„Iss deinen Teller leer, sonst gibt’s morgen schlechtes Wetter“

Wer hat diesen Satz als Kind nicht zu hören bekommen, wenn die Augen mal wieder größer als der Hunger waren und man „pappsatt“ vor einem noch halbvollen Teller saß? Selbst wenn dies jedem Menschen in Deutschland nur ein einziges Mal im Leben passieren würde, hätten wir es bereits mit mehr als 80 Millionen Tellern voller Essensreste zu tun. Und in diese Rechnung geht noch nicht einmal ein, dass in Restaurants und Mensen weitere Essensreste anfallen, Lebensmittel bei Nichtverkauf entsorgt sowie vorher schon bei der Ernte aufgrund bestimmter Kriterien („zu groß“, „zu grün“ etc.) aussortiert werden.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen beziffert die Menge an weltweit verschwendeten und verlorenen Lebensmitteln auf 1,3 Milliarden Tonnen pro Jahr. EU-weit belaufen sich Schätzungen auf 90 Millionen Tonnen, was in LKWs geladen, einer Kolonne einmal um den Äquator entspricht. Für die Bundesrepublik variieren die Werte zwischen 6,7 und 18 Millionen Tonnen, je nachdem, wie die Berechnung aufgestellt wird (Erhebungszeitraum, untersuchte Akteure etc.).

Das Wegwerfen von Lebensmitteln ist in zweierlei Hinsicht höchst problematisch: zum einen mit Blick auf Millionen zeitgleich hungernder Menschen in anderen Teilen der Erde; zum anderen mit Blick auf die resultierenden Umweltbelastungen. Werfen wir Nahrungsmittel weg, wurden Flächen, Düngemittel, Energie sowie weitere zu ihrer Herstellung notwendige Ressourcen nutzlos ge- und verbraucht. Ganz zu schweigen von den schädlichen Treibhausgasen, die bei der Produktion in die Atmosphäre ausgestoßen wurden: food waste trägt mehr zur Klimaerwärmung bei als der gesamte Transportverkehr. Eine WWF-Studie resümiert „Mehr als 2,6 Mio. ha werden für die Tonne bewirtschaftet und fast 48 Mio. t Treibhausgase umsonst ausgestoßen“ (2015: 7).

foodsharing – eine vielversprechende Lösungsstrategie?!

Die 2014 gegründete Initiative foodsharing e.V. setzt genau an diesen Problemen an. Wie der Name der Initiative andeutet, steht das Prinzip des Teilens (sharing) von Lebensmitteln (food) im Mittelpunkt. Seit ihrer Gründung vor fünf Jahren verzeichnet foodsharing einen stetigen Zuwachs an Mitgliedern (https://foodsharing.de/statistik) und ist bereits mehrfach ausgezeichnet worden (https://foodsharing.de/?page=blog&sub=read&id=222).

Quelle: foodsharing.de

Das Konzept von foodsharing lautet: „Lebensmittel, die für den Verkauf nicht geeignet sind, verwerten statt wegwerfen“ (Gottschalk 2017: online). Es geht darum, Nahrungsmittel mit Blick auf ihren Produktionsweg und die für sie verarbeiteten Ressourcen wertzuschätzen, unabhängig von ihrem teils vergleichsweise geringen finanziellen Wert. Die „Graswurzel-Bewegung“ will allen Interessierten ermöglichen, durch eigenes Handeln vor Ort, das Ausmaß weltweiter Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.

Wie funktioniert foodsharing?

Online existiert eine Internet-Plattform (foodsharing.de). Nahrungsmittel können hier kostenfrei unter den angemeldeten Online-Nutzerinnen und -Nutzern geteilt werden. Eine interaktive Karte zeigt die räumlichen Entfernungen zwischen den Nutzerinnen und Nutzern an, die Absprache der Lebensmittel-Übergabe erfolgt über Kurznachrichten. Offline befinden sich an bestimmten Plätzen sogenannte „Fair-Teiler“ (Läden, Schränke, Kühlschränke), wo Nahrungsmittel von den einen hingebracht und von anderen abgeholt werden können. Sobald man das „foodsaver-Wissensquiz“ geschafft hat, darf man als offizieller foodsaver aussortierte Lebensmittel von kooperierenden Lebensmittelbetrieben abholen. Für die foodsharing-Praxis sind also engagierte und aktive Privatpersonen, die Lebensmittel retten anstatt sie zu kaufen, zentral. Zusätzlich sind auch kooperierende Supermärkte und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wichtige Akteure: Viele Supermärkte arbeiten inzwischen mit foodsharing e.V. zusammen, indem sie aussortierte Lebensmittel an foodsaver übergeben. Diese „Abgaben“ machen mehr als 90% der von foodsharing e.V. geteilten Lebensmittel aus. Das BMEL hat durch einen Zuschuss von 15.000 Euro an foodsharing e.V. wesentlich zur Förderung der Initiative beigetragen, denn die Graswurzel-Bewegung und das BMEL verfolgen zum Teil ähnliche Ziele (bspw. die Einsparung von Emissionen).

Ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Die bisher durch foodsharing geretteten 13.946.899 kg Lebensmittel sind zweifellos ein beachtlicher Erfolg! (https://foodsharing.de/statistik) Und doch zeigen Studien: Die Menge weggeworfener Lebensmittel in Deutschland verringert sich nicht (WWF-Studie 2015: 38); auf europäischer Ebene wird sogar ein Anstieg erwartet (ebd.: 23). Diese Entwicklungen scheinen widersprüchlich – wie kann es sein, dass die gut organisierte und zunehmend betriebene foodsharing-Praxis nicht mit einer Verringerung der Lebensmittelverschwendung einhergeht? Dieser Frage bin ich nachgegangen und habe verschiedene Antworten gefunden. Die Antworten lassen Rückschlüsse darauf zu, wo eventuell unbewusst Fehlanreize bestehen und wie die vielversprechende und engagierte Arbeit der foodsaver und –sharer durch Veränderungen noch mehr Wirkung entfalten könnte.

1. Teilnahmehürden? Abbauen, und es wird noch mehr foodsharer und -saver geben!

foodsharing richtet sich an alle Interessierte, will also offen und niedrigschwellig sein. Zugleich bestehen aber einige Teilnahmevoraussetzungen (Bestehen eines Wissensquiz, IT-Kenntnisse etc.). Diese „Hürden“ sind zwar bewusst als „Filter“ eingesetzt, um einen reibungslosen Ablauf der foodsharing-Praxis zu gewährleisten – und das ist nachvollziehbar – aber eigentlich kann es doch nur im Sinn der Initiative sein, niemanden auszuschließen, oder? Hier wäre ein Abbau von „Hürden“ für die Teilnahme sinnvoll, um diese weniger exklusiv zu machen, mit besonderem Blick auf Menschen, die sich in einer sozial sowie wirtschaftlich prekären Lage befinden. Die Münsteraner Gemeinschaft macht hier schon vor, wie’s geht: Sie führt karitative Verteilungen als Ergänzung zu den regulären Verteilungen durch. Zudem versucht sie, alternative offline-Wege zu gehen, um auch Menschen ohne PC- und Internetzugang stärker anzusprechen.

 

2. Supermärkte müssen ihr Verhalten grundlegend ändern!

foodsharing bemüht sich, das Verhalten der Supermärkte zu ändern, indem bspw. die Mengen weggeworfener Lebensmittel an die Abteilungsleiter zurückgemeldet werden. Grundlegende Veränderungen der Arbeitsweise von Supermärkten bleiben aber bisher aus. Zurzeit profitieren Supermärkte von den eingesparten Müllkosten, ohne ihr Verhalten ändern zu müssen. Ein großer Schritt nach vorn wäre hier die Festlegung selbstverpflichtender Zielvereinbarungen mit den Supermärkten, die dann klar beziffern müssten, wieviel Lebensmittel sie höchstens wegwerfen werden. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine streng verpflichtende Maßnahme. Doch wird das langfristige Ziel, das Wegwerfen noch verwertbarer Lebensmittel zu vermeiden, so ernsthafter angegangen.

 

3. Die foodsharing-Gemeinschaft kann große Veränderungen bewirken und sollte diese im politischen Bereich stärker einfordern!

Die foodsharing-Gemeinschaft bündelt einzelne Stimmen und verschafft ihnen so Gehör. Sie hat bereits schon geschafft, das Thema Lebensmittelverschwendung stärker in den Fokus zu rücken – es gibt also Potenzial, Veränderungen zu bewirken! Doch Forderungen nach politischen Veränderungen (Gesetzesänderungen bzgl. des Spendens aussortierter Lebensmittel, Verfahren beim Überschreiten des Mindesthaltbarkeitsdatums) blieben bisher folgenlos.  Die Gemeinschaft sollte noch stärker klare politische Forderungen stellen.

 

Es gilt auszuprobieren und abzuwarten, ob diese Vorschläge in der Realität aufgenommen und umgesetzt werden können. Fest steht: foodsharing hat bereits beachtliche Erfolge verzeichnet und verfügt über großes Potenzial – dieses gilt es zu nutzen!

 

Autorin: Barbara Elpers hat an der Universität Münster Französisch, Politikwissenschaft und katholische Theologie studiert. Sie kocht und isst gerne (meistens alles auf) – sonst wird es eingefroren. Ihre Masterarbeit hat sie zu dem Thema „Sharing is Caring? Eine empirische Untersuchung der foodsharing-Praxis anhand der Ansätze starker und schwacher Nachhaltigkeit“ geschrieben. Der Blogartikel greift einige ausgewählte Gedanken der Arbeit auf.

 

Zum Weiterlesen:

Kreutzberger, Stefan/Thurn, Valentin: Die Essensvernichter. Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist. Köln 2011.

WWF Deutschland: Das große Wegschmeißen. Vom Acker bis zum Verbraucher: Ausmaß und Umwelteffekte der Lebensmittelverschwendung in Deutschland. Berlin 2015.

Gustavsson, Jenny/Cederberg, Christel/Sonesson, Ulf/Otterdijk, Robert van/Meybeck, Alexandre: Global Food Losses and Food Waste: Extent Causes and Prevention. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO). Rom 2011.

foodsharing e.V.. Internetplattform. https://foodsharing.de/

 

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