Das große Ganze betrachten – Inventarisierung und Vergleich von universitären Nachhaltigkeitsaktivitäten

Fynn Schmidt & Julia Wiethüchter

Universitäten sind relevante Akteure der Nachhaltigkeitstransformation. Sie tragen einerseits große Verantwortung in ihren Aufgaben der Wissensgenerierung, der Bildung und Ausbildung zukünftiger Generationen, als Arbeitgeber und als Partner der Zivilgesellschaft, des Staates und der Privatwirtschaft. Andererseits leisten sie auch einen wesentlichen Beitrag zur Nicht-Nachhaltigkeit über ressourcenintensive Forschung und Mobilität, und zunehmend instabilen Arbeitsstrukturen (zum Beispiel häufige Flugreisen, hohe Pendlermobilität wegen häufiger Wechsel des Arbeitsortes, kurze Verträge, energieintensives Equipment). Daraus ergibt sich ein besonderes Potenzial von Universitäten als Treiber der Nachhaltigkeitstransformation innerhalb und außerhalb der Institution.

An vielen Universitäten gibt es bereits wichtige Nachhaltigkeitsaktivitäten. Woran es jedoch mangelt, ist ein Austausch zwischen den Hochschulen, ein Voneinander-Lernen und ein Transferieren von Nachhaltigkeitsaktivitäten (siehe dazu auch den Artikel von Anika Petersen). Genau hier setzt das Projekt LATERNE an. In dem Projekt werden Nachhaltigkeitsaktivitäten mit Leuchtturmcharakter[1] identifiziert, verstärkt und übertragen. Im ersten Schritt wurden dazu die Nachhaltigkeitsaktivitäten der Universitäten Münster, Siegen und Osnabrück inventarisiert und verglichen. Dabei wurde der Whole Institutions Approach (WIA) beachtet, der die ganzheitliche Betrachtung von Lernorten betont. Für Hochschulen umfasst der WIA die Bereiche Forschung, Lehre, Betrieb, Transfer und Governance (politische Steuerung und Koordination). Die Erkenntnisse dieser Inventarisierung und des hochschulübergreifenden Vergleichs werden im Folgenden vorgestellt. Es ist hier anzumerken, dass ein enger Begriff von „Nachhaltigkeitsaktivitäten“ gewählt wurde und nur solche Aktivitäten und Initiativen einbezogen wurden, die sich explizit selbst als „nachhaltig“ bezeichnen. Es besteht daher kein Anspruch auf Vollständigkeit. Die zu Grunde liegenden Informationen stammen aus dem Herbst 2023. Die hier stark zusammengefassten vorgestellten Ergebnisse sind in ausführlicher Form in diesem Arbeitspapier einsehbar.

Die Universitäten Münster, Osnabrück und Siegen

Komplexe Einrichtungen wie Universitäten lassen sich entlang vieler Dimensionen charakterisieren. Die unterschiedlichen Bedingungen an den drei Standorten bieten Vor- und Nachteile hinsichtlich der universitären Nachhaltigkeitstransformation und bedingen die jeweiligen Nachhaltigkeitsaktivitäten ganz maßgeblich. Die Berücksichtigung ähnlicher und unterschiedlicher Kontextbedingungen bildet den Rahmen für einen Vergleich der Nachhaltigkeitsaktivitäten und somit eine wichtige Grundlage mögliche interuniversitäre Lern- und Transferprozesse. 

Hier werden exemplarisch die Größe, das Forschungs- und Lehrprofil sowie der regionale Kontext herausgegriffen, nach denen sich die drei Universitäten ähneln und/oder unterscheiden. Die Uni Münster (ca. 45.000 Studierende; ca. 7.500 Mitarbeitende; Finanzvolumen im Jahr 2021: rund 767 Mio Euro)[2] gehört zu den großen Hochschulen in Deutschland, die Uni Siegen (18.000; 2.300; 130 Mio. Euro) und die Uni Osnabrück (13.500; 1.800; 169 Mio. Euro) zu den mittelgroßen.

Das Kerngeschäft der Universitäten sind Forschung und Lehre. Die Uni Münster hat ein breites Forschungsprofil, insbesondere die Geistes- und Sozialwissenschaften sowie die Natur- und Lebenswissenschaften sind hier stark vertreten. Studieninteressierte können aus über 280 Studiengängen wählen. Das Forschungsprofil der Uni Osnabrück ist sehr divers. Wie die Uni Münster ist auch die Uni Osnabrück ein wichtiger Standort der Lehrer*innenausbildung, ein Großteil der 157 Studiengänge wird hier für das Lehramtsstudium angeboten. Die Universität Siegen hat einen naturwissenschaftlich-technischen Schwerpunkt, ihr Lehrangebot der Uni Siegen umfasst 60 Studiengänge.

Die drei Universitäten wirken im Zusammenspiel mit ihren regionalen Kontexten. Münster ist eine Verwaltungs-, Dienstleistungs- und Universitätsstadt. Die Einrichtungen der Uni Münster liegen über die ganze Stadt verteilt und reichen bis ins umliegende agrarisch geprägte Münsterland. Die Stadt Osnabrück beheimatet ihre Universität an zwei großen Campi. Zum Stadtbild tragen die ansässige Metallverarbeitungsindustrie und das durch Naturpark und Landwirtschaft geprägte Umland bei. Zudem ist Osnabrück ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für Waren zwischen den niederländischen Häfen, Berlin und dem Ruhrgebiet. In Siegen liegt der universitäre Campus eingebettet in die ehemalige Bergbauregion Siegerland, in der die Metallproduktion und -verarbeitung weiterhin ein wichtiges ökonomisches Standbein sind.

Nachhaltigkeitsaktivitäten an der Uni Münster

Die zahlreichen Institutionen, Initiativen und Projekte im Bereich Forschung für Nachhaltigkeit sind an der Uni Münster im Forschungsschwerpunkt „Sustainable Futures“ gefasst, von denen mindestens drei Institutionen mit Leuchtturmcharakter hervorstechen: das Stadtlabor, die Batterieforschung am MEET und das ZIN. In der Lehre hingegen besteht noch Ausbaupotenzial: zwar nehmen viele Seminare Bezug auf das Thema, jedoch trägt bislang nur ein Studiengang „Nachhaltigkeit“ im Titel.

Für Transferangelegenheiten ist an der Uni Münster zuvorderst die Arbeitsstelle Forschungstranfer (AFO) zuständig, die beispielsweise über den Citizen-Science-Ansatz immer wieder nachhaltigkeitsrelevante Forschungsprojekte in Kooperation mit der Bürger*innenschaft fördert. Eine wichtige Einrichtung an der Schnittstelle von Universität und Stadtverwaltung ist der Arbeitskreis Nachhaltige Stadtentwicklung von der Allianz für Wissenschaft, der wissenschaftliches Know-how für die nachhaltige Entwicklung der Stadt Münster nutzt. Zudem engagieren sich zahlreiche Studierendeninitiativen für Nachhaltigkeit, bspw. der Verein Wirtschaft und Umwelt e.V. oder die Students for Future.

Die Governance-Ebene der Universität trägt das Thema durch das Prorektorat für Internationales, Transfer und Nachhaltigkeit, unter dessen Federführung im Jahr 2023 eine Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet wurde. Für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie in betrieblichen Angelegenheiten ist die Stabstelle Nachhaltigkeit zuständig, die dem Rektorat untersteht. Sie koordiniert einen AG-Prozess, bei dem mit dem wissenschaftlichen und administrativen Personal sowie Studierenden auf die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie hingearbeitet wird.  

Nachhaltigkeitsaktivitäten an der Universität Osnabrück

Das Forschungszentrum Institut für Umweltforschung ist die wichtigste Einrichtung der Uni Osnabrück im Bereich der Forschung zur ökologischen Dimension von Nachhaltigkeit. Die soziale Dimension wird in weiteren Einrichtungen untersucht, exemplarisch zu nennen ist hier das CeCoP Center for the Study of Conflict & Peace. Das Konzept Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) ist teilweise in die Lehramtsstudiengängen integriert, zudem können Studierende ein fachbereichsübergreifendes Nachhaltigkeitszertifikat erwerben, das ihnen eine zusätzliche Qualifikation in diesem Bereich ermöglicht

In den betreffenden Einrichtungen der Universität mit Zuständigkeiten im Bereich Transfer ist das Thema Nachhaltigkeit noch nicht erkennbar verankert, weshalb sich Nachhaltigkeitsaktivitäten in diesem Bereich auf studentisches Engagement, wie beispielsweise den Einsatz zum Erhalt des Luhrmannshof (selbstverwaltetes Wohnheim für Azubis und Studierende), beschränkt.

Im Bereich Betrieb arbeitet ein dreiköpfiges Team aus dem Gebäudemanagement an der Entwicklung und Implementierung eines „integrierten Klimaschutzkonzeptes“ zur ökologischen Campusgestaltung. In diesem Vorhaben kooperiert es mit diversen Arbeitskreisen und Programmen, wie dem Green IT-Arbeitskreis. Bislang ist von der Universität Osnabrück kein Leitbild oder Zukunftskonzept veröffentlicht worden, welches die Nachhaltigkeitsaktivitäten auf der Governance-Ebene umrahmt.

Nachhaltigkeitsaktivitäten an der Universität Siegen

An der Universität Siegen gibt es einige Forschungsprojekte, die zum Thema Nachhaltigkeit forschen, wie beispielsweise das Projekt SustainKMU, die sich durch eine besondere enge Kooperation mit Praxispartner*innen auszeichnen. Eine über Projektlogiken hinaus institutionalisierte Forschungseinrichtung für Nachhaltigkeit findet sich indes nicht. Wie auch in Osnabrück können Studierende der Uni Siegen ein interdisziplinäres Nachhaltigkeitszertifikat erwerben. Zudem tragen die bereits genannten Projekte das Thema Nachhaltigkeit ins Lehrangebot, beispielsweise über die co-kreative Entwicklung von Reallaboren im Projekt FUSION.

Im Bereich Transfer ist die Uni Siegen besonders stark aufgestellt. Es findet insgesamt eine enge Verzahnung von Wissenschaft und regionalen Praxispartner*innen auf der Ebene der Forschungsprojekte und darüber hinaus statt. Die Uni Siegen ist zudem auch überregional gut vernetzt: sie gehört zu den Gründungsmitgliedern der HumboldtN, einer Nachhaltigkeitsinitiative, über die 16 Universitäten aus NRW und das Wuppertal-Institut verbunden sind. An der Uni Siegen liegt ein besonderer Fokus auf HumboldtN, da sie mit Rektor Prof. Dr. Burckhart bis zum vergangenen Jahr den Sprecher der Initiative stellte. Auf der Governance-Ebene gibt es ein Nachhaltigkeitsbild.

In betrieblichen Belangen zum Thema Nachhaltigkeit sind die Mensen des Siegener Studierendenwerks zu nennen, die in ihrer Umstellung auf ein zunehmend regional und vegan-vegetarisch ausgerichtetes Angebot bereits ausgezeichnet wurden. Darüber hinaus konnten im Bereich Betrieb keine Nachhaltigkeitsinitiativen identifiziert werden. 

Vergleich, Erkenntnisse und Herausforderungen

Alle drei Universitäten weisen Aktivitäten in mehreren Bereichen des WIA auf und zeigen, dass sie zu einem gewissen Grad „das große Ganze sehen“. Zusammenfassend zeigt die Betrachtung der Nachhaltigkeitsaktivitäten an den drei Standorten aber auch, dass die Universitäten unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen. In Münster gibt es bereits einige nachhaltigkeitsrelevante Forschung in verschiedenen Disziplinen, während im Bereich Lehre deutlich mehr Aktivitäten stattfinden könnten. Auch in den Bereichen Transfer und Governance existieren an der Universität Münster einige Initiativen, während die Rolle von Nachhaltigkeit für den Betrieb noch stärker in den Fokus genommen werden könnte. In Osnabrück passiert dagegen schon Einiges in den Bereichen Lehre, Forschung und Transfer, dafür weniger in den Bereichen Betrieb und Governance. Siegen schließlich ist relativ stark im Transfer und hat einzelne Forschungsprojekte, die allerdings kaum institutionell verankert sind. In den Bereichen Betrieb, Governance und Lehre gibt es ebenfalls einzelne Aktivitäten, die noch ausgebaut werden könnten. Für das inter-universitäre Lernen und die Übertragung von Initiativen ergibt sich daher viel Potenzial, gerade, weil die Universitäten in unterschiedlichen Bereichen Aktivitäten mit Leuchtturmcharakter aufweisen. An allen drei Universitäten könnte auch die Kooperation zwischen den einzelnen WIA-Bereichen ausgeweitet werden. Das Projekt LATERNE wird die hier festgehaltenen Erkenntnisse nutzen, um in Werkstattformaten die Nachhaltigkeitsaktivitäten zu verstärken, zu transferieren oder auch neu zu initiieren.


[1] Leuchttürme definieren wir als jene Initiativen, Institutionen oder Projekte, die kraft ihrer Reichweite, ihrer Einzigartigkeit oder ihrer Durchschlagskraft über eine besondere Vorbildfunktion und Signalwirkung verfügen.

[2] Für alle Angaben innerhalb dieses Artikels dient das Arbeitspapier „Nachhaltigkeitsaktivitäten an den Universitäten und in den Regionen Münster, Osnabrück und Siegen: Eine Inventarisierung im Rahmen des Projekts LATERNE“ als Quelle.


Autor*innenbeschreibung

Fynn Schmidt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster. Derzeit forscht er im Projekt LATERNE zu organisationalen Transformationsprozessen für Nachhaltigkeit an Hochschulen. Seine weiteren Forschungsthemen liegen an der Schnittstelle von Politischer Ökonomie und Politischer Ökologie, wobei ihn insbesondere Politiken der Nachhaltigkeitstransformation und ihre transnationalen Auswirkungen interessieren. Er hat in Münster Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre studiert.

Julia Wiethüchter ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung und am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster. Momentan forscht sie zu organisationalen Transformationsprozessen und Nachhaltigkeit an Hochschulen im Projekt LATERNE. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit Fragen der Wissenschaftssoziologie, mit globalen Machtstrukturen, sowie mit dem Zusammenhang von Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Verantwortung. Sie hat im Rahmen des Graduiertenkollegs „Wissenschaftsmanagement und -kommunikation als forschungsbasierte Praxen der Wissenschaftssystementwicklung“ zu epistemischer Gerechtigkeit in Forschungsprojekten für nachhaltige Entwicklung an der Universität Speyer promoviert.