Aufbruch in ein grünes und gerechtes Europa?

Europa hat gewählt! Viele Zeitungen betitelten die Europawahl 2019 als wahrhaftige Schicksalswahl und riefen die Europäerinnen und Europäer im Vorfeld nachdrücklich zum Gang in die Wahlkabine auf. Und tatsächlich ist die Wahlbeteiligung im Vergleich zur EU-Parlamentswahl vor fünf Jahren in vielen EU-Staaten gestiegen – in Deutschland erlebten wir sogar eine Steigerung um 23 Prozent. Dabei erlebten die Parteien der Großen Koalition eine Pleite, besonders die SPD. Die Grünen dürfen sich mit 20,5 Prozent über einen riesigen Wahlerfolg freuen, denn sie liegen jetzt stimmenmäßig hinter der CDU (29 Prozent) und noch vor der SPD (16 Prozent). Währenddessen rangieren die FDP und die Linke im unteren einstelligen Bereich. Die AfD konnte ebenfalls einen Stimmanstieg auf rund 12 Prozent erzielen; in anderen Ländern wie Ungarn, Italien und Frankreich fuhren rechtspopulistische Parteien gar die meisten Stimmen ein (Merkur). Doch was bedeutet diese Parlamentswahl für Europa?  Welche Weichen wurden (überhaupt) für ein gemeinsames Leben in Europa gelegt? Wird sich der europäische Zusammenhalt erneut stärken, oder erleidet er weitere Risse? Geht es den Mitgliedstaaten und ihren BürgerInnen um eine funktionierende Wirtschaftsgemeinschaft und/oder um gemeinsame Werte und ein soziales Miteinander?

Trotz einiger nationaler Wahlerfolge grüner Parteien, ist die grüne Fraktion im EU-Parlament mit 69 von insgesamt 751 Sitzen nur die viertgrößte. Von einem ausdrücklichen grünen Wahlerfolg auf europäischer Ebene kann demnach keineswegs die Rede sein. Die Wahlergebnisse in Deutschland und in manchen anderen europäischen Ländern zeigen zumindest aber deutlich, dass globale Umweltprobleme, wie allen voran der Klimaschutz, immer stärker in das Bewusstsein der Menschen rücken. Einer Umfrage des European Council of Foreign Relations zufolge betrachten Menschen in Europa den Klimawandel als dringlichstes Problem (Zeit online). Dieses wachsende Bewusstsein sorgte für eine Stärkung ökologischer Aspekte in manchen Parteiprogrammen – auch wenn sich die Tendenz vorwiegend auf westliche EU-Staaten fokussiere, wie der Politikwissenschaftler Tobias Schminke betonte (Zeit online). In Deutschland hatten ökologisch und sozial motivierte Bewegungen wie Fridays for Future und die Proteste um den Hambacher Wald einen hohen Anteil daran, dass Themen wie der Klimaschutz und (Klima-)Gerechtigkeit mehr Aufmerksamkeit erhielten. Zudem wurden die Auswirkungen des Klimawandels in den letzten Jahren auch hier zu Lande zunehmend spürbar und erzeugten somit Betroffenheit. Diese weiträumige Bewusstseinsbildung stimmt zunächst optimistisch…

Europa braucht das Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger mehr denn je

Bei aller Bedeutsamkeit der neuen grünen Welle im politischen Europa und dem gesteigerten Bewusstsein für soziale und ökologische Themen, benötigt die EU bzw. das Europa von morgen über die Parlamentswahl hinaus die engagierte Unterstützung seiner Bürgerinnen und Bürger. Denn Politik in den Nationalstaaten und auf EU-Ebene wird nach wie vor zu oft von den Interessen großer Konzerne geprägt und dominiert (ein Blogartikel dazu). Wie zum Beispiel über die künftige Ausgestaltung der EU-Agrarpolitik entschieden wird, entscheidet sich leider nicht erst im EU-Parlament, sondern oftmals bereits im Vorfeld mittels vielfältiger Formen der monetären, medialen und institutionellen Einflussnahme seitens mächtiger Wirtschaftsakteure. Ein weiterer besorgniserregender Trend ist das Erstarken des Rechtspopulismus  bzw. des Rechtsextremismus  in Europa. Rechte Parteien locken vielerorts mit wohlklingenden Themen wie Heimat, Naturschutz und Familie, instrumentalisieren diese dabei jedoch für den Zweck einer gesellschaftlichen Spaltung und sprechen sich klar gegen eine gemeinsam europäische Antwort auf die aktuellen ökologischen und sozialen Krisen aus.

Um diesen negativen Entwicklungen Einhalt zu gebieten braucht es überall in Europa Menschen, die aktiv an einer gemeinsamen Wertegemeinschaft in Europa mitarbeiten. Positive Beispiele eines aktiven politischen Engagements abseits der Wahlurne sind die Mitarbeit in BürgerInnenforen, das Mitwirken in Stadtteil- und Nachbarschaftsinitiativen und politischen Arbeitsgemeinschaften oder aber die zahlreichen SchülerInnenproteste zu Klimaschutz und Klimagerechtigkeit (weitere konkrete Beispiele: Es geht LOS, Köln spricht). Auch müssen sich die Bürgerinnen und Bürger auf ihre Vision von einem grüneren und gerechteren Europa einigen und daran arbeiten diese beiden Aspekte in Einklang zu bringen. Zwar kann die Politik den Rahmen für eine solche Vision setzen. Es sind aber die Menschen, die in ihrem Alltagsleben erproben, was genau es heißt sich respektvoll gegenüber den Mitmenschen hier und anderswo sowie gegenüber der Natur und anderen Lebewesen zu verhalten.

Zum Weiterlesen

https://www.welt.de/politik/ausland/article194248087/Europawahl-2019-Greta-Effekt-ausgerechnet-in-Schweden-verpufft.html

https://www.l-iz.de/politik/sachsen/2019/05/Leipzig-als-gruenes-Leuchtfeuer-in-lauter-Hell-und-Dunkelblau-277370

https://fridaysforfuture.de/