Zukunft schmackhaft machen!

Neues Reallabor-Projekt im ländlichen Raum startet am ZIN

Daniela Pastoors | Lukas Drees

Kurz vor dem Jahreswechsel 2025 hat ein Konsortium des ZIN eine Förderzusage der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) für das Projekt „Zukunft schmackhaft machen! – Utopien für eine inklusive Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie im Reallabor Tecklenburg“ bekommen. In den nächsten drei Jahren wird das 15-köpfige Team verschiedene sogenannte Zukunftsbausteine zusammensetzen, die dazu beitragen, die Nachhaltigkeitsstrategie der Kommune Tecklenburg inklusiv umzusetzen und die transformative Resilienz der Region zu stärken.

Seit Ende 2023 ist die Universität Münster Teil der Hochschulallianz ULYSSEUS, in der jede der acht Partnerhochschulen einen Innovation Hub zu einem je eigenen Thema einbringt, um die diesbezüglichen Forschungs-, Bildungs- und Transferaktivitäten zu bündeln. In Münster ist der Innovation Hub zu „Sozial-ökologischer Nachhaltigkeit am Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN) verortet und verknüpft Akteur*innen und Aktivitäten an der Universität, in der Region und in Ulysseus, die die gemeinsame Vision teilen:

„Nachhaltig in die Zukunft: Gemeinsam den gesellschaftlichen Wandel gestalten“

Auf diesen Weg hat sich auch die Kommune Tecklenburg im Kreis Steinfurt begeben. Tecklenburg ist eine von 10 Modellkommunen in NRW, die in einem partizipativen Prozess eine eigene kommunale Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt hat. 2024 hat die Kommunalverwaltung Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Bildung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zur Mitwirkung eingeladen, um Leitlinien, Ziele und Maßnahmen für ausgewählte Handlungsfelder zu erarbeiten. So wurde über das Jahr hinweg gemeinsam die kommunale Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt, die nun das Handlungsprogramm für die nächsten Jahre skizziert. Der Prozess konnte jedoch bisher viele weitere (insbesondere marginalisierte) gesellschaftliche Gruppen nicht mit einbeziehen. Eine Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie und somit Schritte in Richtung einer gemeinsamen Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels bedeutet zudem immer auch, dass Unsicherheiten und damit auch Konflikte entstehen können (Froese et al. 2023). Um diese Konflikte in produktiver Weise aufzunehmen und die darin liegende Energie zu Gunsten einer sozial-ökologischen Transformation nutzbar zu machen, bedarf es eines gesellschaftlichen und individuellen Entwicklungsprozesses. Ein solcher Prozess kann auch als Bildungsprozess verstanden werden (Jahn et al. 2020).

Transformative Bildungs- und Veränderungsprozesse in Reallaboren voranbringen

Bildung spielt somit in den anstehenden sozial-ökologischen Transformationsprozessen hin zu einer lebensfähigen Welt eine zentrale Rolle (WBGU 2011). Politische Bildung, globales Lernen, Friedensbildung und speziell Bildung für nachhaltige Entwicklung sind Ansätze, die viele relevante Aspekte des notwendigen Wandels aufgreifen (Bölts 2014). Als transformativ kann der Bildungsprozess dann beschrieben werden, wenn die Bildung über Wissensvermittlung hinaus geht, indem sie sowohl Fähigkeiten, Einstellungen und Haltungen als auch direkt das Handeln und die praktische Umsetzung einbezieht (Singer-Brodowski et al. 2023). Die Beteiligten sollen also nicht nur abstrakt befähigt werden, sondern die transformativen Bildungsprozesse selbst sind so angelegt, dass sie Veränderungen hin zu einer lebensfähigen Welt und wünschenswerten Zukünften bereits im Hier und Jetzt aktiv und real mitgestalten. Reallabore sind Experimentierräume, in denen solche transformativen Bildungs- und Veränderungsprozesse entstehen können (Parodi et al. 2016). Als transdisziplinäre Projekte zielen sie darauf ab, nachhaltigen Wandel zu unterstützen und binden dabei explizit zivilgesellschaftliche Akteur*innen mit ein. In Reallaboren werden konkrete Lösungsansätze für anstehende Herausforderungen erprobt und das gemeinsame Handeln und Lernen verschiedener Akteur*innen steht dabei im Mittelpunkt. Die Transformationsprozesse vor Ort werden auf diese Weise unterstützt. Am ZIN gibt es bereits diverse Erfahrungen mit Reallaboren und der Innovation Hub trägt dazu bei, die Reallaborarbeit weiter zu intensivieren, da diese die Möglichkeit bieten, Bildungs- und Forschungsaktivitäten mit realweltlichen Bedarfen zu verknüpfen.

Das Projekt verknüpft die Handlungsfelder der Nachhaltigkeitsstrategie mit Zukunftsbausteinen

Auf diesem Nährboden entstanden am ZIN diverse Ideen, die im Projekt „Zukunft schmackhaft machen!“ zusammengewoben wurden. Kernidee ist, die Umsetzung der Tecklenburger Nachhaltigkeitsstrategie im Rahmen eines Reallabor-Settings inklusiv mitzugestalten und dazu beizutragen, dass (insbesondere marginalisierte) Menschen „Zukunftsangst in Zukunftsmut“ (Waldow-Meier 2022) verwandeln können.

Im Rahmen des Reallabor-Projekts werden Zukunftsbausteine entwickelt, die einzelne Transformationsherausforderungen in den Mittelpunkt stellen und an die Handlungsfelder der Nachhaltigkeitsstrategie anknüpfen. Die bisher geplanten Zukunftsbausteine adressieren dabei folgende Themen:

  • „Transformative Resilienz – klimatisch, ökologisch, mental“
  • „Auswirkungen des Ernährungssystems auf planetare und menschliche Gesundheit“
  • „Migration, (Klima-)Flucht und Nachhaltigkeit“
  • „Nachhaltige Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in Kommunen“
  • „Sozial gerechte und inklusive Gestaltung der Energieversorgung in Quartieren“

Zudem besteht die Offenheit dafür, weitere Themen aufzunehmen, die für die Menschen in Tecklenburg eine hohe Priorität besitzen.

Bei den „Tafeln der Utopien“ wird die „Zukunft schmackhaft“ gemacht

Zentraler Bestandteil des Projekts sind die „Tafeln der Utopien“, bei denen es sich um Workshops mit einer Mischung aus interaktiven, thematischen und kulinarischen ‚Zutaten‘ handelt. Menschen mit verschiedenen Hintergründen und unterschiedlichen Alters werden eingeladen, einen Vorgeschmack auf eine wünschenswerte Zukunft zu bekommen und sie selbst aktiv mitzugestalten. Der Bio-Hof Wurzeln & Hörner auf Haus Hülshoff bietet den passenden Rahmen als Veranstaltungs- und Erlebnisort für die „Tafeln der Utopien“ und bildet neben der Stabsstelle für Klimaschutz der Kommune Tecklenburg und Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen des ZIN und des Frankfurter Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) das Projektkonsortium.[1] Das inter- und transdisziplinär zusammengestellte Team erarbeitet nun gemeinsam den Rahmen für die Zukunftsbausteine und die Methodik der „Tafel der Utopien“, um in den kommenden Jahren viele Einwohner*innen aus Tecklenburg an Zukunftsvisionierungsprozessen zu beteiligen und so gemeinsam den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten.

Das Projekt wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) im Rahmen der Förderinitiative „Transformative Bildung für nachhaltige Entwicklung – Veränderung gestalten“ gefördert und wird im April 2025 offiziell beginnen. Über eine Laufzeit von 3 Jahren wird es in Tecklenburg, im Münsterland und im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit im Innovation Hub von ZIN und Ulysseus auch darüber hinaus seine Wirkung entfalten.


[1] Prof. Dr. Asmaa El Maaroufi, Dr. Daniela Pastoors und Prof. Dr. Tillmann Buttschardt leiten das Projekt in gemeinsamer Verantwortung. Des Weiteren sind von ZIN/Uni Münster Prof.in Dr. Sigrid Kannengießer, Dr. Lea Püchel, Dr. Karen Siegel, Dr. Rebecca Froese, Laura Pusch, Julia Binder, Thomas Middelanis und Chiara Pohl beteiligt, Vera Molitor von der Stadt Tecklenburg, Karoline und Till Kröner vom Bioland-Betrieb Wurzeln & Hörner auf Haus Hülshoff Tecklenburg sowie Lukas Drees und Dr. Immanuel Stieß vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE).


Literaturverzeichnis

Bölts, Hartmut (2014). Umweltbildung. Eine kritische Bilanz. Darmstadt, WBG.

Froese, Rebecca/Hussak, Melanie/Pastoors, Daniela/Scheffran, Jürgen (2023). Erhalten, Entfalten, Gestalten. Mittel der Konflikttransformation für Wege aus der Klimakrise einsetzen. Wissenschaft und Frieden 2023 (4), 43-47.

Jahn, Thomas/Hummel, Diana/Drees, Lukas/Liehr, Stefan/Lux, Alexandra/Mehring, Marion/Stieß, Immanuel/Völker, Carolin/Winker, Martina/Zimmermann, Martin (2020). Sozial-ökologische Gestaltung im Anthropozän. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society 29 (2), 93–97.

Parodi, Oliver/Beecroft, Richard/Albiez, Marius/Quint, Alexandra/Seebacher, Andreas/Tamm, Kaidi/Waitz, Colette (2016). Von »Aktionsforschung« bis »Zielkonflikte« – Schlüsselbegriffe der Reallaborforschung. TATuP 25 (3), 9-18. https://doi.org/10.14512/tatup.25.3.9.

Pichler, Melanie (2025). Sozial-ökologische Transformationen. Universität für Bodenkultur Wien. Online verfügbar unter https://boku.ac.at/wiso/isec/forschung/sozial-oekologische-transformationen (abgerufen am 12.03.2025).

Singer-Brodowski, Mandy (2023). The potential of transformative learning for sustainability transitions: moving beyond formal learning environments. Environment, Development and Sustainability. https://doi.org/10.1007/s10668-022-02444-x.

Waldow-Meier, Susanne (2022). Zwischen Zukunftsangst und Zukunftsmut: Zur Rolle von Emotionen in der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Krisen und antizipierter Unsicherheit von Zukunft. Schriftenreihe Sozialwissenschaftliche Zukunftsforschung 22 (3), Berlin. http://dx.doi.org/10.17169/refubium-36910.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011). Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation. Hauptgutachten. 2. veränd. Aufl. Berlin, WBGU.

Autor*innenbeschreibung:

Dr. Daniela Pastoors war gemeinsam mit Lukas Drees Teil des Nachhaltigkeitsbeirats der Kommune Tecklenburg und hat dafür gesorgt, dass das Projekt „Zukunft schmackhaft machen!“ als Reallabor in Tecklenburg begründet wird. Als Teil des Innovation Hub Teams in ZIN und ULYSSEUS hat Daniela die Aufgabe, den Innovation Hub zu sozial-ökologischer Nachhaltigkeit aufzubauen, in dem Living Labs eine zentrale Rolle spielen.
Daniela Pastoors forscht und lehrt an der Schnittstelle von Konflikttransformation, Friedensbildung, sozial-ökologischer Transformation und regenerativer Friedensarbeit, hat in Marburg Friedens- und Konfliktforschung studiert und zur Frage promoviert, wie Fachkräfte im Zivilen Friedensdienst psychosozial begleitet werden.

Lukas Drees ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung in den Forschungsfeldern Wasser und Landnutzung und Biodiversität und Gesellschaft sowie am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (SBiK-F). Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich von Landnutzungsänderungen, der Analyse sozial-ökologischer Systeme und skalenübergreifender Prozesse. Dafür erarbeitet er integrierte sozial-ökologische Modelle und Bewertungstechniken, die er im Kontext des Projektes „Zukunft schmackhaft machen!“ zur Analyse der Auswirkungen des kommunalen Ernährungssystems auf die menschliche und planetare Gesundheit weiterentwickelt.