Kyra Lilier
Dass der Klimawandel nicht nur das Leben der Eisbären bedroht, sondern auch weitreichende Folgen für unser Leben hat und haben wird, ist seit langem erforscht. Trotzdem haben viele Menschen nicht das Gefühl, von Folgen des Klimawandels konkret betroffen zu sein; sie verorten Auswirkungen auf die andere Seite der Erde, fühlen sich sicher und geschützt in Deutschland und Europa. Dabei war Deutschland im Jahre 2018 laut dem Klima-Risiko-Index von Germanwatch eines der klimavulnerabelsten Länder der Erde, weltweit auf Platz drei. In diesem Jahr war Deutschland besonders betroffen von den Folgen des Klimawandels, denn es war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen mit über 20.000 hitzebedingten Todesfällen (vgl. Watts et al. 2021) und über 3 Milliarden Euro Verlusten in der Landwirtschaft (vgl. Eckstein et al. 2019). Obwohl uns die Auswirkungen des Klimawandels hierzulande häufig weit entfernt erscheinen, sind sie bereits deutlich zu spüren.
Dazu hier ein Szenario, das sich irgendwo in Deutschland ereignen kann:
Es ist endlich Sommer. Nach einem verregneten Winter freuen sich die Menschen der Region Malum über die mehr als 25 Grad. Für den Abend sind die ersten großen Sommergewitter angesagt. Doch es regnet mehr als gedacht, viel mehr. Die Menschen, die am Flussufer der Male leben, realisieren als erste, dass etwas nicht stimmt. Der Keller von Familie Normalo läuft voll, doch das Wasser hört nicht auf zu steigen, im letzten Moment packen sie ihre Sachen, dann läuft das Wasser schon zur Haustür herein. Einige Stunden später steht die gesamte Region unter Wasser. Familie Normalo hatte Glück und konnte sich rechtzeitig retten, viele andere Menschen konnten es nicht (Hinweis 1). Erst Tage später können sie in ihr Haus zurück. Das gesamte Untergeschoss ist zerstört. Die Aufräumarbeiten dauern Monate an und ein unerwartetes Problem nach dem anderen tritt auf: Oma Normalo gehen die Blutdruckmedikamente aus, die Apotheken im Umkreis sind aber völlig zerstört (Hinweis 2). Mama Normalo kann nicht zu ihrer Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung. Die nächste Hitzewelle ist schon vorhergesagt – doch ohne Strom keine Klimaanlage. Besonders Oma Normalo leidet unter der Hitze und als sie eines besonders heißen Nachmittages keine Luft mehr bekommt, wird sie ins Krankenhaus gebracht, das gerade seinen Betrieb wiederaufgenommen hat. Sie hat Glück: Der Herzinfarkt, durch die Hitze begünstigt, kann behandelt werden. Zu Hause bahnt sich derweil das nächste Problem an: Die hohen Temperaturen begünstigen die Schimmelbildung an den noch nassen Wänden, es ist fraglich, ob das Haus noch zu retten ist. Und die kleine Tochter von Familie Normalo hustet in letzter Zeit so komisch…(Hinweis 3) Papa Normalo kann die Katastrophe noch gar nicht richtig fassen; er steht in letzter Zeit total neben sich und wird panisch, sobald er irgendwo Wasser rauschen hört. (Hinweis 4).
Solche und andere verheerende Extremwetterereignisse und die damit verbundenen Folgen wie in diesem Szenario werden aufgrund des Klimawandels deutlich häufiger in Deutschland auftreten. Überflutung wie im Ahrtal werden um das 1,2 bis 9-fache wahrscheinlicher und treten im Mittel dann alle 300 Jahre, statt wie zuvor alle 400 Jahre auf (vgl. World weather attribution 2021). Also können wir uns die nächsten 299 Jahre entspannen? Nein- Für das Ahrtal bedeutet das eine Wahrscheinlichkeit von 1:100 für ein solches Ereignis für das nächste Jahr. Man stelle sich eine 1:100 Wahrscheinlichkeit beim Lotto vor- wer würde da nicht mitspielen?
Überflutungen sind dabei nicht die einzige Folge der Klimaerwärmung mit Konsequenzen für unsere Gesundheit. Bis Mitte des Jahrhunderts werden Waldbrände nicht nur in Südeuropa, sondern auch hier in Deutschland regelmäßiger vorkommen (vgl. American College of Occupational and Environmental Medicine 2019). Das Risiko wird für weite Teile Deutschlands dann als „hoch“ angegeben (vgl. Kovats et al. 2014). Eine weniger bekannte Gefährdung für unsere Gesundheit sind außerdem Hitzewellen. In den letzten Jahren haben wir einen Vorgeschmack bekommen auf das, was uns erwartet, denn Hitzeperioden werden häufiger (um den Faktor 3) und länger (um 25%) bis 2100 (vgl. Tagesschau 2021; vgl. Zacharias, Koppe & Mücke 2015). Extreme Hitze führt zu diversen hitzeassoziierten Krankheiten, wie Hitzeschlägen oder thromboemoblischen Ereignissen (z.B. Lungenembolien und Herzinfarkte). Im Hitzesommer 2018 starben in Deutschland 20.200 Menschen an einem sogenannten Hitzetod (vgl. Watts et al. 2021). Menschen mit Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Kinder und alte Menschen sind besonders gefährdet, einen Hitzschlag, Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Glücklicherweise führt dieser dank guter medizinischer Versorgung nicht zwingend zum Tod, häufig hinterlässt er aber bleibende Beeinträchtigungen (vgl. The Lancet Countdown on Health and Climate Change 2018). Für diese Herausforderung sind allerdings nur wenige Gemeinden gewappnet. Sogenannte Hitzeaktionspläne, also Strategien, wie man Menschen vor einer Hitzewelle schützen kann, gibt es nur in sehr wenigen Gemeinden (vgl. ebd. 2019). Auch viele Gesundheits-, Pflege- u. Bildungseinrichtungen haben keine Notfallpläne, häufig nicht einmal ausreichende Klimaanlagen, um die besonders gefährdeten Patient*innen und Kinder zu schützen. Zudem sind viele Krankenhäuser nicht auf die Mehrbelastung zu Zeiten von Hitzewellen vorbereitet, wenn mehr Menschen aufgrund der oben genannten Probleme ins Krankenhaus müssen (vgl. Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V., Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen & Aktionsbündnis Health for Future 2020; vgl. Curtis et al. 2017).
Wir schaden nicht nur der Umwelt, sondern in erster Linie uns selbst
Darüber hinaus gibt es einige Lose-Lose Beispiele, bei denen wir sowohl unserer Gesundheit als auch dem Klima direkt schaden. Durch die Verbrennung fossiler Energieträger stoßen wir einerseits klimaschädliches CO2 aus, andererseits verschmutzen wir unsere Atemluft. Luftverschmutzung erhöht das Risiko für zum Beispiel Herzkrankheiten, Schlaganfälle und Lungenkrebs und ist für über 80.000 vorzeitige Todesfälle im Jahr in Deutschland verantwortlich (vgl. Deutsche Allianz Klimawandel & Gesundheit o.J.).
Eine andere Lose-Lose Situation entsteht bei der Zerstörung von natürlichem Lebensraum, wie zum Beispiel Urwäldern. Dadurch wird nicht nur weniger ausgestoßenes CO2 gebunden, sondern es werden auch Lebensräume von Tieren zerstört, die dann vermehrt in von Menschen besiedelten Gebieten leben. Diese Vermischung der Lebensräume ist die ideale Gelegenheit für Zoonosen, also Krankheiten, die von Tier zu Mensch und umgekehrt übertragen werden können. Am Beispiel von Corona haben wir gesehen, wie die Übertragung einer solchen Zoonose eine globale Pandemie auslösen kann (vgl. Chemnitz & Dewitz 2021). Über 200 weitere Zoonosen (Stichwort: HIV, Ebola) sind bereits bekannt, mit vielen Kandidatinnen für weitere Pandemien (vgl. Heise 2020). Zusätzlich ist auch die Massentierhaltung – für deren Erhalt Urwälder abgeholzt werden- ein Nährboden für Infektionskrankheiten inklusive Antibiotikaresistenzen (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Le Monde Diplomatique 2021). Aber auch durch die bloße Erwärmung des Klimas könnte es bei uns bald vermehrt Erkrankungen geben, die zuvor sehr selten waren. Denn Zecken und Mücken, die von Borreliose bis Malaria verschiedenste Infektionskrankheiten übertragen können, werden sich weiter in Deutschland ausbreiten (vgl. Hemmer et al. 2018; vgl. Augustin et al. 2017).
Eine eher unbekannte, aber weit verbreitete negative Auswirkung des Klimawandels auf unsere Gesundheit ist zudem, dass mehr Menschen stärker unter Allergien (z.B. Heuschnupfen) leiden (werden). Bereits ein Drittel der deutschen Bevölkerung ist betroffen, Tendenz steigend (vgl. Langen, Schmitz & Steppuhn 2013). Denn mit steigenden Temperaturen verlängern sich Blütezeiten. Bäume, die unter Trockenheitsstress leiden, bilden mehr Pollen, um ihre Art zu erhalten. Zudem ändern erhöhte CO2 Emissionen und Feinstaubkonzentrationen in der Luft die Zusammensetzung der Pollen, sodass sie aggressiver werden und stärker allergen sind (vgl. Augustin et al. 2017).
Unzureichender Klimaschutz gefährdet nicht nur unsere Gesundheit, sondern kostet auch enorm viel Geld. Trotzdem wird effektiver Klimaschutz häufig als zu teuer angesehen. Doch die gesundheitlichen Vorteile von effektivem Klimaschutz überwiegen die Kosten um das Doppelte (vgl. World Health Organization 2018). In Deutschland lagen die Gesundheitskosten allein durch Luftverschmutzung im Jahr 2015 bei 97 Milliarden Euro (vgl. International Council on Clean Transportation 2019, vgl. Charisius 2019). So kosteten im Jahr 2018 direkte und indirekte Gesundheitsschäden durch schlechte Luftqualität zum Beispiel jede*n Münchner*in 1.984 Euro (vgl. CE Delft 2020). Eine neue Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz beziffert zudem die Klimafolgekosten für Deutschland mit 145 Milliarden Euro in den letzten 22 Jahren, was einer Schadenssumme von 6,6 Milliarden pro Jahr entspricht (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz 2022).
Was können wir tun, um unsere Gesundheit zu schützen?
Die vielen Beispiele zeigen: Gesundheitsschutz = Klimaschutz, und umgekehrt. Glücklicherweise gibt es sogar einige Win-Win-Beispiele, die beides direkt miteinander verbinden, also sogenannte Co-Benefits haben. So ist es sowohl für das Klima als auch für die eigene Gesundheit (und sogar für den eigenen Geldbeutel) gut, mehr mit dem Rad zu fahren oder zu Fuß zu gehen, auch wenn es nur zur nächsten Bushaltestelle ist. Eine Ernährungsweise, die auf Pflanzen basiert und wenige tierische Produkte beinhaltet, schützt das Klima und – entgegen landläufiger Meinung – vor allem uns vor Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen (vgl. Augustin et al. 2017; vgl. The EAT-Lancet Commission 2019). Und dann haben wir hier in Deutschland zum Glück diverse Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden: Mal bei der Gemeinde nachfragen, ob es eigentlich Hitzeaktionspläne für die nächste Hitzewelle gibt, wählen gehen, Initiativen für unseren Gesundheitsschutz und für mehr Klimaschutz unterstützen und vor allem mit jedem, ob Familie, Freund*in, Nachbar*in oder Kolleg*innen über die erheblichen Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit sprechen!
Über die Autorin:
Kyra Lilier studiert Medizin an der Universität Münster und promoviert zu gesundheitlichen Folgen des Klimawandels in Bangladesch an der Universität Heidelberg. Sie engagiert sich ehrenamtlich bei Health For Future, einem seit 2019 aktivem Aktionsbündnis aus Angehörigen der Gesundheitsberufe und Interessierten am Thema Klimawandel und Gesundheit, das von der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG) initiiert wurde. KLUG ist ein Netzwerk von Einzelpersonen, Organisationen und Verbänden aus dem Gesundheitsbereich mit dem Ziel, weitreichende Folgen der Klimakrise für die Gesundheit sichtbar zu machen. Unter dem Motto „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ setzen sich ehrenamtliche Aktive mit Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen, Demonstrationen, Mahnwachen sowie Beratungen und Gesprächen in ihrem professionellen Umfeld für ein klimagerechtes, ökologisches Gesundheitssystem, gesundheitsfördernde Lebensbedingungen und eine gesamtgesellschaftliche Transformation für eine gesunde Zukunft ein.
Noch mehr zum Thema (auf Empfehlung der Autorin):
Websites:
Filme:
- „Don’t look up“
- „2040 – wir retten die Welt“
- „Ökozid“
- „A Life on Our Planet“
- „Dear Future Children“
- “Before The Flood”
Bücher:
- Dr. med. Eckart von Hirschhausen: „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben“
- Toralf Staud u. Nick Reimer: „Deutschland 2050“
- Sven Plöger: „Zieht euch warm an, es wird heiß!“
Fachbuch:
- Claudia Traidl-Hoffmann, Christian Schulz, Martin Herrmann und Babette Simon (Hrsg.) (2021): Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän
Beitragsbild:
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