Was werden wir wollen? Herausforderungen und Chancen der Einbeziehung zukünftiger Generation bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit

„Dauerhafte (nachhaltige) Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ –  so wird nachhaltige Entwicklung im bis heute einflussreichen Brundtland-Bericht von 1987 definiert. Das Zitat macht deutlich, dass bei Entscheidungen über unsere heutige Lebensweise immer darauf geachtet werden soll, dass sie zukünftigen Generationen nicht schadet – nur dann kann sie als nachhaltig bezeichnet werden. Momentan versuchen viele Städte Pläne dafür zu entwickeln, wie das Leben in der Stadtgesellschaft nachhaltig gestaltet werden kann. So erarbeiten beispielsweise 15 Städte (z.B. Münster) im Rahmen des Projektes „Global Nachhaltige Kommune NRW“ Strategien zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Da die zukünftigen Generationen für Nachhaltigkeit so wichtig sind, setzen diese Städte sich bereits aktiv mit Fragen auseinander wie: Rohstoffe, Tierarten, Wälder – was müssen wir für zukünftige Generationen bewahren? Wie können wir unser Zusammenleben so organisieren, dass wir gut leben, ohne gleichzeitig zukünftigen Generationen zu schaden? Welche Weichenstellungen, die das Leben zukünftiger Generationen beeinflussen, dürfen oder müssen wir vornehmen?

(Wie) können wir wissen und berücksichtigen, was zukünftige Generationen wollen?

Zukünftige Generationen und ihre Wünsche und Ansprüche spielen also eine zentrale Rolle in diesen Prozessen und, ganz allgemein, bei der Organisation unserer heutigen Lebensweise. Und das wirft vielerlei Probleme auf. Woher sollen wir etwa wissen, was diese „zukünftigen Generationen“ eigentlich wollen? Philosophisch gesehen ist das eine äußerst komplizierte Frage, weil für ihre Beantwortung viele Informationen notwendig sind und weil sie viel Klärungsbedarf mit sich bringt. Es müsste zunächst einmal Einigkeit darüber hergestellt werden, über welche Zeiträume wir eigentlich sprechen – geht es um die Menschen, die in fünfzig Jahren leben werden? Oder eher in hundert, wenn nicht gar erst imehreren hundert Jahren? Werden Menschen dann überhaupt noch Menschen in unserem heutigen Sinne sein? Und können zukünftige Generationen überhaupt Rechte haben? Manche würden hier einwenden: Nur jemand, der Pflichten übernehmen kann, hat auch Rechte – und Pflichten uns gegenüber übernehmen, das können zukünftige Generationen nun einmal nicht. Sie könnten höchstens gegenüber den ihnen nachfolgenden Menschen Pflichten erfüllen – würde das vielleicht als Grund dafür ausreichen, ihnen Rechte zuzusprechen?

Hier zieht ganz offensichtlich eine Frage meist viele andere Fragen nach sich. Auf Grundlage dieser Fragen können wir spannende philosophische Diskussionen führen, die jedoch nicht unbedingt zu eindeutigen Antworten führen werden und außerdem viel Zeit brauchen. Solche Diskussionen sind wichtig und bereichernd, denn sie fordern uns immer wieder zum Überdenken unserer Standpunkte auf. Nichtsdestotrotz müssen wir aber auch schon jetzt konkrete, praktische Wege finden, um die Interessen zukünftiger Generationen in politische Prozesse und Diskussionen rund um die Gestaltung unserer täglichen Lebensweise einzubinden. Zukünftige Generationen können zwar, da sie noch nicht geboren sind, nicht direkt eingebunden werden – wer aber tatsächlich eingebunden werden könnte, sind Kinder und Jugendliche! Vieles von dem, was heute noch zukünftig ist, werden sie selbst erleben und daher auch ganz unmittelbar die Folgen unserer heutigen Lebensweise spüren; gleichzeitig können sie direkt darüber Auskunft geben, was sie sich für ihre Zukunft wünschen. Aus meiner Sicht spricht das für eine Einbindung von Kindern und Jugendlichen in politische Prozesse zur Zukunftsgestaltung und eine solche Einbindung wird auch in der Praxis schon an vielen Stellen umgesetzt.

Es gibt jedoch auch kritische Stimmen, die sich gegen eine politische Beteiligung junger Menschen aussprechen.

Politische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen – eine umstrittene Idee

In der öffentlichen Diskussion wird die Fähigkeit von Kindern und Jugendlichen meist im Zusammenhang mit der Frage einer Senkung des Wahlrechts diskutiert. Kritik an einer solchen Senkung verweist z.B. darauf, dass junge Menschen eine Tendenz zu extremen Meinungen hätten und leicht manipulierbar seien. Es sei außerdem wichtig, ihnen einen Raum zu geben, in dem sie Meinungen ohne weitreichende Konsequenzen „ausprobieren“ könnten; diese Konsequenzen würde es aber geben, wenn Jugendliche schon eine Stimme abgeben dürften (Tagesschau.de). Kindern und Jugendlichen wird weiterhin oft unterstellt, gar kein Interesse an politischer Beteiligung zu haben; dieses Argument wird dann bspw. mit Verweis auf die verhältnismäßig niedrige Wahlbeteiligung junger Wähler*innen begründet (Spiegel.de). Gegen eine solche Ansicht wird wiederum argumentiert, dass Kinder und Jugendliche gerade deswegen politikverdrossen seien, weil Politik mit Blick auf die Interessen der älteren Generationen gemacht würde, und das politische Bildung zu einer gelungenen politischen Beteiligung der Jüngeren führen könnte.

Beide Seiten machen wichtige Punkte mit Blick auf die Diskussion der Senkung des Wahlrechts, die auch ganz allgemein bedeutsam mit Blick auf die Frage sind: In welchem Maße können und sollen Kinder und Jugendliche politisch eingebunden werden? Im Hinblick auf eine mögliche Einbeziehung in die Zukunftsgestaltung, bspw. in Städten, jedoch wäre es gar nicht unbedingt notwendig, dass jüngere Generationen verbindliche Entscheidungen treffen dürfen (das dürfen in vielen Prozessen ohnehin selbst erwachsene Bürger*innen oft nicht!). Es wäre schon ein erster, wichtiger Schritt, ganz gezielt auf Kinder und Jugendliche zuzugehen, damit sie ihren Zukunftswünschen und -ängsten Ausdruck verleihen können und darüber hinaus ihre eigenen Ideen zum Umgang mit Herausforderungen der Zukunft einbringen können. Viele erfolgreiche Beispiele zeigen, dass eine solche Art der politischen Teilhabe jüngerer Generationen keineswegs eine unrealistische Idee ist…

Vielerorts ist die politische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bereits Alltag

Allein in NRW haben z.B. viele Städte, wie Recklinghausen, Düsseldorf, Sankt Augustin oder Münster, schon seit vielen Jahren sogenannte Kinder- oder Jugendparlamente, -räte oder -foren. Viele dieser Gremien arbeiten auf Landesebene im Kinder- und Jugendrat (KiJuRat) des Landes NRW zusammen: Der KiJuRat besteht aus politisch engagierten und interessierten Kindern und Jugendlichen, die sich mehrmals im Jahr zu verschiedenen Sitzungen treffen. Das Ziel des Rates ist es, „die Meinungen der Kinder und Jugendlichen in Form von unterschiedlichen Projekten und Stellungsnahmen auf Landesebene zu vertreten“ und sich für bestimmte soziale und politische Projekte zu engagieren. Auch in anderen Städten und Bundesländern gibt es solche Parlamente und Räte. Politische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen findet also ganz offensichtlich bereits statt!

Auch im Bereich Nachhaltigkeit finden wir viele einzelne Projekte, die Kinder und Jugendliche – oft in ihrer Rolle als Schüler*innen – einbeziehen. Durch das Projekt „nich!egal – Klimaschutz an Essener Bildungseinrichtungen“ zum Beispiel sollen „Kindern und Jugendlichen die Fähigkeiten vermittelt werden, mit denen sie in ihrer sozialen und ökologischen Lebensumwelt […] verantwortungsbewusst und vorausschauen abwägen, entscheiden und handeln können.“  So sollen sie lernen, „sich einzubringen, mitzubestimmen und ihre Zukunft aktiv [zu] gestalten“. Inhaltlich dreht sich das Projekt um das Thema Klimawandel und insbesondere um Fragen des Energieverbrauchs. Ganz deutlich fallen in diesem Projekt Engagement für Nachhaltigkeit und politische Bildung zusammen. Dieses Projekt sticht vor allem dadurch hervor, dass zumindest in der Beschreibung die Schüler*innen nicht nur oder nicht ausdrücklich als Verbraucher*innen angesprochen werden – auch ihre Rolle als zukünftige Bürger*innen scheint hier wichtig zu sein. Das ist in vielen anderen Projekten zu Nachhaltigkeit mit Kindern und Jugendlichen nicht der Fall. Idealerweise wird ihnen aber durch genau diese Art der Ansprache das wichtige Gefühl vermittelt, dass ihre Meinung als Bürger*in relevant ist und nicht nur ihr privater Konsum, sondern auch ihr politisches Engagement einen Unterschied macht. Für die Erziehung engagierter Mitglieder einer Gesellschaft sind diese Punkte zentral!

Politische Beteiligung junger Generationen: einer von vielen notwendigen Schritten zu einer umfassenden bürgerschaftlichen Beteiligung

Im letzten Abschnitt wurde deutlich, dass es an vielen Stellen schon seit langem feste Strukturen für die politische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gibt. Auch mit Blick auf den Bereich Nachhaltigkeit gibt es bereits Projekte, die Kinder und Jugendliche (meist in ihrer Rolle als Schüler und Schülerinnen) einbinden wollen, als Verbraucher*innen, aber auch als Bürger*innen von morgen. Vor diesem Hintergrund spricht zunächst nichts dagegen, auch bei den zahlreichen aktuellen Prozessen zur Organisation unserer gemeinsamen Lebensweise in Städten die jungen Generationen gezielt einzubinden – und tatsächlich wird das bereits gemacht. Als Beispiel für eine Stadt, die diesen Weg schon geht, kann Münster genannt werden: Der Jugendrat ist dort Mitglied im Projektbeirat des Projektes „Global Nachhaltige Kommune NRW“. Diese Art der Einbindung sollte natürlich altersgemäß zugeschnitten sein, aber wie bereits gezeigt, gibt es viele erfolgreiche Vorbilder, an denen man sich orientieren kann. Wichtig ist natürlich außerdem, darauf zu achten, dass aufgrund der verstärkten Aufmerksamkeit für die Einbindung von Kindern und Jugendlichen nicht andere Gruppen aus dem Blickfeld gedrängt werden. Momentan sind nämlich bestimmte Gruppen in Prozessen zur Umsetzung von Nachhaltigkeit in Städten wenig präsent, z.B. Menschen aus wirtschaftlich schlechter gestellten Gruppen. Auch mit Blick auf diese Gruppen muss darüber nachgedacht werden, wie ihre Einbindung in städtische Prozesse gelingen kann, sodass letztlich wirklich die ganze Stadtgesellschaft in ihrer Vielfältigkeit zu Wort kommt. Die Einbindung von Kindern und Jugendlichen in politische Prozesse zur Gestaltung des städtischen Lebens und zur Umsetzung von Nachhaltigkeit ist damit zum einen wichtig als Annäherung an die Einbeziehung zukünftiger Generationen. Zum anderen ist sie einer von vielen notwendigen Schritten zu einer umfassenden bürgerschaftlichen Teilhabe.

 

Nachweis Titelbild: Pixabay (weitere Informationen hier: https://pixabay.com/de/service/terms/)