Ein Blick ins Blaue

Viele RaumfahrerInnen berichten vom „Overview-Effekt“, wenn sie zum ersten Mal den Planeten Erde aus dem Weltall sehen. Die Erde als „blaue Murmel“, als kleiner, schöner und geheimnisvoller, fragiler Ball inmitten der krassen Leere des Weltraums. – Zwei Betrachtungsweisen drängen sich auf:

  1. Staunen: Der Blick auf die „blaue Murmel“ lässt staunen darüber, wie zufällig Leben ist. Und selbst auf der Erde ist Leben nur in einem winzigen Bereich, innerhalb einiger Kilometer in der Vertikalen möglich. Alles muss stimmen: Temperatur, Luftzusammensetzung, Lichtverhältnisse, das Zusammenleben der Organismen in hoch komplexen Ökosystemen. Der Blick aus dem All lässt staunen über den Zufall „Erde“ und staunen über die Schönheit der Erde.
  2. Erschrecken: Die Erde ist zerbrechlich und kontingent. Mithilfe von Satellitentechnik und Raumfahrt wird deutlich sichtbar, wie sich die Erde und damit die Lebensbedingungen auf der Erde verändern. Es wird mess- und greifbar, wie schnell das Polareis schmilzt, der Meeresspiegel steigt, wo Wälder gerodet werden oder abbrennen, Gewässer verschmutzt werden, Hochwasser und Stürme Lebensräume zerstören, Armut Entwicklung verhindert. Und dabei sitzen wir alle in einem Boot.

Beide Betrachtungsweisen fordern uns eine Konsequenz ab: Aktiv werden und bleiben. – Der Blick auf die „blaue Murmel“ unterbricht uns. Die Hektik unseres Alltags, und das gilt noch viel mehr für die oft als stressig empfundene Adventszeit, verlangt uns ab, Dinge schnell zu sortieren. Wir urteilen innerhalb von Minuten, Sekunden und weniger, um hunderte Entscheidungen jeden Tag zu fällen, oft genug ohne die Konsequenzen für andere, für die Umwelt und für uns selbst im Blick zu haben – routiniert und effizient. Wir bewegen uns im Klein-Klein fragmentierter Lebensrealitäten und blenden aus, was wir nicht verarbeiten oder scheinbar doch nicht beeinflussen können. Der äußere Blick auf unseren Planeten unterbricht, lässt uns einen Schritt zurücktreten, verschafft uns einen sinnstiftenden Überblick, der Maßstäbe setzt, hilft, uns neu auszurichten und zu entdecken, wie wir in die Welt hineinwirken können. Der Blick auf die „blaue Murmel“ hilft, wach zu werden für die Erde, für die Menschen, die mit mir auf der Erde leben und leben werden, für mich selbst.

Wie wäre es also, wenn wir uns zwischendurch unterbrechen lassen? – Dazu brauchen wir nicht immer ein Bild von der Erde in der Tasche. Es reicht schon: Stehen bleiben, atmen und wahrnehmen was ist, damit ich mich wieder öffnen kann, für mich selbst, für die andere/den anderen, und für die Welt.