Über die Kunst von der Natur zu lernen

Cornelia Steinhäuser

In meiner Forschung untersuche ich verschiedene Initiativen, die sich zum Ziel setzen, das vorherrschende Agrar-Ernährungssystem zu hinterfragen und zu verändern. Dies umfasst zahlreiche Ansätze, die auf Pestizide verzichten, Vielfalt in und um die Felder schaffen, den Boden schonen, Ernährungssouveränität herstellen und vieles mehr. Sie werden u.a. der biologischen, biodynamischen oder regenerativen Landwirtschaft zugeordnet und können im Zusammenhang mit dem Erreichen der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen als agroökologische Herangehensweisen zusammengefasst werden (HLPE 2019). Diese Kategorien sind nicht klar voneinander abgrenzbar, ebenso wenig wie ihre Praktiken. Sie haben viele Nuancen. Auch in Münster finden aktuell zahlreiche Initiativen statt, wie der Ernährungsrat, das Kompostfestival oder die Ernennung als Bio-Stadt.

Einige dieser Ansätze fokussieren auf eine gesunde, ausreichende Erzeugung von Nahrungsmitteln. Andere beschreiben sich darüber hinaus als holistisch und berücksichtigen stärker die ästhetischen, emotionalen und auch spirituellen Dimensionen der Mensch-Natur-Beziehungen im Umgang mit dem Boden oder mit der Saisonalität des Lebens (siehe auch Steinhäuser 2020). Schließlich kann sich hier ein in-der-Welt-Sein entwickeln, ein Geflecht alles Lebenden, bei dem die Unterscheidung von Mensch und Natur in der Wahrnehmung schwindet. Permakultur ist ein solcher holistischer Ansatz, der in den 1970er Jahren, inspiriert durch indigenes Wissen, ins Leben gerufen wurde (siehe Mollison 2017, Holmgreen 2016). Ihr liegt ein Postwachstums-Verständnis von Nachhaltigkeit zugrunde. Die sog. soziale Permakultur wiederum überträgt Beziehungen des Gärtnerns und des Gartens auf menschliche Gemeinschaften, ohne deswegen eine Trennung von Mensch und Natur vorzunehmen (Macnamara 2012). Ein grundlegender Gedanke der Permakultur ist, von der Natur zu lernen (zum Beispiel ökologische Kreisläufe nachzuahmen). Doch da stellt sich die Frage, ob diese Übertragung von der Natur auf die Gesellschaft nicht eine vereinfachte, naive Sicht des Menschen (und der Natur) darstellt, die ihrer Komplexität nicht gerecht wird?

Tomatotasting – die Vielfalt aus dem Künstlerdorf-Garten kosten, die Herkünfte der Tomatensorten würdigen, September 2022. Foto C. Steinhäuser

Diese Fragen haben wir in einem Fallbeispiel mit der Gemeinschaft des Künstlerdorfes in Schöppingen genauer betrachtet (Steinhäuser 2022). Im Zuge der gerechten und nachhaltigen Transformation dieses Residenzprogrammes für Künstler*innen lief gerade das Projekt für 2022: „Lebensraum Künstlerdorf – Von der Natur lernen!“. Es fanden dabei verschiedene Aktivitäten statt, wie das gemeinsame Anlegen eines Gartens, angeleitet durch einen Künstler oder Seminare zur Anwendung permakultureller Prinzipien auf Kunsteinrichtungen. Ich habe diesen Transformationsprozess aus wissenschaftlicher Perspektive begleitet. Wir reflektierten über unterschiedliche Wahrnehmungen von Natur: Vom lieblichen, erlebbaren Ort bis zu überkommenen Konstruktionen oder gar Vorstellungen, die diskriminierende Züge – zum Beispiel gegenüber ‚invasiven‘ Pflanzenarten – annehmen können.  Gleichzeitig diskutierten wir, inwiefern durch Permakultur (und das Gärtnern) Inspiration gefunden werden kann, von der Natur zu lernen bzw. dieses Lernen auf die Gesellschaft zu übertragen. Auch hier waren die Betrachtungen wie zu erwarten sehr unterschiedlich von kreativ, über bejahend bis skeptisch. In jedem Fall lud die Auseinandersetzung dazu ein, sich mit sich selbst und der Mitwelt auseinanderzusetzen und in manchen Fällen haben diese Gespräche und Aktivitäten die eigene Beziehungswelt wie auch die Gemeinschaft nachhaltig geprägt. Was jenseits aller intellektueller Debatten das eigentliche Ziel war: Anzuhalten und darüber nachzudenken, was für das Leben wichtig ist. So haben wir auch Studierende der Landschaftsökologie eingeladen, zu Gärtnern und sich mit den Künstler*innen auszutauschen (siehe Foto).

Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Mich hat der Austausch mit der Gemeinschaft im Künstlerdorf bisher wesentlich darin weitergebracht, mein ethnographisch-landschaftsökologisches Verständnis von Mensch-Natur-Beziehungen (beim Gärtnern bzw. bei alternativen Agrar-Ernährungssystemen) in den Sichtweisen der Künstler*innen zu spiegeln und mit einer sensiblen, kontourreichen Tiefe zu erweitern. Es motiviert mich zu erkunden, in welchen Räumen wir gemeinsam über die Herausforderungen unserer Zeit nachdenken und diese mitgestalten können.

Über die Autorin:

ZIN-Mitglied Cornelia Steinhäuser ist Postdoktorandin in der AG Angewandte Landschaftsökologie und Ökologische Planung. Dort ist sie zuständig für den Arbeitsschwerpunkt Agroökologie, das innovative Lehrprojekt „Sozialwissenschaftliche und ethnographische Methoden in der Landschaftsökologie“.

Literatur:

HLPE (2019): Agroecological and other innovative approaches for sustainable agriculture and food systems that enhance food security and nutrition. A report by the High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition of the Committee on World Food Security. Rome.

Holmgren, David (2016): Permakultur. Gestaltungsprinzipien für zukunftsfähige Lebensweisen. Unter Mitarbeit von Declan Kennedy. Klein Jasedow: Drachen Verlag.

Macnamara, Looby (2012): People & permaculture. Caring and designing for ourselves, each other and the planet. Unter Mitarbeit von Rebecca Storch. East Meon, Hampshire: Permanent Publ.

Mollison, B. C. (2017): Handbuch der Permakultur-Gestaltung. 3. Auflage. Stainz: Österreichisches Institut für angewandte Ökopädagogik – Permakultur-Akademie im Alpenraum.

Steinhäuser, Cornelia (2020): Mountain farmers’ intangible values foster agroecological landscapes. Case studies from Sierra Santa Victoria in northwest Argentina and the Ladin Dolomites, northern Italy. Agroecology and Sustainable Food Systems 44 (3), S. 352–377. DOI: 10.1080/21683565.2019.1624285.

Steinhäuser, Cornelia (2022). Begegnungen mit Mensch und Natur im Künstlerdorf Schöppingen: Socializing with people and nature at the Künstlerdorf. IN: Julia Haarman (Hrsg.): Ecosystem Künstlerdorf. S. 21–41. Stiftung Künstlerdorf Schöppingen.