“Changing our ways”- Durch Verhaltensänderung zur nachhaltigen Gesellschaft?: Empfehlungen der Cambridge Sustainability Commission on Scaling Behaviour Change

Nils Blossey

In politischen Diskussionen steht die Gegenüberstellung individueller Verhaltensänderung und weitreichender politischer Strukturveränderung als Alternativen zur Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen im Vordergrund. Zunehmend besteht allerdings Konsens darüber, dass erfolgreiche Strategien gerade auf den gegenseitigen Verstärkungseffekten politischer Maßnahmen und individuellen Handelns aufbauen müssen. Vor diesem Hintergrund bietet der Bericht der „Cambridge Sustainability Commission on Scaling Behaviour Change“ eine Synthese zahlreicher Forschungsbeiträge über die Potenziale und politische Gestaltung individueller Verhaltensänderung zur Erreichung der Pariser Klimaziele und der Sustainable Development Goals (SDG). Die entwickelten Empfehlungen, die in diesem Blog-Artikel zusammengefasst werden, enthalten zahlreiche Denkanstöße für politische Ansätze auf dem Weg zur ökologisch nachhaltigen Gesellschaft.

Strategien für ein nachhaltiges Zusammenleben

Ausgangspunkt der formulierten Aktionsbereiche und Interventionen ist der hohe Anteil des Haushaltskonsums am Ausstoß von Treibhausgasen, der sich wiederum in der Spitze der globalen Einkommensverteilung konzentriert. Aus dem hohen Beitrag des Konsums an globalen Emissionen folgt letztlich, dass geringfügige Verhaltensänderung und technologischer Fortschritt bei konstanter Konsumintensität als Präventionsstrategie unzureichend sind. Anstelle eines solchen „weak sustainable consumption“-Ansatzes (WSC) wird das explizite Ziel formuliert, den Konsum natürlicher Ressourcen absolut zu reduzieren („strong sustainable consumption“). Das damit erklärte Bestreben der Suffizienz beinhaltet folglich Begrenzungen des Konsums, die sich durch individuelle CO2-Budgets, Rationierungen oder die Einführung von Konsumkorridoren erreichen ließen, in deren Rahmen Unter- und Obergrenzen des Konsums festgelegt werden. Eine daher notwendige Definition von ausreichendem Konsum für das „gute Leben“ und das persönliche Wohlbefinden („wellbeing“) würde dabei durch demokratische Prozesse definiert werden müssen. Weiterführende Ansätze fundieren Wellbeing verstärkt anhand der Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen, gesunden Essens oder an allgemeinen Zufriedenheits-Indikatoren wie dem „Happy-Planet-Index“. Ebenfalls sind sog. „avoid-shift-improve“-Strategien in Betracht zu ziehen, der drei Komponenten zugrunde liegen:  Hier soll einerseits die Nachfrage nach ressourcenintensivem Konsum reduziert werden, auf nachhaltige Verhaltensalternativen ausgewichen werden und letztlich die ökologische Effizienz des Konsums durch technologischen Fortschritt graduell verbessert werden. Beispielhaft wird somit die Reduzierung des Autoverkehrs mit dem Ausbau öffentlicher Verkehrsinfrastruktur und der technologischen Weiterentwicklung existierender Verkehrsmittel kombiniert.

Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit zusammen denken

In diesem Zusammenhang sollen ebenfalls strukturelle ökonomische Ungleichheiten adressiert werden, die der erhöhten Umweltbelastung durch das Konsumverhalten hoher Einkommen zugrunde liegen. Transformative Nachhaltigkeitsstrategien müssen demgemäß die Verringerung ökonomischer Ungleichheiten in globaler wie innerstaatlicher Hinsicht adressieren, um darauf aufbauend nachhaltige Verhaltensänderungen erreichen zu können. Im Falle konkreter Maßnahmen zur Linderung sozialer Ungleichheiten wie einem bedingungslosen Grundeinkommen oder dem Ausbau gezielter Transferleistungen ist jedoch noch unklar, ob konsuminduzierte Umweltbelastungen dadurch reduziert würden. Für eine nachhaltige Veränderung ökonomischer Verhältnisse wird ebenfalls die Überführung von Produktivitätsgewinnen in die Reduzierung der Arbeitszeit anstelle erhöhter Konsummöglichkeiten empfohlen. Eine solche Rekonzeptualisierung von Arbeit in Richtung einer Vier-Tage-Woche erscheint vor dem Hintergrund fortschreitender Automatisierung zwar realisierbar, birgt jedoch neue Herausforderungen für sozial benachteiligte Haushalte, sollten die daraus resultierenden Einkommensausfälle nicht ausreichend kompensiert werden.

Gleichzeitig soll sowohl in globaler wie innerstaatlicher Hinsicht der Schwerpunkt auf die Emissionen von Individuen und Weltregionen mit hohen Einkommen gelegt werden, was u.a. durch die Besteuerung von hochfrequentem individuellen Flugverkehr gewährleistet würde. Des Weiteren gilt es, primär besonders umweltschädliches Verhalten wie Flugreisen, Autoverkehr und Fleischverzehr zu reduzieren. Dies kann vornehmlich durch den Ausbau nachhaltiger Infrastruktur zur Bereitstellung realer Ernährungs- und Mobilitätsalternativen erfolgen, wodurch Möglichkeiten zur freien Verhaltensänderung eröffnet werden.

Den politischen Raum demokratisieren

Zur Gewährleistung nachhaltiger Politik auf der Grundlage demokratischer Legitimation wird zudem für eine Neuausrichtung politischer Systeme plädiert. So sollen institutionalisierte Machtstrukturen, darunter insbesondere die monetäre Einflussnahme und Überrepräsentation von Unternehmensinteressen in politischen Entscheidungsprozessen, stärker problematisiert und abgebaut werden. Konkret beinhaltet dies u.a. Forderungen nach strikteren Regeln zur Parteienfinanzierung und transparenteren Lobbyismus-Verfahren. Zugleich bedarf es einer Ausweitung demokratischer Verfahren, in denen die Partizipation von BürgerInnen an Governance-Prozessen gewährleistet wird. Neben der Verringerung des Mindestwahlalters wird in diesem Kontext die Schaffung neuer Institutionen wie BürgerInnenversammlungen sowie Vertretungen zukünftiger Generationen empfohlen.

Zur Erreichung gesellschaftlichen Wandels sollen darüber hinaus individuelle, kollektive und institutionelle Kapazitäten mobilisiert werden, jenseits formaler Pfadabhängigkeiten grundsätzlich darüber nachzudenken, in welche Richtung sich Gesellschaften zukünftig entwickeln sollten . Soziale Bewegungen fungieren in diesem Zusammenhang als Agenten des dynamischen Wandels der Gesellschaft und bringen das Potenzial mit sich, durch die kollektive Mobilisierung von BürgerInnen politische Konsumpraktiken zu popularisieren. Auch neue Allianzen mit Sektoren, die zuvor nur geringen Bezug zu nachhaltiger Politik aufwiesen, können hier von Nutzen sein, sowie das Engagement von gesellschaftlichen Institutionen wie Universitäten und wichtigen EntscheidungsträgerInnen, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen.

Letztlich soll eine solche Nachhaltigkeitsagenda dadurch einen konsistenten Transformationsdiskurs stärker im öffentlichen Bewusstsein etablieren, entgegen der Annahmen, Wandel folge ausschließlich aus technologischer Entwicklung oder sei gänzlich unmöglich. Die oben geschilderten Ansätze zeigen Möglichkeiten auf, wie sich die Synergien zwischen politischer Veränderung und individuellem Handeln entfalten lassen können, um das Ziel einer nachhaltigeren Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung erreichen zu können.

Die Cambridge Sustainability Commission setzt sich aus internationalen NachhaltigkeitswissenschaftlerInnen zusammen. ZIN-Sprecherin Prof’in Doris Fuchs ist darin Mitglied. Der am 13. April 2021 veröffentlichte Bericht kann hier abgerufen werden: https://www.rapidtransition.org/wp-content/uploads/2021/04/Cambridge-Sustainability-Commission-on-Scaling-behaviour-change-report.pdf.

Über den Autor:

Nils Blossey ist studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster.

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