Nach einem Mai mit Starkregen, Gewittern, Überschwemmungen und Stürmen ist es nun im Westen und Norden Deutschlands so trocken wie seit langem nicht. Das aktuelle Niederschlagsdefizit ist auf leichten Böden so niedrig wie sonst kaum in den letzten 50 Jahren (DWD, online). Das Münsterland ist durch das Vorherrschen von sandigen Böden, geologisch bedingt, natürlicherweise nicht überaus fruchtbar. Dennoch sind in den letzten Jahren/Jahrzehnten die Ernteerträge, z.B. bei Mais, so hoch wie kaum sonst wo in Deutschland gewesen. Das liegt an der sehr guten Nährstoffversorgung durch die räumliche Nähe zu Einführhäfen, u.a. für Soja aus Übersee, und die damit zur Verfügung stehende große Menge von Gülle aus der Tiermast sowie von Gärresten aus der Biogasproduktion. Andererseits bedingt jedoch das atlantische Klima mit der stetigen und gleichzeitig nicht zu starken Niederschlagszufuhr das gute Wachstum auf den Sandböden, die nur wenig Niederschlag speichern können. Diese Feuchtigkeitszufuhr ist nun derzeit durch die Großwetterlage unterbrochen: Ein recht ortsfestes Hochdruckgebiet über den Britischen Inseln ließ über längere Zeit trockene Luft von Norden nach Norddeutschland strömen und dadurch die sonst vom Atlantik in westlicher Richtung anströmenden Luftmassen geradezu blockiert. Daher fürchten die Landwirte bereits Ernteausfälle in beträchtlicher Höhe und auch die übrige Vegetation oder die Stadtbäume zeigen Trockenschäden.
Was bedeutet das für die Biodiversität?
Machen wir ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, wir hätten zwei Säume – zwei schmale Streifen von nicht mehr als einigen Metern Breite, z.B. entlang von Straßen oder Wegen, die mit Gräsern und Kräutern bewachsen sind. Wünschenswert ist, dass diese Säume Blühangebote für Insekten bereitstellen.
Nehmen wir also an, wir hätten diese beiden Säume und auf dem ersten sei gemäß der üblichen Praxis bereits im Mai gemulcht worden. In diesem sehr warmen Frühjahr ist das an vielen Stellen in Städten und Gemeinden passiert. Generell ist es aus Kostenersparnisgründen gängige Praxis, die Vegetation kleinzuhäckseln, anstatt sie zu mähen und das Mähgut abzufahren. Das bedeutet, dass viele Arten erst gar nicht zur Blüte und zur Samenreife kommen. Für den Erhalt der Artenvielfalt in diesem Saum ist das allerdings schlecht, denn die Pflanzen die in diesem Saum 1 überleben und sich genetisch durchsetzen würden, sind diejenigen, die besonders fit sind im Wiederaustrieb und in der vegetativen Vermehrung, da sie ja abgeschnitten werden, bevor sie fruchten können. Nach dem Schnitt treiben diese wieder aus. Da aber aufgrund der Wetterlage das Wasser fehlt, sind diese mittlerweile welk und trocken.
Im zweiten Saum – so nehmen wir weiter an – ist nichts passiert. Die Pflanzen blieben stehen und müssen jetzt ebenfalls mit dem Wassermangel zurechtkommen. Ein Teil der Individuen wird vertrocknen. Der Teil der Pflanzenindividuen, der genetisch jedoch besser an die derzeitigen trockenen Umstände angepasst ist, wird reifen und fruchten. So bedingt gerade die Trockenheit dieser Tage, dass sich Biodiversität entfaltet – in diesem Fall die genetische Biodiversität. Die extremen Wetterbedingungen sind zwar ein Stressauslöser für die Pflanzen, jedoch bedingen gerade sie den Erhalt der Anpassungsfähigkeit unserer Ökosysteme an sich wandelnde Bedingungen, wie den Klimawandel.
Wie lässt sich die regionale Saatgutvielfalt erhalten?
Säume auf nährstoffarmen Sandböden des Münsterlands sind daher gleichermaßen Zucht- und Selektionsräume für Biodiversität – gerade in Zeiten des Klimawandels. Allerdings ist die Voraussetzung hierfür, dass die dort wachsenden Pflanzen auch die volle genetische Differenziertheit aufweisen. Die meisten unserer ausgesäten Blüh- und Grasmischungen, also genau jene in den Tütchen im Laden um die Ecke oder im nächsten Baumarkt, entstammen anderen Herkunftsregionen, sind züchterisch ausgewählt und homogenisiert. Regionale Blühmischungen oder Regio-Saatgut ist dagegen an den Standort und die Klimavariabilität angepasst – vorausgesetzt man nimmt ihnen nicht die Chance durch falsche Pflege, in unserem Gedankenexperiment der frühe Schnitt.
Im Projekt „Wege zur Vielfalt – Lebensadern auf Sand“ werden Möglichkeiten zur Stärkung artenreicher Blühsäume erforscht und mit vielen Praxispartnern im Projektgebiet des Biodiversitäts-Hotspot 22 im südlichen Emsland und der nördlichen Westfälischen Bucht umgesetzt. Auch existieren regionsspezifische Saatgutmischungen, die für alle Bürgerinnen und Bürger erhältlich sind, und Handreichungen und Materialien für die Öffentlichkeit, wie ein Leitfaden zu „Regionalem Saatgut“.
Wetterextreme bergen zwar in vielerlei Hinsicht Risiken und Gefahren, jedoch beinhalten sie teilweise auch für die Ökosysteme wichtige Chancen und Impulse: Gerade die Arten auf extremen Standorten bereichern die Biodiversität. Ihre Lebensräume sind selten geworden. Gerade erleben wir, dass das Wetter solche Bedingungen – zumindest temporär – wieder erschafft.
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