Christian Böckenholt und Pia Mamut
Die Frage nach der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Kontext von Klimaschutz und Nachhaltigkeit wurde auf diesem Blog schon aus unterschiedlichen Blickwinkeln behandelt (wie etwa aus der Perspektive eines politischen Engagements für nachhaltiges Gemeinwohl – Artikel 1 und Artikel 2, oder für Klimaschutz – Artikel 3). In diesem Beitrag soll es darum gehen, ein Projekt aus der Praxis – Klimaschutzbürger 2.0 – initiiert vom Kreises Steinfurt in NRW näher zu beleuchten. In dem Projekt lernen Bürgerinnen und Bürger, wie sie ihren individuellen ökologischen Fußabdruck reduzieren und damit einen Beitrag zur übergeordneten Energie- und Ressourcenschutzstrategie des Kreises leisten können (nähere Hintergrundinformationen im untenstehenden Kasten). Für das Projekt wurden der Kreis Steinfurt und der Verein energieland2050 vom Bundesumweltministerium und dem Deutschen Institut für Urbanistik (difu) im Wettbewerb „Klimaaktive Kommune 2020“ in der Kategorie „Kommunale Klimaaktivitäten zum Mitmachen“ mit einem Preisgeld von 25.000 Euro ausgezeichnet. Pia Mamut, Mitarbeiterin am ZIN, hat den Koordinator des Projekts, Christian Böckenholt, interviewt. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand die Frage, inwiefern die Kreisverwaltung zu individuellen Konsumveränderungen motivieren kann bzw. sollte und worauf hierbei zu achten ist. Außerdem wurde besprochen, wie Bürgerinnen und Bürger ein solches Projekt „der Verwaltung“ zu ihrem eigenen Projekt machen und dabei sogar über die gesteckten Ziele des Projektes hinausgehen können.
Pia Mamut: Das Projekt Klimaschutzbürger 2.0 wurde unter anderem von der Kreisverwaltung initiiert. Inwieweit kann oder sollte die Verwaltung zu nachhaltigem Konsum oder nachhaltigen Lebensstilen motivieren? Worauf gilt es hierbei zu achten?
Christian Böckenholt: In unserem Fall hat die Kreispolitik 2012 das Ziel ausgerufen bis 2050 energieautark sein zu wollen. Das war damals sehr ambitioniert, heute wird allerdings diskutiert, ob das Ziel ambitionierter formuliert werden sollte. Werfen wir einen Blick auf den Ist-Stand: Aktuell macht der Anteil der Erneuerbaren Energien, die im Kreis Steinfurt erzeugt werden, knapp 70 Prozent des Stromverbrauchs aus. Bei der Mobilität und der Wärmeerzeug liegt der Anteil allerdings noch unter 10 Prozent. Eine Umstellung in diesen Bereichen auf eine emissionsfreie Erzeugung würde bedeuten, dass auch bei Mobilität und Wärmeproduktion auf den Betrieb mit Strom aus regenerativen Quellen umgestellt wird. Der Strombedarf stiege somit an. Für eine nachhaltige Elektrifizierung dieser Bereiche muss die Menge an „grünem Strom“ noch deutlich steigen, um das Ziel der Energieautarkie zu erreichen. Da kommen wir zum entscheidenden Punkt: Die Energiewende ist nicht nur eine technische Herausforderung, sondern ebenso – vielleicht sogar mehr – eine gesellschaftliche Aufgabe. Je weniger Strom verbraucht wird, desto weniger muss produziert werden. Wir bewegen uns sozusagen von zwei Seiten auf ein Ziel zu. Zur Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs können Politik und Verwaltung Anreize schaffen und attraktive Handlungsmöglichkeiten für den Alltag aufzeigen, die weniger Ressourcen bedürfen. Das können beispielsweise Angebote zur Nutzung des ÖPNV, zur energetische Gebäudesanierung, zu Leihen statt Besitzen und ähnlichen Verhaltensweisen sein. Die Verwaltung kann gute Beispiele nachhaltiger Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit kommunizieren und zum Nachahmen anregen. Ein Projekt wie Klimaschutzbürger 2.0 ist für uns als Verwaltung sehr wichtig, da wir ein direktes Feedback der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den Angeboten nachhaltigen Konsums im Kreis Steinfurt erhalten. Wir erfahren so, was gut angenommen wird und wo gegebenenfalls Angebote fehlen. Nur gemeinsam können wir als Gesellschaft das Ziel der Energieautarkie bis 2050 erreichen. Daher wollen wir alle Akteure – Politik und Verwaltung, Unternehmen sowie die Zivilgesellschaft – beteiligen und mitgestalten lassen.
Pia Mamut: Wie wichtig sind die Eigeninitiative und das Engagement der Projektgemeinschaft selbst, um zum Projekterfolg beizutragen? Wie entstehen diese und worauf kommt es sonst noch an?
Christian Böckenholt: Die Eigeninitiative der Projektteilnehmenden ist sehr wichtig! Vor allem der fortlaufende Austausch in der Projektgemeinschaft sorgt dafür, dass die Motivation unter den Teilnehmenden hoch bleibt, sich persönlich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen und weiterhin Neues auszuprobieren. Wir wollten eine Atmosphäre schaffen, in der sich die Teilnehmenden wohlfühlen und eigene Ideen einbringen und ihre im Projekt gemachten Erfahrungen teilen. Für dieses Projekt haben wir explizit Haushalte gesucht, die Lust haben nachhaltige Verhaltensweisen auszuprobieren und darüber zu berichten. Somit konnten die Bewerberinnen und Bewerber davon ausgehen, dass sie auf Gleichgesinnte treffen würden, die sich ebenfalls bereits vor der Projektteilnahme für die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit interessieren. Das Treffen von Gleichgesinnten stellt sich auch als eines der Hauptmotive für die Projektteilnahme heraus. Wir haben mit dem Projekt also die Zielgruppe der „early adopters“ adressiert, die ausprobieren und auch Vorbild seien wollen.
Für den Projekterfolg war außerdem entscheidend, dass eine Vertrauensbasis unter den Teilnehmenden hergestellt wurde. Auf dieser Grundlage waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereit, ihre im Projekt gemachten Erfahrungen in der Gruppe zu teilen. Dieses Vertrauen war nicht mit der Auftaktveranstaltung gegeben, sondern wuchs langsam im Laufe des Projektes. Dazu beigetragen hat vor allem die externe Moderation, welche die Veranstaltungen begleitete und die sehr empathisch die Projektteilnehmenden eingebunden hat. Bei den Mitmachaktionen wie den Klimakochkursen konnten sich die Teilnehmenden auch locker austauschen. So entstanden Freundschaften über das Projekt hinaus. Für uns als Projektkoordination war es ein sehr großer Erfolg, dass alle 18 Haushalte bis zum Projektende mitgemacht haben. Diese Dynamik und positive Stimmung, in der sich alle wohlfühlen und motiviert sind sich einzubringen, konnten wir zwar fördern, aber nicht alleine seitens der Projektkoordination herbeiführen. Dies gelang nur durch die Offenheit und Bereitschaft der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und hing auch ganz wesentlich mit der Wertschätzung für die im Projekt offerierten kostenfreien Angebote wie Energieberatung, Spritsparfahrtraining oder hochklassigen Referentinnen und Referenten zusammen.
Pia Mamut: Wie können BürgerInnen Verantwortung für Klimaschutz und Nachhaltigkeit übernehmen und dabei auch über die gesteckten Ziele des Projekts hinausgehen?
Christian Böckenholt: Bürgerinnen und Bürger können für Klimaschutz und Nachhaltigkeit auf unterschiedliche Art und Weise Verantwortung übernehmen. Einerseits können sie mit ihren Kaufentscheidungen als Individuum Einfluss nehmen. Sie können bspw. kurze Wege mit dem Rad fahren, regionale und vor allem saisonale Lebensmittel kaufen oder gar selbst anbauen und unnötige Energieverbräuche vermeiden. Andererseits können Sie sich auch über ihren eigenen Haushalt hinaus aktiv für Klimaschutz und Nachhaltigkeit engagieren. Dabei geht es auch darum, die eigene Wirksamkeit des Handelns zu erkunden. Unser Projekt hat bspw. dazu geführt, dass einige der Teilnehmenden sich über das Projekt hinaus für Klimaschutz einsetzen. Ein Teilnehmer hat als Bäckermeister in seinem Unternehmen Plastik- durch Glasflaschen ersetzt, ein Konzept entwickelt, um Abfälle zu reduzieren und den Fuhrpark auf E-Mobilität umgestellt. Eine Teilnehmerin hat bei der Kita, in der ihre Kinder betreut werden, eingeführt, dass nur noch Bio-Lebensmittel angeboten werden. Zudem wurde ein E-Mobilitätsstammtisch eingerichtet, Fahrgemeinschaften gegründet oder Unternehmen angeschrieben mit der Bitte die Verpackungsmenge ihrer Produkte zu reduzieren, um nur einige wenige Beispiele aufzuzählen.
Pia Mamut: Zuletzt noch die Frage, Herr Böckenholt, welche Erkenntnisse nehmen Sie und Ihre Kollegin aus der bisherigen Projekterfahrung mit?
Christian Böckenholt: Aus dem Projekt nehmen wir mit, dass wir weiterhin konkrete Beteiligungsangebote für Bürgerinnen und Bürger anbieten werden. Insbesondere der Aufruf durch die Verwaltung zur Beteiligung wurde von den Teilnehmenden als positiv bewertet. Mit niederschwelligen Maßnahmen können bereits deutliche Ressourceneinsparungen auf Dauer erzielt werden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projektes „Klimaschutzbürger 2.0“ wünschen sich ganz konkret weiteren persönlichen Austausch – auch digital. Wichtig sind die Erfahrungsberichte von Bürgerinnen zu Bürgern aus erster Hand, die andere dazu motivieren selbst aktiv zu werden oder zu bleiben. Unsere Aufgabe ist es, Erfolge und Best-Practice-Beispiele in die Fläche zu kommunizieren. Sprich: Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger lokal abholen und die Themen aufgreifen, die sie interessieren und entsprechende Angebote entwickeln. Diese Beteiligungsmöglichkeit ist zentral, denn es gibt viele Menschen, die sich für Klimaschutz und Nachhaltigkeit interessieren und seit der Fridays for Future-Bewegung auch immer mehr Menschen, die einen konkreten Beitrag leisten wollen. Mit der Gründung einiger zivilgesellschaftliche Initiativen in den Städten und Gemeinden, die sich für Klimaschutz und Nachhaltigkeit einsetzen wollen, hat sich hier in den letzten Jahren im Kreis Steinfurt einiges getan. Verwaltung kann hier aus meiner Sicht, wo möglich und politisch gewollt, zivilgesellschaftliche Engagement weiter fördern.
Weiterführende Informationen, Literatur und Links:
Stengel, O. 2011: Suffizienz. Die Konsumgesellschaft in der ökologischen Krise.
Beitragsbild:
Die Bildrechte liegen beim Kreis Steinfurt.
1 Kommentar
[…] _/ Böckenholt, C.: „Mehr Nachhaltig „Von unten“ – wie der Kreis Steinfurt und der energieland2050 e.V. Bürgerinnen und Konsumenten im Projekt „Klimaschutzbürger 2.0“ zum nachhaltigen Wandel einladen“ IN: nach(haltig)gedacht. Blog des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der WWU Münster, 06.04.2021. Abrufbar unter: http://nach-haltig-gedacht.de/2021/04/06/mehr-nachhaltig-von-unten-wie-der-kreis-steinfurt-und-der-e… […]