Läufst du noch oder rollst du schon?

Seit 2019 sind immer mehr deutsche Städte vom E-Roller-Fieber angesteckt worden. In jeder größeren Stadt stehen an jeder Ecke die Flitzer in meist knalligen Farben, die eine nachhaltigere Alternative zum Autofahren darstellen sollen. Inzwischen gibt es beispielsweise in Münster etwa 500 von ihnen. Doch die Meinungen über die E-Roller sind gespalten.

Die CO2-Bilanz im Straßenverkehr verschlechtert sich sogar durch die Roller

Längst ist in aller Munde, dass die neuen fahrbaren Untersätze bei Weitem nicht so nachhaltig sind, wie sie zu Anfang oftmals dargestellt wurden. Rechnet man die Herstellung der Roller und ihrer Akkus sowie die Emissionen mit ein, die entstehen, wenn sie allabendlich mit Dieseltransportern eingesammelt werden, um aufgeladen werden zu können, dann sieht die CO2-Bilanz der Tretroller nicht mehr besser aus als die einer Autofahrt mit einem Kleinwagen (Husmann 2019). Die Lebenserwartung eines E-Rollers liegt derzeit durchschnittlich bei lediglich einem Jahr. Die Ökobilanz der Roller ist also durchaus noch optimierbar.

Ein weiterer Wermutstropfen: Eine Studie der University of North Carolina hat ergeben, dass die Roller sogar ihr Hauptziel, Menschen aus dem Auto und auf den Roller zu bekommen, verfehlen. Anstatt die anvisierten AutofahrerInnen, sprechen die Roller vor allem Menschen an, die sonst zu Fuß gegangen wären – und das ist nach wie vor die klimaneutralste Art der Fortbewegung. Gleich dahinter in der Klimabilanz kommt übrigens das Fahrrad, des Münsteraners liebstes Fortbewegungsmittel. Durch das Nutzen der Roller wird also im Schnitt nicht weniger CO2 ausgestoßen, weil etwa von einer CO2-reichen Fortbewegungsart auf den E-Roller umgestiegen wurde, sondern im Gegenteil – mehr, da der E-Roller anstelle einer CO2-neutralen Fortbewegungsart genutzt wird. Die Frage, inwiefern, die E-Roller den Verkehr tatsächlich nachhaltiger gestalten, ist also durchaus berechtigt.

Die E-Roller haben ein hohes Verletzungsrisiko für ihre FahrerInnen

In zwei Städten in Neuseeland – in Auckland und Dunedin – und auch in Mailand, Italien, wurden die Elektroroller bereits wieder aus dem Stadtbild verbannt. Zu hoch waren die Zahlen der Verletzten nach Unfällen mit den Rollern. Der Anbieter Lime, der in beiden australischen Städten E-Roller vermietete, macht einen Softwarefehler für die meisten Unfälle verantwortlich. Durch diesen kam es immer wieder zu unangekündigtem, abruptem Abbremsen der Roller.

Unfälle hat es auch in Münster schon gegeben, ganz ohne Softwarefehler: Im Dunklen sind die Roller nur schwer zu erkennen, es gibt ein Licht vorne und hinten, Reflektoren sind zwar rundherum angebracht, jedoch – wie das Licht hinten – nur wenige Zentimeter über dem Boden. So sind sie von anderen VerkehrsteilnehmerInnen schlecht erkennbar. Die Geschwindigkeit und Flinkheit der Roller soll auch zu einem leichtsinnigeren Fahrverhalten führen, was zusätzlich gefährdet. Dies ist dann nicht nur für die Opfer solcher Unfälle tragisch.

Die E-Roller sollen das ÖPNV-Angebot unterstützen – Alte, Gehandicapte und Menschen ohne Smartphone könnten ausgegrenzt werden

Junge Wenrup, Manager des E-Roller-Anbieters TIER in Münster, sagte im Interview mit den Westfälische Nachrichten, dass das Unternehmen in Kontakt mit den Stadtwerken stehe, um das ÖPNV-Angebot durch die E-Roller auszubauen. – Klingt super! Aber wer nutzt den ÖPNV in Münster (und in anderen größeren Städten) und wer kann das neue E-Roller-Angebot nutzen? Durch die Elektroroller entsteht eine Exklusion gewisser sozialer Gruppen in der Gesellschaft. Die Nutzung des ÖPNV steht jedem offen, für die E-Roller muss man zunächst jedoch über eine gewisse körperliche Fitness verfügen. Ältere Menschen oder Menschen mit körperlichem Handicap können nicht auf dieses Angebot zurückgreifen. Des Weiteren muss, um das Angebot nutzen zu können, eine App für das Smartphone installiert werden und dort müssen persönliche Daten preisgegeben werden. Wer kein Smartphone besitzt oder seine Daten nicht gegen diesen Service eintauschen möchte, der bleibt vom E-Roller-Mieten leider ausgeschlossen. Die Roller als Erweiterung des ÖPNV wäre also unter Gleichberechtigungsgesichtspunkten sehr fragwürdig.

Verbesserungsmöglichkeiten und Fazit

Es ist also wichtig, die E-Roller unter verschiedenen ökologischen und sozialen Gesichtspunkten zu betrachten. Wer CO2-neutral von A nach B kommen möchte, sollte sich nach Möglichkeit weiterhin lieber zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf den Weg machen. Aber wenn die Abläufe weiter optimiert werden, dann stellen die E-Roller vielleicht künftig eine bessere Alternative zum Autofahren dar. Beispielsweise könnten nur Roller mit tatsächlich leeren Akkus abends eingesammelt werden oder die Lebenserwartung eines E-Rollers könnte deutlich erhöht werden. Für einen nachhaltigeren Nahverkehr – auch unter Berücksichtigung der oben genannten Gleichberechtigungsaspekte – wären jedoch andere Maßnahmen zunächst sinnvoller: So sollte der ÖPNV unabhängig vom Roller ausgebaut und vergünstigt werden, um Anreize zu schaffen, das eigene Auto stehen zu lassen. Fahrrad- und Fußgängerwege sollten ausgebaut und verbessert werden, wohingegen der Autoverkehr, abgesehen vom AnwohnerInnen- und Lieferverkehr, in den Innenstädten Schritt für Schritt reduziert werden sollte. Auch die Ausweitung von Car-Sharing-Angeboten würde zu weniger Autos führen.

Bisher lassen sich durch die E-Roller allein keine elementaren Vorteile für eine nachhaltige Mobilität beobachten. Durch die frische Luft ist eine Rollerfahrt aber bestimmt besser für die eigene Gesundheit als Autofahren – und Spaß macht es auch. Dabei aber, der Sicherheit wegen, den Helm bitte nicht vergessen und immer auf den Fahrradwegen bleiben!

Literatur

Böckling, Kai: „ Interview mit „Tier“-Manager in Münster. E-Scooter-Angebot wird auf Stadtteile ausgeweitet“, 05.09.2019, Westfälische Nachrichten. Online: https://www.wn.de/Muenster/Stadtteile/Gievenbeck/3943798-Interview-mit-Tier-Manager-in-Muenster-E-Scooter-Angebot-wird-auf-Stadtteile-ausgeweitet (Abruf: 21.09.2019).

Frahm, Christian: „Nach Unfällen – zwei Städte in Neuseeland verbieten E-Scooter“, 25.02.2019, Spiegel online. Online: https://www.spiegel.de/auto/aktuell/neuseeland-auckland-und-dunedin-verbieten-e-scooter-a-1254970.html (Abruf: 21.09.2019).

Hollingsworth, Joseph; Copeland, Brenna; Johnson, Jeremiah X, Are e-scooters polluters? The environmental impacts of shared dochless electric scooters. 2019 Environ. Res. Lett. 14 084031. Online: https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/ab2da8 (Abruf: 21.09.2019).

Husmann, Wenke: „Das dreckige Schnurren“, 11.08.2019, Zeit online. Online: https://www.zeit.de/mobilitaet/2019-08/elektroroller-e-scooter-nachhaltigkeit-oekobilanz-umwelt?utm_medium=sm&utm_content=zeitde_redpost_zon_link_sf&wt_zmc=sm.int.zonaudev.facebook.ref.zeitde.redpost_zon.link.sf&utm_campaign=ref&utm_term=facebook_zonaudev_int&utm_source=facebook_zonaudev_int (Abruf: 21.09.2019).

Msl24: „Das steckt hinter dem Trend. E-Scooter in Münster: Deshalb sind Elektro-Roller plötzlich überall zu sehen“, Stand 09.09.2019. Online: https://www.msl24.de/muenster/e-scooter-muenster-so-mieten-sie-einen-elektro-roller-von-tier-12752701.html (Abruf: 21.09.2019).

Schmidt, Katharina: „Bilanz nach 11 Wochen E-Scooter: der grüne Lack ist ab“, 01.09.2019, Utopia. Online: https://utopia.de/e-scooter-deutschland-nachhaltig-154938/ (Abruf: 19.09.2019).

Zu der Autorin: Vanessa Albrecht ist Studentin der internationalen und europäischen Governance mit dem Schwerpunkt nachhaltige Entwicklung an der Universität Münster. Seit der Einführung der E-Roller in der Stadt Münster, hat sie diese Thematik aufmerksam vor Ort verfolgt.