Noch nicht auf der Welt und doch schon wegweisend: Über die Interessenvertretung zukünftiger Generationen mithilfe von Ombudspersonen

Lilli Möller

Mit Blick auf die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Demokratie wird immer deutlicher, dass eine sozial-ökologische Transformation nur gelingen kann, wenn alle Betroffenen in Debatten, Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse miteinbezogenen und ihre Interessen gehört werden. Während diese Beteiligung in der Theorie Gerechtigkeit verspricht, scheitert sie in der Praxis noch regelmäßig aus vielen verschiedenen Gründen  (z. B. aufgrund schlechter Organisation, die bestehende Beteiligungshürden nicht abbaut). Dies führt zu epistemischen Ungleichheiten und damit letztlich zu ungerechten und entsprechend nicht nachhaltigen Entscheidungen. Eine zentrale Gruppe, die es mit Blick auf einen Planeten mit endlichen und überbeanspruchten Ressourcen mit einzubeziehen gilt, sind zukünftige Generationen. 

Aber: Wie können die Interessen zukünftiger Generationen in heutigen Entscheidungen berücksichtigt werden – die sind doch noch nicht einmal auf der Welt!?

Mit dieser Frage beschäftigt sich die Wissenschaft schon seit geraumer Zeit, spätestens seitdem die Weltgemeinschaft mit dem Brundtland-Bericht von 1987 anerkannte, dass sich gegenwärtige Generationen die planetaren Ressourcen nur von zukünftigen ausleihen – ohne die Absicht oder die Aussicht auf Rückzahlung. Im Gegensatz zur ausführlichen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema gibt es allerdings in der politischen Praxis in Deutschland bis jetzt noch keine institutionellen Lösungen. Neben der Forderung aus der Wissenschaft nach mehr deliberativer Bürger*innenbeteiligung, die mit besonderen Potenzialen zu Perspektivwechsel und Gemeinwohlorientierung verknüpft wird und auch die Teilnahme nicht wahlberechtigter Menschen erlaubt, wird außerdem die Möglichkeit des Einsatzes von sog. „Ombudspersonen“ diskutiert. Damit sind Personen(gruppen) gemeint, deren Aufgabe es ist, die Belange zukünftiger Generationen zu vertreten, z.B. auch gegenüber dem Parlament. Dieser Blogbeitrag stellt das Beispiel des*der Kommissars*in für zukünftige Generationen (Future Generation Commissioner) in Wales vor. Welche Funktionen, Rechte und Pflichten hat der*die Vertreter*in? Welche Erfolge hat er*sie zu verzeichnen, wo gibt es Verbesserungspotential? Ausgehend von diesen Erkenntnissen und Erfahrungen wird in der Folge ein Vorschlag dafür gemacht, wie die Repräsentation zukünftiger Generationen mithilfe eines solchen Amtes in Deutschland aussehen könnte.

Ein Gesetz für die Zukunft 

Im Jahr 2016 begann die Amtszeit von Sophie Howe, der ersten Kommissarin für zukünftige Generationen (Future Generation Commissioner, FGC) in Wales. Ihr Nachfolger, Derek Walker, hat das Amt seit Anfang 2023 inne. Die Einführung des Amtes wurde durch die Verabschiedung des Well-being of Future Generations (Wales) Act 2015 und das Inkrafttreten im April 2016 ermöglicht. Es ist das erste Gesetz weltweit, das öffentliche Einrichtungen gesetzlich dazu verpflichtet, die Interessen künftiger Generationen zu berücksichtigen (Davies 2017). So müssen u.a. die walisischen Minister*innen und alle lokalen Behörden in Wales in ihrem Handeln sicherstellen, dass die Bedürfnisse der Gegenwart erfüllt werden, ohne das Erfüllen der Bedürfnisse zukünftiger Generationen zu gefährden. Das gleiche gilt für eine Reihe anderer Stellen, die sich mit Umwelt, Kultur, Gesundheit und Sicherheit befassen (ebd.).

Zu diesem Zwecke beinhaltet das Gesetz sieben langfristige Ziele für das Wohlergehen von Wales: Wales soll wohlhabend, widerstandsfähig, gleichberechtigter und gesünder werden, aus zusammenhaltenden Gemeinden bestehen, eine lebendige Kultur und blühende walisischer Sprache behalten sowie global verantwortungsbewusst handeln. Das Gesetz definiert dazu fünf Arbeitsweisen oder Grundsätze, die öffentliche Einrichtungen bei der Entscheidungsfindung anwenden müssen: langfristiges Denken, Prävention, Integration, Zusammenarbeit und Beteiligung (Howe & Nutbeam 2023).

Ein*e Wächter*in für die Zukunft: Aufgaben, Stolpersteine und Erfolge

Der*die Future Generations Commissioner agiert wie ein*e Wächter*in für die Bedürfnisse und Belange zukünftiger Generationen, hat jedoch keine Durchsetzungsbefugnisse. Er*Sie hat vielmehr die Aufgabe, die öffentlichen Einrichtungen zu beraten und zu unterstützen, wie sie die sieben langfristigen Ziele für das Wohlergehen von Wales erreichen können. Er*Sie überprüft und bewertet ihre Fortschritte und spricht entsprechende Empfehlungen aus (Davies 2017; Howe & Nutbeam 2023). Der Well-being of Future Generations (Wales) Act hält die öffentlichen Einrichtungen dazu an, diesen Empfehlungen zu folgen, sie können sie allerdings unter bestimmten Voraussetzungen umgehen oder ablehnen. Der*die FGC wird in einem mehrstufigen Auswahlprozess ausgewählt und anschließend vom*von der Regierungschef*in für einen Zeitraum von sieben Jahren ernannt.

In Sophie Howes Amtszeit gab es prominente Angelegenheiten, bei denen ihre Empfehlungen wegweisend waren. Ein Beispiel betrifft den Straßen(aus)bau, der in Wales nach Mitwirken von Howe nun so gut wie gestoppt wurde: Die Regierung plante, ihre gesamte Kreditaufnahmekapazität für den Bau eines 30 Meilen langen Autobahnabschnitts zu verwenden, um das Problem der Verkehrsüberlastung zu lösen. Mit Blick auf Gesundheits- und Klimaschutz argumentierte Howe dagegen, und die Regierung folgte ihrem Einwand. Stattdessen wurde in öffentlichen Personennahverkehr und Fahrradinfrastruktur investiert. Auch für Investitionen in erneuerbare Energien und Pilotprojekte zu einem bedingungslosen Grundeinkommen (Universal Basic Income) machte sich Howe erfolgreich stark (Howe & Nutbeam 2023). In diesen Beispielen zeigt sich, dass die Sicherung der Bedürfnisse zukünftiger Generationen und die Sicherung heutiger Bedürfnisse Hand in Hand gehen (können). Saubere Luft, weniger Lärm, sichere Fahrradwege, bezahlbarer Strom und finanzielle Absicherung sind auch wichtige Errungenschaften für heutige Generationen.

Die Implementierung von nachhaltigen Entscheidungen, ihre Finanzierung und Überwachung sowie die Beschäftigung mit existenziellen Bedrohungen und langfristigen Problemen – die Amtszeit von Sophie Howe hat nicht zuletzt gezeigt, dass es sinnvoll ist, diese drei Aspekte institutionell gebündelt in den Blick zu nehmen (ebd.). Außerdem wurde deutlich, dass es unerlässlich ist, eine solche Rolle zur Förderung des Wohlergehens mit Blick auf zukünftige Generationen gesetzlich festzuschreiben, selbst wenn sie keine Durchsetzungsbefugnisse hat. Die gesetzliche Verankerung spiegelt nicht nur den gesellschaftlichen Willen nach nachhaltigen und zukunftsorientierten Entscheidungen wider. Es schafft auch Legitimität und die Verpflichtung dazu, das Wohlergehen zukünftiger Generationen in gegenwärtige Entscheidungen miteinzubeziehen (World Future Council 2014; von Knebel 2023).

Gleichzeitig braucht es laut Howe den Anspruch eines ganzen Staates, die Belange von zukünftigen Generationen als handlungsweisend anzuerkennen (Howe & Nutbeam 2023). Denn viele politische Entscheidungen oder Handlungsbedarfe, die das Leben zukünftiger Generationen maßgeblich beeinflussen, übersteigen individuelle, lokale oder kommunale Handlungsmöglichkeiten. Dafür braucht es legitimierte, institutionelle Lösungen auf Bundesebene (Göpel 2014; von Knebel 2023)

Einen weiterer Faktor, der für die Arbeit der*des FGC essentiell ist, macht die Finanzierung aus (von Knebel 2023; Göpel 2014). Howe stellt in einem Bericht an die Regierung von 2020 fest: „Mein Amt ist das am schlechtesten finanzierte unter den Kommissar*innen mit einem wesentlich größeren Aufgabenbereich. […] Die pauschale Unterfinanzierung bedeutet, dass ich real weniger tun kann, während die Erwartungen und Anforderungen an Unterstützung und Beratung in 44 öffentlichen Einrichtungen steigen“ (Howe, 2020, S. 2).

Eine Ombudsperson für Deutschlands Zukunft?

In Deutschland gibt es bis jetzt keine vergleichbare Position zum Amt des*der FGC. 

Thematisch am nächsten kommt der „Rat für nachhaltige Entwicklung“, der die Bundesregierung in Sachen Nachhaltigkeitspolitik berät. In Hinblick auf Vertretung als relevant betrachteter Anliegen oder Themen ernennt die Bundesregierung regelmäßig sog. Sonder- oder Bundesbeauftragte (z.B. für Migration, Ostdeutschland oder Tierschutz). Beide Institutionen entsprechen aber weder in der Art ihrer gesetzlichen Verankerung noch in Bezug auf ihre inhaltliche Ausgestaltung dem Amt des*der FGC.

Ein klar formuliertes Gesetz wie der Well-being of Future Generations (Wales) Act, das öffentliche Einrichtungen dazu verpflichtet, die Interessen künftiger Generationen zu berücksichtigen, wäre der erste wichtige Schritt in Richtung eines*r deutschen FGC bzw. einer OZG (Ombudsperson für zukünftige Generationen). Denn die Verknüpfung des Amtes mit definierten Staatszielen im Kontext von Nachhaltigkeit und einem gutem Leben für alle könnte dafür sorgen, dass die Ombudsperson auf allen politischen Ebenen gehört und als wegweisend anerkannt wird. Für eine sinnvolle und zielführende Arbeit ist es zudem wichtig, dass die Ombudsperson per Gesetz unabhängig vom parlamentarischen Gesehen arbeiten kann, und ein unabhängiges und den Aufgaben entsprechendes Budget hat (Göpel 2014; Howe 2020).

In der Literatur wird vermehrt diskutiert, eine Ombudsperson für zukünftige Generationen in Deutschland mit Durchsetzungsbefugnissen, wie bspw. einem Veto-Recht gegenüber Gesetzesvorhaben, auszustatten: „Die Ombudsperson [sollte] autorisiert sein, Projekte und Politikvorschläge zunächst zu stoppen, wenn stichhaltige Bedenken bezogen auf deren langfristige Auswirkungen vorliegen.“ (Göpel 2014, S.100). Auch die Möglichkeit zur aktiven Mitwirkung an Gesetzgebungsprozessen ist denkbar. Gesetzgebungsprozesse werden dann effektiv, wenn die Ombudsperson schon zu Beginn miteinbezogen wird und sich so die Wahrscheinlichkeit verringert, dass später Einsprüche oder sogar Klagen erhoben werden (ebd.). 

Es wäre eine demokratiefördernde Maßnahme, das Ombudspersonen-Amt als eine Schnittstelle zur Bürger*innenschaft auszugestalten: Sie sollte offen und niederschwellig erreichbar für die Belange der Bürger*innen sein und gleichzeitig Informationen aus den Regierungs- und Parlamentssitzungen an die Öffentlichkeit tragen. Hätten Bürger*innen zusätzlich niedrigschwellige Beschwerderechte gegenüber der Ombudsperson, würde dies ihre Einflussmöglichkeiten erweitern und unmittelbarer und direkter machen (Göpel 2014).

Wichtig ist darüber hinaus eine gute Zusammenarbeit mit und Zugang zu NGOs, aktivistischen Gruppen und Expert*innen aus Wissenschaft und Forschung sowie aus Unternehmen, wie sie auch in Wales stattfindet (Anderson 2018; Göpel 2014). könnte die Ombudsperson etwa auch bei der Wissenschaftskommunikation helfen, sodass wissenschaftliche Erkenntnisse schnell und gut verständlich an die Öffentlichkeit getragen werden. Insgesamt ist Transparenz wichtiger Teil ihrer Arbeit, um Vertrauen aufzubauen und zu halten (Göpel 2014).

Es braucht eine qualifizierte Ombudsperson mit einer hohen Bereitschaft, öffentliche Einrichtungen (einschließlich Kanzler*in, Regierung und Parlamentarier*innen) konsequent zur Rechenschaft zu ziehen (Davies 2017). Diskutiert werden kann, ob die Vertretung für zukünftige Generationen wie in Wales vom Parlament bzw. der Regierung ernannt, oder direkt vom Volk gewählt werden soll. Für die erste Variante spricht, dass die Ombudsperson einen ausführlichen Auswahlprozess durchlaufen muss, der ihre Eignung überprüft. Außerdem könne sie so frei von einem vermeintlichen Wähler*innenwillen agieren (Howe & Nutbeam 2023). Eine zugrundeliegende Wahl würde die Position hingegen demokratisch legitimieren. Sinnvoll erscheint in jedem Fall, ein längerer Ernennungszeitraum wie in Wales mit 7 Jahren, um Projekte Legislatur-übergreifend und umfassender zu bearbeiten.

Das Amt des*der Future Generation Commissioner hat in Wales schon an verschiedenen Stellen dazu beigetragen, die Interessen zukünftiger Generationen in Entscheidungsprozessen erfolgreich zu vertreten. Eine solches Amt ist eine sinnvolle Möglichkeit für das politische System in Deutschland oder auf EU-Ebene, um gerechtere und nachhaltigere Politiken zu fördern und hat bei gezielter Ausgestaltung im Hinblick auf Unabhängigkeit, Legitimität, Effizienz, Zugangsrechten und Transparenz auch hier das Potential, erfolgreich zu sein. 

Eine Einschätzung zur Frage, wie realistisch eine Einrichtung des Amtes in Deutschland ist, würde an dieser Stelle zu weit führen. Göpel verweist aber auf eine große Zustimmung in der europäischen Bevölkerung „für weitreichende Reformen der europäischen und nationalen Regierungsinstitutionen, damit sie zukunftsgerecht werden“ (Göpel 2014, S.89). Mit Blick auf das Reißen der eigenen Klimaziele und der globalen 1,5 Grad-Grenze bleibt indes festzuhalten, dass die bestehenden deutsche Regierungsinstitutionen es bisher nicht vermögen, wirkungsvolle Politiken für die Bedürfnissicherung zukünftiger Generationen zu gestalten. Das muss sich ändern – eine Ombudsperson für zukünftige Generationen wie in Wales wäre ein Schritt in diese Richtung.


Literatur

Anderson, Victor (2018). Protecting the interests of future generations. CUSP Working Paper No 14. Guildford: University of Surrey. Online verfügbar unter: www.cusp.ac.uk/publications (abgerufen am 26.02.2024).

Davies, Haydn (2017). The Well-being of Future Generations (Wales) Act 2015: A Step Change in the Legal Protection of the Interests of Future Generations? In: 

Journal of Environmental Law, 2017, 29, 165-175. https://doi.org/10.1093/jel/eqx003

Göpel, Maja (2014). Ombudspersonen für zukünftige Generationen: Diktatoren oder Bürgervertreter? In: Gesang, Bernward (Hrsg.). Kann Demokratie Nachhaltigkeit? Wiesbaden, Springer Fachmedien, 89-108.

Howe, Sophie/ Nutbeam, Don (2023). Interview with inaugural Future Generations Commissioner for Wales Sophie Howe: embedding a wellbeing approach in government. Public Health Res Pract. 2023, 33(2):e3322314. https://doi.org/10.17061/phrp3322314 

von Knebel, Moritz (2023). Cross-country comparative analysis and case study of institutions for future generations. In: Futures, 2023, 151. https://doi.org/10.1016/j.futures.2023.103181.

Welsh Government (2022). Future generation Commissioner for Wales – Candidates Information Pack. Verfügbar unter: https://cymru-wales.tal.net/vx/lang-en-GB/mobile-0/appcentre-3/brand-2/xf-bc6fe1d08377/candidate/download_file_opp/7873/26391/1/0/8125d51a1d06db99e11920ffb54ea88a633bf1d3

World Future Council (Hrsg.). Guarding our future: How to include future generations in policy making. Hamburg, Oeding print. Online verfügbar unter: https://www.worldfuturecouncil.org/wp-content/uploads/2016/01/WFC_2014_Guarding_our_Future_En.pdf


Autorinbeschreibung

Lilli Möller hat einen Bachelor in Politik und Recht und studiert im Master Humangeographie an der Universität Münster. Sie arbeitet außerdem als Studentische Hilfskraft am Institut für Politikwissenschaften und am ZIN.

Dieser Blogbeitrag entstand im Rahmen eines Seminars zu Nachhaltigkeit und Demokratie von Lena Siepker und der ZIN-Tagung „Gerechte Demokratie“ im Franz-Hitze-Haus (18.-19.01.). Dort stand unter anderem die Frage im Fokus: Wie können marginalisierte Stimmen im politischen Prozess mehr Gehör finden, gleichberechtigt am Diskurs für eine sozial-ökologische Transformation beteiligt werden?