Das Murmeltier in uns – was uns traditionelle Weihnachtsfilme über unser Verhalten zu anderen erzählen

von Tobias Gumbert

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Selbst wenn für manche von uns Tradition das ganze Jahr über keine sonderlich große Rolle im Leben einnimmt, ändert sich dies spätestens zur Weihnachtszeit. Dekoration, Plätzchen, Lichterketten… Weihnachten ist die Zeit der Wiederkehr, in dem viele auf die Jahreszeit bezogene Dinge vom Dachboden oder aus dem Keller hervorgeholt, aufgehängt, aufgestellt und dabei zelebriert werden. Dies zeigt sich auch anhand der wiederkehrenden Weihnachtsfilme, und damit auch der Darstellung bestimmter Themen als traditionelle Weihnachts-Erzählungen, die jedes Jahr wieder aufs Neue gezeigt werden und gezielt bestimmte Erinnerungen wecken.

Die Themen sind uns nur zu gut bekannt: In Und täglich grüßt das Murmeltier (kein Weihnachtsfilm im engeren Sinne jedoch aufgrund der Thematik gerne zu Weihnachten gezeigt) erkennt Bill Murray durch sein Gefangensein in einem exakt wiederkehrenden Alltag und scheiternden Versuchen des Ausnutzens dieser Situation zu seinem Vorteil die Sinnlosigkeit seiner eigenen Existenz. Erst, als er entdeckt, wie wichtig gegenseitige Hilfe, Dankbarkeit und letztlich aufrichtige Liebe zu einem anderen Menschen für sein Leben sind, gelingt es ihm, aus der hoffnungslosen Situation auszubrechen. In Kevin – Allein zu Haus mit Kinderstar Macaulay Culkin spielen die von den Mitgliedern der Familie zu Beginn gezeigten negativen Emotionen wie Missgunst und Gehässigkeit, ausgelöst durch den klassischen Weihnachtsstress einer Großfamilie, am Ende des Films keine Rolle mehr. Wie durch ein Weihnachtswunder kommt die Familie wieder zusammen und realisiert, wie viel sie sich gegenseitig bedeutet. In Die Geister, die ich rief, eine Anlehnung an Charles Dickens A Christmas Carol, bekommt wiederum Bill Murray als grenzenloser Egoist den Spiegel vorgehalten und entwickelt Großzügigkeit und Barmherzigkeit in Anbetracht des Leids anonymer Gesellschaftsmitglieder, Angestellter und Familienangehöriger, welches ihn umgibt. Auch in vielen anderen klassischen Weihnachtsfilmen helfen die Protagonisten in Suppenküchen aus, verschenken ihr Hab und Gut und denken, als Ausbruch aus ihrer eigenen Normalität, mehr an andere als an sich selbst. Helfen und Nächstenliebe werden uns präsentiert als DIE richtige Verhaltensweise in der Weihnachtszeit, die dazu gehört wie die Kugeln am Weihnachtsbaum oder die Vanillekipferl in der Keksdose.

Die Bereitschaft, anderen zu helfen und sich zu engagieren, steigt in der Weihnachtszeit tatsächlich im Vergleich zum Rest des Jahres an. Dafür mag es verschiedene Gründe geben. Nächstenliebe passt gut in die Zeit, passt zur Stimmung und hilft den Jahresrhythmus zu durchbrechen. Doch unsere Hilfsbereitschaft auf reine Weihnachtsroutine zu reduzieren würde zu kurz greifen. Auch die moralische Verpflichtung zu helfen, die ebenfalls über diese Filme transportiert wird, reicht als Erklärung nicht aus. Nächstenliebe ist ein menschlicher Grundwert, der in allen Religionen eine zentrale Funktion erfüllt. Wir leben in einer Welt des Gegenseitig-aufeinander-angewiesen-seins, und die soziale Dimension ist Teil der menschlichen Existenz. Doch für die meisten von uns ist Hilfe zu leisten selten reine Pflichterfüllung. Wir helfen aus Freundschaft, Liebe und Verantwortung. Gutes tun trägt zu unserer Lebensfreude und Zufriedenheit bei. Und manchmal merken wir vielleicht auch, dass Helfen gar nicht so viel Zeit und Energie kostet, wie wir in unserem beschleunigten (Arbeits-)Alltag vorher befürchtet hatten.

Die alljährlichen Film-Wiederholungen zu Weihnachten erinnern uns jedoch nicht nur an Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft als Werte an sich, sondern auch daran, dass es oftmals transformative Erfahrungen sind, die etwas mit uns machen. Wenn Bill Murray und Macaulay Culkin damit beginnen, Verantwortung zu übernehmen, dann heißt das ganz einfach, dem Anderen (sei es den Geistern der Weihnacht in Die Geister, die ich rief oder dem angsteinflößenden, aber eigentlich freundlichen, Nachbarn in Kevin – Allein zu Haus) auf Fragen antworten zu müssen… Fragen, die wir oftmals lieber unbeantwortet lassen, da sie unliebsame Wahrheiten über uns selbst zu Tage fördern. Etwa dass wir, wie alle Menschen, auch manchmal Ängsten und Zwängen ausgesetzt sind, denen wir lieber nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken und die wir stattdessen verdrängen möchten. Doch genau diese Anerkennung der unliebsamen Wahrheiten über uns selbst kann dazu beitragen, zu ergründen, wer wir wirklich sein wollen. Und darin liegt eine bedeutende Chance. So wie Bill Murray anhand des immer gleichen Tagesablaufs am Tag des Murmeltiers seine Hilfsbereitschaft und Güte als Teil seines guten Lebens entdeckt, nicht als kurzfristige Angebote an andere, sondern als persönlichen, gewollten Wesenszug, so können auch wir in unseren ganzjährlichen Routinen Verantwortung für andere übernehmen, sofern wir uns darauf einlassen wollen.

Die Wiederkehr des Geistes der Weihnacht im Film, ob als popkulturelle Geistererscheinung oder verschlafenes Murmeltier auf der Leinwand, kann für uns mehr bedeuten als der Kauf günstiger Lizenzen und das Auffüllen des Weihnachtsprogramms durch Privatsender zunächst erahnen lassen. Denn das Murmeltier der Routine schlummert auch in uns und wird zu Weihnachten regelmäßig wieder wachgerüttelt, durch Fragen, die bekannte oder anonyme Andere an uns stellen und die wir – ganz verantwortlich – hoffentlich gerne beantworten… nicht nur zum Wohle der anderen, sondern auch zu unserem eigenen.