„Mehr Resilienz und Wandel – Strategien für Agrarwirtschaft und Politik“ war der Aufruf einer Studienförderung durch die Edmund-Rehwinkel-Stiftung im letzten Jahr, dessen Ergebnisse ich auf dem abschließenden Symposium am 18.6.2024 in Berlin vorstellen durfte. Gemeinsam mit meinen Kolleg*innen Prof. Dr. Tillmann Buttschardt, Thomas Middelanis, Julia Binder und Olivia Leggatt waren wir dem Aufruf gefolgt mit der Frage, wie sich junge, in der Landwirtschaft tätige Menschen mit dem Thema befassen (Steinhäuser et. al 2024). Dies erforschten wir durch eine Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden, darunter ein Fragebogen, an dem rund 120 Fachschüler*innen der Landwirtschaftsschulen in Wolbeck und Kleve teilnahmen. Ein Themenblock des Fragebogens war, welche Chancen und Herausforderungen sie in ihrem Beruf sehen.
Die Wortwolke der obigen Graphik gibt einen Eindruck dessen, was die Fachschüler*innen beschäftigt. Hervorzuheben aus den Antworten sind die Leidenschaft, Fokussierung und Überzeugung dieser jungen Menschen, einen wichtigen, sinnvollen und gleichzeitig herausfordernden Beruf ausüben zu wollen – wissentlich, dass Privatleben und Arbeitswelt räumlich und zeitlich ineinander übergehen werden. Gleichzeitig werden in den Aussagen die unternehmerischen Herausforderungen (wie die knapper werdende Verfügbarkeit von Ressourcen und die Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt) überschattet durch die als aufreibend empfundene eigene Rolle in Politik und Gesellschaft. Solche Positionen sind in einem oft laut ausgetragenen öffentlichen Diskurs um die Erwartungen an die Landwirtschaft ebenfalls wiederzufinden.
Transformationsbedarf anerkennen
„Veränderung ist unsere neue Normalität“, wurde zu einer Kernaussage auf dem Symposium in Berlin. Diese möchte ich aufgreifen, um aus den Erkenntnissen meines Forschungsschwerpunktes, der Agroökologie, einen Rückblick auf unsere Studie und auf das Symposium zu werfen. Denn Veränderung erfordert das Lernen und auch das Verlernen, also ein Abwerfen von überkommenen Gewohnheiten oder Denkweisen.
Aus der Perspektive der Agroökologie wird der Handlungsbedarf zu mehr Nachhaltigkeit nicht allein den Bauern und Bäuerinnen auferlegt. Zum einen sehen wir nicht „die“ (eine) Landwirtschaft als homogenen Block, sondern viele Menschen mit ganz persönlichen Biographien und Vorstellungen. Dieses wurde auch in den weiteren Ergebnissen unserer Studie sehr deutlich. Eine Veränderung kann also nicht für alle gleich erfolgen; so argumentierte ich bereits 2018 in meinem ZIN-Blog: Biologische Landwirtschaft ist gesellschaftlicher Wandel. Zudem nimmt die Agroökologie nicht die Landwirtschaft, sondern das Agrar-Ernährungssystem in den Blick und somit unmittelbar die Verbundenheit der gesamten Gesellschaft. In anderen Worten macht aus Sicht der Agroökologie eine Gegenüberstellung von Landwirtschaft und Gesellschaft keinen Sinn.
Die „Agroökologie“ wird als politische Begrifflichkeit in einem weltweiten konsultativen Prozess seit 2015 verhandelt. Sie nimmt Bezug auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und bündelt verschiedene Formen transformativen Landbaus, wie sie zum Beispiel im biologischen bzw. biodynamischen Landbau sowie in der Permakultur zu finden sind. Dabei geht es nicht um die Substitution von einzelnen umweltschädlichen Maßnahmen, wie den Ersatz von Pestiziden. Vielmehr geht es um eine wissensintensive Umstellung sowohl der Betriebe als auch der Ernährungsgewohnheiten. Sicherlich gibt es viele Pragmatiker*innen, die aus rein wirtschaftlichen Gründen in diese Formen des Landbaus einsteigen, doch gehalten wird diese Transformation durch eine positionierte soziale Bewegung. Angestrebt wird eine Wiederverbindung zum Terrestrischen, d. h. dass wir uns vergegenwärtigen, dass wir gemeinsam als artenübergreifende, also menschliche und mehr-als-menschliche Gemeinschaft der Erde angehören. Die gleichzeitige politische Dimension im Agrar-Ernährungssystem, nicht zuletzt der herrschenden sozial-ökologischen Ungleichheiten, wird eben erst in der Agroökologie und den durch sie angestoßenen Verhandlungen auf internationaler Ebene prominent und explizit (HLPE 2019).
Gesamtgesellschaftliche Verantwortung
Zur Verdeutlichung, was Agroökologie beinhaltet, wurden im oben genannten konsultativen Prozess zehn Elemente herausgearbeitet, welche gemeinsam erfüllt werden sollten, um ein Agrar-Ernährungssystem als agroökologisch zu identifizieren (FAO 2018). Grundsätzlich geht es darum, durch (1) Diversität, (2) Effizienz, (3) Recycling und (4) Synergien einen Aufbau von Komplexität und Redundanz zu schaffen, der (5) Resilienz hervorbringt. Dabei erfolgt eine Einbettung in den lokalen Kontext durch intensiven (6) Wissensaustausch und das Überdenken der (7) Ernährungstraditionen. Damit das Zusammenspiel dieser Elemente zum Tragen kommt, wird ein befähigendes Umfeld benötigt mit einer angemessenen (8) Governance, (9) Kreislauf- und Solidarökonomien und (10) Gerechtigkeit und Wohlergehen.
Mir diese Elemente vor Augen zu führen, dient mir immer wieder zur Orientierung. Auf dem Symposium fragte mich der Moderator bei der Plenumsdiskussion etwa: Was brauchen die jungen Menschen ihrer Studie zufolge? Beim Schreiben dieses Blogs denke ich: Ein befähigendes Umfeld, in dem ihnen die politischen Strukturen klar werden, in denen sie agieren können; in dem sich durch solidarisches Wirtschaften Erzeuger und Verbraucher verbünden und die Verantwortung für unsere Erde gemeinsam tragen; und in dem gleichzeitig Würde, Gleichberechtigung, Inklusion und Gerechtigkeit die Menschen dazu befähigt, ihre eigenen Akteure des Wandels zu werden. Die Agrarökologie ist wissensintensiv, umweltfreundlich, sozial verantwortlich, innovativ und auf qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen. Junge Menschen verfügen über Energie, Kreativität und den Wunsch, ihre Welt positiv zu verändern.
Mehr über die Forschungstätigkeiten zur Agroökologie in der AG Ökologische Planung am Institut für Landschaftsökologie finden Sie auf unserer Homepage.
Quellen
Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO). 2018. The 10 elements of agroecology: Guiding the transition to sustainable food and agricultural systems. Rome. http://www.fao.org/3/i9037en/i9037en.pdf
High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition (HLPE). 2019. Agroecological and other innovative approaches for sustainable agriculture and food systems that enhance food security and nutrition: A report by the High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition of the Committee on World Food Security. Rome. https://openknowledge.fao.org/server/api/core/bitstreams/ff385e60-0693-40fe-9a6b-79bbef05202c/content
Steinhäuser, Cornelia, Tillmann K. Buttschardt, Julia Binder, Thomas Middelanis und Olivia Leggatt. 2024. Wie sehen junge Landwirt*innen auf die neue Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik – und darüber hinaus auf ihre Zukunft? Eine Fallstudie entlang der Umsetzung der Agroforstwirtschaft. In Schriftenreihe Rentenbank, Bd. 40, 123–168.
https://www.rentenbank.de/export/sites/rentenbank/dokumente/Rentenbank_Schriftenreihe_Band40.pdf
Autorinnenbeschreibung
ZIN-Mitglied Cornelia Steinhäuser ist Postdoktorandin in der AG Angewandte Landschaftsökologie und Ökologische Planung. Dort ist sie zuständig für den Arbeitsschwerpunkt Agroökologie, das innovative Lehrprojekt „Sozialwissenschaftliche und ethnographische Methoden in der Landschaftsökologie“.