Nils Stockmann & Antonia Graf
Mobilität nimmt als alltägliche Praktik eine zentrale Rolle in unserer Erfahrungswelt ein und auch in der Kultur ist die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, omnipräsent. Eine besondere Rolle kommt neben etwa Filmen, Musik oder Büchern dabei Spielzeugen zu. Wie entwicklungspsychologische und erziehungswissenschaftliche Forschung zeigt, werden durch die Gestaltung von und das Spielen mit Objekten bestimmte Mobilitätspraktiken erlernt und normalisiert. Dies hat auch Folgen für die Herausforderung einer nachhaltigen Mobilitätstransformation und damit eine diskursive und politische Machtdimension, wie unsere Betrachtung des weltweit größten Spielzeugproduzenten Lego zeigt.
Betritt man die Homepage des Spielzeugherstellers Lego, stößt man schnell auf die ambitionierte Selbstbeschreibung des Unternehmens „die Baumeister*innen von Morgen“ („the builders of tomorrow“) prägen und inspirieren zu wollen. Lego formuliert an sich selbst den Anspruch, im Angesicht globaler Herausforderungen wie Klimakrise und Bildungsungerechtigkeit, Inklusion zu fördern und gegen ungleiche Arbeitsbedingungen einen Beitrag zu leisten: In seinem unternehmerischen Handeln wie auch in der Gestaltung seiner Produkte.
Entgegen dieser Selbstbeschreibung schlägt Lego trotz oder gerade wegen seiner hochgesteckten Ziele seit langer Zeit allerdings zivilgesellschaftliche Kritik entgegen. Bereits 2014 kritisierte etwa Greenpeace in einer groß angelegten Kampagne die Kooperation von Lego mit dem Ölkonzern Shell. Unter dem Titel „Everything is not awesome“ problematisierte die Umweltorganisation das so genannte ‚Branding‘, also die Darstellung des Shell-Logos in Lego-Bausets. Damit „verschmutzt Lego die Vorstellungskraft unserer Kinder“, so die Aktivist*innen. Wie lässt sich dieser Vorwurf wissenschaftlich einordnen? Wie passt diese Beobachtung zu der Selbstbeschreibung eines Marktführers in der globalen Spielzeugindustrie, mit dem ikonischen, längst zu einem popkulturellen Objekt gewordenen „Legostein“ als zentralem Produkt? Welche Impulse setzt Lego in der Debatte um die nachhaltige Transformation wie beispielsweise der von Mobilität?
Ausgangspunkt: Lego und die Frage von Unternehmensmacht
Die Macht von Unternehmen wie Lego speist sich aus verschiedenen, miteinander verbundenen Quellen. Neben dem direkten Einfluss über Ressourcen, globale Produktions- und Vertriebsketten (instrumentelle Macht) und die Einbindung in Entscheidungs- und Beratungsstrukturen sowie selbst gebildete oder unterstützte Unternehmensnetzwerke (strukturelle Macht) rücken zunehmend auch die Rolle der Selbstbeschreibung, Entertainmentprodukte wie Filme, Marketing und Produktgestaltung von Unternehmen sowie deren gesellschaftspolitischen Aktivitäten in den Fokus (diskursive Macht). Über diese Wege wird ein bestimmtes Bild von Unternehmen und ihren Produkten gezeichnet, das auf Investor*innen, Politiker*innen aber insbesondere auch Konsument*innen einwirkt. Dies wiederum hat weitreichende Folgen etwa für die Frage, inwieweit ein Unternehmen sich als „nachhaltig“ oder „fair“ darstellen kann, oft unabhängig davon, ob dies auch in der Praxis zutrifft. Auch der Anspruch Legos, für „die Baumeister*innen von Morgen“ da zu sein, kann aus dieser kritischen Perspektive betrachtet werden.
Mit Blick auf die Gestaltung von Spielzeug und Entertainmentprodukten wie etwa Freizeitparks, Filmen oder Computerspielen (wie sie auch Lego seit vielen Jahren anbietet) kommt zu dieser Form der machtvollen Beeinflussung eine weitere Dimension dazu. Entwicklungspsychologische und erziehungswissenschaftliche Forschung weist seit langem darauf hin, dass Kinder durch die Gestaltung von und die Anleitung des Spiels und Lernens mit Spielobjekten Praktiken und Strukturen einüben und damit normalisieren. Dieser Mechanismus greift demnach den Vorwurf der Greenpeace-Aktivist*innen auf, dass Lego durch die Gestaltung und Darstellung von Spielzeug, gewollt oder ungewollt, Einfluss auf die Vorstellungskraft von Kindern nimmt.
Zusammengeführt ergibt sich aus diesen Perspektiven das Potenzial Legos, über seine Position als globales Wirtschaftsunternehmen hinaus einen soziokulturell begründeten Einfluss auf Diskurse etwa im Bereich der Nachhaltigkeit zu nehmen. Diese Macht manifestiert sich in geschriebenen und visualisierten Kommunikationen des Unternehmens, aber auch in der Gestaltung von Produkten als Spiel- und Lernobjekten.
Nachhaltige Mobilität – Politische Herausforderung und sozialkulturelle Relevanz
Der Mobilitätssektor nimmt eine zentrale Bedeutung in der Bewältigung der sozial-ökologischen Gesellschaftstransformation ein. Dies liegt nicht zuletzt in der Alltagsrelevanz von Mobilität begründet. Da jede*r ständig auf Mobilität angewiesen ist, um am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben teilzuhaben, zieht ihre nachhaltige Veränderung große Herausforderungen und Konfliktpotenzial nach sich. Deutlich wird dies nicht zuletzt an der auch aktuell im Kontext der Sondierungsgespräche zur Bildung einer Bundesregierung diskutierten Thematik eines vermeintlichen „Rechts“ auf eine bestimmte Art und Geschwindigkeit von Fortbewegung (Stichworte: Verbrennungsmotor und Tempolimit). Als Dreh- und Angelpunkte der Debatte um nachhaltige Mobilität stellen sich hierbei die notwendige Abkehr von einer automobilzentrierten Mobilität sowie das Zusammenspiel technologie- und regulationsbasierter Maßnahmen zur Emissionsreduktion im Verkehr dar.
Die alltägliche Präsenz von Fortbewegung erstreckt sich über die politische Debatte auch auf soziokulturelle ‚Spielfelder‘. In Filmen und Musik tauchen Verkehrsmittel und Fortbewegungsarten selbstverständlich auf, oft als notwendiges ‚Beiwerk‘, nicht selten aber auch als zentrales (pop)kulturelles Objekt, wie exemplarisch der Animationsfilm Cars (2006), die Actionfilmreihe The Fast and the Furious (seit 2001) oder die häufige Thematisierung in verschiedenen Musikgenres (Neue deutsche Welle Ich will Spaß, Markus 1982 oder für den Deutsch-Rap Bonez MC & RAF Camora – 500 PS, 2018) zeigen. Auffällig ist dabei, dass Autos die Hauptrolle spielen und als die natürliche Form der Fortbewegung, als Freizeit- und Statusobjekt normalisiert werden.
Lego ist in den meisten (westeuropäischen) Kinderzimmern als Spielzeug zu finden. Es ist somit Teil dessen, womit Kinder spielerisch die Welt erfahren. Wie, womit und worauf wir uns fortbewegen können (und sollen), wie Fortbewegungsmittel angetrieben werden und gebaut werden sind Lernfelder, die durch Spielzeug adressiert werden. Welche Form von Mobilität hierbei als normal dargestellt wird, kann folglich prägenden Einfluss auf spätere Wahrnehmung und Praxis von Fortbewegung haben.
Mobilität und Lego – Zwischen Offenheit und nicht-nachhaltiger Prägung
Die Produkte des Unternehmens Lego machen von dieser Feststellung keine Ausnahme. Während die Beschaffenheit des Lego-Spielzeugs, kleine und zum Großteil gleichförmige Bausteine, an sich keine bestimmte Struktur von Mobilität vorwegnimmt, spielt das Thema Mobilität in zahlreichen Lego-Bausets eine Rolle. Oft werden Verkehrsmittel als Teile von größeren Spielwelten (wie Supermärkten, Stadtzentren, Wohnhäusern) eingebettet. Darüber hinaus gibt es aber auch unzählige Bausets, mit denen bestimmte Fahrzeuge detailgetreu rekonstruiert werden können. Durch eine Anleitung aber auch die Darstellung bestimmter Spielwelten in Werbevideos und -abbildungen werden dabei eine bestimmte Verwendung der Bausteine und damit auch bestimmte Objekte und Strukturen von Mobilität vorgeschlagen. Diese angeleitete Verwendung wird, – analog zum einführend beschriebenen Shell-Beispiel – durch die Verwendung von Logos anderer Unternehmen unterstützt, die wiederum bestimmte Produkte, Geschichten und (Marken-)Namen als Themen der Spielsets aufgreifen.
Eine genauere Betrachtung der von Lego angebotenen Spielwelten zeigt, dass die dominante Art der dargestellten Fortbewegung der Logik eines automobilen Individualverkehrs folgt. Autos und andere motorisierte Fahrzeuge dominieren die in Bausets vorgeschlagenen und in Werbevideos dargestellten Verkehrsmittel. Nachhaltige Alternativen, wie etwa Fahrräder, Nahverkehrsmittel wie Züge oder Busse oder auch Fußmobilität bleiben weitestgehend unsichtbar oder zumindest am Rand des Geschehens. Autos sind das normale Verkehrsmittel beim Einkaufen, Arbeiten oder beim Ausflug ins Grüne. Diese alltäglichen Vorgänge werden mit motorisiertem Verkehr als abenteuerliche Praktiken ergänzt. Autos und andere Fahrzeuge dienen Lego-Charakteren als Instrumente zur Lösung scheinbar aussichtsloser Situationen in Verfolgungsjagden, Rettungsaktionen oder Stunts. Daneben hat auch die rein freizeit- und entertainmentorientierte Nutzung von Fahrzeugen ihren Platz im Lego-Universum: So werden z.B. Autorennen durch Bausets, Videos sowie Bilder dargestellt und Autos bestimmter Marken können detailgetreu nachgebaut werden. Ihre originalgroßen Zwillinge werden zum Beispiel im Legoland ausgestellt und bieten im Zirkelschluss ein Ausflugsziel für junge und ältere Nutzer*innen. Auch hier dominieren Sportwagen und kulturell bereits verankerte Autos wie der VW Bulli, was zusätzlich auch für eine generationsübergreifende Dimension der Spiel- und Lernpraxis spricht.
Neuerdings greifen einige Bausets das Thema Elektromobilität auf und Fahrradwege scheinen eine größere Rolle darin zu spielen. Seit kurzem ist sogar ein Lastenrad zum Nachbau erhältlich. Und dennoch sind diese Beispiele genau das: eine Ausnahme. Sie sind nicht geeignet die nachhallende Wahrnehmung einer durch Lego reproduzierten, auf dem motorisierten Verkehr und fossilen Treibstoffen basierenden Mobilität zu korrigieren. Allerdings zeigen diese Beispiele doch, dass die Abbildung anderer Mobilitätsstrukturen und -praktiken möglich wäre.
Eine Verantwortung zur nachhaltigen Mobilität? Legos Potenziale
Kann aus diesen Beobachtungen nun gefolgert werden, dass Lego in die Verantwortung zu nehmen sei, durch die Gestaltung von Bausets, Werbung und anderen Medien einer nachhaltigen Mobilität mehr Raum zu geben? Lego agiert als Akteur einer Branche, in der die Darstellung von Abenteuern und Tempo immer weiter an Bedeutung gewinnt. Große, laute und schnelle Fahrzeuge stellen eine im wahrsten Sinne des Wortes greifbare und bildliche Beziehung zu dieser Beschleunigung her. Sich diesem Diskurs zu entziehen, würde wohlmöglich den Verzicht auf gewisse Thematiken bedeuten und ggf. ökonomische Konsequenzen für Lego haben. Andererseits zeigt ein Blick in die Unternehmensgeschichte, dass ein vergleichbarer Schritt von Lego schon einmal gegangen wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg entschied das Unternehmen, dass Krieg niemals Teil des Spiels von Lego sein solle und verzichtete (zunächst) auf die Darstellung von Waffen und Gewalt in Lego-Bausets. Zudem könnte das verstärkte Aufgreifen von Nachhaltigkeit wohlmöglich auch neue Käufer*innenschichten mobilisieren.
Entsprechend kann Lego durchaus, wie andere Unternehmen auch, eine aktive Entscheidung treffen, welche Rolle es im Diskurs um die nachhaltige Zukunft von Mobilität und anderen Sektoren einnehmen möchte. Dass Lego ab 2030 nur noch ölfreies bzw. recyceltes Plastik für seine Steine verwenden will und klimaneutrale Produktion sowie Lieferketten anstrebt, zeigt: Das Thema ist angekommen und wichtig, denn es geht um nichts weniger als die „Baumeister*innen von Morgen“.
Über die Autor*innen:
Nils Stockmann und Antonia Graf arbeiten in der BMBF-Forschungsgruppe DynaMo: Mobilitäts-Energie-Dynamiken am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster. Sie sind außerdem Mitglieder des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN). Die in diesem Beitrag dargestellten Forschungsergebnisse haben die Autor*innen in dem Artikel “Polluting our kids’ imagination”? Exploring the power of Lego in the discourse on sustainable mobility im Journal Sustainability: Science, Practice and Policy publiziert.
Beitragsbild:
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1 Kommentar
[…] _/ Stockmann, N. (2021). „Die Baumeister*innen von Morgen“ – Lego im Diskurs zur nachhaltigen Mobilität. IN: Nach(haltig)gedacht. Blog des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der WWU Münster. http://nach-haltig-gedacht.de/2021/12/14/die-baumeisterinnen-von-morgen-lego-im-diskurs-zur-nachhalt… […]