Universities for Future?! Bestandsaufnahme an und Potenziale von Münsteraner Hochschulen in der sozial-ökologischen Transformation

Rebecca Froese & Tobias Breuckmann

Das Verbundprojekt „SUNRISE LAB – Nachhaltige Hochschullandschaft Münster“ hat sich zum Ziel gesetzt, eine verstärkte Reflexion möglicher Transformationspfade innerhalb der Hochschulen sowie eine ko-kreative Transformation der Hochschulen voranzubringen. Um vom gemeinsamen Erfahrungs- und Wissensschatz zu profitieren und verschiedene Akteur*innengruppen von Beginn an in diese Prozesse einzubinden, arbeiten die drei Hochschulen FH Münster, katho NRW (Standort Münster) sowie die Universität Münster zusammen. Ziel einer ersten Bestandsaufnahme war herauszufinden, welche ermöglichenden und behindernden Strukturen Mitglieder der Münsteraner Hochschulen in ihrem Bestreben, Nachhaltigkeitstransformation anzustoßen, erleben und welche Bedarfe und Themen sich daraus für die Gestaltung partizipativer Formate wie Reallabore ergeben. Hierzu wurden 56 Interviews an den drei beteiligten Hochschulen, sowie mit ausgewählten außeruniversitären Akteur*innen geführt, und über 1000 beantwortete Umfragebögen ausgewertet. In diesem Blogbeitrag fassen wir die Kernergebnisse der Erhebung, beginnend mit den abgeleiteten Empfehlungen, zusammen. 

Welche Aufgaben ergeben sich für Hochschulleitungen?

Aus den weiter unten ausgeführten Hürden, denen die drei Münsteraner Hochschulen in der Nachhaltigkeitstransformation gegenüberstehen, ergeben sich grundlegende Aufgaben, die top-down zu bewältigen sind, um die Bedingungen für gemeinsames Engagement im Sinne einer tiefgreifenden und ernstgemeinten partizipativen Nachhaltigkeitstransformation zu schaffen:

  1. Der Abbau administrativer Hürden und die Schaffung von Ermöglichungsstrukturen zur inter- und transdisziplinären institutionalisierten Zusammenarbeit in Forschung und Lehre;
  2. Die Schaffung von Freiräumen und die Ermöglichung von messbarer Anerkennung und Wertschätzung für Engagement, zum Beispiel durch Leistungspunkte für studentisches Nachhaltigkeitsengagement oder Freistellung/Aufstockung von Stellen von Mitarbeitenden für die entstehende Mehrarbeit in Nachhaltigkeitsprojekten;
  3. Die Demokratisierung der Verwaltungs- und Hochschulstrukturen vor allem für schlechter gestellte Statusgruppen wie Studierende, wissenschaftliche Mitarbeitende oder Verwaltungsangestellte.

Welche Empfehlungen ergeben sich für Hochschulmitglieder in zentralen Positionen?

Gleichzeitig braucht es weitere partizipative Formate, wie z.B. Reallabore, um problembezogen und experimentell die weitere Nachhaltigkeitstransformation aus der Breite der Statusgruppen heraus voranzutreiben. So kann auch Wissen für weitere Transformationsherausforderungen geschaffen und Teilnehmende zu politischer Teilhabe befähigt werden. Dafür werden ebenfalls bestimmte Rahmenbedingungen benötigt, wie die Interviews und die Umfragen gezeigt haben:

  1. Die Schaffung niedrigschwelliger und möglichst offener Partizipationsformate, die auch auf die Beteiligung unterrepräsentierter Gruppen achtet;
  2. die generelle Prozessoffenheit von Partizipationsformaten und Möglichkeiten zur Reflexion der Prozesse und Machtverhältnisse innerhalb der partizipativen Formate gemeinsam mit den Teilnehmenden;
  3. die Sicherstellung tatsächlich transformativer Teilhabe und der Verstetigung erarbeiteter Nachhaltigkeitspraktiken und Räume;
  4. die Vernetzung bestehender Nachhaltigkeitsprojekte und -initiativen untereinander, um erarbeitetes Wissen für alle verfügbar zu machen und damit Synergien zu schaffen und parallele Strukturen zu vermeiden;
  5. die Schaffung einer positiven gemeinschaftsstiftenden und inspirierenden Atmosphäre innerhalb von Nachhaltigkeitsprojekten, aber auch innerhalb der zu schaffenden dialogfokussierten Beteiligungsformate;
  6. der Einbezug unterschiedlicher Statusgruppen, auch außerhalb der Hochschulen und das in Kontakt bringen unterschiedlicher Lebensrealitäten und Nachhaltigkeitsexpertisen in den Bereichen;
  7. die Anpassung der Formate an die Bedürfnisse und Teilhabefähigkeiten der Teilnehmenden, insbesondere über Lehrformate, die Einbettung in Alltagsstrukturen oder die zeitliche Entzerrung der Formate.

Ziele und Hintergrund des Projektes

Für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation braucht es ein Zusammenwirken aller gesellschaftlichen und politischen Akteur*innen, die jedoch aufgrund ihrer Position in Politik und Gesellschaft unterschiedliche Gestaltungsspielräume und Handlungsressourcen haben. Hochschulen sind solch ein Akteur in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen und können wichtige Impulse für die lokale und regionale Transformation geben. Doch auch innerhalb von Hochschulen besteht ein derartiges Gefälle, etwa zwischen Verwaltungsangestellen, Professor*innen oder Studierenden, was gleichermaßen nicht-nachhaltige Strukturen aufrechterhalten kann.

Um ihrer Rolle als Transformationstreiberinnen gerecht zu werden, bedarf es einer verstärkten Reflexion möglicher Transformationspfade zu Stärkung der Nachhaltigkeit innerhalb der Hochschulen sowie einer ko-kreativen Zusammenarbeit hochschulintern sowie -extern. Um die ko-kreativen Prozesse im Rahmen von Reallaboren bedarfsgerecht zu gestalten, wurde zunächst eine Bestandsaufnahme durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Erhebungen verfolgen das übergeordnete Ziel, die Barrieren, Treiber und weitere Einflussfaktoren auf die Hochschultransformation zu untersuchen, Handlungsfelder zu identifizieren und vielfältige Einblicke zur Gestaltung der im Projekt SUNRISE LAB geplanten Reallabore zu erhalten. Zur Erreichung dieses Ziels wurden zunächst bestehende Nachhaltigkeitsinitiativen und transformative Projekte, sowie das dahinterliegende Nachhaltigkeitswissen und das damit einhergehende Engagement und die Motivationen an den drei größten Münsteraner Hochschulen untersucht. Desweiteren beschäftigten wir uns mit Fragen nach Partizipation an Hochschulen und Methoden der Ko-Produktion, insbesondere Reallaboren. Die Ergebnisse dieser Erhebung sind im Bericht „Münsteraner Hochschulen in der Nachhaltigkeitstransformation – Bestandsaufnahme und Ausblick“ ausgiebig beschrieben. hIm Folgenden präsentieren wir die Hürden auf dem Weg zur Nachhaltigkeitstransformation, auf denen die oben beschriebenen Empfehlungen basieren. Zudem geben wir einen Ausblick auf zukünftige Fragen, die wir für die weitere Arbeit im SUNRISE LAB zur Erforschung von Reallaboren identifiziert haben.

Hürden auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit an Hochschulen

Viele Befragte gaben sowohl in den Interviews als auch in der Online-Umfrage an, eine grundlegend erhöhte Aufmerksamkeit und leichte Fortschritte im Bereich der Nachhaltigkeit an ihrer Hochschule auszumachen. Gleichzeitig identifizierten die Befragten auch eine Vielzahl an Hürden für Nachhaltigkeitsengagement, unter anderen:

  1. Mangelnde Institutionalisierung: Durch alle Hochschulbereiche hinweg, gaben die Befragten an, dass vorhandenen Projekte und Initiativen im Bereich Nachhaltigkeit überwiegend auf der Initiative einzelner, sehr engagierter und intrinsisch sowie extrinsisch motivierter Menschen zurückgehen. Zudem erzeuge die Kleinteiligkeit vieler Projekte und Initiativen sowie administrative Hürden bei untypischen Projekten bei vielen Befragten eine gewisse Frustration.[1]
  2. Mangelnde Wertschätzung: Bestehende Initiativen fänden bisher wenig messbare Anerkennung oder Wertschätzung und müssten in der Konsequenz zusätzlich zur bestehenden Arbeitsbelastung stattfinden;
  3. Unflexible Strukturen: Die bestehenden Initiativen berichten von den Grenzen der bestehenden Hochschulstrukturen und beklagen eine mangelnde Flexibilisierung der bestehenden Partizipations- und Entscheidungsstrukturen;
  4. Mangelnder Veränderungswille: Eingespielte Logiken bspw. des Betriebs oder der Forschung werden als schwer durchbrechbar geschildert. Zudem sollten die Hochschulen sich nicht nur als Bereitsteller*innen von Nachhaltigkeit für die Gesellschaft, im Sinne des Transfergedankens verstehen, sondern auch die Verantwortung ihrer internen Transformation ernsthafter wahrnehmen;
  5. Mangelnde politische Einflussnahme: Einige Befragte erwähnen, dass die Hochschulen in Münster große Organisationen sind, die auch auf politischer Ebene noch mehr Gewicht haben könnten, um gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und politische Veränderungen zur Stärkung der Nachhaltigkeitstransformation anzustoßen.

Zusätzlich zu diesen allgemeinen Erkenntnissen zur Stärkung der Nachhaltigkeitstransformation an den drei Münsteraner Hochschulen ergab die Befragung Erkenntnisse zu spezifischen Themenbereichen. Einige Befragte erwähnten, dass sie im Vergleich zu Klimafragen noch sehr wenig Wissen über und Bewusstsein für Fragen der Biodiversität hätten. Darüber hinaus wurde besonders häufig gefordert, soziale Fragen mit in partizipative Formate einzubeziehen. Konkret wurde dafür plädiert, die Bedürfnisse sozial benachteiligter Gruppen zu adressieren und mit anderen Nachhaltigkeitsthemen zusammen zu bringen. In diesem Kontext wurden auch Themen der veränderten ökonomischen Praktiken, wie Kreislaufökonomien, oder generell nicht wachstumsorientierte Wirtschaftspraktiken genannt. Um diese Aspekte aufzugreifen, werden derzeit fünf Reallabore im Rahmen des Projektes SUNRISE LAB aufgebaut. Das Projekt SUNRISE LAB wird über diese Forschungsaktivitäten über die entsprechenden Web– und Social Media-Kanäle berichten.

Wenn Sie über die Aktivitäten des SUNRISE LAB informiert werden möchten, tragen Sie sich gerne in die E-Mail Liste des Projektes ein.

Die hier beschriebenen Ergebnisse basieren auf dem Bericht „Münsteraner Hochschulen in der Nachhaltigkeitstransformation – Bestandsaufnahme und Ausblick“, der im Rahmen des Projektes SUNRISE LAB entstanden ist. An den Vorbereitungen, der Durchführung, und der Auswertung der Forschung, sowie der Erstellung des Berichtes haben zudem mitgewirkt: Prof‘in Dr. Iris Dzudzek, Prof‘in Dr. Doris Fuchs, Daria-Maria Gerke, Fady Guirgis, Dr’in Milena Jostmeier, Lilli Möller, Prof‘in Dr. Swantje Notzon, Dr‘in Iulia-Maria Stroila und Lea Wilkens.


[1] Einige Beteiligte verwiesen auf bestehende institutionalisierte Strukturen, insbesondere das Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN) und das StadtLabor Münster, betonten aber auch, dass die Etablierung dieser Strukturen aus der Initiative Einzelner oder kleiner Gruppen entstanden sind, die viele eigene Ressourcen in diese Anliegen investiert haben.


Literatur

Breuckmann, Tobias; Froese, Rebecca; Gerke, Daria-Maria; Guirgis, Fady; Jostmeier, Milena; Notzon, Swantje; Stroila, Iulia-Maria; Wilkens, Lea (2023). Münsteraner Hochschulen in der Nachhaltigkeitstransformation – Bestandsaufnahme und Ausblick. Bericht. Münster: miami. doi: 10.17879/87968611566.


Autor*innenbeschreibung

Dr’in Rebecca Froese forscht am Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung und am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Münster. Dort beschäftigt sie sich mit dem Aufbau eines Reallabors im Themenfeld Diversität in der sozial-ökologischen Transformation und der Frage, wie Hochschulen zu Treibern von Nachhaltigkeitstransformationen werden können. Ihre Forschungsthemen umfassen neben transdisziplinärer Forschung auch weiterführende Fragen zu Konflikttransformation, Friedensbildung und Gerechtigkeit in der sozial-ökologischen Transformation. Sie promovierte an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (bis 12/2022 Universität Koblenz-Landau) zu Umweltgovernance, Landnutzungskonflikten und sozial-ökologischen Kipppunkten im südwestlichen Amazonien.

Dr. Tobias Breuckmann arbeitet am Geographischen Institut und dem StadtLabor Münster des Fachbereichs Geowissenschaften. Dort ist er mit der Implementierung und Durchführung des Reallabors zu „Stoffkreisläufen“ betraut und eruiert dort partizipativ, welche Infrastrukturen solidar- und kreislaufökonomische Initiativen brauchen, um zur Transformation Münsters zur Kreislaufstadt beizutragen. In seiner Promotion an der CAU Kiel (bis 11/2022) befasste er sich mit der sozialräumlichen Steuerung von Fluchtbewegungen im Kontext des europäischen Grenzregimes in griechischen Geflüchtetenlagern.