„Badvertising“– ist eine grundlegende Veränderung der Werbebranche der nächste Schritt zur Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels?

Die Rapid Transition Alliance, stellt in ihren Beiträgen Initiativen und mögliche Wege vor, einen gesellschaftlichen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit anzustoßen. Der folgende Beitrag wurde am 21. August 2020 veröffentlicht, aus dem Englischen übersetzt und ist hier im Original zu finden. An einigen Stellen wurde der Originalartikel (durch gekennzeichnete Kürzungen, Zwischenüberschriften und Veränderungen im Layout) dem ZIN- Blogformat angepasst.

Im Zuge der wirtschaftlichen Erholung von den Auswirkungen der Corona-Pandemie lautet der Anspruch von vielen, aus der Krise zu lernen und das vorherrschende Wirtschaftsmodell nachhaltiger zu gestalten („build back better“). Während sich einige also für einen „Reset“ hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise stark machen, bei der weniger der Konsum und mehr die Lebensqualität im Vordergrund steht, fordern andere hingegen, alte Konsumgewohnheiten wieder aufzunehmen. Welchen Weg die Gesellschaft einschlagen wird, hängt auch stark von der Menge und Art der Werbung ab, mit der Menschen im Alltag konfrontiert sind. So gibt es neue Forderungen, die Lehren aus der erfolgreichen Einschränkung der Tabakwerbung auch auf „emissionsreiche“ Produkte und Lebensweisen anzuwenden und somit Werbung zu stoppen, die zur Klimakrise beiträgt. Rasche Veränderungen in der Werbebranche werden inzwischen als eine der wichtigsten Möglichkeiten zur Schaffung der Voraussetzungen für einen gesellschaftlichen Wandel gesehen.

Die Werbeindustrie ist eine der Mechanismen, die den Konsum ankurbeln und uns ermutigen, „bis zum Umfallen einzukaufen“. Sie hat unsere Kaufgewohnheiten nicht nur geprägt, sondern sich im Laufe der Zeit auch mit ihnen verändert und umfasst nun Online-Werbung ebenso wie Fernseh-, Radio-, Print- und physische Werbung wie Plakatwände, deren energieintensive digitale Versionen zunehmend beliebter werden. Für das Jahr 2020 belaufen sich die Gesamtausgaben für Werbung in den Medien weltweit voraussichtlich auf 691,7 Milliarden US-Dollar. Im Vergleich zu 2019 ist das ein Anstieg um 7%, und das trotz der Pandemie (Enberg 2020).

Angesichts solcher Profite kann ein Wandel der Werbeindustrie und somit des Konsumverhaltens hoffnungslos erscheinen. Doch gibt es viele Beispiele dafür, wie Werbeverbote das Verhalten von Menschen verändert und maßgeblich zu einer Verbesserung der öffentlichen Gesundheit beigetragen haben. Werbung ist mächtig und gleichzeitig nicht einfach einzuschätzen, denn wir reagieren auf das, was wir sehen und hören, auf eine komplexe, schwer durchschaubare und manchmal unvorhersehbare Art und Weise. Teilweise merken wir vielleicht auch gar nicht, dass wir beeinflusst werden und sind stolz darauf, die cleveren Verbraucher*innen zu sein. Mit Blick darauf haben Aktivist*innen und politische Entscheidungsträger*innen bei vielen Gelegenheiten zusammengearbeitet, um Werbung zu unterbinden, die sich an leicht beeinflussbare Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel Kinder richtet.

Anfänge vom Kampf gegen Werbung: Verbot von Tabakwerbung

Seitdem die enormen Auswirkungen des Tabakkonsums auf die öffentliche Gesundheit deutlich geworden sind – im 21. Jahrhundert starben etwa 100 Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums und für dieses Jahrhundert wird mit einer Milliarde Menschen gerechnet (Jha et al. 2015) – haben sich Aktivist*innen unermüdlich für ein Verbot der Tabakwerbung eingesetzt. Vom ersten Nachweis der Gesundheitsschäden des Tabakkonsum, bis zur Verabschiedung eines ersten Werbeverbots dauerte es 40 Jahre. Jahrelang widersetzte sich die Tabakindustrie den Forderungen nach einem Werbeverbot mit der Begründung, dass Tabakwerbung nicht zu einer Zunahme des Rauchens führe, sondern Menschen lediglich dazu ermutige, die Marke zu wechseln. Doch bereits 1975 gab es gegenteilige Beweise, die zeigten, wie Werbung zum Rauchen animiert (Boyle et al. 2020). [Die Tabakindustrie säte allerdings auch in der Werbung Zweifel an diesen Beweisen und diskreditierte Befürworter*innen des Werbeverbots.] [Aufgrund der Gesundheitsrisiken wurde Tabakwerbung schließlich dennoch in einigen Ländern verboten. Im Vereinigten Königreich und Finnland gelten bereits seit den 1960er bzw. 1970er Jahren Werbeverbote. Auch über die Werbung hinaus wurde das Rauchen zunehmend eingeschränkt, ein wichtiger Schritt war hier das Rauchverbot in geschlossenen Räumen öffentlicher Gebäude, das 2007 in vielen Ländern Europas eingeführt wurde.]

Parallelen: Kampf gegen Tabakwerbung und Badvertising-Kampagne

Heutige Kampagnen, wie z.B. die jüngste „Badvertising“ – Kampagne (New Weather Institute 2020) in Großbritannien, verwenden dieselben Argumente, um Werbung für andere Produkte zu kritisieren, die eine Bedrohung für unsere Umwelt, unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden darstellen, z.B. Geländewagen mit einem hohen Benzinverbrauch (SUVs) (Alter 2020). [s. Beitragsbild als Beispiel]

Die Aktivist*innen ziehen direkte Vergleiche zwischen dem Verbot von Tabakwerbung und einem potentiellen Verbot von Werbung für SUVs und zeigen Parallelen mit den Gefahren des Rauchens auf, um die Luftverschmutzung zu einem persönlichen und öffentlichen Gesundheitsproblem zu machen. Sowohl Tabakrauch als auch Autoabgase enthalten ähnliche Giftstoffe, die die menschliche Gesundheit direkt bedrohen. Zudem sind Haushalte mit niedrigem Einkommen von den Auswirkungen des Tabakkonsums und der Luftverschmutzung durch Kraftfahrzeuge stärker betroffen als reiche Haushalte und daher auch anfälliger für Gesundheitsrisiken, wie die Corona-Pandemie.

Heute sind wir in einer Position, in der gesellschaftlicher Wandel beschleunigt werden kann. Über das Internet verbreiten sich Ideen schnell, mehr Transparenz und eine bessere Koordinierung von Kampagnen werden ermöglicht. Auch in den USA wurde die Badvertising-Kampagne bereits von Aktivist*innen aufgegriffen und soll bald auch dort starten. Hinzu kommt, dass sich Menschen auch allgemein des Einflusses der Werbung zunehmend bewusster sind und somit vielleicht eher bereit sind, auf Vorschläge zur Begrenzung von Werbung und ihrer Auswirkungen zu reagieren.

Stopp für Junkfood-Werbung

Junkfood ist einer der Bereiche, in dem Aktivist*innen die Aufmerksamkeit schneller und effektiver auf die Werbetreibenden und deren Verantwortung für gesundheitliche Probleme – und insbesondere Fettleibigkeit bei Kindern – lenken konnten. Im Jahr 2020 hat der südmexikanische Bundesstaat Oaxaca den Verkauf von zuckerhaltigen Getränken und kalorienreichen Snacks an Kinder verboten – eine Maßnahme zur Eindämmung von Fettleibigkeit, die diese Produkte in die gleiche Kategorie wie Tabak und Alkohol einordnet. Zwei Jahre zuvor hat „Transport for London“ ein ähnliches Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel im gesamten U-Bahn-Netz, in Bussen, an Bushaltestellen und in Taxis eingeführt. Diese Maßnahme wurde von der „Greater London Authority“, einem demokratisch gewählten Gremium, beschlossen, deren Konsultation ergab, dass 82% der Londoner*innen das Verbot unterstützten. Die britische Regierung wird nun strenge Regeln für die Werbung und den Verkauf von Junkfood im ganzen Land einführen, die unter anderem ein Verbot von Online-Werbung und Fernsehwerbung vor der 21-Uhr-Sendezeit vorsehen (Sweney 2020). […]

Verbot von Außenwerbung: Erfolge von Aktivismus und Politik

Letztendlich sind es motivierte Aktivist*innen, die gemeinsam mit politischen Entscheidungsträger*innen Veränderungen bewirken können. […] In einer früheren Fallstudie hat sich die Rapid Transition Alliance speziell mit Außenwerbung befasst und gezeigt, wie die Menschen vor Ort mit Hilfe bestehender lokaler Gesetze erfolgreich Kampagnen geführt haben, um Außenwerbung zu reduzieren oder ganz zu entfernen. In vielen US-Bundesstaaten wird Werbung streng kontrolliert, vier Staaten haben Plakatwände sogar ganz verboten. In Paris wurden Regeln eingeführt, um die Werbung auf den Straßen der Stadt um 30% zu reduzieren und die Größe der Werbetafeln zu begrenzen. Darüber hinaus ist Werbung im Umkreis von 50 Metern von Schulen nicht mehr erlaubt. Die indische Stadt Chennai hat Plakatwerbung vollständig verboten und auch in Grenoble in Frankreich wurde vor kurzem die kommerzielle Werbung auf öffentlichen Plätzen in der Stadt verboten, um Möglichkeiten für nichtkommerzielle Ausdrucksformen zu schaffen. So wurden mehrere hundert Werbeschilder durch neu gepflanzte Bäume oder kommunale Anschlagtafeln ersetzt.

Gemeinden der englischen Stadt Bristol setzten sich kürzlich gemeinsam gegen das Auftauchen hell erleuchteter, störender LCD-Werbetafeln in der Stadt auf, die das Stadtbild dominierten und für Lichtverschmutzung und Energieverschwendung sorgten. Die Initiative „Adblock Bristol“ wurde 2017 gegründet, um Anwohner*innen dabei zu unterstützen, Einspruch gegen Bauanträge für neue digitale Werbetafeln zu erheben (Adfree Cities 2022). Diese Initiative hat in der Stadt eine Debatte mit dem Stadtrat über die Rolle des öffentlichen Raums, Konsum, Werbung und den Klimawandel in Gang gesetzt. Bislang hat die Gruppe 25 Bauanträge für große digitale Bildschirme und über 50 kleinere Werbebildschirme gestoppt.  Ähnliche Gruppen wurden inzwischen auch in anderen britischen Städten – Birmingham, Cardiff, Leeds und Exeter – gegründet, die nun das nationale Netzwerk „Adfree Cities“ bilden (Adfree Cities 2022).

[…]

Erkenntnisse für eine schnelle sozial-ökologische Transformation

Von Rauchen über Junkfood wurde die Werbung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit eingeschränkt oder eingestellt. Es spricht viel dafür, die gleiche Logik auch auf Werbung für „emissionsreiche“ Produkte und Lebensweisen anzuwenden. Werbung steigert den Konsum, ein Werbeverbot hingegen hat zum Rückgang des Konsums geführt. Daher sollte dies als Mittel im Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt werden.

  1. Werbeverbote haben sich als erfolgreich erwiesen, wenn überzeugende Kampagnen organisiert werden, stichhaltige Beweise aus vertrauenswürdigen Quellen und eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit vorliegen. Wirtschaftliche Akteure werden sich Veränderungen, die ihre Einnahmen bedrohen, jedoch widersetzen.
  2. Politische Entscheidungsträger*innen nehmen die öffentliche Gesundheit ernst und sehen dies als überzeugendsten Grund, ein Produkt zu verbieten oder die aktive Werbung für ein Produkt einzuschränken, insbesondere wenn es Kindern schadet.

Über die Autor*innen:

Die Rapid Transition Alliance ist ein Netzwerk internationaler Organisationen, die sich für die Bewältigung der Klimakrise einsetzen. Die Mitglieder des Netzwerks sind überzeugt, dass angesichts der Klimakrise großer Handlungsbedarf besteht und schnelle sowie umfassende Maßnahmen getroffen werden müssen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Aus diesem Grund will die Rapid Transition Alliance anhand von konkreten Beispielen zeigen, dass ein gesellschaftlicher Wandel möglich ist. Das Bündnis wird von Vertreter*innen des New Weather Institute, der School of Global Studies der Universität Sussex und des Institute of Development Studies koordiniert und  durch die KR Foundation unterstützt.

Redaktion:

Beitragsbild:

Entnommen aus dem Originalartikel, Bildrechte liegen bei der Rapid Transition Alliance.

Übersetzung der Bildunterschrift im Original: „Die Badvertising-Kampagne sagt aus, dass es an der Zeit ist, sich von dem Druck des Marketings, umweltschädliche Produkte zu kaufen, zu befreien.