Es ist erschreckend: wenn sich alle Menschen so verhalten würden, wie der oder die durchschnittliche BundesbürgerIn, würden wir nach aktuellen Berechnungen des Global Footprint Network jährlich 3,2 Erden verbrauchen. Das ist eindrücklich und vermittelt, bei aller Unvorstellbarkeit, einen Maßstab für unsere aggregierten Konsumentscheidungen. Folglich liegt es für viele auf der Hand, dass jede und jeder etwas dazu beitragen kann, in Zukunft schonender mit den natürlichen Ressourcen umzugehen. Doch dazu bedarf es zunächst eines besseren Verständnisses der Auswirkungen der eigenen Konsumhandlungen, und dabei kann es helfen, sich diese direkt vor Augen zu führen. CO2-Rechner versuchen genau das zu ermöglichen, d.h. unsere individuellen Konsumentscheidungen in Bezug zum Klimawandel zu setzen. Abgefragt werden dabei Daten zur Wohnsituation, dem Mobilitätsverhalten oder Ernährungsgewohnheiten. Diese Angaben werden jeweils mit einer konkreten CO2-Menge versehen und anschließend zum sogenannten ökologischen Fußabdruck zusammengerechnet. Dieser Wert kann wiederum mit nationalen Durchschnittswerten oder der Menge erneuerbarer Ressourcen verglichen werden, die jeder/jedem ErdenbewohnerIn theoretisch zur Verfügung stünden, um innerhalb der natürlichen Kapazitäten des Planeten zu leben.
Vor dem Hintergrund der Dringlichkeit der mit dem Klimawandel verbundenen Probleme lässt sich erklären, warum die Online-Tools zur Kalkulation des eigenen CO2-Verbrauchs in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind: das Global Footprint Network, der WWF (World Wildlife Fund For Nature), der evangelische Entwicklungsdienst „Brot für die Welt“, ja sogar die WDR-Sendung Quarks bieten den Besucher/innen ihrer Webseiten entsprechende Rechner an. Am häufigsten ist dabei im deutschen Kontext das Tool des Unternehmens KlimAktiv anzutreffen. Dieses hat einen CO2-Rechner entwickelt, der nach Bedarf auf Privatpersonen (auch zielgruppenspezifisch auf „die Jugend“), aber auch auf Unternehmen und Veranstaltungen zugeschnitten werden kann. Das Tool wird mittlerweile vom Umweltbundesamt, dem baden-württembergischen sowie dem bayerischen Landesamt für Umwelt, den Städten Freiburg und Düsseldorf, oder dem TV-Sender n-tv, und vielen weiteren Akteuren prominent auf ihren Webauftritten genutzt. Dabei lassen sich über den Rechner von KlimAktiv nicht nur die CO2-Äquivalente des persönlichen Lebensstils kalkulieren, sondern auch, was durch klimafreundliche Lebensgewohnheiten heute bereits eingespart wird (bei sich selbst und bei anderen, etwa durch die Einspeisung von Strom aus der eigenen Photovoltaik-Anlage), und es lassen sich persönliche Szenarien dazu erstellen, wieviel CO2 in Zukunft ptoenziell eingespart werden könnte.
(Was) Können die CO2-Rechner bewegen?
Doch was bewirken diese CO2-Rechner eigentlich mit Blick auf das individuelle Konsumhandeln? Psychologische und soziologische Studien haben gezeigt, dass individualisierte CO2-Informationen die Problemwahrnehmung der Teilnehmenden erheblich schärfen, während sich an ihrem Verhalten langfristig kaum etwas ändert (u.a. Büchs et al. 2018). Oft sind NutzerInnen nur dazu bereit, sich auf die Verhaltensänderungen einzulassen, welche ihre Alltagsroutinen nicht maßgeblich beeinflussen. Diese Studien zeigen, dass CO2-Rechner Auslöser für beides – Motivation und Resignation – sein können. Ein Grund, der für die Motivation zu Verhaltensänderungen spricht, ist, dass die Rechner eine Beziehung zwischen uns und der Welt herstellen: unser individueller Einfluss wird in Zahlen ausgedrückt, ist scheinbar präzise zu berechnen und auf Umweltveränderungen zu übertragen. Darüber lässt sich erkennen, dass nicht die anderen das Problem sind, sondern dass man selbst bereits Teil des Problems ist, und dementsprechend auch Teil der Lösung werden kann, wenn nicht sogar werden sollte. Die Einsicht, dass andere im Vergleich zu uns eine bessere CO2-Bilanz aufweisen, kann Schuldgefühle verursachen, doch diese können gleichzeitig als Ansporn für selbst schwierigere Veränderungen fungieren. Zudem geben uns berechenbare Zahlen und einfache Kausalketten ein Gefühl von Autonomie und Kontrolle im Angesicht der Komplexität des Klimawandels zurück, was dazu befähigen kann, tatsächlich anders zu handeln. Vor diesem Hintergrund kann der CO2-Fußabdruckrechner ein wichtiges Werkzeug sein, um für nachhaltigere Praktiken oder Lebensweisen (auch in der Breite) zu motivieren.
Gleichzeitig gibt es auch Gründe anzunehmen, dass das Wissen um das persönliche CO2-Konto nicht nur positive Effekte auf unser Verhalten oder unsere Emotionen hat. CO2 ist heute zu einer Art Währung geworden: so wie jede Zeiteinheit, in der man etwas (nicht) tut, in Geld umgerechnet werden kann, kann heute ebenso jede (Nicht-)Handlung in CO2-Verbräuche umgerechnet werden. Jede Tätigkeit verbraucht Energie oder Material oder andere Ressourcen, und wo verbraucht wird, entsteht CO2. Das heißt im Umkehrschluss, dass unser gesamtes Tun ständig unter dem Verdacht steht, konsumintensiver zu sein, als es eigentlich sein müsste, und dass jede/r jederzeit, bei fast jeder Handlung, CO2 einsparen kann. Dies kann leicht zu einer Überforderung führen, wodurch sich Individuen erst recht vom Nachdenken über persönliche Verhaltensanpassungen distanzieren. Die Beziehung zwischen uns und der Welt, wie sie durch die CO2-Kalkulation dargestellt wird, kann zudem als eine gänzlich negative aufgefasst werden, denn individuelles Verhalten wird in Begriffen des „Schadens“, den es für die Umwelt verursacht, beschrieben. Da wir häufig an unserer Wohnsituation zumindest kurzfristig nichts ändern können, beim Pendeln u.U. auf das Auto angewiesen sind, oder generell nichts dafür können, dass wir in einem reichen Industrieland leben (was uns alleine durch die Infrastruktur mit erheblichen CO2-Verbräuchen angerechnet wird), kann der CO2-Rechner Individuen resigniert vor dem Bildschirm zurücklassen. Das Umweltbundesamt gibt etwa an, dass der CO2-Verbrauch in Deutschland von 11,6 Tonnen auf unter 1 Tonne pro Person und Jahr gesenkt werden muss. Dadurch kann leicht das Gefühl vermittelt werden, dass letztlich der oder die Einzelne tatsächlich nichts bewirken kann, denn so viel man auch an den Online-Reglern herumspielt, diese Masse an Einsparungen lässt sich kaum modellieren.
Der (begrenzte) Wert der CO2-Rechner
Wie lassen sich CO2-Rechner nun vor diesem Hintergrund bewerten? Zum einen muss festgehalten werden, dass die individuelle Kalkulation von CO2-Verbräuchen eine wichtige Sensibilisierungsfunktion für Klimafragen hat, wenn es darum geht, das Ausmaß dieser komplexen Prozesse zu begreifen. Zum anderen wird ebenso deutlich, dass sie kein hinreichendes Instrument darstellen, um individuelle Verhaltensänderungen anzustoßen. Nicht nur, dass die strukturellen Ursachen nicht-nachhaltigen Konsums (z.B. ökonomischer Wettbewerb und die Werbeindustrie) häufig zu kurz kommen oder sogar ausgeblendet werden. Vor allem die alleinige Orientierung an ökologischen Obergrenzen reduziert das Nachdenken über den individuellen Konsum ständig auf die Frage: wieviel dürfen wir uns noch leisten? Eine Frage, die dadurch in den Hintergrund gedrängt wird, ist hingegen: wieviel brauchen wir für ein selbstbestimmtes, gesundes, glückliches und qualitativ gutes Leben? Diese Frage führt uns eher zu Abwägungen statt zu Kalkulationen. Was ist mir wichtiger? Worauf verzichte ich gerne und aus meiner freien Entscheidung heraus, und nicht, weil ich mich einschränken muss? Über diese Fragen lohnt es sich individuell nachzudenken, und das geht natürlich auch vor dem eigenen Bildschirm (wie bei der Bedienung eines CO2-Rechners), aber letztlich auch an jedem Ort, an dem wir uns gezielt Zeit dafür nehmen. Eventuell führen uns diese Fragen auch hinaus, um in Vereinen oder in der Nachbarschaft mit anderen darüber zu diskutieren, wie sich das Gemeinwohl direkt vor der eigenen Haustür, nicht nur einzeln, sondern auch gemeinschaftlich, nicht nur durch Konsum, sondern auch durch Politik, verbessern lässt – vielleicht ja sogar CO2-neutral.
Literatur:
Büchs, Milena und andere (2018): Promoting low carbon behaviours through personalised information? Longterm evaluation of a carbon calculator interview. In Energy Policy, Vol. 120, S. 284-293.