Für die Bienen, Vögel und Feldhamster – und für eine gelebte Demokratie

Anfang Mai 2019 wurde in einem Bericht des Weltbiodiversitätsrates der Vereinten Nationen mit einer Fülle von wissenschaftlichen Belegen auf das baldige Aussterben von rund einer Million Tier- und Pflanzenarten hingewiesen. Das Artensterben ist wie der Klimawandel vor allem ein menschengemachtes Problem, das neben verheerenden ökologischen ebenfalls dramatische soziale Folgen, wie etwa die Zerstörung von menschlichen Lebensgrundlagen, nach sich zieht (BR24).

Das Thema des Artensterbens löste in Bayern eine ganz besondere Reaktion aus: Es wurde ein Volksbegehren anberaumt, das sich den Umweltschutz zum Ziel setzte. Gefordert werden weniger Chemikalien auf den Feldern und mehr blühende Wiesen, damit Insekten und andere Wildtiere bessere Überlebenschancen haben.

Anhand des Beispiels Bayern zeigt dieser Beitrag auf, wie es Bürgerinnen und Bürgern mit dem Mittel der Volksgesetzgebung gelingen kann, die Politik aktiv zu beeinflussen. Immerhin ist sie ein zentrales Instrument, die Politik über Wahlen und Petitionen hinaus zu beeinflussen und so z.B. den Umweltschutz stärker auf die politische Agenda zu bringen.

Volksgesetzgebung – Das Beispiel „Volksbegehren Artenvielfalt“ zeigt, wie sie funktioniert

Schon 2018 wurde in einer aufsehenerregenden Studie das Ausmaß des Insektensterbens mit aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen belegt. Im Zusammenhang mit dem Bewusstsein um den Klimawandel, dem Dieselskandal und weiteren Aspekten, die die Umwelt gefährden, waren sich engagierte Gruppen in Bayern einig, dass es notwendig ist, etwas gegen das rapide Artensterben zu unternehmen, sodass sie das „Volksbegehren Artenvielfalt“, oder wie es informell heißt „Rettet die Bienen!“, ins Leben riefen.

In Deutschland geht als repräsentative Demokratie die Macht vom Volk aus, jedoch nicht direkt, denn das Volk wählt RepräsentantInnen, die dann als Abgeordnete in den Parlamenten sitzen. An dieser Stelle hört der unmittelbare BürgerInneneinfluss auf, da jede/r gewählte Abgeordnete zuletzt nur seinem/ihrem eigenen Gewissen verpflichtetet ist. Die Situation ist etwas anders gestaltet, wenn man sich die Gesetzgebung auf Bundesländerebene anschaut. Die 16 Bundesländer sind ebenfalls in repräsentativen Systemen organisiert, jedoch haben die Bürgerinnen und Bürger in jedem deutschen Bundesland die Möglichkeit, die Politik über die Volksgesetzgebung zu beeinflussen. Anhand des „Volksbegehren Artenvielfalt“ lässt sich gut nachvollziehen, wie so etwas von statten geht. Gleichzeitig kommt zum Vorschein, wie hoch die Hürden sind und wie damit in Bayern konkret umgegangen wurde.

  Verlauf der Volksgesetzgebung (laut Gesetz) Tatsächlicher Verlauf der Volksgesetzgebung
1. Für einen „Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens“ müssen 25.000 Unterschriften von Stimmberechtigten aus Bayern vorliegen. Insgesamt haben sogar knapp 100.000 Stimmberechtigte den „Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens“ unterstützt.
2. Alle Stimmberechtigten in Bayern haben gerade mal 14 Tage Zeit, sich z.B. im Rathaus registrieren zu lassen. Damit das Volksbegehren in die nächste Phase eintreten konnte, mussten mindestens 10 % der Stimmberechtigten diesen Gang in die Amtsstube machen. Tatsächlich sind mehr als 18 % der Stimmberechtigten ins Rathaus gegangen und haben ihre Unterstützung für das Volksbegehren bekundet.
3. Jetzt muss der Landtag sich laut Gesetz dem Thema widmen. Der Landtag hat angekündigt, einen runden Tisch mit allen Beteiligten (UnterstützerInnen & Initiatorinnen des Volksbegehrens sowie Landtagsabgeordnete) einberufen zu wollen um einen gemeinsamen Gesetzesentwurf zu formulieren. Wird dieser Entwurf von allen Beteiligten unterstützt, wird das Thema dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt.
4. Das weitere Vorgehen hängt vom Landtag ab: Unterstützt dieser das Gesetz mehrheitlich, wird es rechtskräftig. Lehnt der Landtag das Gesetz ab, wird endgültig per Volksentscheid entschieden. Im Landtag hat man angekündigt, den am runden Tisch erarbeiteten Entwurf auch anzunehmen. Die letztendliche Volksabstimmung kann wohl ausbleiben. (Würde der Landtag das Thema nicht übernehmen, hätten die Bürger und Bürgerinnen per Volksabstimmung entscheiden müssen).

Das Thema Artenschutz hat es dadurch nicht nur auf die Tagesordnung der PolitikerInnen geschafft, sondern gleichzeitig ein großes Medienecho und damit auch Aufmerksamkeit für das Problem des Artensterbens und der industriellen Landwirtschaft an sich erzeugt! Das ganze Verfahren ist damit jedoch nicht beendet, da schließlich noch kein neues Gesetz zum Artenschutz rechtskräftigt festgelegt worden ist.

Erfolgreiches Volksbegehren – erfolgreicher politischer Druckaufbau?

Viel spricht dafür: Dass das Volksbegehren über eine Million Befürworter und Befürworterinnen in so kurzer Zeit gewinnen konnte, zeigt deutlich das positive umweltpolitische Engagement der Zivilgesellschaft und Bürgerschaft. Nicht nur einzelne Parteien oder Gruppen engagieren sich, die Unterstützung durchzieht verschiedene gesellschaftliche Milieus (Zeit online). Diese breite Basis erhöht zum einen die Berechtigung solcher Themen auf der politischen Tagesordnung enorm und setzt gleichzeitig die Regierung politisch unter Handlungsdruck.

Mit der gewonnenen Aufmerksamkeit für das Thema und seinem vermehrten Aufgreifen in den Medien, wurden insbesondere in Bayern polarisierende Debatten geführt: Zum Beispiel fühlte sich die Gruppe der Landwirte und Landwirtinnen zum Teil vorschnell als Hauptverursachende des Artensterbens verurteilt (Zeit online). Dabei ist die Gruppe der AkteurInnen in der Agrarwirtschaft in der Tat sehr divers und eine Pauschalkritik kleiner wie großer Landwirte und Landwirtinnen in einem Atemzug kaum fair. Die Kritik an der maßlosen Agrarwirtschaftsweise der global agierenden Intensivlandwirtschaft und ihren mächtigen InteressensvertreterInnen ist aber natürlich gerechtfertigt.

Volksgesetzgebung: Geeignet, um etwas zu verändern?

Die Tatsache, dass es in den deutschen Bundesländern die Möglichkeit zur Volksabstimmung gibt, macht das politische System in Deutschland noch lange nicht zu einem direktdemokratischen System wie z. B der Schweiz. Es ist auch fraglich, ob die direkte Volksgesetzgebung, überhaupt in allen Fragen sinnvoll ist. Im Rahmen unseres repräsentativen Systems kann dies eine gute Ergänzung sein, weil die deutsche repräsentative Demokratie in der Regel so angelegt ist, dass Grundsätzliches, wie die Verfassung zum Beispiel, nur unter bestimmten Voraussetzungen oder gar nicht zur Debatte stehen darf. Die Volksgesetzgebung wird allerdings nur selten so erfolgreich angewendet wie zuletzt in Bayern. Dagegen kommt es viel häufiger vor, dass Bürgerinnen und Bürger Unterschriften für Petitionen sammeln oder zu einer Demonstration aufrufen. Im Gegensatz zur Volksgesetzgebung sind solche Aktionen aber viel weniger bindend, denn PolitikerInnen müssen Forderungen aus Demonstrationen oder Petitionen erstmal nicht beherzigen und in Gesetze ummünzen.

Dass wie im Falle Bayerns eine breite Diskussion über Umweltschutz und den Erhalt der Artenvielfalt eingetreten ist, sollte positiv stimmen! Das Volksbegehren zeigt nicht nur, dass man gemeinsam mit anderen Bürgern und Bürgerinnen etwas erreichen kann. Es sorgt auch gleichzeitig dafür, dass ein Thema wie dieses, das im Vergleich zu anderen Themen keine starken Lobbygruppen im Rücken hat, politisches und mediales Aufsehen erregen und in konkrete Maßnahmen übersetzt werden kann.

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Zu der Autorin: Katrin Uhlenbruck arbeitet als administrative Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft an der WWU Münster und hat sich in ihrer Masterarbeit unter anderem mit dem Thema „Direkte Demokratie“ beschäftigt.

 

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