen, um mehr über 1.5°-konforme Lebensstile zu erfahren: Welche Faktoren ermöglichen Bemühungen für diese Lebensweise, welche behindern sie? Als Teil dieses Lernprozesses befragen die Wissenschaftler*innen Bürger*innen, die in verschiedenen europäischen Ländern Pionier*innen des 1,5°-Lebensstils sind. 

Der Physiker Dr. István Dőry und seine Frau, die Lehrerin Magdolna Kéry, sind von der ungarischen Hauptstadt in ein kleines Dorf namens Egyházasfalu nahe der Westgrenze des Landes gezogen und leben seit 17 Jahren in einem renovierten, im Grunde autonomen Schusterhaus. Ihrer Meinung nach könnte das Haus als Weltraumstation dienen (oder als Erdschiff [engl. „Earthship“] wenn wir auf dem Boden bleiben wollen), da es ein lebensfähiges, autarkes System ist, das auch ohne externe Energiequelle auskommt.

Solange sie sich erinnern können, hatten beide einen starken Drang, ein nachhaltiges Leben zu führen: ein Leben, das den Ökosystemen vorzugsweise weniger wegnimmt, als es ihnen zurückgibt, eines, das weniger Schaden anrichtet, als die Ökosysteme in der Lage sind, zu reparieren.

Sie wollen nachhaltig leben? Halten Sie sich von diesen vier Dingen fern

Nach Ansicht von Dr. Dőry gibt es vier Hauptprinzipien (d. h. Strukturen, Institutionen usw.), die den derzeitigen städtischen Lebensstil nicht nachhaltig machen:

  1. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen: Sie gehen schneller zur Neige als sie nachwachsen. Das Öl geht fünf Millionen Mal schneller zur Neige als seine natürliche „Produktionszeit“.
  2. Die Abhängigkeit von Infrastrukturen (Pipelines, Abwassersystem, Strom, Straßen, Tankstellen usw.): Dies sind die Strukturen, die uns überhaupt erst dazu bringen, fossile Brennstoffe zu verbrauchen.
  3. Die Abhängigkeit von den Banken: Mit ihrer Kreditvergabe heizen die Banken die irrationale Nachfrage und die Überbeanspruchung der Ressourcen des Planeten an. Ihre Geldschöpfungsmechanismen erhalten und verschlimmern den (unhaltbaren) Zustand der ganzen Welt.
  4. Die Bevölkerungsdichte: In den Städten sind die Gehälter höher und die Infrastruktur besser, so dass die Menschen dort leben wollen. Städte haben jedoch eine Menge Nachteile – sie sind im Durchschnitt 6 Grad wärmer als Dörfer, um nur einen zu nennen…

Mit diesen Grundsätzen im Hinterkopf trafen die Dőrys eine umsichtige und bewusste Entscheidung: An einen Ort umzuziehen, an dem sie ihren Traum von einem nachhaltigen Leben endlich verwirklichen konnten. Sie suchten nach einem Ort auf dem Lande, wo:

  • es keine Hauptverkehrsstraßen gibt, also keine Luftverschmutzung durch den Verkehr, sondern man seine Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrädern oder sogar einem von der Sonne angetriebenen Fahrzeug, der „Solarschnecke“, aufrechterhalten kann;
  • sie das Haus mit hochwertigem trockenem Holz aus Ihrem eigenen Energiewald heizen können, das (im Sommer) mehr CO2 bindet, als der Holzofen (im Winter) ausstößt;
  • sie Sonnenkollektoren nutzen und mit dem Stromversorger zusammenarbeiten können, um Ihren Überschuss abzunehmen;
  • einen Garten für den Anbau von Lebensmitteln, die Haltung von Tieren und auch Platz für die Aufbereitung von Abwässern (mit einer Wurzelraumkläranlage) gibt;
  • sie eine Komposttoilette benutzen können, die sie ebenfalls von der Infrastruktur entbindet und Dünger für den Garten liefert;
  • sie einen eigenen Brunnen für Wasser haben;
  • sie Teil einer Gemeinschaft sind, in der sich Probleme leichter lösen lassen und auch die Nachhaltigkeit einfacher ist, als wenn Sie alles alleine machen müssten (z. B. Ihr Dach sanieren, lokale Lösungen für Probleme finden).

Nachdem sie den richtigen Ort und das richtige Haus gefunden hatten, brauchten die Dőrys sechs Jahre, um all ihre Ideen zu verwirklichen – einschließlich der Isolierung ihres Hauses – und sie gaben alles Geld, das sie von ihrem monatlichen Einkommen als Lehrerin und Dozent entbehren konnten, für alle notwendigen Renovierungen aus.

Die Elektrizität in ihrem Haus stammt von vier bewusst eingesetzten Solarpaneelen, die alle Haushaltsgeräte betreiben und im Winter auch die Wärme des Holzofens zirkulieren lassen. Die Stromrechnung der Familie beträgt 7 % der eines ungarischen Durchschnittshaushalts […], und die Familie ist nur sehr selten vom Stromnetz abhängig. Die Warmwasserbereitung erfolgt im Sommer über den Solarkollektor und im Winter über den Ofen.

Laut Dr. Dőry können wir fossile Brennstoffe nur dann aus unserem Leben verbannen und unseren Energieverbrauch erfolgreich reduzieren, wenn wir…

  • vor allem eine Suffizienz-Mentalität annehmen;
  • unsere Häuser dämmen;
  • auf eine (effektive) Biomasseheizung umsteigen und die richtige Menge an Biomasse anpflanzen (Energiewald) – nach seiner Ansicht und seinen Berechnungen sind dies 90 % der Lösung, um auf fossile Brennstoffe zu verzichten;
  • Sonnenkollektoren installieren, die die verbleibenden 10 % für den Verzicht auf fossile Brennstoffe liefern.

Mit einer angemessenen Isolierung an jedem Haus (14 cm im Fall von Dőrys) und 2.000 Bäumen pro Person (die etwa 2.000 m2 einnehmen und die derzeitige Waldfläche in wenigen Jahren verdoppeln) würden wir die Klimaziele tatsächlich erreichen, [so Dr. Dőry]. „Was wir auch tun können, ist, andere – Familie, Freund*innen, Nachbar*innen – zum Umdenken und Handeln zu motivieren, um ein nachhaltigeres Leben zu führen.“

Die Dőrys sind schon seit Jahrzehnten engagierte Umweltschützer*innen. „Wir haben unser ganzes Leben darauf ausgerichtet, wir wollen den grünen Ansatz an so viele Menschen wie möglich weitergeben, vor allem an junge Menschen“ sagt Magdolna. […] In einem von ihnen jährlich organisierten Öko-Camp versuchen die Dőrys, Kindern das beizubringen, was wir alle lernen sollten: Dass wir uns auf die fünf Hauptbelastungsbereiche in unserem Leben konzentrieren müssen – Wassermanagement, Landwirtschaft, Energiemanagement, Abfallmanagement, Transport – und in diesen großen Belastungsbereichen so grün wie möglich werden müssen. […]

„Ein klimafreundliches Leben ist auf lange Sicht billiger. Wir verbrauchen weniger Energie und Wasser, kaufen hoffentlich weniger ein, fahren nicht mit dem Auto, bauen mehr von unseren eigenen Lebensmitteln an und entdecken energiesparende Gewohnheiten wieder“, sagt Dőry. „Es gibt kein Hindernis, ein ärmeres, einfacheres und rücksichtsvolleres Leben zu führen. […] Ja, es bedeutet, dass wir uns an einige Zwänge anpassen müssen, aber in der heutigen Welt gibt es viel mehr – nur andere – Zwänge, die mit Geld, dem Leben in der Stadt, der Infrastruktur usw. zu tun haben. […] Ein umweltbewusstes und nachhaltiges Leben macht absolut Sinn. Was sonst würde Sinn machen?“

Tabelle: Wie viel kostet dieser Lebensstil die Dőrys?

Kosten
(1 € = 370 HUF)
Hinweise
Haus und Land1,8 Mio HUF im Jahr 2007 (Wert 2,9 Mio im Jahr 2022 bei einer Inflationsrate von 61 %),7500 EUR im Jahr 2022

 
Generell gilt: Je weiter man ein Haus und ein Grundstück von der nächsten Großstadt oder einem typischen Feriengebiet entfernt kauft, desto billiger wird es in Ungarn. Der Ort von Dőrys liegt in Westungarn, in einem Dorf mit etwa 920 Einwohner*innen.
Renovierungskosten/Person2 Mio HUF;
5400 €/Person
 
Das ist das Geld, das sie nach dem Kauf des Hauses brauchten, um Nachhaltigkeit zu erreichen – es wurde für Isolierung, den Bau eines Holzofens, Sonnenkollektoren, Akkumulatoren, Kontrollsysteme, Aufforstung usw. ausgegeben.
Solarschnecke893 € – Preis des Fahrzeugs
180 €  – Transport von China nach Slowenien
1060 €  – Krangebühr + Zoll, +MwSt.Insgesamt rund 3035 €
(in 2019)
 
Die Finanzierung erfolgte zum Teil aus eigenen Mitteln der Familie und zum Teil durch die Universität Edutus, wo Dr. Dőry als Dozent tätig ist und Studierende in den Bau des Fahrzeugs miteinbezogen hat.(Die Dőrys haben kein Auto, was erhebliche Ersparnis durch Wegfall von Kosten für Wartung, Kraftstoff usw. bedeutet).
 
Land für den Energiewald0,4 Mio. HUF 
(1080 €)
Dies wäre der Preis gewesen, wenn sie sich nicht mit der Gemeinde geeinigt hätten, das Land in den Siedlungsplan aufzunehmen und es somit kostenlos für die Anpflanzung von Bäumen nutzen könnten.
Monatliche GesamtkostenIm Grunde null €Sie haben Sonnenkollektoren, einen Brunnen für Wasser, trockenes Fallholz aus dem Energiewald zum Heizen und Kochen und eine Solarschnecke für den Transport.
Einkommen300,000 HUF / Monat / 3 Personen
(800 €)
 
Basierend auf dem durchschnittlichen Nettoeinkommen von Lehrer*innen/Dozent*innen nach 36-38 Arbeitsjahren in Ungarn.
Tägliches „Taschengeld“Max. 500 HUF (1,3 €)„Je weniger Sie ausgeben, desto kleiner ist Ihr Fußabdruck!“ Das sagen die Dőrys, und das wird auch von der Forschung festgestellt, siehe z.B. UNEP Emissions Gap Report 2020.

Über das Forschungsprojekt:

Das Forschungsprojekt EU 1.5° Lifestyles startete am 01.05.2021 unter der Leitung von Prof’in Doris Fuchs und wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union (Fördervereinbarung Nr. 101003880) gefördert. Neben der Universität Münster, die das Projekt koordiniert, sind neun weitere Kooperationspartner*innen aus Deutschland, Finnland, Lettland, den Niederlanden, Schweden, Spanien und Ungarn beteiligt. 

Beitragsbild: 

©onepointfivelifestyles.eu

Redaktion:

Lilli Möller