Entwicklungsland Deutschland? Die Umsetzung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung in Deutschland

2015 wurden von der Generalversammlung der Vereinten Nationen Ziele für nachhaltige Entwicklung (die Sustainable Development Goals) beschlossen. In 17 inhaltlichen Bereichen haben die Staaten der Welt Ziele formuliert, die sie bis 2030 erreichen möchten. Eine ähnliche Initiative gab es bereits zum Jahrtausendwechsel, sie nahm jedoch lediglich „Entwicklung“ und damit die sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer in den Blick. Der neue Fokus auf nachhaltige Entwicklung verändert nun aber die Zielgruppe –  ist in diesem Sinne nun auch Deutschland ein Entwicklungsland, das nach mehr nachhaltiger Entwicklung streben sollte?

Viele der Ziele, die 2015 beschlossen wurden, sind für Deutschland tatsächlich nicht oder kaum relevant. Sie werden bereits jetzt vollständig oder weitgehend erreicht, da Deutschland ein Industrieland mit einem gut ausgebauten Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem ist. So formuliert beispielsweise Ziel 3.1 der nachhaltigen Entwicklung: „Bis 2030 die weltweite Müttersterblichkeit auf unter 70 je 100.000 Lebendgeburten senken.“ Im Hinblick auf die Müttersterblichkeit ist Deutschland sicher kein Entwicklungsland.

Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie: Ziele für Deutschland

Doch dies ist bei Weitem nicht für alle der formulierten Ziele der Fall. Es gibt daher ein Dokument, das die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung in Deutschland leiten soll: die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Mit Bezug auf jeden einzelnen der 17 Themenbereiche aus den Zielen für nachhaltige Entwicklung wird darin herausgearbeitet, inwiefern sie für Deutschland relevant sind, welche Ziele Deutschland sich setzt und mit welchen Maßnahmen es diese erreichen will. Die so entstandenen konkreten Ziele für Deutschland sind so divers wie die global vorgegebenen Themen. Um nur einige Beispiele zu geben: Der Anteil der Bevölkerung mit starkem Übergewicht soll nicht größer werden, auf einem Fünftel der landwirtschaftlich genutzten Fläche soll ökologisch gewirtschaftet werden und 2050 sollen 80% des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen kommen. Die Wohnkosten sollen genauso sinken wie die Zahl der Straftaten. Drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen bis 2030 jedes Jahr für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden, Stichwort Innovation. Zu jedem der Ziele gibt es Indikatoren, d.h. Messwerte, anhand derer alle zwei Jahre der Fortschritt der Entwicklung überprüft wird. Deutschland ist also buchstäblich und im positiven Sinne noch Entwicklungsland, wenn es um Nachhaltigkeit geht: es kann und soll sich weiterentwickeln, indem es immer nachhaltiger wird.

Ehrgeizige Ziele, aber wenig Neues?

Wenn wir alle zusammen diese Strategie nun umsetzen würden, würde Deutschland dann tatsächlich nachhaltiger werden? Eine kritische Lektüre des Dokuments lässt Zweifel aufkommen. Vieles, was in den Zielen durchaus ehrgeizig verankert ist, steht sowieso schon seit einiger Zeit auf der politischen Agenda in Deutschland. Neue Aspekte – und von diesen gibt es einige in den globalen Nachhaltigkeitszielen – wurden kaum in die nationale Strategie übernommen. Als Forscherin, die sich mit dem Thema Naturkatastrophen beschäftigt, hätte ich beispielsweise gehofft, dass das globale Ziel, dass Städte sich explizit mit Katastrophenrisiken auseinandersetzen sollten, auch auf Deutschland übertragen wird. Doch dies ist leider nicht der Fall. In Zeiten des Klimawandels sind immer stärkere Stürme, häufigere Hochwasser und länger andauernde Hitzewellen zu erwarten. Gerade in Städten können diese gravierende Auswirkungen haben. Eine systematische Auseinandersetzung mit diesen Risiken beispielsweise im Rahmen von lokalen Nachhaltigkeitsstrategien wäre unabdingbar.

Sicherlich: Wenn wir es schaffen, die Ziele, die Deutschland sich in der Nachhaltigkeitsstrategie gesetzt hat, flächendeckend umzusetzen, wird einiges besser und nachhaltiger sein als vorher. Dahinter zurückzufallen, wie sich dies bei einigen Indikatoren bereits andeutet, wäre eine Entwicklung in die falsche Richtung. Doch dafür muss die Nachhaltigkeitsstrategie nicht nur von der Bundesregierung, den Bundesministerien und dem Bundestag umgesetzt werden, sondern auch von den Bundesländern und in den Kommunen. In vielen Städten und Gemeinden gibt es im Moment Initiativen, die Visionen und Ziele für eine nachhaltige Zukunft entwickeln. Dort können auch die Themen auf die Tagesordnung gesetzt werden, die die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie bisher ausspart. Jede und jeder von uns kann sich dabei an seinem eigenen Wohnort einbringen – warum also nicht einmal nachfragen, ob es in meiner Stadt eine solche Initiative gibt und ich dort meine Vision einbringen kann, wie wir uns nachhaltig entwickeln können?

 

Zum Weiterlesen:

Globale Ziele für nachhaltige Entwicklung: www.un.org/depts/german/gv-70/a70-l1.pdf

Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie: https://www.bundesregierung.de/Content/Infomaterial/BPA/Bestellservice/Deutsche_Nachhaltigkeitsstrategie_Neuauflage_2016.pdf?__blob=publicationFile&v=7

Nachhaltigkeitsziele, von der Bundesregierung verständlich erklärt: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/09/2017-09-05-ankuendigung-artikelreihe-nachhaltigkeitsziele.html

 

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