Wir (Mitglieder und Mitarbeitende des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der Uni Münster) stellen uns hier die Frage, wie wir leben wollen – in unserer Gesellschaft, auf dieser Erde. Was macht ein gutes Leben aus? Was ist zukunftsfähig in Bezug auf die Umwelt, aber auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie?
Mit anderen Worten: es geht um soziale und umweltbezogene, wie auch politische und wirtschaftliche Aspekte und Entwicklungen, die uns betreffen. Gemeinsamer Nenner ist die Sorge um unsere Lebensqualität in Gegenwart und Zukunft. Dabei stellen wir ab jetzt regelmäßig Denkanstöße, Kommentare, Fundstücke und interessante Forschungsergebnisse vor. Viel Spaß beim Lesen!
Wir (Mitglieder und Mitarbeitende des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der Uni Münster) stellen uns hier die Frage, wie wir leben wollen – in unserer Gesellschaft, auf dieser Erde. Was macht ein gutes Leben aus? Was ist zukunftsfähig in Bezug auf die Umwelt, aber auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie?
Mit anderen Worten: es geht um soziale und umweltbezogene, wie auch politische und wirtschaftliche Aspekte und Entwicklungen, die uns betreffen. Gemeinsamer Nenner ist die Sorge um unsere Lebensqualität in Gegenwart und Zukunft. Dabei stellen wir ab jetzt regelmäßig Denkanstöße, Kommentare, Fundstücke und interessante Forschungsergebnisse vor. Viel Spaß beim Lesen!
Grün-braun: Wie passen Nachhaltigkeit und Rechtsradikalismus zusammen?
Nachhaltigkeit, Entschleunigung, ein Leben im Einklang mit der Natur – das sind Themen, mit denen sich viele Menschen weltweit immer mehr auseinandersetzen und identifizieren. Spätestens seit Fridays for Future wurde Umwelt- und Klimaschutz zu einem Gesprächsthema und Politikum für die breite Öffentlichkeit. Umweltschutz ist in aller Munde – auch in Kreisen mit rechtem Gedankengut. Hier zeigen sich vermehrt Bewegungen, welche auf den ersten Blick durch einen nachhaltigen Lebensstil überzeugen. Erst beim genaueren Hinsehen werden rechtsradikale Ausprägungen deutlich.
Nachhaltigkeit und Rechtsradikalismus – wie passt das zusammen?
„Natur und Umwelt sind zentrale Elemente des rechtsextremen Weltbildes. Naturschutz ist Heimatschutz ist Volksschutz,“ (DLF; Rechte im Natur und Umweltschutz). So versucht Lukas Nicolaisen von der Naturfreundejugend das Phänomen rechtsorientierter Gruppierungen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, zu erklären. Dieses Phänomen ist kein neues und es zeigt, dass Umweltschutz politisch ist. Das Interesse für Nachhaltigkeitsthemen ist nicht allein dem linkspolitischen Spektrum vorbehalten. Mittlerweile gibt es relativ verbreitete, populäre Vereinigungen, die mit ihren „grünen“ Werten Neulinge anziehen. Denn sie werben mit Bezügen zur Natur, zur Entschleunigung, sie versprechen bessere soziale und familiäre Beziehungen, und fordern eine stärkere Identifikation mit „der Heimat“ und der Wiederbelebung ihrer Traditionen. Doch was ist der Kitt, der ein rechtsextremes Weltbild auf der einen Seite und soziale und ökologische Themen der Nachhaltigkeit auf der anderen Seite zusammenhält? Die Betrachtung eines konkreten Beispiels, der Anastasia-Bewegung, macht dies anschaulicher:
Anastasia – von einer Frau zu einem Weltbild
Die Bewegung Anastasia, zählt in Deutschland mittlerweile etwa 800 AnhängerInnen und gilt als wachsende Vereinigung. Die Ideologie der Bewegung beruht auf einer Buchreihe des russischen Geschäftsmannes und Autors Wladimir Megre. In dieser schildert er unter anderem die Begegnung mit einer Frau namens Anastasia, die ein naturnahes Leben führte, vereint mit den Elementen und Tieren. Auf Basis dieser Erzählung wird ein umfassendes Weltbild entwickelt, das von der Abkehr vom urbanen und zivilisierten Leben geprägt ist. Der Rückzug in die Natur wird als Lösung der globalen Probleme betrachtet. (rbb; 2019).
Im Folgenden soll gezeigt werden, auf welchen Strukturen des Wirtschaftens und des gemeinschaftlichen Lebens Anastasia aufbaut, und welche antisemitischen, antidemokratischen, rassistischen und sexistischen Ideologien darin angelegt sind.
Ein Modell zur Selbstversorgung: Familienlandsitze
Die Hauptidee der Bewegung sind die Familienlandsitze – von denen es in Deutschland inzwischen 14 Stück gibt. Eine Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, solle dabei einen Hektar Land bewohnen und besitzen und sich dort im Einklang mit der Natur selbstversorgen. So solle eine Unabhängigkeit vom übrigen System entstehen. Die Verbindung zwischen Menschen und Natur, vor allem zum „eigenen“ Land, solle wiederhergestellt werden. Jedes Volk solle sich dem eignen Grund und Boden widmen, also jenem, von dem angeblich die Vorfahren kommen. Außerdem würden Juden das Weltsystem unterwandern. Den Anastasia-AnhängerInnen wird gesagt, sie sollten „sich möglichst gegenüber politischen Formen fernhalten. Die Demokratie gilt als bedrohlich, als entstellt. [Um dies sprachlich deutlich zu machen, ist von der Demon-kratie die Rede]. Deswegen der Rückzug auf das überschaubare einen Hektar umfassende Land.“ (rbb; 2019)
Geschlechtervorstellungen und soziale Hierarchien
Das Familienleben der Mitglieder der Anastasia-Bewegung ist heteronormativ angelegt. Homosexualität gilt als unnatürlich und wird nicht toleriert. Homosexuelle Paare werden sogar offen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen (ARD Kontraste; 2019).. Geschlechterrollen sind klar voneinander getrennt und sollen Kindern von klein auf durch Erziehung vermittelt werden.
Schulbau und Erziehung
Dieses heteronormative Geschlechterverständnis ist auch eines der Themen, welches in den geplanten Schulen der Bewegung unterrichtet werden soll. In dieser Videosequenz (Min 12.) erklärt ein Mitglied, dass „Jungs wieder zu Männern und Mädels wieder zu Frauen erzogen werden sollen“. Außerdem solle der Geschichtsunterricht in den Anastasia-Schulen nicht aus „Geschichtsleugnung“ bestehen, so wie es in staatlichen Schulen momentan der Fall sei. Der Geschichtsunterricht solle praktisch sein.(ARD Kontraste; 2019)
Als ein offiziell unpolitischer Zusammenschluss möchte sich die Bewegung keiner politischen Richtung zuordnen (br; 2018; Min. 23). AnhängerInnen beteuern keine rassistischen oder antisemitischen Einstellungen in den ideellen Lehren oder in der Bewegung selbst finden zu können.
Taktische Tarnung
Eine Verharmlosung der Bewegung liegt nahe, denn vielleicht erscheint Anastasia auf den ersten Blick skurril, aber nicht weiter gefährlich. Gefährlich jedoch ist eine taktische Tarnung, zu der beispielsweise von einem bekannten Anastasia-Mitglied Frank Ludwig aufgerufen wird. Die Bewegung solle sich so verhalten, dass sie von der Gesamtgesellschaft als harmloses Milieu eingestuft werde, sodass die Bewegung in der breiten Zivilgesellschaft nicht problematisiert, sondern normalisiert werde. (Kontrovers; 2018). Hier liegt die Gefahr, denn so kann es schnell dazu kommen, dass rechte Netzwerke unbemerkt wachsen und gefestigte, rechte Strukturen entstehen. Momentan sieht es aus, als schaffe die Anastasia-Bewegung genau das; denn die Ziele und Praktiken der Bewegung sind bekannt, auch ihre Ausbreitung. Es werden schon Stimmen laut, Anastasia würde nicht ernst genug genommen werden.
Deutlich wird also, nachhaltigen Rechtsradikalismus gibt es! Und er kann – sofern unhinterfragt – vermittelt werden, ohne dass innere Widersprüche sichtbar werden.