Zwischen Bildung, Religion & Nachhaltigkeit – Welche Rolle religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung spielen kann

Judith Könemann

Eine gesellschaftliche Transformation in Richtung Nachhaltigkeit bedeutet immer Veränderungen. Wie die christliche religiöse Bildung durch die Vermittlung von Prinzipien, wie der Verantwortungsübernahme, dem Aufruf zur gemeinsamen Gestaltung gesellschaftlichen Zusammenlebens, einem umfassenden Verständnis von Handlungsentscheidungen sowie der Auseinandersetzungen mit zentralen Gerechtigkeitsfragen Einfluss auf nachhaltige Entwicklung haben kann, wird im folgenden Artikel genauer erläutert.

Christentum und Nachhaltigkeit

„Bewahrung der Schöpfung“ war eines der zentralen Ziele des so genannten „Konziliaren Prozesses“, der 1983 auf der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Vancouver initiiert wurde. Mit Carl Friedrich von Weizäckers Aufruf zu einem Friedenskonzils angesichts der Gefährdung des Überlebens der Menschen erfuhren die Ziele des Konziliaren Prozesses auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 1985 innerkirchlich und darüber hinaus in Deutschland hohe Aufmerksamkeit. War die atomare Bedrohung durch Kernkraft der Auslöser für den konziliaren Prozess, sowohl in ihrer kriegerischen Nutzung durch Waffensysteme als auch in der scheinbar friedlichen Nutzung durch Atomenergie, für die die Katastrophe von Tschernobyl zu dem Symbol wurde, so existierte zugleich von Beginn an ein hohes Bewusstsein über die wechselseitige Verflechtung von ökologischen Fragen, Fragen der Gerechtigkeit und der sozialen Frage. Vorbereitet in der ersten Europäischen Ökumenischen Versammlung 1989 in Basel wurden dann auf der Ökumenischen Weltversammlung 1990 in Seoul analog zu den zehn Geboten zehn Grundüberzeugungen verabschiedet. Diese machen deutlich, wie sehr die drei Größen Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit und Frieden sich jeweils wechselseitig voraussetzen und niemals unabhängig voneinander realisiert werden können. Vor allem aber werden die hier formulierten zehn Grundüberzeugungen religiös-theologisch, insbesondere aus der Schöpfungstheologie und dem christlichen Ethos heraus begründet, und verweisen auf die zwar nicht zwingend notwendige, aber dennoch mögliche religiöse Begründung von Nachhaltigkeit und ihrer Verschränkung mit Gerechtigkeits- und sozialen Fragen.

Ziele religiöser Bildung

Angesichts dieser Traditionslinie stellt sich die Frage, welche Bedeutung und Rolle religiöse Bildungsprozesse für eine „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ haben, und wie angesichts der oben aufgezeigten engen Verknüpfung von Nachhaltigkeit und christlicher Tradition der Beitrag religiöser Bildung für eine nachhaltige Entwicklung aussieht/aussehen kann. Religiöse Bildung hat das Ziel, (junge) Menschen in Auseinandersetzung mit der jeweilig spezifischen Konfession oder Religion zu befähigen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen und Gesellschaft verantwortet mitzugestalten. Dabei spielen Fragen der Gerechtigkeit, der religiösen Urteilsfähigkeit sowie der Erwerb und die Bildung von Haltungen und Einstellungen eine entscheidende Rolle. Religiöser Bildung geht es darum, das Potential religiöser Traditionen und Lebensentwürfe für nachhaltige Entwicklung individuell, sozial und global zu heben und der Frage nachzugehen, welche Impulse aus einer religiösen Perspektive gewonnen werden können, damit Menschen in Würde und Achtung, und ausgestattet mit den notwendigen Ressourcen für ein gelingendes Leben leben können (1).

Insofern der christlichen Botschaft im Konzept der Gottebenbildlichkeit das Gleichheits- und Gerechtigkeitsmoment unmittelbar eingeschrieben ist, richtet sich christlich-religiöse Bildung auch in besonderer Weise auf Themen der Verantwortung, auf globale Gerechtigkeit, Solidarität und Zukunft und der Rolle des Menschen im Gesamten einer kosmischen Ordnung. Der christlichen Botschaft geht es dabei im Kern immer um den Menschen und um die Voraussetzungen sein Leben leben zu können, und damit auch um die individuellen und strukturellen Bedingungen, damit ein solches „Leben können“ möglich ist. Somit ist der christlichen Botschaft und einer christlich religiösen Bildung ein politisches Moment zutiefst eingeschrieben. Davon ausgehend hat sie das normative Ziel, die Bedingungen dieses „Leben Könnens“ zu beeinflussen und mitzugestalten. Das tut sie, indem sie Menschen für die Unvollkommenheit und Verletzlichkeit, eben die Fragmentarität und Fragilität menschlichen Lebens sensibilisiert, und einen Beitrag zur Befähigung individueller wie gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme leistet sowie sich mit Fragen der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit auseinandersetzt (2).

Religiöse Dimension nachhaltiger Entwicklung

Bildung für nachhaltige Entwicklung ist zudem ein Prozess, der konstitutiv die volitionale (willentliche), motivationale (begründende) und emotionale Ebene von Handlung(sentscheidungen) einbezieht. Die Berücksichtigung dieser Ebenen ist besonders relevant, da die kognitive Ebene allein nicht zwingend Verhaltensveränderungen bewirkt. Vielmehr bedarf es der anderen Dimensionen, um ein ganzheitliches Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderung auch auf einer Handlungsebene zu erreichen. Neben der Tatsache, dass Bildung für Nachhaltigkeit in ihren vielfältigen Facetten zu operationalisieren und in ihrer Verflochtenheit mit Themen der Gerechtigkeit, z.B. Geschlechtergerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, auszuweisen ist, bedarf es auch des besonderen Augenmerks darauf, dass es – ähnlich wie in der Menschenrechtsbildung (3) – auch in der Bildung für Nachhaltigkeit um eine Bildung „über“, „durch“ und „für“ Nachhaltigkeit in umfassendem Sinn geht. Das bedeutet: Der Erwerb der Sachkompetenz über nachhaltige Entwicklung ist in einen Bildungsprozess zu integrieren, der das Bildungsziel der Nachhaltigkeit im Bildungsprozess selbst bereits voraussetzt und verwirklicht, wodurch eine Bildung „für“, in diesem Fall für nachhaltige Entwicklung, erst ermöglicht wird.

Die theologische Rückbindung und das christliche Ethos als Begründungsstruktur für nachhaltige Entwicklung sind, wie oben bereits gesagt, keine zwingende Voraussetzung, können aber eine entscheidende sowohl willentliche wie begründende Grundlage darstellen, aus der heraus Menschen ihr Handeln begründen und steuern. Diesen motivationalen und volitionalen Gründen kommt damit eine so starke normative Kraft zu, dass sie nicht nur in der Lage sind, Handeln und Verhalten aus der (christlichen) Botschaft und ihren materialen Gehalten und ethischen Maximen zu steuern, sondern auch Verhaltensveränderungen, theologisch gesprochen „Umkehr“ (metanoia), zu bewirken. Ferner macht die Lehre von den so genannten „loci theologici“ (4), den „Orten der Theologie“, nicht nur deutlich, dass die konkrete (Lebens-)Praxis der Menschen ein Ort ist, an dem sich Theologie und christliches Handeln in der Praxis zu bewähren hat, sondern christliches Handeln überhaupt erst entstehen lässt.

Religiöse Bildung reflektiert nun nicht nur auf die theologischen Grundlagen und das christliche Ethos, sondern eben auch auf diese affektiven, volitionalen und motivationalen Grundlagen (christlichen) Handelns. Dadurch, dass sie niemals nur auf „Orthodoxie“, die rechte Lehre, sondern immer auch auf „Orthopraxie“, das rechte Handeln zielt, leistet sie auch einen wesentlichen Beitrag für die für nachhaltige Entwicklung so wesentliche Dimension des „Handelns“.

Quellen:

(1) Vgl. Grundlagentext der AG rBNE der AKRK, im Erscheinen

(2) Vgl. Grundlagentext der AG rBNE der AKRK, im Erscheinen

(3) Vgl. Erklärung der Vereinten Nationen über Menschenrechtsbildung und -training. Online abrufbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Menschenrechtsbildung/Erklaerung_der_Vereinten_Nationen_ueber_Menschenrechtsbildung_und_training.pdf

(4) Seckler, Max: Art. Loci theologici, in: LThK, Bd. 6, 3. Aufl., Sonderausgabe 2006

Über die Autorin:

Dr’in Judith Könemann ist Professorin für Religionspädagogik, Bildungs- und Genderforschung und Leiterin der Arbeitsstelle Theologische Genderforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.