Es braucht eine Kultur der Koordination – Wie die University of Southern California in Los Angeles Verantwortung für Nachhaltigkeit übernimmt. Ein Interview mit Prof. Daniel Mazmanian

Daniel Mazmanian; Pia Mamut und Lilli Möller

Auf unterschiedlichen Ebenen wird aktuell konkret für eine nachhaltige Entwicklung gehandelt. Ein solches Handeln und eine entsprechende Verantwortungsübernahme findet erstens auf der Ebene von individuellen BürgerInnen und KonsumentInnen statt. Zweitens widmen sich dem Thema selbstverständlich Regierungen, und das auf allen Ebenen. Drittens übernehmen Organisationen, Unternehmen und Institutionen Verantwortung. Eine tragende Rolle in der nachhaltigen Gestaltung der Zukunft kommt dabei auch Universitäten zu. Als zentrale Stätte sowohl für Forschung wie für Lehre sind sie ein wichtiger Motor im Veränderungsprozess und tragen eine besondere Verantwortung, den Weg in eine sozial gerechte und ökologisch verträgliche Zukunft zu ebnen. Auch die WWU hat neben dem Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN) mit der Einrichtung der Stabsstelle Nachhaltig hier entsprechende Schritte eingeleitet. Wir hatten kürzlich Gelegenheit, über Aufgaben und Zukunftsperspektiven für Universitäten mit Professor Daniel Mazmanian zu sprechen, der den Auftrag hat, die Nachhaltigkeitsstrategie einer amerikanischen Eliteuniversität, der University of Southern California (USC) in Los Angeles, zu entwickeln und zu begleiten. Eine verkürzte Fassung des 25-minütigen Interviews könnt Ihr hier lesen, dabei haben wir im Sinne der Zusammenfassung die Aussagen teilweise paraphrasiert. Das volle Interview könnt Ihr aufgeteilt in vier Teile in diesen Audiodateien verfolgen:

Verantwortung für Nachhaltigkeit heißt, Wissen Taten folgen zu lassen

Pia Mamut: Warum ist es für Universitäten wichtig, Nachhaltigkeit in ihre Ziele aufzunehmen?

Daniel Mazmanian: „Der entscheidendste Grund ist, dass wir alle mit der existenziellen Bedrohung des Klimawandels konfrontiert sind und dass er nicht nur uns Heutige, sondern auch die uns Nachfolgenden betreffen wird. Und die Universitäten sind dafür verantwortlich, diese zukünftigen Generationen so auszubilden, dass sie sowohl verstehen als auch navigieren und verändern können, und deshalb denke ich, dass wir eine moralische, eine professionelle und eine ethische Verpflichtung gegenüber der Menschheit haben.“

PM: Was ist der konkrete Beitrag, den Hochschulen zur Nachhaltigkeit leisten oder leisten können?

DM: „Ich werde eine Antwort geben, die direkt aus dem kommt, was wir an der USC zu tun versuchen. Ich erwähnte die Ausbildung für die aktuelle und zukünftige Generation von Studierenden, um zu verstehen und zu wissen, wie man die Auswirkungen des Klimawandels lösen kann, angehen kann. […] Aber auch in unserer Forschung haben wir die Verpflichtung, nach Lösungen zu suchen. In der Tat verwenden wir an der USC viel Mühe auf lösungsorientierte Forschung in diesem Bereich. Und wir müssen tun, was wir ‚walk the talk‘ nennen. Ich meine, die University of Southern California ist eine private Universität […] [und] der größte Arbeitgeber in der Stadt Los Angeles, […] also haben wir eine Verpflichtung für unsere Gemeinschaft, für unseren Staat, für unsere Nation und für den Globus, ein Vorbild zu sein. […] Wir haben den Luxus, wenn Sie so wollen, kühn zu denken und Dinge innovativ zu tun […].“

PM: Vielleicht könnten Sie die Vision beschreiben, die Sie mit dieser Art von Modell und Strategie zu verfolgen versuchen.

DM: „Die Vision ist wirklich vom Konzept der Nachhaltigkeit abgeleitet […]. Es stellt sich also die Frage, was ist Nachhaltigkeit? […]“ Wir betrachten Nachhaltigkeit durch die Linse, die Art und Weise, wie Disziplinen und Bereiche Nachhaltigkeit verstehen und wie Nachhaltigkeit beeinflusst, was sie tun. „Wenn Sie also in der Meeresbiologie tätig sind, was bedeutet Nachhaltigkeit in Bezug auf die Bedrohung durch den Klimawandel in Ihrem Bereich? Wenn Sie in der Wirtschaftswissenschaft sind, was bedeutet es in Bezug auf wirtschaftliche Prozesse? Wenn Sie in „Arts and Cinema“ sind, was ist es, was Sie tun, das die Bedeutung dieses Themas „Nachhaltigkeit“ vermittelt und wie wir mit ihr umgehen müssen? Es läuft also wirklich darauf hinaus: Wir fordern jede Disziplin und jedes Fachgebiet an unserer Universität heraus, zu sagen: Wie versteht euer Fachgebiet eure Verpflichtung und eure Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten.“

Nachhaltigkeit ist im Kern eine Frage der Gleichberechtigung und der Gerechtigkeit

„Nachhaltigkeit bedeutet also viele verschiedene Dinge, aber unser Hauptaugenmerk in Bezug auf die tatsächlichen Auswirkungen liegt auf dem Thema Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Denn für diejenigen von uns, die schon lange in der Umweltpolitik tätig sind und sie studiert und in ihr gearbeitet haben, scheint es, dass es vordergründig eine Menge Rhetorik [hinsichtlich] Gleichberechtigung und Gerechtigkeit [gibt], sich diese jedoch kaum konkret auswirkt, bzw. durch die Ritzen fällt.“

Bei der Umsetzung von Ideen fragen wir uns: Wie wird das Ergebnis gleichberechtigt und gerecht? Wie reduzieren wir so den Fußabdruck der Universität und den der umliegenden Nachbarschaft auf eine Weise, das es gerecht ist?  Das reicht bis zur Frage, wie wir Gebäude bauen, Energie erzeugen und verbrauchen, mit Plastik und Abfällen umgehen… 

Nachhaltigkeit in Bereiche bringen, die bisher nie etwas damit zu tun hatten

PM: Wie wurde der Veränderungsprozess initiiert und gestaltet und was ist bei der Kommunikation eines solchen Prozesses zu beachten?

DM: Im Sommer 2019 hat unsere neue Präsidentin Prof’in Carol Folt Nachhaltigkeit als ein zentrales Element ihrer Leitung adressiert. Auf ihre Initiative hin haben wir ein Komitee für Nachhaltigkeit gegründet, das die Bereiche Lehre, Forschung und Betrieb der Universität zusammenbringt. Ich wurde Vorsitzender des Komitees und wir haben weitere leitende AnsprechpartnerInnen ernannt. Das Komitee bringt zusammen an einem Ort einige der wichtigsten Akteure der Universität, mit Kanzler, dem Vize Präsidenten für Forschung, HochschullehrerInnen aus unterschiedlichen Fakultäten, Studierenden und VertreterInnen verschiedener Sparten des Universitätsbetriebs.

Das erste Jahr haben wir dazu genutzt, unsere Strategie inhaltlich zu erarbeiten und drei zentrale Empfehlungen zu entwickeln:

  1. Wie transformieren wir die Bildungserfahrung an unserer Universität mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit?
  2. Welche multi-disziplinären, übergeordneten Herausforderungen, „grand challenges“, gehen wir gemeinsam in der Forschung an?
  3. Wie bringen wir das Thema Nachhaltigkeit in administrative Bereiche, die bisher nicht annähernd etwas damit zu tun hatten?

Zusätzlich sind wird aktuell dabei, einen Chief Sustainability Officer zu rekrutieren und einen Rat auf Universitätsebene zu schaffen, der die Umsetzungsprozesse gestaltet und koordiniert. Wir haben darüber hinaus diverse Pilotprojekte initiiert. So arbeiten wir daran, in den großen Einführungskursen in unterschiedlichsten Fächern Nachhaltigkeit zu integrieren. Außerdem haben wir ein „Zentrum für nachhaltige Lösungen“ geschaffen, das sich der interdisziplinären, gruppenübergreifenden Forschung zu Themen widmet, die zu Lösungen führen werden. Schließlich haben wir zusätzlich zum Komitee der Präsidentin fünf Arbeitsgruppen zu den Schwerpunkten Bildung, Forschung, Gleichheit und Gerechtigkeit, Campus, und Engagement (auch über die Universität hinaus) gegründet und auch hier die wichtigen Akteure an Bord geholt. Im letzten Monat hat die Universität auch ihre Divestment Strategie verkündet, was zeigt, dass auch unser Board of Trustees die Herausforderung angenommen hat.

PM: Es ist klar geworden, dass ein solcher Prozess viele UnterstützerInnen braucht, dass er zunächst einmal Leadership braucht, dass er Gatekeeper braucht, dass er ModeratorInnen braucht, dass er Change Agents braucht und auch Kompetenzen, um diesen Wandel zu ermöglichen.

DM: Es ist eine kulturelle Transformation, es ist nicht ein einzelner Schritt… Es geht insbesondere darum, sich mit den schon bestehenden Folgen des Klimawandels zu beschäftigen, die Herausforderungen für Gerechtigkeit mit sich bringen. Diese sind eng verknüpft mit ungleicher Verteilung von Wohlstand, die bereits unabhängig vom Klimawandel existiert. „Wir haben eine sehr ungleiche Verteilung von Wohlstand und Chancen in den Vereinigten Staaten und unsere Stadt ist ein Beispiel dafür. Wir müssen diese Probleme angehen, während wir uns mit den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigen“.

Von abstrakten Offsets zu konkreter „Nachbarschaftshilfe“

PM: Könnten Sie ein Beispiel nennen, welche Art von Gleichheits- und Gerechtigkeitsproblemen es gibt? Und wie kann die Universität in positiver Weise dazu beitragen?

DM: „[…] Hierzu ein Thema aus unserer Forschung: Für unser Ziel, bis 2028 klimaneutral zu werden, braucht es sogenannte Offsets Diese haben aber traditionell wenig mit Gleichbehandlung und Gerechtigkeit zu tun oder mit unserer Nachbarschaft. Wir haben also ein Team von Studierenden, das für das Komitee der Präsidentin arbeit und eine Studie darüber erstellt, wie wir als Universität im Sinne von Offsets in der Nachbarschaft investieren können, um dort den CO2 Ausstoß zu reduzieren und gleichzeitig die Nachbarschaft von den Investitionen profitieren zu lassen. Wir sind dazu nicht gesetzlich verpflichtet und es gibt auch kein offizielles Offsets-Zertifikat-Programm, aber wir denken, dass wir eine moralische Verpflichtung dazu zu haben. […]“

Es braucht eine Kultur der Koordination!

PM: Eine letzte Frage: Inwieweit wird der Prozess aus Ihrer Sicht die Kultur der Universität und das unmittelbare Umfeld beeinflussen?

DM: […] „Unsere Stärke liegt im [größtenteils freiwilligen] Engagement, in Zusammenarbeit, Koordination und Umsetzung. Es braucht eine Kultur der Koordination; wir müssen uns koordinieren! Das war bei den meisten Dingen, die wir in der Vergangenheit getan haben, einfach nicht zwingend notwendig. Es gab noch nie ein Komitee, das Betrieb, Lehre und Forschung zusammengebracht hat.“

Über die AutorInnen:

Dr. Daniel Mazmanian ist Professor für Public Policy an der Sol Price School of Public Policy der University of Southern California (USC) in Los Angeles. Seine Fachgebiete sind Political Science, Environmental Policy, Policy Implementation, und Transition to sustainable communities.

Pia Mamut, M.Sc., ist Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN) und am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen & Nachhaltige Entwicklung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster.

Lilli Möller, B.A., ist studentische Hilfskraft am ZIN und am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen & Nachhaltige Entwicklung des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Münster.

Das Interview wurde unter technischer Zuhilfenahme des Tools deepL übersetzt.

Blogbeitrag zu einem ähnlichen Thema:

Tipps zum Weiterlesen:

netzwerk n: https://www.netzwerk-n.org

Netzwerk hoch n: https://www.hochn.uni-hamburg.de/3-aktuelles/nachrichten/87-hoch-n-leitfaeden.html

Green Office Initiative: https://www.greenofficemovement.org/de/

Beitragsbild:

Pixabay-Lizenz