Bürger*innengeführte Renovierungs- und Sanierungsprojekte: Wie ein vernachlässigter Aspekt der Klimapolitik zur Geheimwaffe wird

Die Rapid Transition Alliance, ein Zusammenschluss aus Forschungseinrichtungen und Think Tanks, stellt in ihren Beiträgen Initiativen und mögliche Wege vor, einen gesellschaftlichen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit anzustoßen. Der folgende Beitrag wurde am 03. Dezember 2021 veröffentlicht, aus dem Englischen übersetzt und ist hier im Original zu finden. An einigen Stellen wurde der Originalartikel (durch gekennzeichnete Kürzungen, Zwischenüberschriften und Veränderungen im Layout) dem ZIN-Blogformat angepasst.

Von Bürger*innen geleitete Nachrüstungen und Sanierungs- bzw. Renovierungsarbeiten im Gebäudesektor (auch „Retrofitting“ genannt) waren lange Zeit eine wenig beachteter Teil der Klimapolitik. Jetzt aber könnten sie zu einer Geheimwaffe werden, um die sozial-ökologische Transformation zu beschleunigen. Auch die Europäische Union räumt dem „Retrofitting“ in ihrem umfassenden Ansatz zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden einen Platz ein (European Parliament 2020).

Im Süden Irlands (Tipperary) haben die Bürger*innen beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Für diese Gemeinde waren die Probleme der Energiearmut, der extrem hohen Energierechnungen und der zugigen Häuser nicht länger akzeptabel. Der Mangel an staatlichen Initiativen inspirierte die Gemeinde zur Gründung der „Energy Communities Tipperary Cooperative“ (ECTC) (Energy Communities Tipperary 2022).

Die 2012 gegründete ECTC ist Vorreiterin in Sachen bürger*innengeführte Sanierungs- und Renovierungsmodelle. Die Kooperative trägt sowohl zur lokalen Entwicklung als auch zum Klimaschutz bei, was der gesamten Gemeinde zugutekommt. Dank des von Bürger*innen geführten „Retrofitting“ sind Gemeinden direkt in den Renovierungsprozess miteinbezogen und haben Einfluss darauf, wie dieser gesteuert wird und welche Lösungen ausgewählt werden, sodass diese besonders gut den lokalen Bedürfnissen entsprechen. Zudem werden lokale Unternehmen gefördert, Qualifikationen vor Ort gestärkt und die Lieferketten aufgebaut, die für das Entstehen energieeffizienter Gebäude im 21. Jahrhundert nötig sind.

Die Ergebnisse dieses Modells können sich sehen lassen, wie die Arbeit des ECTC zeigt. Zwischen 2012 und 2019 wurden 827 Häuser sowie 25 kommunale und gewerbliche Gebäude saniert, wodurch Energieeinsparungen von rund 8,8 Gigawattstunden erzielt wurden – genug, um Hunderte weitere Häuser zu versorgen.

Doch auch über die beschriebenen Erfolge und die beeindruckenden Energieeinsparungen hinaus bieten solche bürger*innengeführten Initiativen einen zusätzlichen Service. Als Hausbesitzer*in zu wissen, wo man mit der Sanierungs- bzw. Renovierungsarbeit anfangen soll, kann überwältigend sein, selbst für Menschen, die sich mit dem Thema auskennen. Durch den Aufbau von Netzwerken innerhalb der lokalen Gemeinschaft bietet ECTC eine zentrale Anlaufstelle für Hausbesitzer*innen, um Zuschüsse zu erhalten, hochwertige Bauunternehmen zu finden und sogar Projekte zu beaufsichtigen. Der Erfolg von ECTC zeigt, dass Renovierungsmaßnahmen zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe werden können, die nicht von Haushalten allein gemeistert werden muss. Im Kampf gegen den Klimakollaps und angesichts der Notwendigkeit eines raschen und weitreichenden Wandels in allen Bereichen der Gesellschaft wird die Renovierung von Gebäuden leicht übersehen, weil sie als alltäglich betrachtet werden kann und weniger spannend oder glanzvoll ist wie z.B. neue Technologien. Doch Häuser, die schlecht isoliert und auf umweltschädliche fossile Energieträger angewiesen sind, bereiten ihren Bewohner*innen wenig Freude und sind zudem auch teuer. Die Renovierung von Häusern ist also eine Aufgabe, die nicht ignoriert werden darf, wenn wir möglichst schnell eine florierende kohlenstoffarme Wirtschaft aufbauen wollen.

Ein Blick auf das große Ganze

Die wichtigsten Daten und Fakten können nicht oft genug betont werden: 40 % der Energieversorgung in der EU wird von der bebauten Umwelt verbraucht, die etwa 36 % der Treibhausgasemissionen verursacht (Morgan 2021). In den USA sind ineffiziente Gebäude für mehr Emissionen verantwortlich als der gesamte Verkehrssektor (EPA 2021).

Weltweit sind Gebäude für 39% der energiebedingten Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Von diesen Emissionen stammen 28% aus dem Betrieb des Gebäudes (Stromversorgung, Heizung, Kühlung), die restlichen 11% entstehen durch die verwendeten Materialien und den Bauprozess (World Green Building Council).

Viele der heute bewohnten Gebäude werden wahrscheinlich noch bis Mitte des Jahrhunderts genutzt werden. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu wissen, dass europaweit 75% der genutzten Gebäude als energieineffizient eingestuft werden (Morgan 2021).

In Anbetracht dieser Tatsachen überrascht es nicht, dass die bebaute Umwelt oft als „schlafender Riese“ des kohlenstoffarmen Übergangs bezeichnet wird (Millemont). Glücklicherweise gibt es eine Vielzahl von Lösungen, Initiativen und politischen Maßnahmen, die in allen Ecken der Welt in den Vordergrund gerückt werden, um diese Mammutaufgabe anzugehen.

Kontext und Hintergrund

Bei der Verringerung der Emissionen aus dem Gebäudesektor geht es nicht nur darum, besser zu bauen und auf neue Technologien und nachhaltige Materialien zu setzen. Es geht auch darum, zu verbessern, was bereits gebaut wurde. Die meisten Emissionen entstehen beim Bau eines Gebäudes. Diese können auf die Lebensdauer eines Gebäudes gerechnet bis zu 75% der Gesamtemissionen ausmachen (Architects Climate Action Network 2021). Daher ist es nicht sinnvoll, Gebäude einfach abzureißen und neu aufzubauen. Stattdessen sollten die Fehler, die beim Bau gemacht wurden, korrigiert werden.

Die sozialen Anreize dafür sind immens: In England leiden etwa 13 % der Haushalte unter Energiearmut […]. In Schottland sind etwa 25 % der Haushalte von Energiearmut betroffen.

In den USA geben einkommensschwache Haushalte fast dreimal so viel für Energiekosten aus wie mittelständige Haushalte. 25 % der einkommensschwachen Haushalte sind nicht in der Lage, ihre Energierechnungen zu bezahlen (Bednar; Reames 2020). Auf der anderen Seite des Atlantiks sterben jedes Jahr etwa 12 000 britische Bürger*innen an den gesundheitlichen Folgen einer nicht ausreichend beheizten Wohnung (Sandiford 2020. […] Die geschätzten Kosten für das Gesundheitssystem, die aufgrund zu kalter Wohnungen im Vereinigten Königreich entstehen, belaufen sich auf jährlich 850 Millionen Pfund. Ein ehrgeiziges Renovierungsprogramm könnte diese Kosten jedoch in nur sieben Jahren wieder ausgleichen (Garrett et al. 2021). Angesichts der weltweiten Probleme, Lebenshaltungskosten zu decken, könnten Renovierungen von Häusern das Leben vieler verbessern. In der walisischen Stadt Carmarthan gingen beispielsweise die Krankenhauseinweisungen zurück, nachdem 3000 Häuser renoviert wurden (Williams 2019). […]

Erfolgsfaktoren für das „Retrofitting“

Angesichts des Ausmaßes der Klimakrise und der Dringlichkeit, mit der wir sie angehen müssen, sind die politischen Maßnahmen, die häufig im Vordergrund stehen, oft staatlich gelenkt und folgen einem „top-down“ Ansatz. Das gilt auch für den Gebäudesektor, wo in einer Reihe von Bereichen, von der Finanzierung bis zum Bau, ein Wandel erforderlich ist.

Ein von Bürger*innen getragener Ansatz kann jedoch die große Herausforderung der Renovierung von Millionen von Gebäuden auf überschaubare Initiativen auf Gemeindeebene hinunterbrechen. Auf diese Weise entstehen lokale Netzwerke und Partnerschaften, lokale Unternehmen und Regierungsakteure können sich beteiligen und ganze Gemeinden werden in Projekte eingebunden, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind und sich nicht nur an abstrakten Emissionsbudgets orientieren. […]

Die Konzentration von Aktivitäten innerhalb einer Gemeinde kann einen großen Einfluss auf die Schaffung von Arbeitsplätzen haben. Es besteht die Möglichkeit, diese Maßnahmen vorrangig in einkommensschwachen Gebieten durchzuführen und hohe Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten durch kommunale Renovierungsprojekte zu bekämpfen (UK GBC 2017). […]

Insgesamt sind die Vorteile, die sich aus kommunalen Renovierungs- und Nachrüstungsinitiativen ergeben, erheblich. Die Renovierung von Gebäuden könnte EU-weit allein im Gebäudesektor zu einem Nettozuwachs von 1,1 Millionen Arbeitsplätzen führen, was einer Steigerung von etwa 9 % entspricht. […] Im Vereinigten Königreich kann die Nachrüstung durch Einsparungen bei den Energierechnungen und vermiedene Emissionen einen wirtschaftlichen Wert schaffen, der die ursprünglichen Investitionen weit übersteigt. Die Schätzungen variieren, aber Investitionen in die Nachrüstung des britischen Wohnungsbestands haben bis 2035 einen Nettogegenwartswert von 7,5 Milliarden Pfund, wobei tiefer gehende und gründlichere Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz einen noch größeren wirtschaftlichen Nutzen bringen. Wenn man die gesundheitsbezogenen Einsparungen und den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts berücksichtigt, könnte der geschätzte Nutzen 47 Milliarden Pfund erreichen (Rosenow et al. 2018). 

[…]

In der EU werden im aufgrund der Corona-Pandemie ins Leben gerufenen Wiederaufbaufonds Gelder für Renovierungsprojekte bereitgestellt. Diese Fonds sind jedoch zentralisiert und standardisiert. Im Gegensatz dazu berücksichtig ein bürger*innennahes Modell lokale Gegebenheiten wie geografische, aber auch kulturelle, historische und politische Unterschiede. Ein „bottom-up“ Ansatz, der in einer Gemeinde verankert ist, überwindet Hindernisse wie das geringe Vertrauen in die Bauindustrie und mögliche Konflikte zwischen Hausbesitzer*innen und Mieter*innen daher effektiver (REScoop 2021). Kommunale Initiativen im Bereich Renovierung sind zudem eine gute Ergänzung zu anderen bürger*innengeführten Projekten wie Energiegenossenschaften oder Sensibilisierungsarbeit. […]

Bürger*innengeführtes Retrofitting findet auf niedrieger Ebene statt, kann jedoch auf verschiedene Ebenen übertragen werden. […] So wirkt sich beispielsweise der Austausch von Erfahrungen und Wissen zwischen Gemeinschaftsinitiativen positiv aus und kann das Engagement von Bürger*innen verstärken (De Feijter et al. 2019). […]

Eine tiefgreifende Nachrüstung ist für Hausbesitzer*innen keine triviale Angelegenheit, daher ist es für eine maximale Akzeptanz entscheidend, dass die Finanzierung und die Zuschüsse gesichert sind. Finanzmittel sind jedoch vorhanden, und zwar in zahlreichen Formen. Die häufigste Finanzierungsquelle für dieses Modell der Nachrüstung ist die Regierung, entweder auf lokaler, nationaler oder regionaler Ebene, wo Mittel für die Verbesserung der Energieeffizienz bereitgestellt werden. Diese Finanzierungswege können jedoch oft undurchsichtig und komplex sein, was den Bedarf an zentralen Anlaufstellen verdeutlicht, die Hausbesitzer*innen und Bürger*innen den Zugang zu den benötigten Mitteln erleichtern. Da bürger*innengeführte Renovierungsmodelle klare Synergien mit der Kapazität erneuerbarer Energien und anderen sozialen Zwecken aufweisen, können Finanzmittel auch über staatliche Stellen bezogen werden, die die Entwicklung nachhaltiger Energien fördern. […] Auch wenn Mittel zur Verfügung stehen und diese bereits einen erheblichen Einfluss auf die lokalen Nachrüstungsbemühungen hatten, müssen noch mehr öffentliche und private Finanzmittel freigesetzt werden, um sicherzustellen, dass möglichst viele Gebäude warm, einladend und kohlenstoffarm werden.

Über die Autor*innen:

Die Rapid Transition Alliance ist ein Netzwerk internationaler Organisationen, die sich für die Bewältigung der Klimakrise einsetzen. Die Mitglieder des Netzwerks sind überzeugt, dass angesichts der Klimakrise großer Handlungsbedarf besteht und schnelle sowie umfassende Maßnahmen getroffen werden müssen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Aus diesem Grund will die Rapid Transition Alliance anhand von konkreten Beispielen zeigen, dass ein gesellschaftlicher Wandel möglich ist. Das Bündnis wird von Vertreter*innen des New Weather Institute, der School of Global Studies der Universität Sussex und des Institute of Development Studies koordiniert und wird durch die KR Foundation unterstützt.

Redaktion:

Bildrechte:

Entnommen aus dem Originalartikel, Bildrechte liegen bei der Rapid Transition Alliance.

Bildunterschrift im Original: Photo by Erik Mclean on Unsplash