Rebecca Froese
Vorwort
Der Klimawandel ist die globale Herausforderung unserer Zeit. Er betrifft uns alle. Global betrachtet tragen aber nicht alle gleichermaßen Verantwortung für den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid und die Zerstörung von Lebensräumen und verschiedene Menschen und Teile der Weltbevölkerung sind unterschiedlich stark von den Folgen des Klimawandels betroffen. Dabei sind jene, die am stärksten unter klimatischen Veränderungen und Umweltzerstörungen leiden, oft nicht diejenigen, die am meisten zum Klimawandel beitragen oder historisch beigetragen haben. Deshalb muss die Bekämpfung des Klimawandels, so argumentiert Rebecca Froese, bedeuten, Gerechtigkeit zu fördern – zwischen Generationen, Gesellschaften, Mitgliedern einzelner Gesellschaften, Geschlechtern und gegenüber der nicht-menschlichen Mitwelt. Rebecca Froese beschreibt, welche Ansätze es gibt, damit das gelingt und wie eine Menschenrechts-Perspektive helfen kann. Erstmals veröffentlicht wurde ihr Beitrag am 26. März 2022 auf dem Blog der Friedensakademie Rheinland-Pfalz.
Der Klimawandel ist nicht nur eine Umweltherausforderung, sondern ein politisches und ethisches Problem
„Nach mir die Sintflut“, so könnte man im globalen Norden unseren Umgang mit dem Klimawandel wohl ganz gut in einem Satz zusammenfassen. Auch wenn schon 1992 in der UN Klimarahmenkonvention (UNFCCC) festgehalten wurde, dass das gefährliche anthropogene, also menschengemachte Stören des Klimasystems zu verhindern ist, ist in den darauffolgenden 23 Jahren nicht sonderlich viel passiert. Im Paris-Abkommen von 2015 bekräftigten die Staaten noch einmal ihren Willen, die globale Erderwärmung auf 2°C, und möglichst 1,5°C zu beschränken und ab 2020 ihre nationalen Klimaziele alle fünf Jahre ambitionierter zu gestalten. Doch heute, 7 Jahre später, zeigt sich, dass Deutschland und auch viele andere Staaten ihre eigenen Klimaziele nicht erreichen. An vielen Stellen regen sich schon seit langer Zeit Forderungen nach einem entschlossenen politischen Willen zum Wandel. Das Anliegen: Der Klimawandel kann nicht nur als eine Umweltherausforderung gesehen werden, sondern sollte vor allem auch als ein politisches und ethisches Problem betrachtet werden. Das Klima ist ein Allgemeingut. Jeder Mensch hat die gleichen Rechte an der Nutzung der Atmosphäre. Jedoch haben seit Beginn der Industrialisierung vor allem die Industrieländer von diesem Nutzen Gebrauch machen können und deutlich mehr Treibhausgase verursacht als ihnen zugestanden hätte. Der Wohlstand unserer heutigen industrialisierten Gesellschaften baut auf diesen Emissionen auf. Im Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels fordert die UN-Klimarahmenkonvention daher auch, dass Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung „auf der Grundlage der Gerechtigkeit und entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ begründet sein sollen (Paris Agreement to the United Nations Framework Convention on Climate Change 2015, S. 21). Im Folgenden stelle ich zwei Konzepte für Klimagerechtigkeit vor. Der erste Ansatz betrachtet die Klimagerechtigkeit, unterteilt in drei Dimensionen, von einer institutionellen, makroskopischen Perspektive. Der zweite Ansatz nimmt die Akteurs-zentrierte Perspektive ein und beschreibt Klimagerechtigkeit auf einer rechte-basierten Grundlage. Die Gegenüberstellung der beiden Ansätze zeigt auf, dass Klimagerechtigkeit ein vielseitiges Konzept ist, das je nach Anwendungsgebiet auf unterschiedlichen Ebenen gedacht werden kann.
Drei Dimensionen der Klimagerechtigkeit
Die erste Frage, die sich also stellt, ist: „Wer hat am meisten Treibhausgase ausgestoßen und davon profitiert?“ Das darauf aufbauende „Verursacherprinzip“ ist die wohl bekannteste Forderung der Klimagerechtigkeit. Sie fordert eine gerechte Aufteilung der Lasten (burden sharing) von Klimaschutz und Klimaanpassung unter Beachtung der Problemverursachung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Länder. Diejenigen, die also am meisten vom Treibhausgasausstoß profitiert haben, sollen schneller ihre Emissionen reduzieren, weil ihr Kohlenstoffbudget schon so gut wie aufgebraucht oder überschritten ist. Nach einigen Definitionen kann das Prinzip des Lastenteilens soweit gehen, dass für diese sogenannte ökologische Schuld hohe monetäre Kompensationszahlungen verlangt werden.
Die zweite Frage lautet: „Wer leidet am meisten unter den negativen Auswirkungen des Klimawandels?“ Diese Dimension der Klimagerechtigkeit wird als die Aufteilung von Risiken (risk sharing) eingeführt. Analysen verschiedener Regionen der Erde zeigen, dass einzelne Länder und Bevölkerungsgruppen unterschiedlich verletzlich gegenüber den Folgen des Klimawandels sind. Dies hängt aber nicht direkt von der Stärke der Auswirkungen des Klimawandels ab, sondern vielmehr davon, wie widerstandsfähig ein Land oder eine Bevölkerungsgruppe insgesamt ist oder ob entsprechende Anpassungsmöglichkeiten (z.B. Bewässerungssysteme) zur Verfügung stehen. Oft zeigt der Klimawandel sich hier als weiterer Risikoverstärker.
Die beiden oben beschriebenen Dimensionen der Klimagerechtigkeit, die gerechte Aufteilung von Lasten und von Risiken, werden von Germanwatch noch durch eine dritte ergänzt, die ich hier der Vollständigkeit halber noch nennen möchte, die aber für mein Argument nur nachrangig relevant ist: Die gerechte Aufteilung von Chancen (opportunity sharing), die in diesem Kontext häufig auf makroskopischer Ebene betont, dass entsprechende finanzielle und marktwirtschaftliche Anreize zur Ressourceneffizienz die erforderlichen Innovationen und Investitionen zur Dekarbonisierung bedingen.
Klimagerechtigkeit durch die Linse der Menschenrechte
Der Klimawandel ist ein globales Problem und bedarf daher auch einer globalen Lösung. Die genannten Dimensionen verdeutlichen, warum wir in den letzten 28 Jahren so wenig in Richtung dieser globalen Lösung erreicht haben. Abstrakte Forderungen haben nicht zu den erhofften Verlust- und Reparationszahlungen geführt, für die sich auf den Klimaverhandlungen viele arme Länder unter Unterstützung diverser Nichtregierungsorganisationen stark gemacht haben. Diese Forderungen behalten auch weiterhin ihre Gültigkeit, ihre Durchsetzungsperspektiven scheinen jedoch in Zukunft eher gering. Es ist daher an der Zeit, den Klimawandel aus einer rechtebasierten Perspektive heraus anzusprechen und zu behandeln. Der Klimawandel gefährdet die Menschenrechte als universelle und unteilbare Rechte für alle Menschen und verschlechtert die Chancen zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele. Rechte auf Nahrung, Wasser, Gesundheit und angemessene Unterkunft stehen ebenso auf dem Spiel, wie politische und zivile Rechte in Frage gestellt werden könnten. Es wird daher umso wichtiger, auf die Stimmen der Betroffenen/Gefährdeten von Menschenrechtsverletzungen zu hören und den Klimawandel als gesellschaftliches Problem zu verstehen.
Dazu gehören nicht nur Probleme, die durch den Klimawandel direkt entstehen, sondern auch solche, die durch gerechtigkeits-unsensible Planungen von Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen entstehen. Konkret wird dieser Ansatz gerne von Graswurzel- und Nichtregierungsorganisationen verwendet, um die Dimensionen von Klimagerechtigkeit aus einer Akteurs-zentrierten Perspektive zu unterscheiden: Gerechtigkeit mit (1) dem globalen Süden, (2), den Generationen, (3) den Geschlechtern, (4) marginalisierten Gruppen, (5) dem nicht-menschlichen Teil unserer Mitwelt. Auch diese Dimensionen blicken auf die ungleiche Verteilung von Lasten und Risiken, diesmal allerdings von einer deutlich differenzierteren und zugänglicheren Perspektive, da hier die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse im Fokus steht.
Gerechtigkeit mit dem globalen Süden blickt auf die durch die Globalisierung hervorgerufenen Abhängigkeiten, die viel mehr umfassen als die ungleichen Verteilungen am Nutzen der Atmosphäre. Darunter wird z.B. die Handelspolitik berücksichtigt, die eine Überflutung der Märkte mit überschüssigen EU-Agrarprodukten begünstigt und dadurch die lokalen Produkteur*innen verdrängt, Arbeitsplätze vernichtet und die Menschen abhängiger und so verletzlicher gegenüber dem Klimawandel macht.
Gerechtigkeit mit den Generationen bedeutet, dass „die Chancen zukünftiger Generationen auf Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse mindestens so groß sind wie die der heutigen Generation“ (Report of the World Commisison on Environment and Development: Our Common Future 1987, S. 51 Absatz 49). Für diese Forderung gehen seit fast vier Jahren Schüler*innen jeden Freitag auf die Straße anstatt in die Schule. Die meisten waren nicht einmal geboren als die UN-Klimarahmenkonvention verabschiedet wurde. Und doch fürchten sie um ihre Zukunft, weil die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse bzw. Menschenrechte nicht mehr gewährleistet werden kann.
Gerechtigkeit mit den Geschlechtern soll verdeutlichen, dass die Auswirkungen des Klimawandels Menschen unterschiedlichen Geschlechts unterschiedlich stark treffen. So sind z.B. in ländlichen Regionen des globalen Südens Frauen stärker vom Klimawandel betroffen, wenn sie z.B. während einer verlängerten Trockenperiode immer längere Wege zurücklegen müssen, um an Wasser zu gelangen. Zudem brechen häufiger Mädchen als Jungen die Schule ab, wenn das Einkommen der Familie aufgebessert werden muss, weil z.B. eine Ernte nicht so ertragreich wie erhofft war.
Gerechtigkeit mit marginalisierten Gruppen bedeutet, vor allem darauf zu achten, dass historisch gewachsene und bestehende Ungerechtigkeiten nicht aufgrund von machtpolitischen, ökonomischen oder auch Umwelt- und Klimainteressen reproduziert werden. Ein Beispiel ist die unter-Schutz-Stellung ganzer Wälder, die zuvor Lebensgrundlage von lokalen und indigenen Bevölkerungsgruppen waren und denen nach Einrichtung der Schutzzone die Lebensgrundlage genommen wurde.
Gerechtigkeit mit dem nicht-menschlichen Teil unserer Mitwelt, fällt aus der Betrachtung der Menschenrechte heraus, gehört aber dennoch zum Komplex der Klimagerechtigkeit dazu. Hat ein Baum das Recht, nicht gefällt zu werden? Hat ein Tier das Recht, nicht auszusterben? Hat ein Fluss ein Recht, nicht begradigt zu werden? Diese Fragen, so abstrakt sie auch scheinen mögen, sind in den Verfassungen von Ecuador und Bolivien bereits festgeschrieben und könnten gute Beispiele sein, wie auch in Deutschland oder Europa mehr Gerechtigkeit mit der belebten und unbelebten Natur geübt werden kann.
Auch für die neue Bundesregierung wird es eine Mammutaufgabe sein, den verschleppten Klimaschutz in der deutschen Klimapolitik wieder auf Kurs zu bringen, wie es Annelen Micus und Jakob Nehls in ihrem Beitrag beschreiben. Gleichzeitig muss sich diese Klimapolitik immer auch an den Menschenrechten messen lassen. Unterdessen kann es aber auch in der Verantwortung jedes einzelnen liegen, klimaschädliches Handeln immer mehr gesellschaftlich inakzeptabel zu machen.
Über die Autorin:
Dr’in Rebecca Froese, M.Sc. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN) an der Universität Münster, wo sie zu Themen der Nachhaltigkeitstransformation forscht. Promoviert hat sie an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (bis 12/2022 Universität Koblenz-Landau) zu Umweltgovernance, Landnutzungskonflikten und sozial-ökologischen Kipppunkten im südwestlichen Amazonas.
Literatur:
Brand, R. / Hirsch, T. (2012). Was heißt Klimagerechtigkeit? Jahrbuch Gerechtigkeit V, Menschen – Klima – Zukunft? Glashütten, S. 62-71.
Schapper, A. (2018). Climate justice and human rights. International Relations, 32(3), S. 275-295. https://doi.org/10.1177/0047117818782595.
Palmer, C. (2011). Does nature matter? The place of the nonhuman in the ethics of climate change. In D. Arnold (Hg.), The Ethics of Global Climate Change, Cambridge: Cambridge University Press, S. 272-291. doi:10.1017/CBO9780511732294.014.