Bioökonomie und Nachhaltigkeit in Südamerika: erste Einblicke aus dem SABio Projekt

Karen M. Siegel

Bioökonomie bekommt immer mehr Aufmerksamkeit als ein neuer Ansatz, der eine Transformation zur Nachhaltigkeit und eine Abkehr von fossilen Brennstoffen fördern soll. Das Konzept der Bioökonomie wurde anfangs besonders von den Industriestaaten der OECD und der EU aufgegriffen, weiterentwickelt und gefördert. Jedoch erweckt das Konzept der Bioökonomie nicht nur Hoffnungen auf nachhaltigere Produkte und Produktionsweisen, sondern stößt ebenfalls auf Skepsis und Kritik (siehe hierzu auch bereits erschienene Blogartikel zum Thema Bioökonomie des Forschungsprojektes BIOCIVIS).

Mittlerweile entwickeln auch eine Reihe Schwellenländer und Länder im globalen Süden Bioökonomiestrategien und arbeiten daran, entsprechende wirtschaftliche Sektoren zu fördern (Dietz et al., 2018). Allerdings haben diese Länder andere wirtschaftliche und politische Strukturen, eine schwächere Position in der Weltwirtschaft und soziale Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeit oder Landkonflikte sind oft deutlich ausgeprägter, während Umweltprobleme zunehmen und oft besonders ärmere Teile der Bevölkerung betreffen. Wie sehen Bioökonomiedebatten in diesen Kontexten aus? Welche Hoffnungen, aber auch Bedenken gibt es? Dies sind einige der Fragen, denen wir in diesem Blogbeitrag mit Fokus auf Südamerika nachgehen möchten. Wir berichten dabei erste Einblicke der Nachwuchsgruppe Transformation and Nachhaltigkeits-Governance in Bioökonomien Südamerikas am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster. Die Nachwuchsgruppe ist Teil des interdisziplinären SABio Projekts in Kooperation mit der Universität Bonn.

Bioökonomie und die Nutzung von natürlichen Ressourcen in Südamerika

Tatsächlich ist das Konzept der Bioökonomie sehr weitläufig und damit ist auch die Bandbreite von potentiellen Auswirkungen sehr breit. Dies bedeutet, dass Bioökonomie insgesamt eine nachhaltige Entwicklung fördern kann, aber dies keineswegs garantiert ist. In Südamerika hat die regionale Organisation ECLAC (Economic Commission for Latin America and the Caribbean) mit europäischer und deutscher Unterstützung eine wichtige Rolle gespielt, um das Konzept der Bioökonomie in der Region zu verankern und erste Netzwerke und Austausche von Ideen zu fördern. Berichte dieser ersten Kooperationen heben die folgenden Bioökonomiebereiche hervor, die für die Region besonders bedeutend sind: ökonomische Bewertung von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen; Bioenergie und Biomaterialen; Intensivierung der Landwirtschaft; Biotechnologie; und die Verbesserung der Effizienz von Agrar- und Lebensmittelketten (Aramendis et al., 2018; Rodríguez et al., 2018).

Allerdings treffen mehrere dieser Bereiche in Südamerika auf viele bereits existierende Konflikte über die Nutzung von natürlichen Ressourcen. Die argentinische Soziologin Maristella Svampa oder der uruguayische Forscher Eduardo Gudynas zum Beispiel analysieren seit den 2000er Jahren die zunehmenden sozialen und ökologischen Konflikte durch die immer intensivere Ausbeutung von natürlichen Ressourcen. Dazu zählen nicht nur fossile Brennstoffe wie Öl und Gas, sondern ebenfalls Biomasse und Land, sowie Wasser, oder auch Initiativen zum Schutz von Biodiversität. Ein zusätzliches Problem in vielen Teilen Südamerikas ist die hohe Ungleichheit auf wirtschaftlicher wie auch auf politischer Ebene. Dies bedeutet, dass einige Bevölkerungsgruppen deutlich weniger Möglichkeiten haben, politische Entscheidungen zu beeinflussen als andere.

In diesem Kontext untersuchen wir, inwiefern und auf welche Art und Weise Bioökonomie eine nachhaltige, friedliche und integrative Entwicklung unterstützen kann. Oder anders formuliert: Inwiefern ist Bioökonomie eine Entwicklungsstrategie, die Menschen aus allen Bevölkerungsschichten etwas nutzt und nicht nur wirtschaftlichen und politischen Eliten? Aber auch: Was passiert mit schon existierenden Konflikten z.B. über Land oder Wasser, wenn Bioökonomie entwickelt wird? Verschärfen sich diese Konflikte oder kann Bioökonomie auch zu Lösungen beitragen, und wenn ja, dann unter welchen Bedingungen?

Chancen und Risiken für nachhaltige Entwicklung

Insgesamt beschäftigen sich Bioökonomiestrategien weltweit relativ wenig mit Zielkonflikten und potentiellen Risiken. Eine Analyse von Bioökonomiestrategien weltweit hat außerdem gezeigt, dass die Regulierung von Bioökonomie weniger ausgeprägt ist als deren Förderung (Dietz et al., 2018). Dazu kommt, dass es bis jetzt keine internationalen Governancemechanismen speziell für Bioökonomie gibt, weder auf globaler, noch auf regionaler Ebene in Südamerika. Dies bedeutet, dass einzelne Länder und Regierungen ziemlich viel Spielraum haben, wie sie das Konzept der Bioökonomie interpretieren, welchen Aspekten sie Priorität geben und wie das dann umgesetzt wird.

Aus diesen Gründen ist es besonders interessant, die ersten Schritte in der Bioökonomieentwicklung in drei unterschiedlichen Ländern zu verfolgen. Wir schauen uns dabei Argentinien, Brasilien und Uruguay an. Einer der wichtigsten Bioökonomiebereiche in allen drei Ländern ist der Agrarsektor. Ein Blick auf diesen Bereich verdeutlicht, welche Hoffnungen und Erwartungen Bioökonomie für die Region hat, aber auch, welche Kontroversen und Risiken bereits bestehen. Seit den 1990er Jahren hat der Agrarsektor in der Region eine rapide Entwicklung durchlaufen, die auch weitreichende wirtschaftliche, soziale und ökologische Auswirkungen hatte. Dazu gehört der rapide Anstieg an Sojaanbau auf der Basis von Gentechnologie.

Dies hat einerseits zu starkem Wirtschaftswachstum geführt und damit insbesondere Argentinien geholfen, einen Weg aus der Wirtschaftskrise in den frühen 2000er Jahren zu finden. Außerdem konnten durch die direkte Besteuerung von Sojaexporten in Argentinien auch einige wichtige soziale Programme finanziert werden. Zudem lässt sich beobachten, wie in landwirtschaftlich geprägten Regionen in Argentinien zum Beispiel die Anzahl kleiner und mittelgroßer Bio-Raffinerien steigt, die Reste der Holz- oder Sojaproduktion verwerten und damit die Grundlage für die Entwicklung nachfolgender regionaler bio-basierter Wertschöpfungsketten schaffen können. Das Konzept von Bio-Raffinerien beruht darauf, Biomasse industriell zu verarbeiten, um die verschiedenen Bestandteile zu extrahieren und zu trennen. Energie ist eine mögliche Anwendung, aber nicht die einzige. Weitere Einsatzmöglichkeiten sind Industrieöle, Klebstoffe, Tenside, Lösungsmittel und Biopolymere für biologisch abbaubare Fasern und Kunststoffe sowie Chemikalien für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie (Bastos Lima, 2021, p. 5). Trotzdem hat sich die Aufwertung der Wertschöpfungsketten auch für aufstrebende Agrarmächte wie Brasilien oder Argentinien als schwierig erwiesen angesichts der global agierenden multinationalen Unternehmen, die den Sojahandel dominieren und wenig Interesse an der Förderung der Entwicklung in Südamerika haben, der hohen Kosten für die Forschung in der Biotechnologie und eines starken internationalen Regimes für geistige Eigentumsrechte sowie eines sehr liberalisierten internationalen Freihandelsregimes für ganze Sojabohnen. Die Gewinne aus dem Sojasektor sind nicht hauptsächlich auf einheimische Arbeit oder Technologie zurückzuführen, sondern basieren größtenteils auf natürlichen Ressourcen und einem günstigen Klima, externer Technologie und externer Nachfrage bzw. hohen Rohstoffpreisen (Baraibar Norberg, 2020, pp. 337–338).

Dazu kommt, dass der Sojaanbau oft auch hohe soziale und ökologische Kosten hat. Dazu gehören Entwaldung, Verlust von Biodiversität und Beeinträchtigung der Wasserqualität durch Agrochemikalien. In vielen Teilen der Region kritisieren zivilgesellschaftliche Organisationen und BürgerInnen außerdem den Einsatz von Agrochemikalien und insbesondere dem Besprühen großer Flächen mit glyphosathaltigen Mitteln aus der Luft wegen der schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden, die in betroffenen ländlichen Gegenden gehäuft auftreten. Weitere Probleme sind die zunehmende Landkonzentration und die Verdrängung von Kleinbauern und -bäuerinnen und indigenen Gemeinden. Insgesamt ist der Sojaanbau in Südamerika aufgrund der sozialen und ökologischen Auswirkungen ein sehr umstrittenes und polarisierendes Thema.

Wenn die Bioökonomiestrategien in der Region hauptsächlich darauf beruhen, große Agrarsektoren wie den Sojaanbau zu fördern und dabei keine wirksamen Maßnahmen treffen, um sozioökologische Auswirkungen zu mindern, ist das Risiko hoch, dass Bioökonomie in Südamerika bereits existierende Konflikte und auch Ungleichheit weiter verschärfen wird. Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, ist es wichtig, verschiedene Perspektiven und auch zivilgesellschaftliche AkteurInnen bei der Entwicklung von politischen Entscheidungen und Strategien miteinzubeziehen und dabei insbesondere diejenigen zu berücksichtigen, die oft von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden (Bastos Lima & Siegel, 2020).

Allerdings gibt es auch wichtige Unterschiede innerhalb der Region, und da Bioökonomie ein sehr breites Konzept ist, wird es auch in Südamerika von verschiedenen AkteurInnen mit unterschiedlichen Interessen aufgegriffen. Daher ist es wichtig, die politischen Prozesse, die die Bioökonomieentwicklung definieren und fördern, zu analysieren und dabei zu untersuchen, welche AkteurInnen beteiligt sind, welche Aspekte von Bioökonomie Priorität erhalten und welche eher an den Rand gedrängt werden, und wie dann letztendlich die Umsetzung verläuft.

Quellen:

Aramendis, R. H., Rodríguez, A. G., & Krieger Merico, L. F. (2018). Contribuciones a un gran impulso ambiental en América Latina y el Caribe: Bioeconomía. https://repositorio.cepal.org/bitstream/handle/11362/43825/1/S1800540_es.pdf

Baraibar Norberg, M. (2020). The Political Economy of Agrarian Change in Latin America – Argentina, Paraguay and Uruguay. Palgrave Macmillan. https://doi.org/https://doi.org/10.1007/978-3-030-24586-3

Bastos Lima, M. G. (2021). The Politics of Bioeconomy and Sustainability. Springer. https://doi.org/https://doi.org/10.1007/978-3-030-66838-9

Bastos Lima, M. G., & Siegel, K. M. (2020). Promoting inclusive bioeconomies? Lessons from agri-food governance and the politics of the SDGs in South America. ZEF Policy Brief, 37, 1–4. https://www.zef.de/fileadmin/webfiles/downloads/zef_policybrief/Policy_Brief_37_EN.pdf

Dietz, T., Börner, J., Förster, J. J., & von Braun, J. (2018). Governance of the bioeconomy: A global comparative study of national bioeconomy strategies. Sustainability, 10(9). https://doi.org/10.3390/su10093190 Rodríguez, A. G., Mondaini, A. O., & Hitschfeld, M. A. (2018). Bioeconomía en América Latina y el Caribe. Contexto global y regional y perspectivas.

Über die Autorin:

Dr’in Karen Siegel ist Nachwuchsgruppenleiterin der Forschungsgruppe “Transformation und Nachhaltigkeits-Governance in Bioökonomien Südamerikas” am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Münster und Mitglied des Zentrums für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN). Die Nachwuchsgruppe ist Teil des interdisziplinären SABio Projekts, das an der Schnittstelle von Agrarökonomie (Universität Bonn) und Politikwissenschaft (Universität Münster) arbeitet. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Artikels liegt bei der Autorin.

Zum Weiterlesen:

Auf der SABio Internetseite (https://sabio-project.org/) gibt es weitere Informationen zu Veröffentlichungen und Aktivitäten der Nachwuchsgruppe sowie einige Youtube-Videos.

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