Weil Wissen wohl nicht reicht. Mit nachhaltiger Emotionalität mitweltfreundlich leben.

Anne Käfer

„Gute Vorsätze halten im Januar viele Menschen auf Trab – im Februar dann auch noch etwas, aber im März sind die großen Pläne schon so gut wie vergessen.“ Mit diesem knappen Satz fasst eine Fitnesszeitschrift die sportlichen Ambitionen zu Beginn des neuen Jahres zusammen. Keine drei Monate und schon läuft so ein Leben, das um die 80 Jahre dauern kann, erneut in altgewohnten Bahnen.

Was könnte helfen, mitweltfreundlich zu leben?

Doch nicht nur die Einsicht, dass ein sportlicherer Lebensstil der eigenen Gesundheit förderlich wäre, verpufft schon rasch. Das Wissen darum, dass ein nachhaltiger und mitweltfreundlicher Lebenswandel dringend an der Zeit wäre, führt bei viel zu vielen Menschen erst gar nicht zur Veränderung ihrer Lebensgewohnheiten. Dabei würde dadurch nicht nur der eigenen Gesundheit, sondern dem Überleben von unzähligen Menschen und Tieren geholfen. Wieso jedoch gelingt es uns so wenig, uns dauerhaft von unserem althergebrachten Lebenswandel, unseren gewohnten Ernährungsweisen und unserem üblichen Konsumverhalten abzuwenden und also die Mitwelt zu schützen? Was könnte helfen, über Wissen und Vorsätze hinaus, nachhaltig mitweltfreundlich zu leben? Was könnte die Einzelne und den Einzelnen oder gar einen Großteil der Gesellschaft zu dauerhaft verantwortungsbewusstem Lebensstil bewegen?

Im zitierten Fitnessartikel werden Lohn und Strafe als hilfreiche Maßnahmen genannt. Werden die eigenen sportlichen Vorsätze eingehalten und wird die Laufrunde trotz Regens gedreht, soll hierfür eine Belohnung in Aussicht gestellt sein; am effektivsten scheint es zu sein, wenn ein finanzieller Mehrwert an der Ziellinie winkt. Das Wissen um die gesundheitsfördernde Wirkung der eigenen sportlichen Tätigkeit scheint also noch lange nicht dafür auszureichen, dass sie tatsächlich ausgeübt wird; es bedarf zusätzlicher motivierender Anreize, die kurzfristig erreicht werden können. Grundsätzlich, so der Artikel, sei es jedoch nötig, sich über das längerfristige Ziel der eigenen Kraftanstrengung im Klaren zu sein. Es müsse deutlich sein, wozu die Vorsätze letztlich dienen sollen.

Auch im Blick auf einen nachhaltigen und mitweltfreundlichen Lebenswandel scheint es mir entscheidend zu sein, dass deutlich ist, welchem Zweck er letztlich nützen soll. Ausgehend von diesem Ziel und seiner Bedeutung könnten dann Anreize gesetzt werden, dieses Ziel schrittweise zu erreichen.

Voraussetzungen und Hürden für ein menschliches Leben

Das Ziel nachhaltigen Handelns kann doch vermutlich so zusammengefasst werden: Allen Menschen in Gegenwart und Zukunft soll ein Leben möglich sein, das sie als Menschen leben lässt. Hierzu müssten einige Bedingungen erfüllt sein, die unter anderem in den 17 Sustainable Development Goals genannt werden, die die UNO aufgestellt hat. Sauerstoffreiche Luft, sauberes Wasser und Nahrungsmittel sind lebensnotwendig. Nötig sind aber auch Gesundheitsfürsorge, die Möglichkeit von Bildung, Chancengerechtigkeit und ein friedliches Zusammenleben mit anderen Menschen.

Im Blick auf die 17 Ziele fällt auf, dass die Tier- und Pflanzenwelt zwar auch im Blick ist. Denn auch Tiere wie Pflanzen benötigen Wasser und Sauerstoff und leiden unter dem Klimawandel. Gleichwohl scheinen ihre Habitate und der Artenerhalt vornehmlich um des Menschen willen gesichert werden zu sollen. Denn Pflanzen und Tiere gehören zum Ökosystem des Planeten Erde. Wird ihr Leben gefährdet, gerät das gesamte Ökosystem in ein bedrohliches Ungleichgewicht.

Da durch ein gestörtes Ökosystem das menschliche Leben stark gefährdet ist, liegt die Vermutung nahe, schon die Furcht vor dieser Gefährdung würde Änderungen des gegenwärtigen Lebenswandels veranlassen. Zumindest müsste doch wohl ein Mensch, der Kinder in die Welt setzt und Enkelkinder zu seiner Familie zählt, die er vorgibt zu lieben, seinen Lebensstil unmittelbar ändern, wenn er erfährt, dass dieser Lebensstil die Zukunft seiner Familie in Frage stellt.

Den meisten Menschen geht es aber wohl wie denen, die die Fitnesszeitschrift adressiert; sie ändern ihren Lebenswandel nicht. Woran liegt das nur? Sind sie völlig furchtlos? Ist ihre Liebe zu den eigenen Kindern nicht stark genug? Oder wissen sie zwar, wie schädlich ihr Konsum- und Reiseverhalten ist, doch man gönnt sich ja sonst nichts? Überhaupt, was können schon die eine Flugreise oder die neue Hose schaden und dann noch das Bisschen Fleisch? Alle anderen fliegen und kaufen doch noch viel mehr. Schuld sind sowieso die großen Konzerne, die man ohnehin nicht beeinflussen kann. Auch ist ja gar nicht sicher, wie gewaltig der Klimawandel das zukünftige Leben tatsächlich beeinträchtigen wird. Und die eigenen Kinder werden schon einen Weg aus der Misere finden. Es sind schließlich die eigenen Kinder, und die können darum gar nicht anders als clever sein.

Die kognitive Dissonanz zwischen der vielfach vernommenen Brisanz des durch menschliches Handeln enorm beschleunigten Klimawandels einerseits und den Bequemlichkeiten und eingeübten Gewohnheiten andererseits, wird mit allerlei Ausreden aufgelöst. Dagegen helfen zu einem gewissen Grad CO2-Steuern und Preiserhöhungen in der Nahrungsmittel- und Bekleidungsindustrie. Mit finanziellen Belastungen lassen sich gleich wie mit Strafen und Lohn Gewohnheiten und Lebensbedingungen ändern, zumindest ein klein wenig und für einige Zeit, ganz wie es das Fitnessmagazin beschreibt.

Erstaunlich aber ist, dass sich ein Mensch beim Einkauf lieber fremdbestimmen lässt, als dass er aus eigener Motivation nachhaltigere Lebensmittel kaufte. Nicht das hehre Ziel, Menschen in Gegenwart und Zukunft ein Leben als Menschen zu ermöglichen, treibt ihn an. Es lockt vielmehr der eigene unmittelbare Vorteil und Nutzen.

Das Wissen um das unfassbare Leid, dass die eigene Produktauswahl verursacht, scheint beim Einkauf ausgeblendet zu sein. Der brennende Amazonas, die ausgebeutete Textilarbeiterin, das angsterfüllte Schwein, all dies rührt nicht. Das langfristige Ziel, anderen Menschen und gar auch Tieren und Pflanzen lebenswerte Existenz auf diesem Planeten zu sichern, scheint dem kurzsichtigen Menschen immer wieder aus dem Blick zu geraten.

Mit „Training“ in nachhaltiger Emotionalität zu mitweltfreundlichem Leben

Um zu einem freiwilligen Einsatz für den Erhalt des Planeten zu motivieren, müssten darum wohl die Gefühle Liebe, Sorge, Mitleid und Furcht gekräftigt werden. So wie für den Körper Trainingspläne erstellt werden, so könnte ein Training in nachhaltiger Emotionalität am selbstbezogenen Lebenswandel ansetzen, damit dieser nicht muskulöser, aber mitweltfreundlicher werde. Doch, wer will sich dazu schon überwinden? Den Euros im eigenen Portemonnaie und dem Pochen eigener Bedürfnisse beim Ausblick in die reizvoll beworbene Konsumlandschaft ist kaum zu widerstehen. Das gute Gefühl von Geld, der Geschmack von Gegrilltem und die günstige Gelegenheit, billig zu verreisen – so vieles steht den Gefühlen Liebe, Sorge, Mitleid und Furcht entgegen.

Selbstverständlich sind da auch Menschen, die sich gerne und engagiert für die Mitwelt einsetzen wollen. Manche von ihnen sagen Sätze wie: „Ich helfe gerne, weil ich gerne gebraucht werde“. Das ist sehr hilfreich, auch wenn solche Sätze das selbstbezogene Ziel verraten, sich selbst im Einsatz für andere als nützlich erfahren zu wollen. Doch immerhin. Vielleicht sollte neben finanziellen Anreizen auch das Bedürfnis nach Anerkennung im größeren Stil für planetarische Nachhaltigkeit nutzbar gemacht werden.

Wie aber wäre es, wenn tatsächlich die Emotionen Liebe, Sorge, Mitleid und Furcht gefördert würden? Wenn die Bildung des Menschen nachhaltig auf die Ausbildung dieser Gefühle ausgerichtet wäre? Könnten die Liebe zu den Nachkommen, das Mitleid mit den gequälten Tieren und die Furcht vor der Klimakatastrophe nicht wohl dazu motivieren, das ganze Jahr lang nachhaltig und mitweltfreundlich zu leben?

Vermutlich müsste ein solches Training gegen Dissonanz und zur Kräftigung der Empathie schon früh im Leben beginnen. Kindern dürfte das Leiden der Tiere gar nicht erst schmackhaft gemacht werden. Die Benachteiligung anderer Menschen müsste früh schon mit der Sorge um das Wohl aller konkurrieren. Beim Kauf neuer Hosen und Shirts müsste Mitleid mit den ausgebeuteten ArbeiterInnen zu spüren sein. Und vor allem das Bewusstsein dafür, dass das eigene Leben sich doch erst im Lieben erfüllt, sollte mit auf die Liste der guten Vorsätze gelangen.

Zur Autorin:

Dr. Anne Käfer ist Professorin für Systematische Theologie und Direktorin des Seminars für Reformierte Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Zum Weiterlesen:

Martha C. Nussbaum, Upheavals of Thought. The Intelligence of Emotions, Cambridge 2001.

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