Tiere politisch vertreten – Zum neuen Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Tierschutz

Svenja Ahlhaus

„Ich freue mich sehr darauf, Tieren auf Bundesebene eine Stimme zu geben und sie zum Beispiel in Gesetzgebungsverfahren zu vertreten.“ Am 12. Juni 2023 hat Ariane Kari ihr Amt als erste Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung angetreten (Pressemitteilungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft [BMEL] und der Bundesregierung). Schon seit der Erwähnung im Koalitionsvertrag 2021 läuft eine kontroverse Debatte über Sinn und Zweck des Amtes der Bundestierschutzbeauftragten: Ist es ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung oder womöglich überflüssig und Ausdruck bloßer Symbolpolitik? Die Theorie politischer Repräsentation kann zu dieser Diskussion einen Beitrag leisten.

Beauftragte der Bundesregierung für Tierschutz

Mit der neuen Tierschutzbeauftragten gibt es nun mehr als 44 Bundesbeauftragte (und Äquivalente wie Sonderbeauftragte und Koordinator*innen). Überraschend ist zunächst, dass es keine Einigkeit darüber gibt, worin genau die Aufgaben all dieser „Beauftragten der Bundesregierung“ bestehen und wie ihr „Erfolg“ zu beurteilen wäre (dazu auch Karoline Haakes Verfassungsblog-Beitrag). Kritiker*innen sehen in der wachsenden Zahl an Bundesbeauftragten einen problematischen Nebeneffekt komplizierter Koalitionsverhandlungen. Während häufig neue Beauftragte hinzukommen, werden selten Ämter abgeschafft. Die Zahl der ernannten Interessenvertreter*innen – oder „staatlichen Lobbyisten“ – nimmt zu.

Kari sieht es – wie eingangs erwähnt – als ihre Aufgabe an, „Tieren auf Bundesebene eine Stimme zu geben und sie zum Beispiel in Gesetzgebungsverfahren zu vertreten“. Nach ihrer Selbstbeschreibung geht es bei ihrem Amt also um Repräsentation. Politische Repräsentation ist ein politiktheoretischer Grundbegriff, der heute eng mit der Idee von Wahlen und responsiver Interessenvertretung verknüpft wird. Wie passt das mit der Repräsentation von Tieren zusammen?

Repräsentation wird von Kari als Vertretung von Interessen (politikwissenschaftlich gesprochen: substanzielle Repräsentation) verstanden und – das ist das Novum – als Vertretung der Interessen von Tieren. Hier zeichnet sich ein anderes Rollenverständnis ab als beispielsweise beim neuen Bundesbeauftragten für den Schutz der Meere, der „als Gesicht und Sprachrohr der Bundesregierung“ vorgestellt wurde. Wenngleich auch die Bundestierschutzbeauftragte mit dem Tierschutz ein zentrales Anliegen der Bundesregierung stärken soll – scheint sie primär für Tiere und nicht für die Bundesregierung sprechen zu wollen.

Ihre Aufgaben umfassen dabei die „Beratung und Unterstützung“ des Bundesministers durch Empfehlungen und Stellungnahmen, aber auch die „Mitwirkung bei der Weiterentwicklung des Tierschutzes auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene“.

Überflüssige Doppelstruktur?

Kritiker*innen des neuen Amtes wenden ein, es werde eine „Doppelstruktur“ geschaffen. Schon seit Ende 2022 wird der Einwand vorgebracht, Tierschutz als politische Aufgabe sei bereits innerhalb des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft institutionalisiert, sodass es für eine angemessene Interessenvertretung nicht neuer Stellen bedürfe. In einer Kleinen Anfrage im Bundestag, die am 17. Mai 2023 von der CDU/CSU-Fraktion gestellt wurde, wird daher nach dem „konkreten Mehrwert“ des neuen Amtes gefragt (Pressemitteilung und Volltext der kleinen Anfrage).

Aus Sicht der politischen Theorie der Repräsentation ist die Rede von einer Doppelstruktur wenig überzeugend. Repräsentation ist in der Regel nicht die Leistung genau einer Institution. Vielmehr entsteht politische Repräsentation aus der Verbindung unterschiedlicher Institutionen, die in ihrem Zusammenspiel angemessene Vertretung gewährleisten können – man denke beispielsweise an Bundestag und Bundesrat. Aus dieser Sicht spricht nichts Grundsätzliches gegen unterschiedliche institutionelle Anlaufstellen für die Vertretung von Tierinteressen. Nach dem Mehrwehrt kann man aber durchaus fragen.

Politische Repräsentation kann verschiedene Dinge bedeuten: leidenschaftlich für eine Sache einzutreten, Informationen zu sammeln und zu verbreiten, Kompromisse auszuhandeln. Nicht jede Repräsentantin kann diese unterschiedlichen Aufgaben erfüllen. NGOs und Verbände haben eine andere Rolle im Repräsentationssystem als gewählte Abgeordnete (beispielsweise einer Tierschutzpartei) – oder eben als die von der Bundesregierung ernannte Bundestierschutzbeauftragte. Sie wird nicht jede Hoffnung der Tierschutzverbände erfüllen können, wird nicht als Abgeordnete für eine bestimmte Parteiperspektive eintreten, aber könnte durch ihre besondere Position und ihre „fachliche und politische Unabhängigkeit“ (BMEL) einen spezifischen Beitrag im Repräsentationssystem leisten. Am wichtigsten ist wohl der institutionalisierte kritische Blick auf alle Gesetzesentwürfe und Vorschläge der Bundesregierung sowie die Möglichkeit, eigene Ideen und Formulierungen schon früh einzubringen. Die Bundestierschutzbeauftragte muss nicht behaupten, bereits zu wissen, welcher Umgang mit Tieren angemessen ist, aber sie kann diese Frage immer wieder stellen, Expert*innen einladen und Studien in Auftrag geben. Ihr Amt ermöglicht es, einen öffentlichen Dialog zwischen unterschiedlichen Positionen zu Tierschutzmaßnahmen anzustoßen. Eines ihrer erklärten Ziele ist über „Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit […] mehr Wissen über Tiere und ihre Bedürfnisse“ zu vermitteln.

Konflikte über unser demokratisches Selbstverständnis

Ein zweiter Kritikpunkt lautet, die Einrichtung des Amtes sei bloße „Symbolpolitik“. Neben den Dimensionen der Interessenvertretung und Autorisierung wird in der Repräsentationstheorie auch nach der symbolischen Bedeutung eines Amtes gefragt. Wofür steht eine Repräsentantin, welche Gefühle ruft sie bei den Repräsentierten hervor? Für eine solche Einschätzung ist es zu früh, aber bereits die Einrichtung des Amtes zeigt, dass mit der Gestaltung neuer politischer Institutionen auch Konflikte über Nachhaltigkeit und unser demokratisches Selbstverständnis ausgetragen werden: „Ihre Stelle ist umstritten und führt sie in den Kulturkampf um Ernährung und Landwirtschaft“ schreibt die Süddeutsche Zeitung über Kari.

Die lange Liste der Bundesbeauftragten zeigt aus dieser Sicht nicht nur, dass Koalitionsverhandlungen zäh und Institutionen träge sind, sondern ist auch Ausdruck unseres sich ständig ändernden Selbstverständnisses als politische Gemeinschaft. Dieses wird in demokratischen Gesellschaften nicht konfliktfrei verändert, sondern in langwierigen politischen Auseinandersetzungen ausgehandelt: Wer vertreten wird, zählt. Die Institutionalisierung des Amtes der Bundestierschutzbeauftragten kann als Zwischenergebnis eines solchen demokratischen Konflikts verstanden werden – es symbolisiert für den Moment die Einsicht, dass Tiere zählen und in unseren politischen Diskussionen über Mensch-Tier-Verhältnisse besser berücksichtigt werden sollten.

Über die Autorin:

Svenja Ahlhaus ist Juniorprofessorin für Politische Theorie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Demokratietheorie und sie arbeitet aktuell in einem Projekt am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ zu Rechtsmobilisierung in der Religionspolitik. Demnächst erscheint ihr Beitrag „Political Representation of Animals“ im Oxford Handbook of Global Animal Law.