Sind Haushalte bereit, ihre Lebensstile an das 1,5-Grad-Ziel anzupassen?

Vorwort

195 Staaten haben sich bei der Weltklimakonferenz 2015 in Paris darauf verständigt, die Erderwärmung auf höchstens 1,5 °C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Die Frage, wie wir dieses Klimaziel (noch) einhalten können und was uns gegenwärtig davon abhält, wird immer drängender. Eine wichtige Rolle spielen dabei nicht nur die individuelle Motivation und ein Bewusstsein für die dramatischen Folgen des Klimawandels auf Seiten der einzelnen Bürger*innen und Konsument*innen, sondern auch wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Strukturen, die unser Leben und damit auch die Nachhaltigkeit unserer Lebensstile beeinflussen.

Im Rahmen des EU-Projekts 1,5° Lebensstile haben sich Bürger*innen in verschiedenen Ländern mit genau diesen Herausforderungen beschäftigt und sich im Rahmen eines Workshops spielerisch mit Strategien für einen nachhaltigeren Lebensstil auseinandergesetzt. Anhand eines Puzzles lernten sie verschiedene Optionen für einen nachhaltigen Lebensstil kennen und konnten erkunden, wie es möglich ist, den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. – Welche Veränderungen sind die Bürger*innen bereit, umzusetzen, um ein nachhaltigeres Leben zu führen? Was wirkt dabei unterstützend, was ist hinderlich?

Lena Domröse und Maren Tornow (adelphi), die für die Konzeption und Gestaltung der Workshops verantwortlich sind, wurden für den folgenden Beitrag von den Projektparter*innen Halliki Kreinin (Universität Münster), Luca Coscieme (Hot or Cool Institute) und Jeremy Philipp (Universität Münster) zu deren Organisation befragt. Der Beitrag wurde erstmals auf dem Blog des EU 1,5° Lebensstile-Projekts veröffentlicht.

Lena Domröse und Maren Tornow (adelphi) im Gespräch mit Halliki Kreinin (Universität Münster), Luca Coscieme (Hot or Cool Institute) und Jeremy Philipp (Universität Münster)

Eines der Herzstücke des EU-Projekts 1.5° Lifestyles sind die sogenannten Citizen Thinking Labs. Heißt das, wir sperren Bürger*innen in Laboren ein und experimentieren mit ihren Gehirnen? Nein, natürlich nicht. Wir haben uns mit unseren beiden Projektpartnerinnen Lena Domröse und Maren Tornow von adelphi, die die Labs konzipieren, auf einen virtuellen Kaffee getroffen, um mehr darüber zu erfahren, wie ein Citizen Thinking Lab aussieht.

Frage: Was ist ein Citizen Thinking Lab und was ist das Ziel der Labs, die ihr derzeit plant?

Lena Domröse: Citizen Thinking Labs sind Workshops mit Bürger*innen, die „als Teil der realen Welt“ in unser Forschungsprojekt eingeladen werden. Mit ihnen wollen wir die Optionen für einen CO2-armen Lebensstil, die wir bisher analysiert und quantifiziert haben, reflektieren und diskutieren, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was akzeptabel ist und was nicht. Würden die Menschen zum Beispiel ihre Pro-Kopf-Fläche reduzieren oder von ihrem privaten Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen und in welchem Umfang? Wenn sie dazu nicht bereit sind, warum nicht? Was hindert sie daran oder was braucht es, damit sie ihre Meinung ändern?

Frage: Wer wird an den Labs teilnehmen und wie erreicht ihr die Bürger*innen?

Maren Tornow: Das wird von Land zu Land ein wenig anders sein. Wir haben fünf Fallstudienländer in unserem Projekt: Schweden, Ungarn, Lettland, Spanien und Deutschland. Einige unserer Partner nutzen eigene Kommunikationskanäle, wie ihre Website, soziale Medien usw., um Teilnehmer*innen zu gewinnen. Wir und unser schwedischer Partner (Universität Lund) werden eine Rekrutierungsagentur einschalten. Wir planen, 20 bis 25 Personen pro Labor und Land zu rekrutieren – die erste Runde von Citizen Thinking Labs wird in diesem Jahr stattfinden [Anmerkung: diese Aussage bezieht sich auf das Jahr 2022, in dem der Artikel erstmals veröffentlicht wurde]. Eine weitere Runde findet im Herbst 2023 statt.

Frage: Wie wird euer Workshop mit den Bürger*innen aussehen? Und was können die Bürger*innen mitnehmen?

Maren Tornow: Der Workshop ist in der Regel einen Tag lang. In Deutschland haben wir beschlossen, ihn an einem Samstag abzuhalten, damit die Menschen außerhalb Berlins am Freitag nach der Arbeit anreisen können. Wir dachten auch, es wäre zu viel verlangt, sich für einen solchen Workshop einen Tag freizunehmen, daher die Entscheidung für das Wochenende. Das Projekt wird die Kosten für das Hotel, für eine schöne Location, das Catering usw. übernehmen.

Wir werden den Tag mit einer Vorstellung der Teilnehmer*innen und der Projektziele beginnen, aber schon bald werden wir sehr praktisch tätig werden. Wir haben mit unseren Projektpartnern ein Brettspiel entwickelt, das wir mit den Teilnehmer*innen spielen werden. Es basiert auf dem Klimapuzzle unseres Projektpartners D-mat, aber wir haben es für das Projekt angepasst. Wir sind noch mitten in der Produktion, deshalb möchte ich noch nicht zu viel verraten. Ich denke, das könnte ein weiterer Blogartikel werden. Auf jeden Fall werden unsere Teilnehmer das Spiel paarweise spielen und herausfinden, welche Lebensgewohnheiten sie annehmen, ändern oder beibehalten müssten, um ihren derzeitigen Fußabdruck bis 2030 auf 2,5 t zu reduzieren. Ich gehe davon aus, dass ihr aktueller Fußabdruck größer als 2,5 t ist, aber vielleicht gibt es ja Überraschungen… Das 2,5 t-Ziel wurde im Pariser Abkommen von 2015 vereinbart, in dem sich die Regierungen verpflichteten, die Emissionen zu reduzieren, um die globale Erwärmung auf unter 1,5 °C zu begrenzen. Dieses Emissionsbudget bezieht sich auf 2,5 t CO2-Äquivalent pro Kopf und Jahr, was heute etwa der Hälfte des durchschnittlichen globalen Fußabdrucks eines jeden Menschen auf der Erde und etwa einem Viertel der Emissionen eines durchschnittlichen Westeuropäers entspricht.

Lena Domröse: Was können die Bürger*innen mitnehmen? Nun, der Tag wird Spaß machen und sie werden definitiv eine Menge aus dem Spiel und aus dem Reflexions- und Diskussionsprozess im Anschluss an das Spiel lernen. Zum Beispiel, wie viel von ihrem Fußabdruck auf ihre Ernährung, ihr Mobilitätsverhalten, ihre Wohnsituation usw. zurückzuführen ist. In welchem Bereich können sie die größte Veränderung erreichen?  Aber sie werden auch diskutieren, wo ihre Grenzen für Veränderungen liegen und warum. Und schließlich werden wir sehen, was in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und von den politischen Entscheidungsträger*innen getan werden muss, um Veränderungen hin zu CO2-armen Lebensstilen zu fördern. Hier berühren wir die andere Ebene unseres Projekts: die Strukturen, in denen wir alle leben und die unsere Entscheidungen und unsere Lebensstile beeinflussen, im Guten wie im Schlechten.

Frage: Wir haben fast keine Zeit und keinen Platz mehr. Kurz und knapp: Was werdet ihr mit den Ergebnissen machen?

Maren Tornow: Die Ergebnisse werden in unsere Bewertung von Wegen und Strategien zu 1,5°-Lebensstilen einfließen, d.h. wir werden die Akzeptanz der Haushalte für Lebensstiloptionen, die Wahrscheinlichkeit ihrer Umsetzung und die erforderlichen politischen Maßnahmen zur Unterstützung der Haushalte bei ihrer Umsetzung offenlegen. Dies wird in einem Abschlussbericht des Projekts geschehen, der von verschiedenen Kommunikationsaktivitäten begleitet wird.

Frage: Vielen Dank für das Gespräch. Vielleicht können wir noch einmal miteinander sprechen, wenn die erste Runde der Labore vorbei ist, um die ersten Erkenntnisse zu diskutieren?

Lena Domröse: Ja, natürlich! Es wäre uns ein Vergnügen.

Über die Autor*innen:

Lena Domröse und Maren Tornow (adelphi) haben für diesen Beitrag ihren Projektpartner*innen Halliki Kreinin (Universität Münster), Luca Coscieme (Hot or Cool Institute) und Jeremy Philipp (Universität Münster) Rede und Antwort gestanden.

Sie sind Teil des Teams des Forschungsprojekts EU 1,5° Lebensstile, das am 01.05.2021 unter der Leitung von Prof’in Doris Fuchs startete und durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union (Fördervereinbarung Nr. 101003880) gefördert wird. Adelphi ist im Rahmen des Projektes für die Konzeption und Planung der Citizen Thinking Labs zuständig, welche in zwei Runden in jeweils fünf Europäischen Ländern durchgeführt werden. Weiterhin sind  die Universität Münster, die das Projekt koordiniert und acht weitere Kooperationspartner*innen aus Deutschland, Finnland, Lettland, den Niederlanden, Schweden, Spanien und Ungarn beteiligt.

Einen Artikel zu Erkenntnissen aus den Citizen Thinking Labs finden Sie hier.