Ein halbes Jahrhundert später und doch ganz am Anfang – Die „Grenzen des Wachstums“ werden 50 Jahre

Lilli Möller

Wenn ihr an das Jahr 1972 denkt – woran denkt ihr da? „Gute Frage“, werden die Jüngeren von euch sagen, „da war ich noch gar nicht auf der Welt!“ Andere dagegen werden sich vielleicht aktiv dran erinnern: An die Regierungszeit Willy Brandts und die vertraglichen Annäherungen der BRD und der DDR. An die Olympischen Sommerspiele in München, die von einer Geiselnahme überschattet wurden. An die Watergate-Affäre und die Proteste gegen den Vietnamkrieg. Und diejenigen, die bei allen Trivia-Nights gewinnen, wissen wahrscheinlich sogar, dass 1972 das längste Jahr des gregorianischen Kalenders war. Aber Thema dieses Artikels soll ein anderes Ereignis aus 1972 sein. Und zwar die Veröffentlichung eines Buches, seine Message und seine Rezeptionsgeschichte. Und mittendrin die Frage: Wann fangen wir endlich damit an, dessen unbequeme wissenschaftliche Erkenntnisse ernst zu nehmen?

Die zentrale Message: Wachstum hat seine Grenzen

Das Buch, um das es geht, heißt „Limits to Growth“ (auf deutsch: „Die Grenzen des Wachstums“) und wurde im März 1972, also genau vor 50 Jahren, von den Wissenschaftler*innen Donella und Dennis Meadows, Jørgen Randers und William Behrens III. vom sog. Club of Rome veröffentlicht. Sie analysierten anhand von neuartigen Computermodellen Entwicklungstendenzen in Bezug auf Bevölkerungswachstum, Rohstoffverbrauch und die damit einhergehende Umweltzerstörung sowie Industrialisierung und Unterernährung. Sie belegten erstmals, dass wir uns die eigenen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten entziehen, wenn wir uns als Menschheit in der Form weiterentwickeln, wie wir uns zu der Zeit entwickelt haben. In anderen Worten: Unendliches Wachstum ist auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht möglich, wir müssen unsere Art, zu wirtschaften, drastisch ändern.

Leider kein Weckruf

Die Forschungsergebnisse des Club of Rome hätten damals vor 50 Jahren zu einem sofortigen Umdenken in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft führen können (und müssen). Denn wie wir mittlerweile wissen, waren sie in vielen Punkten richtig. Die Forschungsergebnisse wurden aber nicht als Weckruf gewertet, sondern stattdessen als falsch abgetan, ignoriert und uminterpretiert. Die Kritik an den „Grenzen des Wachstums“ bezog sich z.B. darauf, dass die angestellten Berechnungen die Preismechanismen nicht ausreichend berücksichtigt hätten. Denn wenn Ressourcen knapper würden, so die Argumentation, würden sie schließlich auch teurer werden, sodass wir weniger davon verbrauchen würden. Allerdings ließ dies wiederum unberücksichtigt, dass politisch stärkere Gesellschaften im globalen Norden und insbesondere ihre Investor*innen auch die Möglichkeit haben, Preise in ihrem Sinne zu beeinflussen, insbesondere durch die Ausbeutung von Natur und Menschen im globalen Süden. (So wären z.B. viele Produkte, die wir günstig kaufen können, um einiges teurer, wenn sie unter gerechten und sicheren Arbeitsbedingungen produziert werden und ihr Rohstoff- und Treibhausgasverbrauch mit in den Preis einfließen würden.) Außerdem reagiert die Nachfrage nur unter bestimmten Bedingungen auf Preisveränderungen: Die sog. Preiselastizität kann positiv und negativ ausfallen.

Umgedeutet wurden die Ergebnisse insofern, als dass sie an das bestehende gesellschaftliche System angepasst wurden: Insbesondere vor dem Hintergrund der Ölkrise im Jahr 1973 stand vor allem das Problem der Rohstoffknappheit im Mittelpunkt der Betrachtung. In den folgenden Jahren wurde deshalb zwar immer mehr Wert auf Ressourceneffizienz gelegt (Stichwort: qualitatives Wachstum), aber ein wirkliches Umdenken und ein breiter gesellschaftlicher Diskurs dahingehend, ein wachstumsunabhängiges System zu etablieren, blieben aus.  

Das Resultat: In den letzten fünf Jahrzehnten hat der globale Ressourcenverbrauch die damit einhergehende Umweltzerstörung weiterhin zugenommen. Auch die schon reichen Volkswirtschaften des globalen Nordens sind weiter gewachsen. Unsere Planetaren Grenzen oder Planetary boundaries sind mittlerweile vielen Menschen ein Begriff – und gleichzeitig in den Bereichen Klima, Biodiversität, Flächenverbrauch, Stickstoff- sowie Phosphorkreislauf und in Bezug auf Umweltschadstoffe und sog. „neuartige Stoffe“ (z.B. Plastik) bereits überschritten (Stockholm Resilience Center, 2022).

Selbst unsere Klimapolitik ist wachstumsorientiert

Wirtschaftswachstum ist bis heute eine weitgehend akzeptierte politische, gesellschaftliche und auch wissenschaftliche Zielsetzung. Weiteres Wachstum wird als notwendig dafür angesehen, Demokratie, Frieden und Wohlstand in unserer Gesellschaft zu sichern. Kritisch hinterfragt wird es in der öffentlichen Diskussion nur selten. Dabei gibt es schon längst vielfältige alternative Konzepte, die Vorschläge für wachstumsunabhängige Gesellschaftssysteme machen. Sie werden unter dem Oberbegriff Postwachstum(stheorien) oder Degrowth zusammengefasst (Mehr dazu siehe z.B. am Ende dieses Beitrags oder auf dieser Website). Im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung aus SPD, Grünen und FDP heißt es trotzdem: „Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland als Grundlage für nachhaltiges Wachstum, Wohlstand und hohe Beschäftigung in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft erhöhen“ (Koalitionsvertrag, 2021, S.64). Und auch „öffentliche Investitionen insbesondere in den Klimaschutz“ sind dazu gedacht, „Wachstum zu generieren“ (ebd. S.5).

50 Jahre sind lang genug

Alle sog. Ökosystemkrisen (z.B. die Klimakatastrophe, das tägliche Aussterben von Tier- und Pflanzenarten oder die Zunahme von Plastikmüll im Meer) und weltweiten Ungerechtigkeiten führen uns nicht erst seit gestern drastisch vor Augen: So kann es nicht weitergehen! Wir müssen unsere Wirtschaft und Gesellschaft so umbauen, dass für alle auch in Zukunft ein gutes Leben auf diesem Planeten mit seinen begrenzten natürlichen Ressourcen möglich ist. Das bedeutet: Wir müssen endlich anfangen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den planetaren Grenzen des Wachstums ernst zu nehmen.

Über die Autorin:

Lilli Möller, B.A., studiert im Master Humangeographie und arbeitet als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Münster.

Quellen und mehr zum Thema:

Die Bundesregierung (2021): Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800

Stockholm Resilience Center (2022): Planetary boundaries. Abrufbar unter: https://stockholmresilience.org/research/planetary-boundaries.html

Utopia (2022): 50 Jahre nach wegweisendem Report „Grenzen des Wachstums“ – Was ist zu tun? Abrufbar unter: https://utopia.de/news/grenzen-des-wachstums-50-club-of-rome/

Podcast „Religion und Politik“ im Themenjahr (24.2.2022): Folge 10, Umweltakteure stark von Idealismus, nicht apokalyptischem Denken getrieben. Abrufbar unter: https://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/podcastundvideo/PM_Umweltakteure_Fuchs.html

Blog nach(haltig)gedacht (8.8.2018): Wohlstand neu denken – Wachstum hinterfragen. Abrufbar unter: http://nach-haltig-gedacht.de/2018/08/08/wohlstand-neu-denken-wachstum-hinterfragen/

Bundeszentrale für politische Bildung (2022): 50 Jahre „Grenzen des Wachstums“Von der Wachstums- zur Post-Wachstumsökonomie? Abrufbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/green-new-deals-2022/345727/50-jahre-grenzen-des-wachstums/

Bundeszentrale für politische Bildung (2022)2: Wirtschaftswachstum. Abrufbar unter: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-der-wirtschaft/21136/wirtschaftswachstum/

Hangry nimmersatt? Journal (2022): System change not climate change!? Über die Rezeption der „Grenzen des Wachstums“. Abrufbar unter: https://nimmersatt-journal.de/system-change-not-climate-change/

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