Wie viele andere Kommunen in Deutschland, will auch Münster klimaneutral werden – zu diesem Ziel hat sich die Stadt mit der Teilnahme am Bundesprogramm Masterplan 100% Klimaschutz verschrieben. Damit sollen bis zum Jahr 2050 die Treibhausgasemissionen um 95% und der Energieverbrauch um 50% (im Vergleich zum Jahr 1990) reduziert werden – ein insgesamt positiver Schritt in eine Richtung, die den Klimawandel und seine Folgen ernst nimmt.
Diese Ziele sind jedoch ambitioniert und nicht „einfach“ zu erreichen. Der Masterplan sagt deshalb auch, dass die Beteiligung der BürgerInnen notwendig ist, damit die CO2-Emissionen und der Energieverbrauch so drastisch gesenkt werden können: „Um die genannten inhaltlichen Strategien zu realisieren, muss […] die bürgerschaftliche Arbeit für den kommunalen Klimaschutz intensiviert werden.“ (Stadt Münster). Das Konzept des Masterplans sieht also eine rege Beteiligung aller BürgerInnen der Stadt vor. Schon der Masterplan selbst wurde in Zusammenarbeit von FachexpertInnen und BürgerInnen der Stadt erstellt. Die Stadt handelt damit ausgesprochen proaktiv: sie will klimaneutral werden, gleichzeitig BürgerInnen mit einbeziehen und diese sich aktiv beteiligen lassen. Damit wird unterstrichen, dass die Umwandlung der Stadt Münster zu einer klimaneutralen Stadt nicht im Alleingang der Stadtverwaltung geschehen kann, sondern ganz im Gegenteil, vielmehr das Mitwirken aller Bürgerinnen und Bürger zentral für das Gelingen ist!
Man könnte also sagen, dass Beteiligung gefördert wird, was eine zentrale Grundlage unserer Demokratie ist. Denn Beteiligung heißt, die eigene Meinung einbringen und vertreten zu können, etwas zum Gemeinwohl beizusteuern, aber auch kritisieren zu können, wenn etwas nicht so gut läuft. Oder?
Es gibt Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler (bspw. Inger Lassen und Anders Horsbøl [2016] oder Barbara Sutter [2005]) , die den Aufruf zu mehr Beteiligung kritischer betrachten. Sie kritisieren etwa, dass es einer Regierung dabei nicht vor allem um die Förderung von Demokratie gehe, sondern darum, das Verhalten von BürgerInnen zu lenken. Und zwar so zu lenken, dass die BürgerInnen so handeln, wie es der Regierung zuträglich ist.
Was heißt das für das Ziel der klimaneutralen Stadt Münster bzw. ganz allgemein für alle anderen ambitionierten Masterplanprozesse im Rahmen des Klimaschutzes? Könnte auch hier darauf hingewirkt werden, das Verhalten der BürgerInnen auf eine bestimmte Art und Weise zu beeinflussen? Ein detaillierter Blick in den Münsteraner Masterplan zeigt, dass neben der Veränderung der Stadtstrukturen (etwa durch technische Lösungen zur Reduzierung von Energieverbrauch) tatsächlich auch eine weitere große Veränderung angestrebt wird: die Veränderung der Stadtgesellschaft selbst.
Transformation der Stadtgesellschaft: Allheilmittel private Suffizienz?
Bürgerinnen und Bürger können sich über verschiedene Projekte im Rahmen des Masterplanprozesses beteiligen. Es gab zum Beispiel einen BürgerInnenforum, bei dem sie über Wünsche, Ziele und Ideen des Klimaschutzes diskutieren konnten. Es wurde über zukünftige technische Entwicklungen, aber auch über den Einfluss von Lebensstilen und NutzerInnenverhalten diskutiert oder es wurden eigene Projekte entwickelt. Häufig taucht dabei ein zentrales Motiv auf: ein klimaschonender, suffizienter Lebensstil. Dabei wird unter dem Begriff der Suffizienz die Verringerung von Rohstoffen und Energie durch Reduzierung oder auch Verzicht verstanden, und dies vor allem auf Basis von Verhaltensänderungen. (Dazu auch ein anderer Blogartikel). Im Kontext des Masterplans, aber auch in vielen anderen Kontexten, wird Suffizienz als Weg zu einer Form des Verzichts gesehen, die die Lebensqualität letztlich steigert, anstatt schmerzhafte Verluste zu erfordern.
Es zeigt sich mit Blick auf den Masterplan, dass neben der – oder gerade im Kontext der –Beteiligung ein bestimmtes Verhalten der BürgerInnen angestoßen werden soll: eine Verhaltensänderung hin zu einem nachhaltigen Lebensstil, der sich an der Suffizienz orientiert. Das schreibt die Stadt Münster auch ganz explizit: „Ein wichtiger, sektorübergreifender Schwerpunkt des Masterplans liegt im Bereich einer Veränderung der Lebensstile der Münsteraner Bürger hin zu suffizientem, klimaschonendem Verhalten.“ (Herv. im Original, Stadt Münster 2017: 16) Aber ist dies nun gut oder schlecht?
Zwischen Klimabewusstsein und Verantwortungsverschiebung
Das Vorhaben, BürgerInnen zu einem umweltschonenderen Verhalten „bringen“ zu wollen, kann erst einmal per se nicht für schlecht befunden werden. Schließlich ist die Bildung eines klimaschonenderen und nachhaltigen Bewusstseins ein wichtiger Schritt, um einen wirklich effektiven Klimaschutz zu erreichen, indem sich jede/r Einzelne daran beteiligt, nachhaltig zu leben. Es gibt jedoch drei Dinge, die dabei näher betrachtet werden müssen.
Erstens wird durch den Masterplan ein bestimmtes Verhalten von der Verwaltungsebene vorgegeben, dass diese als „richtig“ für den Klimaschutz befindet. Dieses steht trotz der Beteiligung der BürgerInnen und Bürger allerdings so nicht direkt zur Debatte. Es dürfen zwar eigene Projekte entwickelt werden, jedoch sind diese im Rahmen der vorgegebenen Kriterien zu gestalten. Kritisch dabei ist, dass nur bestimmte politische Lösungsoptionen in Betracht gezogen werden. Durch die Vorgabe an „richtigem“ klimaschonenden Verhalten ist es nicht unbedingt möglich für Bürger und Bürgerinnen, Alternativen außerhalb der bereits vorgegebenen Lösungsoptionen zu entwickeln. Es wird dabei Gefahr gelaufen, dass nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten zum Schutz des Klimas realisiert werden.
Zweitens bedeutet diese Art des „lenkenden“ Regierens, dass BürgerInnen politischen, von oben erteilten „Vorgaben“ folgen, ohne sich dessen möglicherweise bewusst zu sein sowie ohne dies entsprechend reflektieren oder hinterfragen zu können. Angestoßen durch den Masterplan wird das eigene Verhalten, vereinfacht gesagt, also erst „von außen“ geformt, bis die Bürgerinnen und Bürger schließlich aus vermeintlich eigenem Antrieb heraus ihr Verhalten nach den formal angestrebten Ideen und Zielen ausrichten. Damit ist eine kritische Hinterfragung des eigenen Verhaltens (z.B.: möchte ich so handeln? Gibt es für mich bessere Alternativen, klimaschonend zu leben?) unwahrscheinlicher.
Drittens, und vermutlich am Wichtigsten, kann es durch den Fokus auf die Verhaltensänderung der BürgerInnen zu einer Verschiebung der Verantwortlichkeiten kommen. Wenn ein suffizienter, klimaschonender Lebensstil der Einzelnen als entscheidendste Grundlage für das Aufhalten des Klimawandels gesehen wird, geben die Regierenden die eigene politische Verantwortung ein Stück weit ab. Denn ein suffizienter Lebensstil der BürgerInnen kann nicht die einzige Antwort auf klimapolitische Fragen sein.
Es lässt sich festhalten, dass BürgerInnenbeteiligung unter bestimmten Umständen sehr gute Wirkungen erzielt – etwa die Ermächtigung der Bürger und Bürgerinnen, die Beisteuerung kreativer Lösungswege, die Einbindung des „lokalen“ Wissens der BürgerInnen, oder die Schaffung einer gemeinsamen Identität. Hierbei muss jedoch immer kritisch hinterfragt werden, ob die nötigen Bedingungen für eine gute Beteiligung wirklich gegeben sind: Werden Spielräume für freie, offene Diskussionen, bspw. über den richtigen Weg zum Klimaschutz, geboten? Wird Verantwortung im Beteiligungsprozess sowie bei der Umsetzung seiner Ergebnisse auf BürgerInnen, die Stadtverwaltung und ggf. auf andere AkteurInnen verteilt? Dies sind einige beispielhafte Fragen, über die es sich sicherlich lohnt im Prozess nachzudenken.
Quellen
Lassen, Inger/Horsbøl, Anders (2016): Governing citizen engagement. A discourse studies perspective. In: McIlvenny, Paul/Klausen, Julia Uhukova/Lindegaard, Laura Bang (Hrsg.): Studies of Discourse and Governmentality. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamin Publishing. S. 73-94.
Stadt Münster, Amt für Grünflächen, Umwelt und Nachhaltigkeit (Hrsg.) (2017): Masterplan 100% Klimaschutz. Münster Klimaschutz 2050. Münster.
Sutter, Barbara (2005): Von Laien und guten Bürgern. Partizipation als politische Technologie. In: Bogner, Alexander/Torgersen, Helge (Hrsg.): Wozu Experten? Ambivalenzen der Beziehung von Wissenschaft und Politik. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. S. 220-240.
Zum Weiterlesen:
Einen Artikel zur Erklärung des Begriffes „Suffizienz“ vom BUND findet ihr hier.
Auch das sog. Nudging wird manchmal kritisch hinterfragt, weil es Verhalten häufig indirekt und versteckt in eine vermeintlich „richtige“ Richtung lenkt. Mehr zum Thema Nudging im Bereich Umweltschutz-Marketing erfahrt ihr bei Interesse in diesem Artikel oder auch in diesem.
Zu der Autorin: Karolin Eisenbraun studiert im zweiten Fachsemester den Master Politikwissenschaft an der WWU Münster. In ihrer Bachelorarbeit hat sie sich mit Gouvernementalität und der subtilen Art zu Herrschen im Bundesprogramm „Masterplan 100% Klimaschutz“ beschäftigt.