Wir (Mitglieder und Mitarbeitende des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der Uni Münster) stellen uns hier die Frage, wie wir leben wollen – in unserer Gesellschaft, auf dieser Erde. Was macht ein gutes Leben aus? Was ist zukunftsfähig in Bezug auf die Umwelt, aber auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie?
Mit anderen Worten: es geht um soziale und umweltbezogene, wie auch politische und wirtschaftliche Aspekte und Entwicklungen, die uns betreffen. Gemeinsamer Nenner ist die Sorge um unsere Lebensqualität in Gegenwart und Zukunft. Dabei stellen wir ab jetzt regelmäßig Denkanstöße, Kommentare, Fundstücke und interessante Forschungsergebnisse vor. Viel Spaß beim Lesen!
Wir (Mitglieder und Mitarbeitende des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der Uni Münster) stellen uns hier die Frage, wie wir leben wollen – in unserer Gesellschaft, auf dieser Erde. Was macht ein gutes Leben aus? Was ist zukunftsfähig in Bezug auf die Umwelt, aber auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie?
Mit anderen Worten: es geht um soziale und umweltbezogene, wie auch politische und wirtschaftliche Aspekte und Entwicklungen, die uns betreffen. Gemeinsamer Nenner ist die Sorge um unsere Lebensqualität in Gegenwart und Zukunft. Dabei stellen wir ab jetzt regelmäßig Denkanstöße, Kommentare, Fundstücke und interessante Forschungsergebnisse vor. Viel Spaß beim Lesen!
„Badvertising“– ist eine grundlegende Veränderung der Werbebranche der nächste Schritt zur Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels?
Die Rapid Transition Alliance, stellt in ihren Beiträgen Initiativen und mögliche Wege vor, einen gesellschaftlichen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit anzustoßen. Der folgende Beitrag wurde am 21. August 2020 veröffentlicht, aus dem Englischen übersetzt und ist hier im Original zu finden. An einigen Stellen wurde der Originalartikel (durch gekennzeichnete Kürzungen, Zwischenüberschriften und Veränderungen im Layout) dem ZIN- Blogformat angepasst.
Im Zuge der wirtschaftlichen Erholung von den Auswirkungen der Corona-Pandemie lautet der Anspruch von vielen, aus der Krise zu lernen und das vorherrschende Wirtschaftsmodell nachhaltiger zu gestalten („build back better“). Während sich einige also für einen „Reset“ hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise stark machen, bei der weniger der Konsum und mehr die Lebensqualität im Vordergrund steht, fordern andere hingegen, alte Konsumgewohnheiten wieder aufzunehmen. Welchen Weg die Gesellschaft einschlagen wird, hängt auch stark von der Menge und Art der Werbung ab, mit der Menschen im Alltag konfrontiert sind. So gibt es neue Forderungen, die Lehren aus der erfolgreichen Einschränkung der Tabakwerbung auch auf „emissionsreiche“ Produkte und Lebensweisen anzuwenden und somit Werbung zu stoppen, die zur Klimakrise beiträgt. Rasche Veränderungen in der Werbebranche werden inzwischen als eine der wichtigsten Möglichkeiten zur Schaffung der Voraussetzungen für einen gesellschaftlichen Wandel gesehen.
Die Werbeindustrie ist eine der Mechanismen, die den Konsum ankurbeln und uns ermutigen, „bis zum Umfallen einzukaufen“. Sie hat unsere Kaufgewohnheiten nicht nur geprägt, sondern sich im Laufe der Zeit auch mit ihnen verändert und umfasst nun Online-Werbung ebenso wie Fernseh-, Radio-, Print- und physische Werbung wie Plakatwände, deren energieintensive digitale Versionen zunehmend beliebter werden. Für das Jahr 2020 belaufen sich die Gesamtausgaben für Werbung in den Medien weltweit voraussichtlich auf 691,7 Milliarden US-Dollar. Im Vergleich zu 2019 ist das ein Anstieg um 7%, und das trotz der Pandemie (Enberg 2020).
Umfang der Werbeausgaben im Vergleich
Der Betrag ist höher als der des umfassenden Infrastrukturinvestitionsprogramms, mit dem China nach der Finanzkrise 2008 die Rezession überwunden hat (Pesek 2020). [Das beinhaltete z.B. öffentliche Bauprojekte wie sechsspurige Autobahnen, Brücken, Häfen, Wolkenkratzer, Einkaufszentren]. Die Werbeausgaben übertreffen auch den mehr als 600 Milliarden US-Dollar schweren Kreditfonds der US-Notenbank, den die USA mittelständischen Unternehmen zur Bekämpfung der aktuellen Wirtschaftskrise zur Verfügung stellt (Kiernan 2020). Schließlich beträgt die Summe das 4,5-fache der 153 Milliarden Dollar, die 2018 von allen 30 Mitgliedern des Entwicklungshilfeausschusses der OECD für Entwicklungshilfe ausgegeben wurde (OECD 2018).
Angesichts solcher Profite kann ein Wandel der Werbeindustrie und somit des Konsumverhaltens hoffnungslos erscheinen. Doch gibt es viele Beispiele dafür, wie Werbeverbote das Verhalten von Menschen verändert und maßgeblich zu einer Verbesserung der öffentlichen Gesundheit beigetragen haben. Werbung ist mächtig und gleichzeitig nicht einfach einzuschätzen, denn wir reagieren auf das, was wir sehen und hören, auf eine komplexe, schwer durchschaubare und manchmal unvorhersehbare Art und Weise. Teilweise merken wir vielleicht auch gar nicht, dass wir beeinflusst werden und sind stolz darauf, die cleveren Verbraucher*innen zu sein. Mit Blick darauf haben Aktivist*innen und politische Entscheidungsträger*innen bei vielen Gelegenheiten zusammengearbeitet, um Werbung zu unterbinden, die sich an leicht beeinflussbare Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel Kinder richtet.
Anfänge vom Kampf gegen Werbung: Verbot von Tabakwerbung
Seitdem die enormen Auswirkungen des Tabakkonsums auf die öffentliche Gesundheit deutlich geworden sind – im 21. Jahrhundert starben etwa 100 Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums und für dieses Jahrhundert wird mit einer Milliarde Menschen gerechnet (Jha et al. 2015) – haben sich Aktivist*innen unermüdlich für ein Verbot der Tabakwerbung eingesetzt. Vom ersten Nachweis der Gesundheitsschäden des Tabakkonsum, bis zur Verabschiedung eines ersten Werbeverbots dauerte es 40 Jahre. Jahrelang widersetzte sich die Tabakindustrie den Forderungen nach einem Werbeverbot mit der Begründung, dass Tabakwerbung nicht zu einer Zunahme des Rauchens führe, sondern Menschen lediglich dazu ermutige, die Marke zu wechseln. Doch bereits 1975 gab es gegenteilige Beweise, die zeigten, wie Werbung zum Rauchen animiert (Boyle et al. 2020). [Die Tabakindustrie säte allerdings auch in der Werbung Zweifel an diesen Beweisen und diskreditierte Befürworter*innen des Werbeverbots.]
[Aufgrund der Gesundheitsrisiken wurde Tabakwerbung schließlich dennoch in einigen Ländern verboten. Im Vereinigten Königreich und Finnland gelten bereits seit den 1960er bzw. 1970er Jahren Werbeverbote. Auch über die Werbung hinaus wurde das Rauchen zunehmend eingeschränkt, ein wichtiger Schritt war hier das Rauchverbot in geschlossenen Räumen öffentlicher Gebäude, das 2007 in vielen Ländern Europas eingeführt wurde.]
Parallelen: Kampf gegen Tabakwerbung und Badvertising-Kampagne
Heutige Kampagnen, wie z.B. die jüngste „Badvertising“ – Kampagne (New Weather Institute 2020) in Großbritannien, verwenden dieselben Argumente, um Werbung für andere Produkte zu kritisieren, die eine Bedrohung für unsere Umwelt, unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden darstellen, z.B. Geländewagen mit einem hohen Benzinverbrauch (SUVs) (Alter 2020). [s. Beitragsbild als Beispiel]
Die Aktivist*innen ziehen direkte Vergleiche zwischen dem Verbot von Tabakwerbung und einem potentiellen Verbot von Werbung für SUVs und zeigen Parallelen mit den Gefahren des Rauchens auf, um die Luftverschmutzung zu einem persönlichen und öffentlichen Gesundheitsproblem zu machen. Sowohl Tabakrauch als auch Autoabgase enthalten ähnliche Giftstoffe, die die menschliche Gesundheit direkt bedrohen. Zudem sind Haushalte mit niedrigem Einkommen von den Auswirkungen des Tabakkonsums und der Luftverschmutzung durch Kraftfahrzeuge stärker betroffen als reiche Haushalte und daher auch anfälliger für Gesundheitsrisiken, wie die Corona-Pandemie.
Heute sind wir in einer Position, in der gesellschaftlicher Wandel beschleunigt werden kann. Über das Internet verbreiten sich Ideen schnell, mehr Transparenz und eine bessere Koordinierung von Kampagnen werden ermöglicht. Auch in den USA wurde die Badvertising-Kampagne bereits von Aktivist*innen aufgegriffen und soll bald auch dort starten. Hinzu kommt, dass sich Menschen auch allgemein des Einflusses der Werbung zunehmend bewusster sind und somit vielleicht eher bereit sind, auf Vorschläge zur Begrenzung von Werbung und ihrer Auswirkungen zu reagieren.
Stopp für Junkfood-Werbung
Junkfood ist einer der Bereiche, in dem Aktivist*innen die Aufmerksamkeit schneller und effektiver auf die Werbetreibenden und deren Verantwortung für gesundheitliche Probleme – und insbesondere Fettleibigkeit bei Kindern – lenken konnten. Im Jahr 2020 hat der südmexikanische Bundesstaat Oaxaca den Verkauf von zuckerhaltigen Getränken und kalorienreichen Snacks an Kinder verboten – eine Maßnahme zur Eindämmung von Fettleibigkeit, die diese Produkte in die gleiche Kategorie wie Tabak und Alkohol einordnet. Zwei Jahre zuvor hat „Transport for London“ ein ähnliches Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel im gesamten U-Bahn-Netz, in Bussen, an Bushaltestellen und in Taxis eingeführt. Diese Maßnahme wurde von der „Greater London Authority“, einem demokratisch gewählten Gremium, beschlossen, deren Konsultation ergab, dass 82% der Londoner*innen das Verbot unterstützten. Die britische Regierung wird nun strenge Regeln für die Werbung und den Verkauf von Junkfood im ganzen Land einführen, die unter anderem ein Verbot von Online-Werbung und Fernsehwerbung vor der 21-Uhr-Sendezeit vorsehen (Sweney 2020). […]
Verbot von Außenwerbung: Erfolge von Aktivismus und Politik
Letztendlich sind es motivierte Aktivist*innen, die gemeinsam mit politischen Entscheidungsträger*innen Veränderungen bewirken können. […] In einer früheren Fallstudie hat sich die Rapid Transition Alliance speziell mit Außenwerbung befasst und gezeigt, wie die Menschen vor Ort mit Hilfe bestehender lokaler Gesetze erfolgreich Kampagnen geführt haben, um Außenwerbung zu reduzieren oder ganz zu entfernen. In vielen US-Bundesstaaten wird Werbung streng kontrolliert, vier Staaten haben Plakatwände sogar ganz verboten. In Paris wurden Regeln eingeführt, um die Werbung auf den Straßen der Stadt um 30% zu reduzieren und die Größe der Werbetafeln zu begrenzen. Darüber hinaus ist Werbung im Umkreis von 50 Metern von Schulen nicht mehr erlaubt. Die indische Stadt Chennai hat Plakatwerbung vollständig verboten und auch in Grenoble in Frankreich wurde vor kurzem die kommerzielle Werbung auf öffentlichen Plätzen in der Stadt verboten, um Möglichkeiten für nichtkommerzielle Ausdrucksformen zu schaffen. So wurden mehrere hundert Werbeschilder durch neu gepflanzte Bäume oder kommunale Anschlagtafeln ersetzt.
Gemeinden der englischen Stadt Bristol setzten sich kürzlich gemeinsam gegen das Auftauchen hell erleuchteter, störender LCD-Werbetafeln in der Stadt auf, die das Stadtbild dominierten und für Lichtverschmutzung und Energieverschwendung sorgten. Die Initiative „Adblock Bristol“ wurde 2017 gegründet, um Anwohner*innen dabei zu unterstützen, Einspruch gegen Bauanträge für neue digitale Werbetafeln zu erheben (Adfree Cities 2022). Diese Initiative hat in der Stadt eine Debatte mit dem Stadtrat über die Rolle des öffentlichen Raums, Konsum, Werbung und den Klimawandel in Gang gesetzt. Bislang hat die Gruppe 25 Bauanträge für große digitale Bildschirme und über 50 kleinere Werbebildschirme gestoppt. Ähnliche Gruppen wurden inzwischen auch in anderen britischen Städten – Birmingham, Cardiff, Leeds und Exeter – gegründet, die nun das nationale Netzwerk „Adfree Cities“ bilden (Adfree Cities 2022).
Werbung – Geschichte, Kontext und Hintergrund
Hersteller*innen und Produzent*innen haben schon immer für ihre Produkte geworben, deren positive Eigenschaften hervorgehoben und die negativen Aspekte heruntergespielt. Doch im 20. Jahrhundert nahm die Werbung für Produkte, die über den lebensnotwendigen Bedarf hinausgehen, enorm zu. Wie bei vielen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen spielte auch hier der (erste) Weltkrieg eine Rolle.
Wie auch andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit, hat Werbung ihre Wurzeln in der Kriegspropaganda. Edward Bernays, der während das ersten Weltkriegs unter Präsident Wilson für offizielle Propaganda zuständig war, wird häufig als Vater der Werbebranche bezeichnet. So schrieb Bernays: „Diejeningen, die den verdeckten Mechanismus der Gesellschaft betätigen, bilden eine unsichtbare Regierung, die die wahre herrschende Macht ist. Wir werden regiert, unsere Gedanken geformt, unser Geschmack geformt, unsere Ideen vorgegeben und das größtenteils von Männern, von denen wir noch nie etwas gehört haben.“ […]
In den 1930er Jahren wurde Tabak als gesund vermarktet, und bis in die frühen 1950er Jahre hinein befürworteten Ärzte Zigaretten. Die Marke „Chesterfield“ durfte im „New York State Journal of Medicine“ Anzeigen schalten, in denen ihr Produkt als: „genauso rein wie das Wasser, das Sie trinken und praktisch nicht von Menschenhand berührt“ beworben wurde. 1939 veröffentlichte Franz Herrmann Müller von der Universität Köln den Bericht „Tabakmissbrauch und Lungenkarzinom“, der zum ersten Mal einen engen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs feststellt. Da der Bericht jedoch vor einem nationalsozialistischen Hintergrund geschrieben wurde, waren die Ergebnisse für den Rest der Welt nicht brauchbar.
Im Vereinigten Königreich ermöglichte der bahnbrechende Bericht „Rauchen und Gesundheit“ des „Royal College of Physicians“ eine Reform durch die Regierung und Gesetz des Parlaments zu Tabakwerbung im Fernsehen. Die Tabakkonzerne schlugen mit einer verdeckten Kampagne zurück, vor allem in den USA, um Zweifel an der wissenschaftlichen Forschung zu verbreiten, und unternahmen eine Reihe rechtlicher Schritte, um das Tempo der Veränderungen zu verlangsamen. Auf den Zigarettenschachteln erschienen Warnhinweise, aber die Werbegelder der Tabakindustrie wurden in das Sportsponsoring verlagert – ein äußerst erfolgreicher Schachzug, der noch einige Jahrzehnte andauerte. Argumente über die Abhängigkeit der Regierungen von den Tabaksteuereinnahmen sorgten für weitere Unruhe und Verwirrung. Dennoch begannen Mitte der 1970er Jahre in Skandinavien öffentliche Einrichtungen und Institutionen, Maßnahmen gegen die Tabakwerbung zu ergreifen – und Schweden ist auch heute noch Vorreiter mit einem strikten Rauchverbot an öffentlichen Orten – sogar im Freien – und dem Ziel, bis 2025 tabakfrei zu sein.
Im Laufe des 21. Jahrhunderts begann sich das Blatt gegen Junkfood zu wenden, da sich die gesundheitlichen Auswirkungen zu häufen begannen. Im Jahr 2010 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Empfehlung, dass das „übergeordnete politische Ziel [eines Werbeverbots] darin bestehen sollte, sowohl die Exposition von Kindern gegenüber Lebensmitteln mit einem hohen Gehalt an gesättigten Fetten, Transfettsäuren, Zucker oder Salz als auch die Macht des Marketings für diese Lebensmittel zu verringern“. In der medizinischen Fachliteratur werden seither regelmäßig Werbebeschränkungen gefordert, da die Vermarktung von Junkfood und Getränken mit steigenden Fettleibigkeitsraten in Verbindung gebracht wird und Werbung bei Kindern besonders wirksam ist.
Erfolgsfaktoren für Werbeverbot
Vielleicht sind es die Auswirkungen von Werbung auf Kinder, die als unschuldig Konsument*innen angesehen werden und sich häufig nicht aktiv für Konsum entscheiden, die politische Entscheidungsträger*innen dazu bewegt haben, Werbung nicht nur zu verurteilen, sondern auch zu handeln. Gute Forschung, klare Botschaften und Menschen, die diese Botschaften glaubwürdig vermitteln, haben alle zu einem Wandel beigetragen. Eine Gesetzesänderung sowie das Verbot einer Aktivität zum Schutz von Kindern ist jedoch die treffsicherste Methode für Politiker*innen, die sich um die öffentliche Meinung sorgen. Dies war in Schweden der Fall, wo sich die Werbeverbote speziell an Kinder richten, weil diese nicht zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können. Das kürzlich im Vereinigten Königreich verkündete Werbeverbot für Junkfood für Kinder folgt der gleichen Argumentation.
Ein weiterer Erfolgsfaktor sind überzeugende Beweise, die von vertrauenswürdigen Expert*innen vorgelegt werden können. Ein Wendepunkt im Kampf gegen die Propaganda der Tabakindustrie im Vereinigten Königreich war die Beteiligung der Ärzt*innengewerkschaft „British Medical Association (BMA)“, was zeigt, wie wichtig es ist, glaubwürdige und einflussreiche Unterstützer*innen auf seine Seite zu bringen. Dieser Schritt führte zu einer direkten Konfrontation der Person, der viele am meisten vertrauten, dem*der eigenen Hausarzt*ärtztin, mit der Tabakindustrie. […] Die Unterstützung durch die britische Ärzt*innengewerkschaft im Kampf gegen Tabakwerbung wurde daher sogar mit dem Eingreifen der Amerikaner*innen in den zweiten Weltkrieg verglichen.
Im Jahr 2017 wurde in der führenden britischen medizinischen Fachzeitschrift „Lancet“ eine große Studie veröffentlicht, die zeigt, dass der Klimawandel eine wachsende Gesundheitsgefahr darstellt. Der Autor der Studie, Simon Dalby (Wilfrid Laurier University) wirft die Frage auf, wieso es mit Blick auf den Klimawandel keine Werbeeinschränkungen gibt, wie dies bei anderen Gesundheitsrisiken, wie dem Rauchen, der Fall ist. Die Studie zeigt, dass Hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt bereits unter den Folgen des Klimawandels leiden. Infektionskrankheiten breiten sich aufgrund der wärmeren Temperaturen schneller aus, Hunger und Unterernährung nehmen zu, die Allergiezeiten werden länger und manchmal ist es für die Landwirt*innen inzwischen zu heiß, um ihre Felder zu bewirtschaften. Dalby schlägt daher vor, den Klimawandel vor allem als Gesundheitsproblem und nicht als Umweltproblem zu behandeln.
[…]
Erkenntnisse für eine schnelle sozial-ökologische Transformation
Von Rauchen über Junkfood wurde die Werbung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit eingeschränkt oder eingestellt. Es spricht viel dafür, die gleiche Logik auch auf Werbung für „emissionsreiche“ Produkte und Lebensweisen anzuwenden. Werbung steigert den Konsum, ein Werbeverbot hingegen hat zum Rückgang des Konsums geführt. Daher sollte dies als Mittel im Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt werden.
Werbeverbote haben sich als erfolgreich erwiesen, wenn überzeugende Kampagnen organisiert werden, stichhaltige Beweise aus vertrauenswürdigen Quellen und eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit vorliegen. Wirtschaftliche Akteure werden sich Veränderungen, die ihre Einnahmen bedrohen, jedoch widersetzen.
Politische Entscheidungsträger*innen nehmen die öffentliche Gesundheit ernst und sehen dies als überzeugendsten Grund, ein Produkt zu verbieten oder die aktive Werbung für ein Produkt einzuschränken, insbesondere wenn es Kindern schadet.
Quellen
Adfree Cities (2022): Adblock Bristol. Im Internet: https://adfreecities.org.uk/about/ Alter, Lloyd (2020): UK groups call for treating SUVs like cigarettes and banning advertising, Treehugger.com. Im Internet: https://www.treehugger.com/uk-group-calls-for-treating-suvs-like-cigarettes-and-banning-advertising-5073675 Boyle et al. (2020): Smoking out the climate. Lessons form the advertising ban on tobacco for tackling the climate emergency. Im Internet: https://static1.squarespace.com/static/5ebd0080238e863d04911b51/t/5f1fe08099156872c6ca1e59/1595924618033/Smoking+Out+The+Climate+FINAL.pdf Clampin, David (2014): Commercial advertising as propaganda in the World War One, British Library. Im Internet: https://www.bl.uk/world-war-one/articles/commercial-advertising-as-propaganda Dubois et al. (2017): The Effects of Banning Advertising in Junk Food Markets. In: The Review of Economic Studies, Vol. 85, Nr. 1, S. 396-436. Enberg, Jasmine (2020): How COVID-19 Has—And Has Not—Affected Global Ad Spending, eMarketer. Im Internet: https://www.emarketer.com/content/how-coronavirus-affects-global-ad-spending Jha et al. (2015): Global Hazards of Tobacco and the Benefits of Smoking Cessation and Tobacco Taxes. In: Gelband et al. (Hrsg.): Cancer: Disease Control Priorities, Washington (DC): The International Bank for Reconstruction and Development/The World Bank. Kiernan, Paul (2020): Fed’s $600 Billion Lending Program Will See More Interest if Economy Slumps, Offical Says, Wall Street Journal. Im Internet: https://www.wsj.com/articles/fed-names-banks-in-600-billion-main-street-lending-program-11594238834 New Weather Institute (2020): Badvertising – stop adverts fueling the climate emergency. Im Internet: https://www.newweather.org/2020/08/03/badvertising-stop-adverts-fuelling-the-climate-emergency/ OECD (2018): Development aid drops in 2018, especially to neediest countries. Im Internet: https://www.oecd.org/newsroom/development-aid-drops-in-2018-especially-to-neediest-countries.htm Pesek, William (2020): China spends $600 Billion to trump America’s Economy, Forbes. Im Internet: https://www.forbes.com/sites/williampesek/2020/05/01/china-spends-600-billion-to-trump-americas-economy/ Sweney (2020): The UK set to bring in strict new junk food rules including pre-9pm ad ban, The Guardian. Im Internet: https://www.theguardian.com/society/2020/jul/23/new-rules-on-junk-food-ads-could-threaten-uk-economic-recovery Watson, Katy; Treanor, Sarah (2016): The Mexicans dying for a fizzy drink, BBC News. Im Internet: https://www.bbc.com/news/magazine-35461270 Yao, Kevin (2012): Debt, property risks curb China stimulus firepower, Reuter. Im Internet: ttps://www.reuters.com/article/us-china-economy-stimulus/debt-property-risks-curb-china-stimulus-firepower-idUSBRE85308G20120604
Über die Autor*innen:
Die Rapid Transition Alliance ist ein Netzwerk internationaler Organisationen, die sich für die Bewältigung der Klimakrise einsetzen. Die Mitglieder des Netzwerks sind überzeugt, dass angesichts der Klimakrise großer Handlungsbedarf besteht und schnelle sowie umfassende Maßnahmen getroffen werden müssen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Aus diesem Grund will die Rapid Transition Alliance anhand von konkreten Beispielen zeigen, dass ein gesellschaftlicher Wandel möglich ist. Das Bündnis wird von Vertreter*innen des New Weather Institute, der School of Global Studies der Universität Sussex und des Institute of Development Studies koordiniert und durch die KR Foundation unterstützt.
Übersetzung der Bildunterschrift im Original: „Die Badvertising-Kampagne sagt aus, dass es an der Zeit ist, sich von dem Druck des Marketings, umweltschädliche Produkte zu kaufen, zu befreien.