Beim Kauf von Kaffee auf Biosiegel oder Fairtrade-Standards zu achten, ist für viele Menschen, die sich für Themen der Nachhaltigkeit interessieren, bereits zu einer Selbstverständlichkeit geworden. So weist auch der Kaffee, den wir hier am Lehrstuhl tagtäglich trinken, die kleinen bunten Embleme auf. Sie geben uns das Gefühl, wir tun mit unserem Kaffeekonsum genau das Richtige und setzen uns für umweltverträgliche Anbaubedingungen und angemessene Löhne auf der anderen Seite der Welt ein. Doch Studien zeigen immer wieder auf, dass der Kauf von zertifizierten Produkten nicht zwangsläufig zu besseren Produktionsbedingungen führt und diese sogar verschlechtern kann (DIW 2016). Diese Problematik warf neulich eine Grundsatzdebatte in der Teamsitzung auf, als sich die Kaffeevorräte dem Ende zuneigten: Heißt das, wir sollten jetzt gar keinen ‚Fairtrade‘ zertifizierten Kaffee mehr kaufen? Oder lieber auf andere Siegel mit höheren Standards setzen? Sollte man versuchen, die Bohnen direkt von den Produzierenden zu beziehen oder nur noch Kaffee trinken, der mit dem Segelboot nach Europa verschifft wurde?
Kurz gesagt: Wir haben zahlreiche Ideen gesammelt, wie wir unseren Kaffeekonsum ‚nachhaltig‘ gestalten können. Bis ein Teammitglied die Frage aufwarf, die alle bis dahin versucht haben zu ignorieren: Wäre es nicht am nachhaltigsten einfach weniger Kaffee zu trinken?
Entscheidend ist nicht nur was wir konsumieren, sondern auch in welchem Maß
Natürlich wissen wir alle, dass durch weniger Kaffeekonsum auch weniger Fläche für den Kaffeeanbau gerodet, weniger Wasser verbraucht (immerhin werden 140 Liter für eine Tasse Kaffee benötigt) und weniger CO2-Emissionen durch den Transport entstehen würden, um nur einige zentrale Aspekte zu nennen. Nichtsdestotrotz erfordert die Anpassung des Maßes an Konsum viel Überwindung. Es ist deutlich unbequemer den eigenen Kaffeekonsum zu überdenken und auf die ein oder andere Tasse zu verzichten, als genau so weiter zu machen wie zuvor, nur eben das ‚nachhaltige‘ Produkt zu kaufen.
Viele Maßnahmen, die für die Verbesserung der Umweltbilanz unseres Konsums stehen, legen den Fokus auf die Optimierung unserer Konsumgüter etwa durch Effizienzsteigerung. Das heißt, dass für den gleichen Konsum weniger Rohstoffe benötigt werden, da die Produkte in der Herstellung und/oder Nutzung auf weniger Ressourcen angewiesen sind, wie etwa ‚energieeffiziente‘ Glühbirnen oder ‚wassersparende‘ Waschmaschinen. Doch die Einsparungen, die auf diese Weise entstehen, werden oftmals durch sogenannte Rebound-Effekte aufgehoben. Produkte verbrauchen somit in der Herstellung und Nutzung immer weniger Ressourcen, dafür wird aber insgesamt mehr konsumiert.
Ein umfassender Nachhaltigkeitsansatz muss also über Effizienzsteigerungen hinausgehen und lässt uns grundlegend unsere Konsummuster hinterfragen. Da der gegenwärtige westliche Lebensstil auf der Auslagerung sozialer und ökologischer Kosten in andere Teile der Erde beruht, ist er nur zu Lasten anderer möglich und somit auch nicht verallgemeinerbar (siehe auch auf diesem Blog). Wenn es uns also um ein gutes Leben für jetzige und zukünftige Generationen geht, können wir die unbequeme Frage nach dem „wie viel Konsum ist genug?“ nicht ausblenden. Diese Suche nach dem richtigen Maß wird in dem Begriff der „Suffizienz“ gefasst, der sich von dem Lateinischen sufficere (=ausreichen, genügen) ableitet (Definition).
Suffizienz nicht als Verzicht, sondern als Chance auf ein gutes Leben – für alle
Ein gewisser Konsumrückgang in Gesellschaften, die in großen Teilen im Überfluss leben, scheint somit unausweichlich. Dabei geht es bei Suffizienzansätzen nicht um die Romantisierung von Mangel oder um die Verwehrung wirtschaftlicher Entwicklung von Ländern, die nicht zu den Vorreitern der Industrialisierung gehörten. Suffizienz sollte nicht mit Askese gleichgesetzt werden, sondern vielmehr als Chance begriffen werden, die Lebensqualität von allen Menschen zu erhöhen.
Dies geht in den westlichen Gesellschaften, die oftmals von einer engen Verknüpfung zwischen materiellem Besitz und Wohlbefinden geprägt sind (siehe auch auf diesem Blog), mit der Streichung von ‚Überflüssigem‘ einher. Der Suffizienzgedanke geht davon aus, dass die Lossagung von gewissem Konsum nicht zwangsläufig Verzicht auf Genuss und Erfüllung bedeutet, sondern dazu beitragen kann, dies zu erreichen. In Gesellschaften, in denen Konsum längst nicht mehr nur zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse dient, müssen wir uns damit beschäftigen, warum wir eigentlich konsumieren. So dienen Konsumakte oftmals als Ausdruck von Status und Gruppenzugehörigkeit und versprechen insbesondere in unseren schnelllebigen Zeiten die sofortige Erfüllung vielfältiger Bedürfnisse. So soll das neue Smartphone Anerkennung der Kolleg*innen verschaffen, die Karibik-Kreuzfahrt Entspannung bringen und die (oft noch unbenutzte) Outdoorausrüstung ein Gefühl von Abenteuer vermitteln. Dass all diese Bedürfnisse auch anderweitig, umfassender und langanhaltender gestillt werden können, als durch materiellen Konsum, wird spätestens dann deutlich, wenn der gewünschte Effekt durch die Produkte nicht einsetzt. So wird etwa unser Bedürfnis nach Ruhe und ‚Entschleunigung‘ weniger durch die neue Yoga-Matte erfüllt, als vielmehr durch einen Tag ohne Zugang zum Emailpostfach (siehe auch auf diesem Blog).
Doch Suffizienz setzt nicht nur beim individuellen Überdenken des eigenen Konsums an, sondern kann auch politisch realisiert werden. So können beispielsweise Richtlinien den geplanten Verschleiß von Produkten verhindern und ihre Reparaturfähigkeit fördern, wodurch der Verzicht auf den Kauf neuer Produkte erleichtert wird. Und autofreie Tage – also ein gewisser Verzicht auf Individualverkehr – lassen Innenstädte zum Freizeitraum für die Stadtbevölkerung werden.
Letztendlich verbietet der Suffizienzgedanke niemanden die Tasse Kaffee am Morgen. Er sollte lediglich dazu anregen, uns nicht mit dem Kauf von ‚nachhaltigen‘ Produkten zufrieden zu geben und uns öfter auch die unbequemen Fragen nach unserem Konsumverhalten zu stellen. Wissen wir nicht eigentlich alle, dass die dritte Tasse Kaffee uns nicht genauso glücklich macht wie die erste?
Zum Weiterlesen:
Manfred Linz (2015). Suffizienz als politische Praxis. Ein Katalog. https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/5735/file/WS49.pdf
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. Landkarte Suffizienzpolitik (interaktiv): http://suffizienzpolitik.postwachstum.de/de/suffizienzpolitik/
Nachweis Titelbild: pixel2013 on pixabay.com
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