Ina Schürmann
Nach zweijähriger Arbeit hat die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“ des Deutschen Bundestags am 03.11.2020 einen ausführlichen Abschlussbericht vorgelegt. Der Enquete-Bericht löste Kontroversen aus. Etwa Sachverständiger Florian Butollo kündigte vorab auf Twitter an, sich zu enthalten.
Aus diesem beispielhaften Statement leiten sich zentrale Fragen ab: Stellt die Künstliche Intelligenz (KI) ein effektives Instrument zum Erreichen der SDGs dar? Wie sollten KI-Technologien eingesetzt werden, damit ein Vorteil für die Gesellschaft entsteht? In diesem Beitrag werde ich mich genauer mit den ökologischen, allerdings nicht mit den sozialen Aspekten von KI, auseinandersetzen. Auf die ebenso wichtigen sozialen Aspekte von KI kann hier nicht eingegangen werden.
Was ist Künstliche Intelligenz?
KI ist vor allem ein Werkzeug, das dazu dient, Muster in komplexen Daten zu erkennen, aus diesen Daten zu lernen und das Gelernte zu nutzen, um spezifische Ziele zu erreichen. Dazu werden Maschinen, Roboter und Softwaresysteme befähigt, abstrakt beschriebene Aufgaben und Probleme eigenständig zu bearbeiten und zu lösen, ohne dass jeder Schritt vom Menschen programmiert wird. Der aktuelle KI-Boom beruht im Wesentlichen auf dem tiefen Lernen mit künstlichen neuronalen Netzen, d.h. Algorithmen, die Netzstrukturen von Nervenzellen nachbilden. Dabei wird das Erlernte immer wieder mit neuen Inhalten verknüpft und konstant dazugelernt (Bernhard/Mühling 2020).
Mit KI zur ökologischen Trendwende?
KI kann einerseits gezielt eingesetzt werden, um Nachhaltigkeitsvorhaben zu unterstützen. Etliche Großunternehmen und Start-ups entwickeln zurzeit KI-Anwendungen im Kontext von Nachhaltigkeit (Jetzke et. al. 2019).
Weitere Fortschritte werden in vielfältigen Bereichen gemacht. In der Recycling- und Abfallwirtschaft wird anhand von KI beispielsweise die Erkennung und Sortierung von Abfällen verbessert, um die Effizienz des Recyclingssystems zu erhöhen und Produktverschwendung zu verhindern. In der Agrar- und Lebensmitteltechnologie wird maschinelles Lernen genutzt, um Produktionsverfahren z.B. durch einen effizienteren Rohstoffeinsatz zu verbessern. Dabei werden Daten aus sensorbasierter Überwachung von landwirtschaftlichen Nutzflächen analysiert. Außerdem können KI-Technologien genutzt werden, um durch die Verknüpfung großer Datenmengen moderner Erdbeobachtungssysteme und die Erkennung von Mustern in diesen Datenmengen präzisere Aussagen über Auswirkungen klimatischer Veränderungen treffen zu können, die für menschliche Entscheidungsprozesse genutzt werden. Intelligente Algorithmen können zudem Anwendungen im Bereich der Energie- und Gebäudeeffizeinz finden, wo beispielsweise die Systemsteuerung von miteinander vernetzten Produktionsmaschinen oder die Regelung von Heiz-, Kühl- und Lüftungssystemen effizienter gestaltet wird.
Die Kehrseite der Medaille: ein hoher Energie- und Ressourcenverbrauch
Was in der Debatte um die Nachhaltigkeit von KI oft jedoch nicht berücksichtigt wird, ist der hohe Energie- und Ressourcenverbrauch für die Rechenprozesse und Datenströme, die durch das Trainieren von Machine Learning-Systemen entstehen. Laut einer Studie der UMass Amherst verbrauche das Trainieren eines typischen neuronalen Netzes ca. 313 Tonnen CO2, also ca. das Fünffache dessen, was ein durchschnittliches Fahrzeug in seinem gesamten Lebenszyklus (inklusive Kraftstoff) verbraucht. Gleichzeitig kommt allerdings momentan die Forschung rund um „Green Artificial Intelligence“ auf, die versucht durch effektivere Trainingsmethoden den Energieverbrauch zu minimieren.
Weiter ist fraglich, inwieweit heute bestehende Datensätze, auf deren Grundlage KI-Algorithmen trainiert werden, nützlich sind, um Konsum- und Produktionsmuster langfristig in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren. Datensätze bestehen meist aus Informationen über die Vergangenheit, allerdings nicht über wünschenswerte Zukünfte. KI-Anwendungen weisen daher möglicherweise Neigungen auf, den nicht-nachhaltigen vorherigen Zustand wiederzugeben.
Wichtig ist auch die Frage nach den Akteuren des neuen KI-Marktes. Die weiterhin bestehende Dominanz großer amerikanischer Tech-Unternehmen trägt nicht zu einer ökologischen Transformation bei, da Google, Facebook etc. vornehmlich an der Personalisierung von Diensten und Prognosen über Kaufinteressen interessiert sind. In diesem Kontext ist es wichtig, über Themen wie eine potenzielle Digitalsteuer und deren Verwendung im Sinne einer zukunftsfähigen Gestaltung von KI zu sprechen (Rohde et. al. 2019).
Keine klare politische Linie
Der deutsche Umgang mit Künstlicher Intelligenz wurde in der 2018 veröffentlichten deutschen KI-Strategie festgelegt. Deutschland stellt bis 2025 Mittel in Höhe von ca. 3 Mrd. Euro bereit, um sich zu einem weltweit führenden KI-Standort zu entwickeln, KI verantwortungsvoll und gemeinwohlorientiert zu nutzen und sie mittels einer aktiven politischen Gestaltung in die Gesellschaft einzubetten. In den zwölf formulierten Handlungsfeldern werden zwar einige konkrete Nachhaltigkeitsbezüge hergestellt und Maßnahmen formuliert. Allerdings werden Aspekte der Umwelt, Natur und Nachhaltigkeit weder von den Handlungsfeldern noch von den zentralen Zielen explizit aufgegriffen (Jetzke et. al. 2019).
Auch auf europäischer Ebene finden sich nur erste Ansätze für KI und Nachhaltigkeit. In einem Anfang des Jahres veröffentlichten Weißbuch drückt die Kommission den generellen Willen aus, in Kooperation mit den EU-Migliedstaaten einen Plan auszuarbeiten, der möglicherweise auch ökologische Problematiken, sowie die ressourcenschonende Nutzung der KI-Technologien ansprechen werde. Dabei wird jedoch nicht näher auf die Umsetzung solcher Pläne eingegangen.
Fazit: Nachhaltigkeit muss ins Zentrum der Diskussion um KI gerückt werden
Künstliche Intelligenz stellt für die Nachhaltigkeit Chance und Risiko zugleich dar. Wichtig ist, dass Künstliche Intelligenz so entwickelt wird, dass sie dem Menschen im Sinne eines nachhaltigen Handelns dient. Es muss daher in ressourcenschonende KI-Forschung investiert werden, die versucht, Klima- und Nachhaltigkeitsprobleme anzugehen.
Mit der Enquete-Kommission wurde 2020 zwar ein zukunftsweisender Schritt eingeschlagen, indem der Einfluss von KI auf Gesellschaft, Wirtschaft und die künftige Arbeitswelt untersucht wurde und konkrete staatliche Handlungsanweisungen identifiziert wurden. Allerdings ist es darüber hinaus wichtig, soziale und ökologische Kriterien genauer zu betrachten und die Diskussion um KI und Nachhaltigkeit in den öffentlichen Raum zu rücken. Dieser Diskurs sollte zukünftig nicht nur von ExpertInnen geführt, sondern partizipativer gestaltet werden, da nur so eine gemeinwohlorientierte Nutzung der Technologie möglich ist. AkteurInnen und deren Ziele, sowie die sich daraus ergebenden Implikationen für eine sozio-ökologische Transformation der Gesellschaft müssen stärker hinterfragt werden. Es sollte in diesem Sinne zentraler über Wege diskutiert werden, Monopolstellungen der US-Tech-Giganten besser zu verhindern. Es reicht nicht aus, nur Handlungsanweisungen zu identifizieren, sondern eine klare nationale und europäische Strategie ist nötig.
Zu der Autorin:
Ina Schürmann studiert den Masterstudiengang „Internationale und Europäische Governance“ an der Universität Münster und Sciences Po Lille und gibt zurzeit ein Studentisches Seminar zum Thema „Künstliche Intelligenz und Gesellschaft“.
Literatur:
Bernhard M., Mühling T. (2020) Künstliche Intelligenz. In: Verantwortungsvolle KI im E-Commerce. Springer Gabler, Wiesbaden. https://www.springer.com/de/book/9783658290368
Butollo, F. [flobut]. (2020, 28. Oktober). Heute wurde der Bericht der #Enquete #KünstlicheIntelligenz übergeben. Ich habe mich enthalten [Tweet]. Twitter. https://twitter.com/flobut/status/1321436480762425347
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Deutscher Bundestag (2020, Oktober, 28). Unterrichtung der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale. Bericht der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale. Abgerufen 11.11.2020, von https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/237/1923700.pdf
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Jetzke, Tobias, Richter, Stephan, Ferdinand, Jan-Peter Schaat, Samer (2019). Künstliche Intelligenz im Umweltbereich: Anwendungsbeispiele und Zukunftsperspektiven im Sinne der Nachhaltigkeit. Kurzstudie. Ressortforschungsplan des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Texte | 56/2019, Umweltbundesamt. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-06-04_texte_56-2019_uba_ki_fin.pdf
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