Grüne Häuser: Ressourcensuffizienz ist der Schlüssel zur Klimaneutralität

Gonzalo Sanchez

Europa muss über die Energieeffizienz hinausgehen und die Notwendigkeit der Ressourcensuffizienz im Immobilien- und Wohnungssektor erkennen. Die Zeit ist reif für einen ganzheitlichen politischen Rahmen, der den Menschen und dem Planeten dient. So die Meinung des nachfolgenden Artikels zur suffizienzorientierten Wohnungspolitik von Gonzalo Sanchez. Dieser Artikel ist ursprünglich auf Englisch am 29. Juni 2021 auf Euractiv veröffentlicht worden, der Originalbeitrag ist über den Nachrichtenkanal META des European Environmental Bureau (EEB) unter folgendem Link abrufbar: https://meta.eeb.org/2021/06/30/green-homes-resource-sufficiency-is-key-to-achieving-climate-neutrality/

Die Ökologisierung unserer Häuser, Gebäude und öffentlichen Räume ist ein entscheidendes Element der EU-Strategie zur Klimaneutralität. Angesichts ihres Potenzials für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für den Klimaschutz ist unsere so genannte „bebaute Umwelt“ (engl. „built environment“) zu einem der Grundpfeiler des europäischen Green Deals geworden. Damit der Sektor jedoch einen sinnvollen Beitrag zu unseren Klima- und Sozialzielen leisten kann, müssen unsere politischen EntscheidungsträgerInnen über den Tellerrand schauen und einen Schritt weiter gehen.

Es reicht nicht aus, den alternden Gebäudebestand der EU zu renovieren und die Energieeffizienz zu verbessern. Um Klimaneutralität zu erreichen und die Lebenshaltungskosten zu senken, brauchen wir einen umfassenderen und ganzheitlichen Ansatz, der auch die Ressourcensuffizienz berücksichtigt.

Mehr mit weniger

Trotz der Fortschritte bei der Senkung des Energiebedarfs in europäischen Gebäuden sind die CO2-Emissionen pro Kopf in den letzten Jahren weiter angestiegen, was vor allem auf zwei Trends zurückzuführen ist: das steigende Konsumverhalten sowie die Ausweitung der durchschnittlichen Pro-Kopf-Wohnfläche in bestimmten Gebieten.

Diese Trends verdeutlichen die Notwendigkeit einer umfassenderen Politik, die neben den Bemühungen zur Steigerung der Energieeffizienz und der Nutzung von erneuerbaren Energien auch den Aspekt der materiellen Suffizienz berücksichtigt. Alles in allem würden solche Maßnahmen den EU-Ländern helfen, den Bedarf an kohlenstoffintensiven Baumaterialien, insbesondere Zement und Stahl, und die zum Heizen eines Gebäudes benötigte Energiemenge zu verringern. Das ist nichts Neues. Seit Jahrzehnten propagieren UmweltschützerInnen neben Effizienz und erneuerbaren Energien das Konzept der „Öko-Suffizienz“ oder einfach „Suffizienz“ – den sogenannten SER-Rahmen.

Dieses Konzept wird jedoch jetzt wieder aufgegriffen, da es für die Dekarbonisierung des Bausektors in der EU und die Notwendigkeit, nachhaltigen Wohnraum für unsere wachsende Bevölkerung zu schaffen, von besonderer Bedeutung ist. Ganz allgemein versteht man unter dem Begriff „Suffizienz“ Maßnahmen, die darauf abzielen, die Nachfrage nach Rohstoffen und Energie zu verringern und gleichzeitig einen zufriedenstellenden Lebensstandard für alle zu gewährleisten. (Hierzu gibt’s noch mehr in den Blog-Artikeln…)

In Bezug auf den Wohnungsbau bedeutet dieses Konzept häufig, dass wir die Gestaltung und Nutzung unserer Gebäude überdenken, die durchschnittliche Quadratmeterzahl pro EinwohnerIn verringern und gleichzeitig einen komfortablen Lebensstandard für alle gewährleisten. Nach dieser Auffassung sollte die Größe eines Hauses proportional zur Größe des Haushalts sein, der darin leben wird.

Im Folgenden werden einige der relevantesten Maßnahmen aufgeführt, die in den letzten Jahren zur Erreichung dieses Ziels vorgeschlagen wurden:

  • Leere und heruntergekommene Gebäude. Leerstehende Gebäude und Häuser in ganz Europa sollten für Wohnzwecke umgenutzt oder renoviert und/oder an Bedürftige vergeben werden, um den Bau neuer Gebäude zu vermeiden.
  • Förderung der gemeinsamen Nutzung von Räumen und Dienstleistungen. Die gemeinsame Nutzung von Räumen, Geräten und Dienstleistungen wie Waschküchen und Garagen könnte den Ressourcenverbrauch und die CO2-Emissionen verringern und gleichzeitig mehr Menschen zugutekommen, die in demselben Areal leben. Die Gestaltung von Mehrzweckräumen ist ebenfalls ein wirksames Mittel, um Platz und Ressourcen zu sparen.
  • Anpassungsfähigkeit und Flexibilität von Gebäuden. Gebäude sollten funktional und flexibel gestaltet sein, damit sie an die sich verändernden Bedürfnisse der Menschen angepasst werden können. Wenn zum Beispiel Familienmitglieder ausziehen, könnte durch eine geringfügige Renovierung ein direkter, externer Zugang zu den Schlafzimmern geschaffen werden, damit der Raum von anderen MieterInnen genutzt werden kann.
  • Anpassungsfähigkeit der Immobilien. Der Immobiliensektor sollte je nach Haushaltsgröße, die sich im Laufe der Zeit ändern kann, flexible Optionen für den Wohnungsbau bieten. Größere Haushalte sollten bei der Zuteilung von Wohnungen Vorrang haben.
  • Flexible Wohnungspolitik. Wenn es umsetzbar und wünschenswert ist, sollte die Wohnungspolitik eine Verlagerung vom Eigenheim (engl. „ownership“) zum „Nutzerhaus“ (engl. „usership“, hier i.S. von Miete/Vermietung/ Nutzung auf Zeit) unterstützen. Auf diese Weise hätten die Menschen das Recht, bequem in einem Haus zu leben, das groß genug für ihre Bedürfnisse ist, und könnten gleichzeitig die Verschwendung von Energie und Ressourcen vermeiden, die durch den Kauf oder Bau eines größeren Hauses entstehen kann.

Die Menschen entscheiden lassen

Angesichts der ökologischen und sozialen Probleme, mit denen Europa heute konfrontiert ist, geht es beim Konzept der Suffizienz letztlich um die gerechte Umverteilung und Demokratisierung von Raum und Ressourcen in der Gesellschaft. Es geht um das Wohlergehen der Menschen und ihr Recht auf ein angenehmes Leben innerhalb der planetarischen Grenzen.

Wenn dieser Ansatz von unserer Gesellschaft angenommen werden soll, müssen die politischen EntscheidungsträgerInnen demzufolge sicherstellen, dass alle relevanten Entscheidungen im Rahmen eines integrativen Prozesses getroffen werden, der die Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigt.

Dies bedeutet, dass die Entwicklung von deliberativen Prozessen wie nationalen oder lokalen Versammlungen gefördert werden muss, in denen die BürgerInnen an der Gestaltung der Politik mitwirken, die auf ihr persönliches und kollektives Wohlergehen abzielt.

Es ist notwendig, die BürgerInnen in den Mittelpunkt der Entscheidungsfindung zu stellen und ihre Vorschläge zu respektieren, damit sie die Art von Zukunft wählen können, die sie für sich und ihre Kinder wünschen. Nur so kann ein möglichst ehrgeiziger politischer Rahmen geschaffen werden, in dem die Interessen der Menschen im Mittelpunkt stehen.

Über den Autor:

Gonzalo Sanchez arbeitet als politischer Referent beim European Environmental Bureau (EEB).

Einleitungstext und Übersetzung:

ZIN-Blog-Team (Sabrina Vahldiek und Lilli Möller)

Beitragsbild:

Pixabay-Lizenz